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OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 12.03.2019 – 4 U 125/18
Titel:

Fristlose Vertragskündigung - Abweichen der Bauausführung von der genehmigten Planung

Normenketten:
VOB/B § 8 Abs. 3 Nr. 1
BGB § 633 Abs. 2 S. 1
BayBO Art. 62 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Auftraggeber eines Werkvertrages berechtigt, den Bauvertrag zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Eine vorherige Fristsetzung und Kündigungsandrohung ist in Fällen der schwerwiegenden Vertragsverletzung grundsätzlich nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Mai 1996 - VII ZR 140/95 -, NJW-RR 1996, 1108). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist auch dann zulässig, wenn infolge einer dem Auftragnehmer zuzurechnenden nachhaltigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses der Auftraggeber berechtigterweise das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Unternehmers verloren hat und ihm unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Vertragsfortsetzung aus diesem Grunde unzumutbar geworden ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bauvertrag, Werkvertrag, Baugenehmigung, Standsicherheitsnachweis, Sachmangel, Mängelbeseitigung, Fristablauf, Androhung, Kündigung, außerordentlicher Kündigungsgrund
Vorinstanz:
LG Würzburg, Zwischenurteil vom 14.06.2018 – 61 O 42/17 Bau
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 08.05.2019 – 4 U 125/18
Fundstelle:
BeckRS 2019, 56700

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Zwischen-Urteil des Landgerichts Würzburg vom 14.06.2018, Az. 61 O 462/17 Bau, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 289.159,03 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 08.04.2019.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Beklagten gegen das Zwischen-Urteil des Landgerichts Würzburg offensichtlich im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO weist der Senat auf die beabsichtigte Entscheidung hin und gibt zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu, ebenso wie zur beabsichtigten Festsetzung des Berufungsstreitwerts.
I.
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Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das angefochtene Urteil des Landgerichts Würzburg erweist sich nach Überprüfung durch den Senat anhand des Berufungsvorbringens als zutreffend. Mit Blick auf die Berufungsangriffe sind folgende Ausführungen veranlasst:
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1. Das Landgericht hat eine Feststellung, ob eine Geltung der Regelungen der VOB/B im vorliegenden Fall zwischen den Parteien vereinbart wurde, nicht getroffen. Hierauf kam es letztlich aber auch nicht an, da die streitgegenständliche Kündigung vom 02.03.2016 (Anlage Br 22) die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B schon nicht erfüllt. Hiernach hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer gem. § 4 Absätze 7 und 8 Nummer 1 bzw. § 5 Absatz 4 VOB/B eine Frist zu setzen, in der ein Hinweis enthalten sein muss, dass er nach Ablauf der Frist den Vertrag kündigen werde. Im vorliegenden Fall wurde zwar mit dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 17.02.2016 (Anlage Br. 20) eine Frist zur Vorlage von bautechnischen Nachweisen und zur Beseitigung von Mängeln gesetzt; eine Ankündigung, dass nach Ablauf der Frist der Vertrag gekündigt bzw. der Auftrag entzogen werde, ist in diesem Schreiben jedoch nicht enthalten.
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Aus der nötigen Warnfunktion der Androhung der Auftragsentziehung folgt zwar, dass dieser Begriff nicht als solcher verwendet werden muss, sich aber sonst aus der Äußerung zweifelsfrei der bestimmte Wille des Auftraggebers ergeben muss, nach fruchtlosem Fristablauf keine oder teilweise Leistung des Auftragnehmers mehr entgegenzunehmen. Diese Voraussetzung ist beispielsweise erfüllt, wenn der Auftraggeber klar angedroht hat, nach erfolglosem Fristablauf einen anderen Unternehmer mit der Herstellung des ordnungsgemäßen Werks zu beauftrage (Kohler in Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, 3. Aufl., § 4 Rn. 208). Im vorliegenden Fall wurde im Schreiben vom 17.02.2016 jedoch lediglich erklärt, dass bei Ablauf der Frist entsprechende Nachweise durch Fachleute auf Kosten der Beklagten erstellt werden würden. Im Falle einer unterbleibenden Mängelbeseitigung wurden keine Konsequenzen angedroht. Eine unmissverständliche Äußerung der Klägerin, dass der (gesamte) Auftrag nach fruchtlosem Ablauf der Frist entzogen werde, liegt damit nicht vor.
