Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Urteil v. 11.12.2019 – BayAGH III-4-4/2019
Titel:

Tätigkeit als Syndikusanwalt nach Unternehmensverschmelzung

Normenketten:
BRAO § 46 a Abs. 2, § 46 b Abs. 2, Abs. 3, § 112 c Abs. 1, § 112 e
UmwG § 20 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Die Tätigkeit eines Syndikusanwalts ist unter den in § 46a BRAO genannten Voraussetzungen bei einer Unternehmensverschmelzung ohne Tätigkeitsänderung vom § 46b III BRAO mitumfasst. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Syndikusanwalt
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 14.07.2020 – AnwZ (Brfg) 8/20
BGH Karlsruhe vom -- – AnwZ(Brfg) 8/20
Fundstellen:
DB 2020, 615
BRAK-Mitt 2020, 103
BeckRS 2019, 38627
LSK 2019, 38627

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
IV. Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.
V. Die Berufung wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Herrn Rechtsanwalt C., der mit Senatsbeschluss vom 2.4.2019 beigeladen wurde, war am 13.12.2017 die Zulassung als Syndikusanwalt für seine Tätigkeit bei der U. GmbH erteilt worden.
2
Zum Stichtag 1.1.2019 wurde die U. GmbH mit der U. Retail GmbH mit Sitz in M. verschmolzen. Beide GmbHs sind Töchter der U.-Gruppe.
3
Die Verschmelzung wurde am 30.08.2018 im Handelsregister des Amtsgerichts München eingetragen.
4
Die arbeitsvertraglichen Regelungen bezüglich der Tätigkeit des Beigeladenen gelten nach Verschmelzung unverändert fort.
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Lediglich die Bezeichung der beruflichen Position des Beigeladenen wurde zum 01.04.2019 von „Senior Legal Advisor, Europe“ in „Senior Legal Counsel, EMEA“ geändert.
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Mit Schreiben vom 10.1.2019 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten, festzustellen, dass eine unwesentliche Änderung vorliege und die Voraussetzungen für seine Zulassung als Syndikusanwalt weiterhin gegeben seien.
7
Mit Bescheid vom 21.2.2019, der Klägerin als für den Beigeladenen zuständiger gesetzlicher Rentenversicherungsträgerin zugestellt am 28.2.2019, stellte die Beklagte fest, dass die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 13.12.2017 - Gz. … - erteilte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt die für die U. Retail GmbH auszuübende Tätigkeit mit umfasst.
8
Mit Schriftsatz vom 28.3.2019, eingegangen beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof am gleichen Tag, beantragt die Klägerin im Wege der Klage, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 21.2.2019, zugestellt am 28.2.2019, aufzuheben.
9
Mit Schriftsatz vom 11.6.2019, eingegangen beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof am 17.6.2019, berichtigt die Klägerin ihren Klageantrag dahingehend, dass nunmehr beantragt wird, den Bescheid der Beklagten vom 21.2.2019, ihr zugestellt am 28.2.2019, aufzuheben.
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Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus, die Klägerin habe hinsichtlich der von ihr behaupteten Verschmelzung der bisherigen Arbeitgeberin des Beigeladenen mit der U. Retail GmbH weder einen Verschmelzungsvertrag in Ablichtung noch einen Handelsregisterauszug vorgelegt.
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Die Voraussetzungen für den Erlass eines die Klägerin als Rentenversicherungsträgerin bindenden Verwaltungsaktes auf der Grundlage der §§ 46 a Abs. 2, 46 b Abs. 2 oder 3 BRAO lägen nicht vor. Es fehle an einer Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 21.2.2019. Hierin liege ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Der von der Beklagten erlassene Bescheid belaste die Klägerin, da dieser die Weitergeltung der Befreiung des Beigeladenen von der Rentenversicherungspflicht beinhalte.
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Die Beklagte, die Klageabweisung beantragt, vertritt klageerwidernd unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.8.2014, Az.: …, die Auffassung, die Befugnis für den Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes müsse sich dem Gesetz lediglich im Wege der Auslegung entnehmen lassen.
