Inhalt

LSG München, Urteil v. 25.03.2019 – L 9 AL 119/16
Titel:

Arbeitsförderung: Zur Arbeitnehmereigenschaft des Vorstands einer Aktiengesellschaft als Voraussetzung für Insolvenzgeld

Normenketten:
AktG § 76 Abs. 1
SGB III § 27 Abs. 1 Nr. 5, § 165 Abs. 1, § 183 Abs. 1
Leitsätze:
1. 1.) Für die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 183 Absatz 1 Satz 1 SGB III a.F. (nunmehr § 165 Absatz 1 Satz 1 SGB III n.F.) ist im Wesentlichen von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen, also darauf abzustellen, wie das (arbeitsvertraglich) Vereinbarte tatsächlich im Arbeitsalltag umgesetzt worden ist. (Rn. 92)
2. Die formale organschaftliche Stellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft gemäß nach § 76 Abs. 1 des Aktiengesetzes hat insoweit nur untergeordnete Bedeutung. (Rn. 90)
3. 2.) Einem (allein vertretungsberechtigten) Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft, der für diese als Vertriebsleiter mit arbeitsvertraglicher Vereinbarung gegen Arbeitsentgelt tätig ist, steht der für einen Anspruch auf Insolvenzgeld erforderlichen Arbeitnehmereigenschaft die Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern nach § 27 Absatz 1 Nummer 5 SGB III grundsätzlich nicht entgegen. (Rn. 80 – 82)
Schlagworte:
Arbeitnehmer, Insolvenzgeld, tatsächliche Verhältnisse, Versicherungsfreiheit, Vorstand einer Aktiengesellschaft, Arbeitsförderungsrecht, formale organschaftliche Stellung
Vorinstanz:
SG Regensburg, Urteil vom 11.05.2016 – S 16 AL 259/13
Rechtsmittelinstanzen:
BSG Kassel, Urteil vom 03.11.2021 – B 11 AL 4/20 R
BSG Kassel vom -- – B 11 AL 4/20 R
Fundstelle:
BeckRS 2019, 47924

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob der Kläger im Zeitraum 01.07.2011 bis 30.09.2011 Anspruch auf Insolvenzgeld auf der Grundlage eines entgangenen Gehaltsanspruchs als Arbeitnehmer gegenüber der Y. AG (im Folgenden Y. AG) hat.
2
Der 1955 geborene Kläger war vom 01.07.2011 bis zum 30.09.2011 bei der Y. AG tätig. Im Arbeitsvertrag vom 20.05.2011 wurde seine Funktion als „Stellvertretung Geschäftsleitung“ bezeichnet.
3
Am 20.06.2011 beantragte der Kläger beim Notar P. A. (unter Vorlage des Protokolls einer Aufsichtsratssitzung der Y. AG) seine Eintragung als einzelvertretungsberechtigter Vorstand in das Handelsregister. Diese erfolgte am 27.06.2011.
4
Mit Schreiben vom 14.09.2011 kündigte die Y. AG, vertreten durch Herrn S. K., das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2011.
5
Am 22.09.2011 wurde das Ausscheiden des Klägers als Vorstand der AG (und als dessen Nachfolger Herr K. L.) in das Handelsregister eingetragen.
6
Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger im Wesentlichen als Vertriebsleiter.
7
Nach der vorliegenden - korrigierten - Gehaltsabrechnung für Juli 2011 wurde für den Kläger Lohnsteuer abgeführt, ferner wurden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, jedoch keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet.
8
In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht München (Az. 24 Ca 1405/11) über den Entgeltanspruch des Klägers für die die Monate Juli bis September 2011 schlossen der Kläger und die Y. AG am 29.02.2012 einen gerichtlichen Vergleich.
9
Die Y. AG verpflichtete sich, an den Kläger 10.922,25 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.
10
Damit sollten alle „finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung“ abgegolten sein.
11
Der Schriftsatz des dortigen Klägerbevollmächtigten vom 24.10.2011 zur Begründung der Forderung des Klägers beginnt mit den Worten „Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt…“ - dieses Vorbringen wurde vom Vertreter der Y. AG nicht bestritten.
12
Da die ehemalige Arbeitgeberin ihren Verpflichtungen aus dem Vergleich nicht in vollem Umfang nachkam, stellte der Kläger am 17.10.2012 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Y. AG.
13
Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) Regensburg vom 19.12.2012 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Y. AG angeordnet, mit Beschluss des AG Regensburg vom 19.03.2013 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet (AZ. 2 IN 665/12).
14
Am 20.10.2012 und am 17.01.2013 stellte der Kläger bei der Ag. für Ar. R. Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld. Er gab dabei an, bei der Y. AG als Vertriebsleiter für 4.500 € brutto beschäftigt gewesen zu seien und ab dem Juli 2011 kein Gehalt mehr erhalten zu haben.
15
Mit Bescheid vom 02.04.2013 gewährte die Beklagte dem Kläger einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld in Höhe von 3.800 €.
16
Laut der vorliegenden Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters vom 29.05.2013 setzte sich der Entgeltanspruch des Klägers zuletzt aus 3.000 € Bruttoentgelt, einem Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 355 € sowie einem Reisekostenzuschuss in Höhe von 1.145 € monatlich zusammen.
