Inhalt

VG München, Urteil v. 13.03.2019 – M 9 K 17.6073
Titel:

Erfolglose Klage gegen eine Anordnung zum Betreten eines Einfamilienhauses

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 4, Art. 55 Abs. 1 Alt. 2, Art. 57 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1, Art. 60 S. 1
GG Art. 13 Abs. 2, Abs. 7
BV Art. 106 Abs. 3
Leitsätze:
1. Unter Berücksichtigung des Art. 13 Abs. 7 GG ist für eine Anordnung nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO zum Betreten von Wohnraum zu verlangen, dass eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die das Betreten erforderlich macht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine (Duldungs-)Anordnung an einen sich gegenüber der Besichtigung zur Wehr setzenden Mieter ist bereits dann nicht mehr notwendig, wenn dieser sein Recht zum Besitz erst nach Erlass der Anordnung gegenüber dem Eigentümer erlangt hat (VG München BeckRS 2017, 106406 mwN). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betretensrecht, Abweichungen von Baugenehmigung, Eigentümer als Adressaten, Anfechtungsklage, Anordnung zum Betreten eines Grundstücks, Unverletzlichkeit der Wohnung, Gefahr, Nutzungsänderung, Duldungsanordnung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.09.2019 – 1 ZB 19.836
Fundstelle:
BeckRS 2019, 4005

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich gegen eine Betretensanordnung.
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Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 360/40, Gemarkung G. (i. F.: Vorhabengrundstück). Für das Vorhabengrundstück existiert eine Baugenehmigung vom 12. Juni 1974 in der Fassung der Tektur vom 31. Januar 1979, nach der ein unterkellertes Wohnhaus mit einem ebenerdigen Geschoss zugelassen wurde.
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Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplanes Nr. 3 „Große G.“ der früheren Gemeinde G1 vom 19. Dezember 1976. Nach § 3 Satz 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes (i. F.: BPlan-Festsetzungen) darf die überbaubare Grundfläche maximal 90 m² betragen.
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Seit August 2016 hat das Landratsamt versucht, mit den Klägern einen Termin zur Besichtigung des Gebäudes zu vereinbaren. Die mit Schreiben vom 9. August 2016 (Terminvorschlag: 27. September 2016, Bl. 198 d. Behördenakts - i. F.: BA -), vom 13. Oktober 2016 (Terminvorschlag: 24. Oktober 2016, Bl. 203 d. BA), vom 7. Februar 2017 (Terminvorschlag 21. Februar 2017, Bl. 208 d. BA) und vom 23. Mai 2017 (Terminvorschlag: 19. Juni 2017, Bl. 211 d. BA) angesetzten Termine wurden sämtlich kurzfristig aufgrund von Krankheit (Bl. 200 d. BA) oder aufgrund Urlaubs (Bl. 206f. d. BA) oder ohne weitere Erklärung (Bl. 210 d. BA) oder wegen anderweitiger Termine (Bl. 213 d. BA) abgelehnt und sind fruchtlos verstrichen.
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Im Übrigen wurden umfangreiche Ermittlungsbemühungen entfaltet, u. a. Ortseinsichten - von außen - vorgenommen, Melderegisterauskünfte eingeholt und wiederholt Auskunftsaufforderungen an die Kläger bzw. an deren Bevollmächtigte gerichtet. Es wird auf Bl. 24, 49ff., 55f., 215, 220, 247, 252, 334 d. BA Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 21. August 2017 (Bl. 223 d. BA) wurden die Kläger zum Erlass des beabsichtigten Bescheids angehört.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. November 2017, Gz. 42-BV-Nr. 1706-2005 X, zugestellt gegen Empfangsbekenntnis am 28. November 2017 (Bl. 244 d. BA), wurde der Kläger zu 1. verpflichtet, dem Landratsamt drei Wochen nach Bestandskraft des Bescheids Zutritt zu allen Räumen des Einfamilienhauses zu gewähren (Ziff. 1); die Klägerin zu 2. wurde verpflichtet, die Anordnung in Ziff. 1 zu dulden (Ziff. 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Pflicht in Ziff. 1 wurde dem Kläger zu 1. in Ziff. 3 des Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR angedroht. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Pflicht in Ziff. 2 wurde der Klägerin zu 2. in Ziff. 4 des Bescheids ebenfalls ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR angedroht. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Das Betretungsrecht ergebe sich aus Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO. Aufgrund der Vermietung an einen wechselnden Personenkreis - zwischenzeitlich fünf Personen - sei zu vermuten, dass die tatsächliche Nutzung von der genehmigten Nutzung abweiche; es liege nahe, dass das Objekt für (Montage-) Arbeiter als dauerhafte Unterkunft genutzt werde. Die als Kellerräume genehmigten Bereiche könnten in Wohnraum für vermietbare Appartements umfunktioniert worden sein. Hierfür spreche z. B. auch ein weiterer Zugangsbereich im Keller. Die Kläger hätten den Zutritt zum Wohnhaus verweigert. Die Schreiben des Landratsamtes, in denen die Vorlage von Mietverträgen und Grundrisszeichnungen gefordert worden seien, seien unbeantwortet geblieben; auch seien keine Meldebescheinigungen für Beherbergungsbetriebe, die verpflichtend seien, vorgelegt worden. Die Anordnungen seien verhältnismäßig, auch im Hinblick auf Art. 13 Abs. 7 GG. Insbesondere stehe kein milderes Mittel zur Verfügung aufgrund der Weigerung, Unterlagen vorzulegen. Die Anordnungen richteten sich richtigerweise an die Kläger als Eigentümer; sie seien damit Inhaber der tatsächlichen Gewalt und des Hausrechts.