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Gemäß § 46 b Abs. 3 BRAO sei die Kammer zuständig für die Erstreckung der Zulassung des Beigeladenen als Syndikusanwalt, sofern weitere Arbeitsverhältnisse aufgenommen werden oder innerhalb bereits bestehender Arbeitsverhältnisse eine wesentliche Änderung der Tätigkeit eintritt. Sie sei daher auch berechtigt gewesen, einen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen, der die Unwesentlichkeit einer eingetretenen Änderung für die Tätigkeit des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt feststelle.
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Dieser feststellende Verwaltungsakt binde entsprechend § 46 a Abs. 2 Satz 4 BRAO die Klägerin bei der Entscheidung über die Befreiung des Beigeladenen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach dem SGB.
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Der Beigeladene beantragt in seiner Stellungnahme vom 16.7.2019 ebenfalls Klageabweisung und führt insbesondere aus, die Wirkungen der Verschmelzung träten mit Eintragung in das Handelsregister gemäß § 20 Abs. 1 UmwG ein. Einer Vorlage des Verschmelzungsvertrages bedürfe es daher nicht. Zum Zeitpunkt der Eintragung der Unternehmensumwandlung gingen auch die betroffenen Arbeitsverhältnisse auf das übernehmende Unternehmen über.
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Dem verfahrensgegenständlichen Bescheid fehle es auch nicht an einer Ermächtigungsgrundlage. Einer solchen bedürfe es im Übrigen gar nicht, da der Bescheid keine belastende Wirkung für die Klägerin entfalte: Die Feststellung, dass keine wesentliche Änderung des bestehenden Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei als Weniger im Rahmen der Beurteilung der Voraussetzungen des § 46 b Abs. 3 BRAO enthalten.
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Zur Ergänzung wird auf den Bescheid der Beklagten vom 21.2.2019, die hiergegen erhobene Klage, die Klageerwiderung und die Stellungnahme des Beigeladenen Bezug genommen.
II.
18
Die Klage ist zulässig:
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Gegen den Bescheid der Beklagten vom 21.2.2019 ist gemäß §§ 112 c Abs. 1 BRAO, 42 Abs. 1 VwGO die Anfechtungsklage statthaft. Die Klägerin ist auch gem. §§ 46b Abs. 3, 46a Abs. 2 Satz 3 BRAO klagebefugt.
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Hinsichtlich der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehen keine Bedenken; insbesondere wurde die einmonatige Klagefrist, §§ 112 c BRAO i.V.m. 74 VwGO, gewahrt.
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Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens war nicht erforderlich, Art. 15 Abs. 2 AGVwGO.
22
Die Klageänderung vom 11.06.2019 ist sachdienlich, weil sie den Klagegegenstand berichtigt; sie ist daher gem. § 91 Abs. 1 VwGO zulässig.
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Die Klage bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg:
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1.) Der Vorbehalt des Gesetzes, der Bestandteil des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist (Art. 20 Abs. 3 GG), verlangt von Verfassungs wegen grundsätzlich ein Gesetz als Voraussetzung von Verwaltungshandeln. Er hat seinen klassischen Anwendungsbereich bei den Eingriffen in Freiheit und Eigentum (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., 2018, RN 46-53 zu § 44 VwVfG) und findet vorliegend im Hinblick darauf Anwendung, dass der Bescheid der Beklagten die Klägerin dadurch belastet, dass er den Beigeladenen von der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.
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Die Beklagte kann hier jedoch den von ihr erlassenen Feststellungsbescheid auf § 46 b Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. BRAO stützen:
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Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach Maßgabe des § 46a BRAO auf eine geänderte Tätigkeit zu erstrecken, falls innerhalb eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses eine wesentliche Tätigkeitsänderung eintritt.
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2.) Obwohl sich die anwaltliche Tätigkeit des Beigeladenen in Folge der Verschmelzung unstreitig nicht wesentlich geändert hat und gerade dieser Sachverhalt in § 46 b Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. BRAO nicht ausdrücklich geregelt ist, konnte sich die Beklagte bei Erlass des streitgegenständlichen Verwaltungsakts auf § 46b Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. BRAO stützen:
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a) Bei scheinbaren Gesetzeslücken stehen nämlich auch im Bereich des Verwaltungsrechts die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Verfügung, vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, RN 53 zu § 44 VwVfG.