17
Der Kläger habe noch einen Anspruch auf nicht ausbezahltes Netto-Arbeitsentgelt für August 2011 in Höhe von 1.681,50 € und für September 2011 in Höhe von 3.640,75 € (insgesamt 5.322,25 €).
18
Mit Schreiben vom 03.06.2013 teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten mit, dass der Kläger vom 27.06.2011 bis 22.09.2011 zum Vorstand der Y. AG bestellt gewesen sei.
19
Dies entspricht den Eintragungen im Handelsregister.
20
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.06.2013 die Gewährung von Insolvenzgeld ab und forderte die Erstattung der geleisteten Vorschusszahlungen in Höhe von 3.800 €. Der Kläger sei auf Grund seiner Bestellung als Vorstand nicht als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer zu betrachten.
21
Hiergegen legte der Kläger am 11.07.2013 Widerspruch ein. Er habe die Arbeitnehmereigenschaft erfüllt. Es sei eine Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart gewesen. Ebenso seien die Pflichten des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag geregelt gewesen. Danach habe der Kläger die ihm übertragenen Arbeitsaufgaben sorgfältig auszuführen, bei betrieblicher Notwendigkeit auch andere Arbeiten zu übernehmen und sich gegebenenfalls in eine andere Abteilung oder Betriebstätte des Arbeitgebers versetzen zu lassen. Bis zu seinem Ausscheiden habe der Kläger weder eigenständige Entscheidungen getroffen noch sei er hierfür ermächtigt gewesen. Er habe in seiner Zeit als Arbeitnehmer keine einzige Kontobewegung veranlasst noch eine solche unterschrieben. Die Eintragung als Vorstand sei nur erfolgt, weil die anderen beiden Vorstände nicht über die erforderliche Bonität bei den Banken verfügt hätten. Er habe eine „Strohmannstellung“ eingenommen.
22
Mit Schreiben vom 26.09.2013 wies der Insolvenzverwalter der Y. AG darauf hin, dass sich der Kläger aus freien Stücken für eine gemäß § 27 SGB III versicherungsfreie Beschäftigung entschieden habe. Er könne sich daher nicht darauf berufen, Arbeitnehmer im Sinne des § 7 SGB IV gewesen zu sein. Nach § 93 des Aktiengesetzes sei der Kläger als einziger satzungsmäßig bestellter Vorstand keinerlei Weisungen unterworfen gewesen.
23
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger könne nicht als Arbeitnehmer angesehen werden. Bei der Tätigkeit als Vorstand handele es sich nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III um eine versicherungsfreie Beschäftigung. Rechtlich gesehen sei der Kläger keinerlei Weisung unterworfen gewesen. Dass er als Strohmann fungiert habe, ändere hieran nicht. Auf Grund seiner unstreitig organschaftlichen Stellung im Unternehmen bestünde kein Anspruch auf Insolvenzgeld.
24
Hiergegen erhob der Kläger am 08.11.2013 Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG). Zur Begründung der Klage führte er ergänzend aus, dass er bis zum Ausscheiden aus der Firma keine eigenständige unternehmerische Entscheidung getroffen habe und hierzu auch nicht ermächtigt gewesen sei. Der Alleingesellschafter der AG, Herr S. K., habe nicht über die für die Finanzierung seines Unternehmens erforderliche Bonität bei den Banken verfügt und deshalb den Kläger mit der bestehenden Bonität als Strohmann benötigt. Seine tatsächliche Stellung als weisungsgebundener Angestellter sei entscheidend.
25
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 28.10.2015 hat der Kläger u. a. angegeben, für die Organisation des Vertriebes der AG zuständig gewesen zu sein. Zu keinem Zeitpunkt sei er in die Führung der Geschäfte der AG eingebunden gewesen. Ob Kreditverbindlichkeiten eingegangen wurden, wisse er nicht. Er wisse, dass Blockheizkraftwerke bestellt worden seien. Es wisse aber nicht mehr, wer die Aufträge unterschrieben habe. Er habe eine Kontovollmacht innegehabt, diese aber nicht genutzt. Herr K. und Herr L. hätten ihm stets Weisung erteilt. Herr L. hätte ihm stets Vorgaben gemacht, „wie der Vertrieb in der AG gehändelt werden“ musste.
26
Das SG hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen A. S., Sy. der Y. AG, sowie S. A., Ehefrau des Klägers.
27
Der Zeuge S. hat im Wesentlichen ausgesagt, dass die Gesellschaft wiederholt Vorstände zum Schein bestellt habe. Der Kläger habe den Vertrieb der Gesellschaft auf Vordermann bringen sollen. Der Kläger sei ihm gegenüber nie als Chef aufgetreten. Er sei auch nie mit strategischen Entscheidungen zu ihm als Sy. gekommen, sondern nur mit Verträgen, die die Vertriebstätigkeit der Gesellschaft betroffen hätten. Als eindeutiger Chef der Gesellschaft sei stets Herr K. aufgetreten, der „unstreitig“ Weisungen gegenüber den Mitarbeitern der AG erteilt habe. Herr K. habe sich eine Handlungsvollmacht ausstellen lassen und nahezu alle Verträge der Gesellschafter selbst unterschrieben. Er habe Herrn K. darauf hingewiesen, dass ihm als Aufsichtsratsvorsitzenden der AG diese Vollmacht nicht hätte erteilt werden dürfen. Gegen Herrn K. würde wegen Anlagebetrugs ermittelt. Herr K. habe ihm gesagt, dass der Kläger als Vorstand der AG von der Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen befreit sei. Dies habe er dem Steuerberater so gesagt.