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Die Bevollmächtigte der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 Klage gegen den Bescheid erhoben. Sie beantragt,
den Bescheid aufzuheben.
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Die (Rück-) Schlüsse des Landratsamts seien verfehlt. Bspw. in Wohngemeinschaften sei es durchaus üblich, dass mehrere Personen ohne familiären Zusammenhang gemeinsam eine Wohnung bewohnten. Auch sei es durchaus üblich, dass in einer Wohnung Wasser verbraucht werde. Die Kläger seien nicht alleinige Inhaber des Hausrechts, weswegen eine Betretung gegen den (bestehenden) Willen der Bewohner nicht stattfinden könne.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Auf das Vorbringen, das im Wesentlichen die Argumente des Bescheids wiederholt, wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. März 2019.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Landratsamtes vom 16. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Anordnungen in Ziff. 1 und 2 des Bescheids beruhen in nicht zu beanstandender Weise auf Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO.
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Nach dieser Vorschrift, die auch die Duldungsanordnung trägt (Simon/Busse, BayBO, Stand: 131. EL Oktober 2018, Art. 54 Rn. 141), sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich der Wohnungen zu betreten; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 BV) wird insoweit eingeschränkt. Darüber hinausgehende Voraussetzungen bestehen danach nicht.
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Unter Berücksichtigung des Art. 13 Abs. 7 GG - die Anordnung berechtigt nur zum Betreten, nicht zur Durchsuchung der Räumlichkeiten, somit ist Art. 13 Abs. 2 GG nicht einschlägig - aber ist beim Betreten von Wohnraum weiter zu verlangen, dass eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die das Betreten erforderlich macht. Eine solche Gefahr liegt regelmäßig vor, wenn ohne Einschreiten der Bauaufsichtsbehörden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut geschädigt wird. In aller Regel stellt die Einhaltung der formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts ein derartiges Rechtsgut dar; damit berechtigen bspw. konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Baugenehmigungspflicht, Art. 55ff. BayBO, bei der Nutzung einer Wohnung zum Betreten (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2015 - 1 ZB 14.1937 - juris; B.v. 26.3.2012 - 9 ZB 08.1359 - juris).
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Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, dass der tatsächliche Nutzungsumfang des streitgegenständlichen Gebäudes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit deutlich von der Baugenehmigung vom 12. Juni 1974 in der Fassung der Tektur vom 31. Januar 1979 abweicht. Jedenfalls die formellen Anforderungen des Baurechts sind somit nicht gewahrt.
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Aufgrund der im Verwaltungsvorgang befindlichen Fotodokumentation - Aufnahmen von außen - ist ersichtlich, dass das Kellergeschoss planabweichend freigelegt, mit einem weiteren Zugang (d. h. insgesamt dürften nach den Bildern somit zwei Zugänge im Kellergeschoss und zwei Zugänge im Erdgeschoss bestehen), mit Fenstern und einem Anbau - der eine Terrasse trägt - versehen wurde (Bl. 49, 55f. d. BA). Damit liegen zum einen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, den Baubestand auf eine etwaige baugenehmigungspflichtige Änderung einer baulichen Anlage zu überprüfen, Art. 55 Abs. 1 Var. 2 BayBO; diese würde auch nicht Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 BayBO unterfallen, da es sich vorliegend nicht um ein Wochenendhaus handelt (Altgenehmigung) und da eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Vorgaben des Bebauungsplans - als städtebaulicher Satzung - nicht eingehalten werden: Aufgrund des ungenehmigten Anbaus ist berechtigterweise zu überprüfen, ob die nach § 3 Satz 2 BPlan-Festsetzungen maximal zulässige Grundfläche von 90 m² überschritten wird. Zum anderen besteht bereits aufgrund der äußerlich sichtbaren Veränderungen, aber auch aufgrund der zwischenzeitlichen Meldung von bis zu fünf Personen im Objekt (Bl. 51 d. BA), eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Umnutzung der Kellerräume in Wohnräume, hinreichend wahrscheinlich als zweite Wohneinheit. Die berechtigterweise vermutete Umgestaltung brächte auch eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung mit sich, da für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 BayBO in Betracht kommen, Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO; so wird u. a. durch die hinreichend wahrscheinliche Nutzung eines Einfamilienhauses als Zweifamilienhaus eine höhere Stellplatzzahl erforderlich, Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, und es ergeben sich bspw. andere Brandschutzanforderungen, da jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum zwei voneinander unabhängige Rettungswege benötigt, Art. 31 Abs. 1 BayBO.