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2. Der Klägerin stand jedoch, wie das Landgericht richtig angenommen hat, ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, das sie mit der Kündigung vom 02.03.2016 wirksam ausgeübt hat.
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Die Auffassung der Beklagten, dass der Klägerin im Falle einer wirksamen Vereinbarung der VOB/B eine Kündigung (aus wichtigem Grund) nicht zustünde, entspricht nicht der herrschenden Meinung (siehe nur Lederer in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 6. Aufl. 2017, VOB/B § 8 Rn. 95).
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Auftraggeber eines Werkvertrages berechtigt, den Bauvertrag zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen Partei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Eine vorherige Fristsetzung und Kündigungsandrohung ist in Fällen der schwerwiegenden Vertragsverletzung grundsätzlich nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Mai 1996 - VII ZR 140/95 -, Rn. 24, juris).
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Die fristlose Kündigung des Werkvertrages aus wichtigem Grunde ist aber nicht nur dann zulässig, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Unternehmers gegeben ist. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist auch dann zulässig, wenn infolge einer dem Auftragnehmer zuzurechnenden nachhaltigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses der Auftraggeber berechtigterweise das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Unternehmers verloren hat und ihm unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Vertragsfortsetzung aus diesem Grunde unzumutbar geworden ist. In diesem Zusammenhang ist nicht das Verschulden im Sinne der §§ 276, 278 BGB entscheidend, sondern, ob die Ursache für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses der Sphäre des Unternehmers zuzurechnen ist. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Kündigungsempfängers ist insoweit weder erforderlich noch ausreichend. Eigenes Verschulden des Kündigenden schließt das Kündigungsrecht nicht notwendig aus, sondern nur, wenn der Kündigende die Störung des Vertrauensverhältnisses überwiegend verursacht hatte. Bei der notwendigen umfassenden Würdigung sind die Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps zu berücksichtigen (Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 03. Februar 2016 - 2 U 602/13 -, Rn. 67).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lag nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts ein außerordentlicher Kündigungsgrund zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigungserklärung der Klägerin vor.
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In der Baugenehmigung vom 18.12.2013, die also noch vor dem Vertragsabschluss im Jahr 2015 erteilt wurde, wird in Ziff. 650 der geprüfte Standsicherheitsnachweis einschließlich der Prüfberichte als Bestandteil der Baugenehmigung bezeichnet, wonach die Bauausführung zu erfolgen habe. Ein geprüfter Standsicherheitsnachweis wurde von den Parteien nicht vorgelegt, bzw. schon nicht vorgetragen, dass ein solcher erstellt worden wäre. Ein „geprüfter“ Standsicherheitsnachweis war unter Berücksichtigung von Art. 62 BayBO (in der bis zum 31.08.2018 geltenden Fassung) und Ziff. 190 der Baugenehmigung aber auch nicht erforderlich, da das streitgegenständliche Bauwerk ein Sonderbau der Gebäudeklasse 1 darstellte (Ziff. II der Gründe der Baugenehmigung) und ein Standsicherheitsnachweis des Tragwerkplaners D. vorlag. Hierbei handelte es sich offensichtlich um die vom Sachverständigen Prof. H. als „U10“ bezeichnete Unterlage „Statische Berechnung der Güllegrube“, die von diesem als „Planung A“ bezeichnet wird und nach den Ausführungen des Sachverständigen den statischen Nachweis korrekt führt.
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Unter der Annahme, dass die Klägerin lediglich über die als Anlage Br 2 vorgelegte Baugenehmigung verfügte und diese auch der Beklagten bekannt war, ist davon auszugehen, dass deren Inhalt in der Form Vertragsinhalt wurde, dass der Stall baugenehmigungskonform errichtet werden sollte. Nachdem die Beklagte jedoch von der genehmigten Planung abgewichen ist, leidet das Bauwerk unter einem Sachmangel im Sinne des § 633 Abs. 2. S. 1 BGB.