28
Die Ehefrau des Klägers hat ausgesagt, dass sie als Sacharbeiterin in der Firma gearbeitet habe und dass ihr gegenüber ausschließlich Herr K. und nicht der Kläger als Chef aufgetreten sei. Durch den Anruf einer türkischen Bank habe sie erfahren, dass die Banken Herrn K. niemals zum Kunden genommen hätten und dieser daher ihren Ehemann quasi als weiße Weste gebraucht habe.
29
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 17.02.2016 auf ihr vom Insolvenzverwalter überlassene Vertragsunterlagen hingewiesen, wonach der Kläger am 11.07.2011 in Namen der Y. AG einen Auftrag über die Lieferung von drei Blockheizkraftwerken mit einem Kaufpreis von rund 158.850 € je Kraftwerk durch die V. GmbH erteilt hat.
30
Hierzu hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 18.03.2016 ausgeführt, der Kläger habe den Vertrag in seiner Funktion als stellvertretende Geschäftsleitung, aber auf Anweisung von Herrn K. unterschrieben.
31
Mit dem - ohne weitere mündliche Verhandlung ergangenen - Urteil vom 11.05.2016 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.07.2011 bis 30.09.2011 Insolvenzgeld in Höhe von insgesamt 5.322,25 € zu gewähren unter Anrechnung des gewährten Vorschusses in Höhe von 3.800,- €.
32
Der Kläger sei im Insolvenzgeldzeitraum vom 01.07.2011 bis 30.09.2011 Arbeitnehmer im Sinne von § 183 Abs. 1 SGB III gewesen, obwohl er zeitgleich zum Vorstand Y. AG bestellt gewesen sei.
33
Zwar habe der Vorstand einer Aktiengesellschaft allein aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied gesetzlich eine unternehmerähnliche, unabhängige Position im Unternehmen. Er leiste keine weisungsgebundenen Dienste, sondern erteile als Organ der Gesellschaft vielmehr solche Weisungen (vgl. § 76 und § 93 AktG). Seine Organstellung sei arbeitgeberähnlich ausgestaltet (BSG, Urteil vom 22.04.1987 - 10 RAr 6/86).
34
Entgegen der Ansicht der Beklagten führe aber allein die gesetzliche Organstellung des Klägers vorliegend nicht zum Ausschluss des Anspruchs auf Insolvenzgeld. Nur für den Fall, dass ein Vorstand auch seine Stellung als Vorstandsmitglied wahrgenommen habe bzw. habe wahrnehmen können, unterliege der Betroffene nicht dem Versicherungsschutz des SGB
III.
35
Für die durch die Regelungen zum Insolvenzgeld erforderliche Abgrenzung der Arbeitnehmer von den Selbständigen würden die in den Vorschriften über die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung verwendeten Merkmale Anwendung finden, ohne dass es darauf ankäme, ob tatsächlich Beiträge abgeführt worden seien.
36
Zur Feststellung der Anspruchsberechtigung des Klägers sei daher auf die Maßstäbe der Regelung in § 25 Abs. 1 SGB III entsprechend abzustellen. Danach seien Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt versicherungspflichtig beschäftigt seien. Eine Beschäftigung sei nach § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Damit sei auch im Rahmen der Insolvenzgeldversicherung maßgebend, ob eine Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit von einem Arbeitgeber erbracht worden sei. Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit beurteile sich nach dem Gesamtbild der Tätigkeit. Würden nach den Umständen des Einzelfalles sowohl Merkmale der Abhängigkeit als auch der Selbständigkeit vorliegen, komme es darauf an, welche Merkmale überwiegen würden. Maßgebend sei stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Würden die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen, gäben letztere den Ausschlag (so Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 23.04.2009, Az. L 9 AL 351/05 m.w.N.).
37
Der Kläger habe seine rechtliche Stellung als Vorstand nicht wahrgenommen. Aufgrund der Zeugenaussagen stehe für das SG fest, dass der Kläger tatsächlich nicht als Vorstand, sondern - entsprechend seinem Anstellungsvertrag - als leitender Angestellter im Vertrieb der Gesellschaft weisungsgebunden tätig gewesen sei. Er sei weder an strategischen Entscheidungen des Unternehmens gewesen, noch habe er den Mitarbeitern derartige Weisungen erteilt. Vielmehr habe er lediglich die Weisungen von Herrn K. und Herrn L. ausgeführt. Das SG gehe davon aus, dass der Kläger sich durch Herrn K. habe täuschen lassen, so dass er sich seiner Stellung als Vorstand tatsächlich zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen sei. Nur so seien die vom Kläger am 11.07.2011 am Anfang seiner Tätigkeit unterschriebenen Aufträge zu verstehen. Der Kläger habe faktisch die ihm gesetzlich zustehende beherrschende Stellung in der Aktiengesellschaft gar nicht ausüben können.