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Die teleologische Auslegung der streitgegenständlichen Vorschrift ergibt, dass die von der Beklagten getroffene Feststellung vom Tatbestand des § 46b Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. BRAO mit umfasst ist:
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Denn die Feststellung, dass die dem Beigeladenen erteilte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusanwalt die nach Unternehmensverschmelzung nunmehr für die U. Retail GmbH auszuübende, unveränderte anwaltliche Tätigkeit mit umfasst, ist ein Weniger zu dem in § 46b Abs. 3 BRAO geregelten Sachverhalt der Erstreckung der Zulassung als Syndikusanwalt bei geänderter Tätigkeit:
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Nachdem es Sinn und Zweck des § 46b Abs. 3 BRAO ist, die Erstreckung der (tätigkeitsbezogenen) Zulassung als Syndikusanwalt selbst bei einer Tätigkeitsänderung unter den in § 46a BRAO genannten Voraussetzungen zu ermöglichen, ergibt die teleologische Auslegung der Vorschrift, dass eine Zulassungserstreckung bei einer bloßen Unternehmensverschmelzung ohne Tätigkeitsänderung vom Sinn und Zweck der Vorschrift mitumfasst ist.
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b) Ein Fall der Unternehmensverschmelzung liegt zur Überzeugung des Senats vor:
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Entgegen der von der Klägerin geäußerten Rechtsauffassung sind nämlich gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG mit der Eintragung der Verschmelzung in das Register des Amtsgerichts München als Sitz des übernehmenden Rechtsträgers am 30.08.2018 die Wirkungen der Verschmelzung eingetreten:
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Der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG geregelte Vermögensübergang ordnet eine sich automatisch vollziehende Gesamtrechtsnachfolge an (vgl. Leonard in: Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl., 2017, RN 8 zu § 20 UmwG).
35
Auch die beim übertragenden Rechtsträger bestehenden Arbeitsverhältnisse gehen mit der Eintragung der Verschmelzung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG auf den übernehmenden Rechtsträger über (vgl. Simon in: Semler/Stengel, UmwG, RN 35 zu § 20 UmwG).
36
Der Vorlage eines Verschmelzungsvertrages bedarf es insoweit nicht.
37
3.) Dass die Beklagte sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben des Mittels des feststellenden Verwaltungsaktes bedienen kann, obwohl dies nicht ausdrücklich in § 46 b Abs. 3 BRAO erwähnt ist, entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.8.2014, Az. 6 C 15.13, zitiert nach Beck RS 2014, 56485, Rdnr. 23), wenn sich diese Befugnis dem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lässt (vgl. BVerwG a.a.O.).
38
Diese Befugnis ist für den hier einschlägigen § 46b Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. BRAO nach dessen Sinn und Zweck zu bejahen:
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Nachdem die Vorschrift eine -weiter als die von der Beklagten getroffene Feststellung gehende Erstreckung der Zulassung des Beigeladenen umfasst, beinhaltet sie auch die weniger weit gehende Befugnis für die von der Beklagten getroffene Feststellung, vgl. hierzu auch: Ewer, AnwBl 2016, 721 f., hier Ziffer III.
40
Diese Feststellung erlaubt es nämlich, Sinn und Zweck des § 46b Abs. 3 BRAO entsprechend, im vorliegenden Fall auch ohne eine Zulassungserstreckung Klarheit über die Frage herbeizuführen, ob die Unternehmensverschmelzung die Zulassung des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt berührt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, §§ 154 Abs. 1 VwGO.
42
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.
43
Die Streitwertfestsetzung fußt auf § 194 Abs. 2 Satz 2 BRAO und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Umfang der Sache gering ist und lediglich die von der Beklagten getroffene Feststellung in Streit steht, dass die dem Beigeladenen bereits erteilte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt die unveränderte Tätigkeit des Beigeladenen nach Unternehmensverschmelzung mit umfasst .
44
Der Senat lässt auf der Grundlage von § 112 e BRAO die Berufung zum Bundesgerichtshof zu, um die Klärung der Rechtsfrage zu ermöglichen, ob §§ 46 b Abs. 3 i.V.m. 46a BRAO die Feststellung erlaubt, dass die erteilte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusanwalt bei unveränderter Tätigkeit des Syndikusanwalts nach Unternehmensverschmelzung die Tätigkeit für das neu entstandene Unternehmen mitumfasst.