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Der Beklagten hilft auch nicht der - soweit ersichtlich - erstmals in der Berufungsinstanz getätigte, und von der Klägerin bestrittene Vortrag weiter, wonach die Klägerin von der Beklagten informiert worden wäre, dass Doppelwandfertigelemente zum Einsatz kommen würden und Planungselemente überlassen worden seien, aus denen sich die Herstellung mittels Doppelwandelementen ergebe.
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So geht aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor, dass die Standsicherheit der „Planung B“ (deren geplante Bewehrungsführung laut den Angaben des Sachverständigen nicht den Vorschriften entspricht) von einer gem. Art. 62 Abs. 2 BayBO qualifizierten Person nachgewiesen worden wäre. Hierauf, aber in jedem Fall auf die Tatsache, dass die Ausführung mit Doppelwandfertigelementen nicht der Baugenehmigung entspricht, hätte die Beklagte die Klägerin zur Meidung einer Sachmängelhaftung jedoch hinweisen müssen.
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Diese Pflichtverletzung ist von hohem Gewicht. Sie betrifft nicht irgendwelche wenig bedeutenden Nebenleistungen bei der Errichtung eines Gebäudes, sondern unmittelbar die Standsicherheit und damit den Zustand der Gebäudesubstanz. Die Tatsache, dass - quasi sehenden Auges - entgegen der Baugenehmigung eine mangelhafte Planung zur Anwendung kam, welche noch dazu mangelhaft umgesetzt wurde, stellt nach Auffassung des Senats schon per se eine derart eklatante Pflichtverletzung dar, durch die berechtigterweise das Vertrauen des Auftraggebers in die Zuverlässigkeit seines Auftragnehmers verloren gegangen ist. Hiergegen spricht auch nicht, dass die Beklagte entsprechende Mängelbeseitungsleistungen vorgenommen hat, da diese letztlich nicht den vorgenannten - fundamentalen - Mangel einer unzureichenden und ungenehmigten Statik betroffen haben. Der Beklagten war die Abweichung der Ausführung von der genehmigten Planung auch bekannt, ohne dass sie, auch als sich bereits Mängel zeigten, ihre Vertragspartnerin darauf hingewiesen hätte. Spätestens nachdem die Klägerin die Beklagte am 11.01.2016 - erfolglos - zur Aushändigung einer statischen Berechnung der Ausführung der Doppelwandelemente aufgeforderte hatte, wäre diese - wie das Landgericht richtig ausgeführt hat - nach Treu und Glauben zu einer entsprechenden Reaktion veranlasst gewesen, nachdem im Hinblick auf eine möglicherweise fehlerhafte, jedenfalls aber nicht genehmigte Planung, sich die Ungeeignetheit der Mängelbeseitigungsversuche geradezu aufdrängte.
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Der Senat geht davon aus, dass unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände auch eine Fristbestimmung bzw. Abmahnung entsprechend § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich war. Auf die von der Klägerin darüber hinaus behaupteten Mängel bzw. Verzögerungen der Mängelbeseitigung kam es hingegen nicht an.
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Auch die Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach Kündigungsgründe, die zum Zeitpunkt der Kündigung vorlagen, aber erst später bekannt wurden, zur Begründung nachgeschoben werden können, entspricht der herrschenden Meinung und ist nicht zu beanstanden (Gaier in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 314 Rn. 37).
II.
17
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Der Streitfall ist geprägt durch die ihm eigenen Besonderheiten im Tatsachenbereich.
18
Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht.
19
Der Senat regt daher an, die Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.
III.
20
Die beabsichtigte Streitwertentscheidung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 45, 47, 48 GKG. Als Basis des Werts des Feststellungsinteresses wurden diejenigen anhängigen Klage- und Widerklageansprüche angesetzt, die von der Rechtsfrage abhängen, ob die Kündigung 02.03.2016 eine aus wichtigem Grund oder eine freie war (Klage: 277.201,15 €, Widerklage: 301.116,91 €). Nachdem die Entscheidung über diese Ansprüche aber nicht allein von dieser Frage abhängt, ist ein höherer Abschlag als die üblichen 20%, nämlich 50% vorzunehmen. … Richter am Oberlandesgericht …