38
Dem entsprechend sei der Kläger auch nicht von der Versicherungspflicht nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III befreit gewesen, da dieser eine tatsächliche Beschäftigung als Vorstand voraussetze, so dass der Kläger nach § 25 Abs. 1 SGB III versicherungspflichtig gewesen sei.
39
Hiergegen hat die Beklagte am 10.06.2016 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
40
Nach Auffassung der Beklagten sei ein Vorstandsmitglied einer AG allein aufgrund seiner unternehmerähnlichen unabhängigen Stellung im Unternehmen nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Insolvenzausfallversicherung einzuordnen. Die für die Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte seien auf die Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften wegen ihrer wesentlich anders gestalteten, weitaus unabhängigeren Stellung nicht zu übertragen. Nach den Vorschriften des Aktiengesetzes sei die Organstellung eines Vorstandsmitglieds arbeitgeberähnlich ausgestaltet. Diese würden keine weisungsgebundenen Dienste leisten, sondern als Organ der Gesellschaft vielmehr Weisungen erteilen.
41
In § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III habe der Gesetzgeber folglich die Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern einer AG ausdrücklich angeordnet, wobei es sich hierbei um eine typisierende Regelung handele, bei der atypische Besonderheiten des Einzelfalls unberücksichtigt bleiben müssten. Ergänzend hat die Beklagte auf das Urteil des Senats vom 23.04.2009 (Az. L 9 AL 351/05) verwiesen.
42
Entgegen der Auffassung des SG sei es daher nicht erheblich, wie sich die tatsächlichen Entscheidungsverhältnisse in der AG dargestellt hätten.
43
Lediglich ergänzend sei insoweit darauf hinzuweisen, dass der Kläger ausweislich der vorliegenden notariellen Urkunde am 20.06.2011 seine Eintragung als einzelvertretungsberechtigter Vorstand in das Handelsregister beantragt habe. Als Folge seiner eigenhändigen Unterschrift sei dem Kläger selbstverständlich klar gewesen, dass künftig die Organstellung eines Vorstandsmitglieds innehabe. Die Schlussfolgerung des SG, wonach der Kläger bei der Bestellung der drei Blockheizkraftwerke quasi als willenloses Werkzeug des Herrn K. fungiert habe, sei daher abwegig. Niemand außer dem Kläger hätte im Namen der AG diesen Vertrag schließen können, da der Vorstand seine gesetzliche Vertretungsmacht nicht auf andere Organe der AG übertragen dürfe. Die Angaben des Klägers im Termin vor dem SG am 28.10.2015, er sei zu keinem Zeitpunkt in die Führung der Geschäfte eingebunden gewesen und sein Tätigkeitsfeld habe lediglich die Organisation des Vertriebs der AG umfasst, sei daher nachweislich falsch.
44
Mit Schreiben vom 12.09.2016 hat der Bevollmächtigte des Klägers das von Herrn K. unterzeichnete Kündigungsschreiben vom 14.09.2011 vorgelegt, wonach „das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt in der Probezeit zum 30.09.2011“ gekündigt werde.
45
Die Unterschrift des Herrn K. auf diesem Schreiben entspricht der Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag vom 20.05.2011.
46
Der vom SG als Zeuge einvernommene Syndikus der AG, Herr S., habe bestätigt, dass der Kläger nie mit strategischen Entscheidungen zu ihm gekommen sei, sondern nur mit Verträgen, die die Vertriebstätigkeit der Gesellschaft betroffen hätten.
47
Ferner hat der Bevollmächtigte des Klägers ein Urteil des Landgerichts Nürnberg Fürth (LG) vom 09.03.2017 vorgelegt. In dieser Entscheidung hat das LG eine Klage des Insolvenzverwalters der Y. AG auf Rückgewähr der von der Y. AG an den hiesigen Kläger geleisteten Vergütungszahlungen abgewiesen. Ein Anspruch des Insolvenzverwalters aus Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff der Insolvenzordnung sei nicht hinreichend dargelegt worden.
48
In der mündlichen Verhandlung am 25.03.2019 hat der Kläger erklärt, die Bestellung zum Vorstand habe nicht dazu geführt, dass sein Arbeitsvertrag geändert oder aufgehoben und durch einen Dienstvertrag ersetzt worden sei. Es seien auch keine mündlichen Änderungen des Dienstverhältnises zur Y. AG erfolgt. Er habe bereits im Laufe des Monats Juni (2011) angefangen, in der Firma zu arbeiten. Herr K. sei an ihn herangetreten und habe gesagt, die Dame, die vorher Vorstand gewesen sei, könne das nicht mehr machen, er solle es tun. Im August 2011 sei ihm vollends klargeworden, dass die Firma mit betrügerischen Methoden gearbeitet habe. Den Insolvenzantrag habe er als Gläubiger der Y. AG gestellt. Herr K. habe ihn angewiesen, seine Unterschrift unter die Bestellung der Blockheizkraftwerke zu setzen. Der Auftrag sei allerdings nie ausgeführt worden. Wäre er normaler Vertriebsleiter geblieben, hätte er die Verträge nicht unterschreiben dürfen.