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Nach alledem war die Überprüfungsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde einschließlich des Betretungsrechts ohne weiteres eröffnet.
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Die angeordnete Zulassung bzw. Duldung der Wohnungsbesichtigung durch die Bediensteten des Landratsamtes war darüber hinaus auch geeignet, notwendig und verhältnismäßig, um die erforderlichen bauaufsichtlichen Maßnahmen vorzubereiten. Die Besichtigung ist geeignet, um festzustellen, welche Bereiche des Gebäudes wie umgenutzt bzw. außerhalb der bestehenden Baugenehmigung genutzt wurden bzw. werden. Die Anordnung war darüber hinaus auch erforderlich, da mehrfache Terminfestsetzungen fruchtlos geblieben sind. Eine Besichtigung des Gebäudes von außen lässt keine gleichwertige Beurteilung des Nutzungsumfanges zu. Es handelt sich auch um das mildeste Mittel, das im vorliegenden Fall angewandt werden konnte, um die Baurechtsverstöße zu klären. Auf eine Einsicht durch die Fenster muss sich die Behörde regelmäßig nicht verweisen lassen (BayVGH, B.v. 9.12.2015 - 1 ZB 14.1937 - juris; B.v. 26.3.2012 - 9 ZB 08.1359 - juris).
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2. Die Anordnungen, Ziff. 1 und 2, richten sich auch gegen die richtigen Adressaten. Richtiger Adressat einer Betretensanordnung nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt und damit des Hausrechts an dem Objekt. Hierzu gehört grundsätzlich der Eigentümer. Eine etwaige Vermietung des Objekts - dieses sei laut Klagevortrag „bewohnt“ - wurde auf wiederholte Nachfrage vonseiten des Landratsamts nicht belegt; auch auf entsprechende Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung wurden keine Unterlagen vorgelegt. Die Kläger hätten Mietverträge vorlegen und deren Inhalte bspw. durch Vorlage von Nachweisen über geleistete Mietzahlungen glaubhaft machen und somit selbst darlegen müssen, dass sie trotz ihrer Eigentümerstellung nicht mehr Inhaber der tatsächlichen Gewalt sind (BayVGH, B.v. 9.12.2015 - 1 ZB 14.1937 - juris). Dies umso mehr, als sich der Eigentümer durch eine Vermietung nicht jeglicher tatsächlicher Gewalt begibt - er wird dadurch zum mittelbaren Besitzer und behält in der Regel Schlüssel für das Objekt - und als es weder substantiiert noch belegt wurde, dass die etwaigen Mieter einer Betretung widersprochen hätten. Wenn die Betroffenen aber einverstanden sind, sind keinerlei weitere Voraussetzungen für das Betreten zu erfüllen (Simon/Busse, BayBO, Stand: 131. EL Oktober 2018, Art. 54 Rn. 141). Die Kläger konnten oder wollten aber noch nicht einmal die Namen etwaiger Mieter nennen. Weiter wurde nicht dargetan, dass die angeblichen Mieter ihr Besitzrecht vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung an die Eigentümer erworben hätten. Da die Kammer bereits entschieden hat, dass eine (Duldungs-) Anordnung an einen sich gegenüber der Besichtigung zur Wehr setzenden Mieter bereits dann nicht mehr notwendig ist, wenn dieser sein Recht zum Besitz erst nach Erlass der Anordnung gegenüber dem Eigentümer erlangt hat (VG München, U.v. 8.3.2017 - M 9 K 16.2327 - juris m. w. N.), hätte es auch insofern entsprechender substantiierter Ausführungen bedurft.
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3. Die Zwangsgeldandrohungen (Ziff. 3 und 4) beruhen auf Art. 36 i.V.m. Art. 29 ff. VwZVG und sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch insofern führt die Behauptung, das Objekt sei bewohnt, nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs: Selbst eine erforderliche Duldungsanordnung wäre keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass einer Zwangsgeldandrohung, sondern nur eine Bedingung für das Entstehen und Fälligwerden der Geldforderung (BayVGH, B.v. 24.2.2005 - 1 ZB 04.276 - juris; B.v. 11.7.2001 - 1 ZB 01.1255 - juris; VG München, U.v. 8.3.2017 - M 9 K 16.2327 - juris).
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Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.