49
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
50
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
51
Ergänzend wird auf den Inhalt der sozialgerichtlichen Verfahrensakten sowie der beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

52
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Regensburg vom 11.05.2016 ist gemäß den §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) formell statthaft, sachlich jedoch nicht begründet.
53
Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
54
Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III - in der hier maßgeblichen, bis 31.03.2012 geltenden Fassung (a.F.) - setzt ein Anspruch auf Insolvenzgeld voraus, dass (Nr. 1) bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, (Nr. 2) bei Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (Nr. 3) bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt geworden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), im Inland beschäftigte Arbeitnehmer für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
55
Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 183 Abs. 1 Satz 3 SGB III a.F.).
56
Die entscheidende Rechtsfrage ist daher, ob der Kläger als - im Handelsregister eingetragenes - einziges Vorstandsmitglied der Y. AG als Arbeitnehmer im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. einzuordnen ist oder nicht.
57
Obwohl der Gesetzgeber beim Insolvenzgeld von Arbeitnehmern und nicht - wie im SGB III üblich - von Beschäftigten spricht, wird in der Kommentarliteratur hinsichtlich der Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft von Antragstellern auf Insolvenzgeld einhellig auf die zu § 25 SGB III und § 7 SGB IV entwickelten Abgrenzungskriterien zur Prüfung eines Beschäftigungsverhältnisses verwiesen.
58
Entscheidend sei daher, ob im maßgeblichen Insolvenzgeldzeitraum eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber vorgelegen habe. Diese setze ein Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Inhalt, Durchführung, Dauer und Ort der Tätigkeit voraus. Dabei sei nicht in erster Linie auf die vertraglichen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Gegebenheiten abzustellen (vgl. Schmidt in Mutschler, SGB III, 6. Auflage, § 165 n.F., Rdnr. 6-7 m.w.N.).
59
Die Berufung der Beklagten stützt sich im Wesentlichen darauf, dass der Gesetzgeber im Sozialversicherungsrecht hinsichtlich der Vorstandsmitglieder einer (deutschen) Aktiengesellschaft Sonderregelungen eingeführt hat, die im Ergebnis diese Personen insbesondere von der Renten- und Arbeitslosenversicherungspflicht freistellen sollen.
60
Insoweit ist es zutreffend, dass - ausweislich der vorliegenden Entgeltabrechnung für Juli 2011 - für den Kläger zwar Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, jedoch keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet wurden.
61
Für die gesetzliche Krankenversicherung normiert § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V:
62
Versicherungspflichtig sind Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind.
63
Eine Sonderregelung für Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft existiert in diesem Bereich der Sozialversicherung nicht.
64
Für die gesetzliche Rentenversicherung normiert hingegen § 1 S. 3 SGB VI:
65
Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten.
66
Hierzu kommentiert Vor in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 1 Rdnr. 95-97 (ergänzt durch Unterstreichungen):
67
Satz 3 trifft für Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft eine spezielle Regelung; diese Personengruppe ist in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt und damit von der Versicherungspflicht ausgenommen.
68
Grundsätzlich kann es sich bei diesen Personen um Beschäftigte im Sinne von § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI handeln, wenn sie nach dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegen und sie in den Betrieb eingegliedert sind. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 21.02.1990 - 12 RK 47/87 - SozR 3-2940 § 3 Nr. 1) ist es insoweit auch unbeachtlich, dass die Mitglieder des Vorstandes von Aktiengesellschaften auf die Willensbildung der Gesellschaft einen maßgeblichen Einfluss haben und weitgehend weisungsfrei tätig sind.
69
Die Regelung in Satz 3 stellt klar, dass die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht jedenfalls nicht der Versicherungspflicht in der GRV unterliegen. Aufgrund ihrer herausragenden und wirtschaftlich starken Stellung bedürfen sie nicht des Schutzes durch die Solidargemeinschaft. Die Übergangsregelungen in den §§ 229 Abs. 1 Nr. 1, 229a Abs. 1 SGB VI sind zu beachten, wonach Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft, die am 31.12.1991 versicherungspflichtig waren, in dieser Tätigkeit versicherungspflichtig bleiben.
70
Seit der Neuregelung der Vorschrift mit Wirkung vom 01.01.2004 entfällt die Versicherungspflicht nur für die Beschäftigung als Vorstandsmitglied und die weiteren versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in dem Unternehmen. Selbständige Tätigkeiten für die AG und die Konzernunternehmen werden im Gegensatz zur vorherigen Regelung nicht mehr erfasst. Das Nichtbestehen der Versicherungspflicht hängt damit allein von der ausgeübten Beschäftigung und nicht von der Person ab.
71
Mit Urteil vom 27.02.2008 (Az. B 12 KR 23/06 R - streitig war die Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung für Vorstandsmitglieder einer irischen „private limited company“) hat der 12. Senat des BSG (bei juris Rdnr. 16ff) u.a. ausgeführt:
72
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind Vorstandsmitglieder einer deutschen AG regelmäßig abhängig beschäftigt, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten haben und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (vgl BSG, Urteil vom 31.5.1989, 4 RA 22/88, BSGE 65, 113, 116 f = SozR 2200 § 1248 Nr. 48 S. 125; ferner Urteil vom 19.6.2001, B 12 KR 44/00 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 18 S. 66 f).
73
Diese Beurteilung wird auch von der Revision nicht (mehr) für unzutreffend gehalten. Entgegen der von ihr zunächst vertretenen Auffassung hat sich die Revision im späteren Verfahren zu Recht nicht mehr darauf berufen, Mitglieder des Vorstandes einer AG ständen nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, sondern seien „nach Stellung und Funktion“ Selbstständige, was für den Kläger als Mitglied des BoD einer irischen Gesellschaft daher entsprechend zu gelten habe. … Nach § 1 Satz 4 SGB VI in den bis zum 31.12.2003 und ab 1.1.2004 geltenden Fassungen, die hier beide anzuwenden sind, sind Mitglieder des Vorstandes einer AG nicht versicherungspflichtig bzw in dem Unternehmen, dem sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Mit seiner Neufassung lehnt sich § 1 Satz 4 SGB VI an § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III an, der seit dem 1.1.1998 bestimmt, dass Mitglieder des Vorstandes einer AG für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei sind.
74
Die Herausnahme von Mitgliedern des Vorstandes einer AG aus der Rentenversicherungspflicht geht auf § 3 Abs. 1a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zurück, der durch Art. 1 § 2 Nr. 2 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (3. RVÄndG) vom 28.7.1969 (BGBl I 956) mit Wirkung vom 1.1.1968 als Reaktion auf die Aufhebung der für die Pflichtversicherung von Angestellten geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze eingefügt worden war und für Vorstandsmitglieder einer AG bestimmte, dass sie nicht zu den versicherungspflichtigen Angestellten gehören.
75
Dieser mit dem 3. RVÄndG eingefügten Vorschrift lag die Erwägung zugrunde, dass bei Mitgliedern des Vorstandes einer AG wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung Schutz und Sicherheit durch die Rentenversicherung entbehrlich erscheinen (vgl Urteil vom 22.11.1973, 12/3 RK 20/71, BSGE 36, 258, 260 = SozR Nr. 24 zu § 3 AVG, unter Hinweis auf das Urteil vom 18.9.1973, 12 RK 5/73, BSGE 36, 164, 167 = SozR Nr. 23 zu § 3 AVG; ferner BSGE 65, 113, 118 = SozR 2200 § 1248 Nr. 48 S. 126 f) . Diese Rechtslage galt bis zum 31.12.1991.
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Als Nachfolgevorschrift des § 3 Abs. 1a AVG bestimmte zunächst § 1 Satz 3 SGB VI und bestimmt für die Zeit ab 1.1.1992 § 1 Satz 4 SGB VI, dass Mitglieder des Vorstandes einer AG für den Bereich der GRV nicht versicherungspflichtig (beschäftigt) sind (vgl zur Entstehungsgeschichte ausführlich Urteil des Senats vom 9.8.2006, B 12 KR 3/06 R, SozR 4-2600 § 229 Nr. 1 RdNr. 16 ff). … Die Regelungen des Rentenversicherungsrechts über Vorstandsmitglieder von AGen enthielten nach Auffassung des BSG einen Grundsatz, der auch für die Beitragspflicht in der ArblV zu beachten war, obwohl im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eine entsprechende Vorschrift zunächst nicht enthalten war (BSG, Urteil vom 4.9.1979, BSGE 49, 22, 24 ff = SozR 4100 § 168 Nr. 10 S. 13 ff; Urteil vom 26.3.1992, 11 RAr 15/91, BB 1993, 442 f; ferner BSG, Urteil vom 10.12.1998, B 12 KR 4/98 R, SozR 3-4100 § 168 Nr. 23 S. 69 mwN) . In das AFG selbst wurde eine solche Vorschrift - als Absatz 6 Satz 1 des § 168 AFG - erst mit Wirkung vom 1.1.1993 durch Art. 1 Nr. 48 des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18.12.1992 (BGBl I 2044) eingeführt.
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Diese Regelung wurde mit Wirkung vom 1.1.1998 weitgehend inhaltsgleich in den seither geltenden § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III übernommen. Die Vorschrift sieht nunmehr entsprechend der geänderten Rechtssystematik des SGB III („Versicherungspflicht“ statt „Beitragspflicht“) für Vorstandsmitglieder einer AG in dieser Beschäftigung für den Bereich der ArblV Versicherungsfreiheit vor (vgl zur Entstehungsgeschichte BSG SozR 3-4100 § 168 Nr. 23 S. 69 f.
78
Auch für den Ausnahmetatbestand in der ArblV hat das BSG entschieden, dass es allein auf die Erfüllung des formalen Merkmals der Zugehörigkeit zum Vorstand einer Gesellschaft in der Rechtsform der AG ankommt, den Einzelfall berücksichtigende wertende Gesichtspunkte demgegenüber keinen Ausschlag geben (BSGE 49, 22, 27 f = SozR 4100 § 168 Nr. 10 S. 16 f; BSG BB 1993, 442, 443).
79
Bis zur Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in das AFG zum 1.1.1993 ist das BSG auch für den Bereich der ArblV davon ausgegangen, dass hinter der Anknüpfung an das formale Merkmal der Zugehörigkeit zum Vorstand einer AG die Erwägung stehe, der wirtschaftliche und soziale Status dieser Personengruppe erlaube es, sie vom Schutz der ArblV auszunehmen, wie es für die Regelung in der GRV bestimmend gewesen sei (vgl etwa BSG BB 1993, 442 f). Seit der Schaffung eines eigenen Versicherungsfreiheitstatbestandes für Vorstandsmitglieder einer AG in § 168 Abs. 6 Satz 1 AFG wird als Motiv des Gesetzgebers unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 12/3211 S. 28 zu Nr. 46 <§ 168>) auch deren „Arbeitsmarktferne“ angenommen. Ausgehend von den Aufgaben der Arbeitsförderung, die auf den Arbeitsmarkt bezogen seien, habe der Gesetzgeber die fehlende Verfügbarkeit der Arbeitsplätze von Vorstandsmitgliedern einer AG auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und die mangelnde Verbindung der Tätigkeit hierzu als maßgebend angesehen (vgl BSG SozR 3-4100 § 168 Nr. 23 S. 72 f).
80
Für die Arbeitslosenversicherung normiert § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB III, dass Personen in einer Beschäftigung als Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, versicherungsfrei sind.
81
Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die oben aufgeführten Regelungen im SGB VI und im SGB III nur zur Regelung des Tatbestandes der Versicherungspflicht einer speziellen Gruppe von Arbeitnehmern erlassen worden sind.
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Die im vorliegenden Fall maßgebliche Frage, ob der Kläger trotz seiner Bestellung als Vorstand der Y. AG weiterhin Arbeitnehmer im Sinne des § 183 Abs. 1 SGB III a.F. war, ist damit weiterhin offen.
83
Den Formulierungen im SGB VI und dem SGB III lässt sich jedenfalls entnehmen, dass der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgeht, dass Vorstände von Aktiengesellschaften Beschäftigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV sein können - sonst hätten diese nicht ausdrücklich aus der Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung herausgenommen werden müssen (siehe hierzu das oben ausführlich zitierte BSG-Urteil vom 27.02.2008, Az. B 12 KR 23/06 R).
84
Dieses Zwischenergebnis widerspricht - im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten und Berufungsklägerin - auch nicht der organschaftlichen Stellung des AG-Vorstandes gemäß § 76 Abs. 1 des Aktiengesetzes, wonach der Vorstand „unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten“ hat.
85
Zwar wird auch in der (arbeitsrechtlichen) Kommentarliteratur teilweise - allerdings ohne nähere Begründung - die Auffassung vertreten, wer gemäß § 76 Abs. 1 Aktiengesetz eine Arbeitgeberstellung inne habe, könne nicht Arbeitnehmer sein.
86
So kommentiert z.B. W. (in Palandt, BGB, 78. Auflage, Rdnr. 23 vor § 611), dass der Anstellungsvertrag des Vorstandes einer AG regelmäßig ein Dienstvertrag und kein Arbeitsvertrag sei.
87
Richtigerweise muss jedoch streng zwischen der Organstellung des Vorstands, die mit der Annahme der Bestellung zum Vorstand beginnt, und dem schuldrechtlichen Anstellungsvertrag unterschieden werden.
88
Insoweit unterscheiden sich Vorstände einer AG auch nicht von Geschäftsführern einer GmbH, deren Geschäftsführungsbefugnis jederzeit durch Gesellschafterbeschluss entzogen werden kann, wobei der Arbeitsvertrag hiervon unberührt bleibt.
89
Völlig richtig führt daher V. (in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage, Seite 86f) aus, dass Organmitglieder von juristischen Personen ihre durch das jeweilige Gesetz verliehene Weisungsbefugnis allein im Außenverhältnis ausüben, sich jedoch im Innenverhältnis zur Gesellschaft in einer abhängigen Position befinden können. Würden bisher als Arbeitnehmer B. zu Organvertretern bestellt, sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Zweifel von einer konkludenten Aufhebung des Arbeitsvertrages auszugehen. Diese Vermutung könne jedoch nur gelten, wenn mit dem betroffenen Arbeitnehmer mit seiner Bestellung zum Vorstand einer AG oder Geschäftsführer einer GmbH entsprechende schriftliche Vereinbarungen getroffen würden, da ansonsten wegen § 623 BGB das Schriftformerfordernis für Änderungsvereinbarungen nicht gewahrt sei.
90
Hieraus folgt, dass es vorliegend nicht entscheidend auf die formale organschaftliche Stellung des Klägers als alleinigem vertretungsberechtigten Organ der Y. AG ankommt, sondern dass - vergleichbar mit der Stellung des Geschäftsführers einer GmbH - die tatsächliche Umsetzung der dem Kläger im Außenverhältnis gemäß § 76 Abs. 1 des Aktiengesetzes eingeräumten Stellung im Unternehmen (insbesondere seiner Weisungsbefugnis) zu prüfen ist.
91
Soweit der Senat in seinem Urteil vom 23.04.2009 (Az. L 9 AL 351/05) eine andere Auffassung vertreten hat und in dieser Entscheidung bei der Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. in erster Linie auf die organschaftliche Stellung des dortigen Klägers abgestellt hat, wird daran nicht festgehalten.
92
Im Ergebnis ist daher auch für die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. im Wesentlichen von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen, also darauf abzustellen, wie das (arbeitsvertraglich) Vereinbarte tatsächlich im Arbeitsalltag umgesetzt worden ist.
93
Die tatsächlichen Verhältnisse sind dabei in mehrfacher Hinsicht zu prüfen:
94
Zum einen bezüglich dessen, was der Dienstverpflichtete zu tun hat, d.h. bezüglich der Art und Weise seiner Arbeitsleistung (des wie), zum anderen hinsichtlich der zeitlichen Vorgaben (des wann) für seine Arbeit. Letztlich spricht auch eine Weisungsgebundenheit hinsichtlich des Orts der Tätigkeit (des wo) für eine Arbeitnehmerstellung.
95
Die Eingliederung in eine betriebliche Organisation, beispielsweise durch die Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Arbeitnehmern des Arbeitgebers, ist dabei ein wichtiges Indiz für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, jedoch keine zwingende Voraussetzung.
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Schuldet der Dienstverpflichtete seine ganze Arbeitskraft einem Auftraggeber, ist dies ebenso ein Indiz für eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Demgegenüber ist es für einen Selbständigen typisch, dass er nicht nur für einen Kunden, Mandanten, Patienten usw. arbeitet, sondern für mehrere.
97
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 06.03.2003, Az. B 11 AL 25/02 R) ist etwa ein Geschäftsführer einer GmbH weder wegen seiner Organstellung, noch deshalb von einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen, weil er gegenüber Arbeitnehmern der GmbH Arbeitgeberfunktionen ausübt. Maßgebend sei vielmehr die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter. Bei Fremdgeschäftsführern, also nicht am Gesellschaftskapital beteiligten Geschäftsführern, hat demgemäß das BSG regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 20 m.w.N.), es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die eine Weisungsgebundenheit gegenüber den Gesellschaftern im Einzelfall aufheben. In gleicher Weise müsse auch bei Geschäftsführern, die zwar zugleich Gesellschafter sind, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine so genannte Sperrminorität verfügen, für den Regelfall von einer abhängigen Beschäftigung ausgegangen werden (vgl. BSG a.a.O.). Eine abweichende Beurteilung komme wiederum nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände den Schluss zulassen, es liege keine Weisungsgebundenheit vor.
98
Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des BSG derjenige Beschäftigter i.S. des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist.
99
Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2007 - B 7a AL 8/06 R). Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R = SozR 4-2400 § 7 Nr. 25).
100
Demgegenüber ist die selbständige Tätigkeit in erster Linie durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.2007 - B 11a AL 5/06 R = SozR 4-2400 § 7 Nr. 8); dabei muss vom Gesamtbild der Arbeitsleistung ausgegangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R = SozR 4-2400 § 7 Nr. 25).
101
Im vorliegenden Fall war der Kläger nach den Feststellungen des Senats bezüglich der Art und Weise seiner Arbeitsleistung ständigen Vorgaben des „Hintermannes“ K. ausgesetzt. Dies ergibt sich vor allem aus den Zeugenaussagen des Syndikus der Y. AG, A. S., sowie der Ehefrau des Klägers, S. A., vor dem SG Regensburg. Auf die Angaben im Tatbestand dieses Urteils (S. 5) wird verwiesen.
102
Ferner unterlag der Kläger keinem Unternehmerrisiko, es lag auch keine Beteiligung am Gewinn der AG vor, wie dies bei selbständig Tätigen üblich ist.
103
Die Vergütung des Klägers bestand allein in der Zahlung von Arbeitsentgelt, welches auch als solches versteuert wurde.
104
Der Senat weist darauf hin, dass der Gesetzgeber den betroffenen Arbeitnehmern mit der Gewährung des Insolvenzgeldes gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. ausdrücklich deren entgangene Ansprüche auf Arbeitsentgelt (für einen begrenzten Zeitraum) absichern wollte.
105
Nach den Feststellungen des Senats besteht daher keine Veranlassung, den Kläger allein aufgrund seiner oben dargelegten organschaftlichen Stellung nach dem Aktiengesetz aus dem Schutzbereich des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. auszuschließen.
106
Ein weiteres Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers ist die Tatsache, dass die sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München für die gerichtlich geltend gemachten Entgeltansprüche des Klägers weder von der beklagten Arbeitgeberin noch vom Arbeitsgericht angezweifelt worden ist.
107
Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten (und Berufungsführerin) stellt auch der Abschluss der Verträge über die Bestellung von drei Blockheizkraftwerken keinen Beleg für eine tatsächliche Weisungsfreiheit des Klägers gegenüber seiner Arbeitgeberin, der Y. AG, dar.
108
Der Kläger hat insoweit glaubhaft dargelegt, dass er von Herrn K. angewiesen worden sei, die Verträge zu unterschreiben.
109
Nach alledem lag im streitigen Zeitraum ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Y. AG vor, welches allein wegen den Sonderregelungen in § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB III nicht beitragspflichtig zur Renten- und Arbeitslosenversicherung war.
110
Der Kläger war daher Arbeitnehmer i.S. des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.
111
Da auch die weiteren, in § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. normierten Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld im streitigen Zeitraum erfüllt sind, hat der Kläger Anspruch auf Insolvenzgeld in der vom SG tenorierten Höhe.
112
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Regensburg vom 11.05.2016 ist daher zurückzuweisen.
113
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
114
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.