Inhalt

OLG München, Beschluss v. 26.06.2019 – 12 UF 641/19
Titel:

Pflicht des Rechtsanwalts zur Organisation einer wirksamen Ausgangskontrolle

Normenkette:
ZPO § 85 Abs. 2, § 233, § 234, § 236 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur Organisation einer wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist (so auch BGH BeckRS 2016, 4805). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Rechtsanwalt seinem bisher als zuverlässig erwiesenen Personal die Einzelanweisung erteilt, die von ihm bereits handschriftlich berichtigte falsche Bezeichnung des zuständigen Gerichts in einem fristgebundenen Schriftsatz durch Austausch der ersten Seite zu korrigieren und unterzeichnet er den Schriftsatz vor dieser von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur, trifft ihn keine Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (so auch BGH BeckRS 2015, 17904). (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Rechtsanwalt, Ausgangskontrolle, Einzelanweisung, Falschadressierung, Korrektur, Kontrolle, Telefax, Sendeprotokoll
Vorinstanz:
AG Rosenheim, Endbeschluss vom 12.04.2019 – 8 F 2032/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.12.2019 – XII ZB 379/19
Fundstelle:
BeckRS 2019, 35685

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Endbeschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 12.04.2019 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerde- und des Wiedereinsetzungsverfahrens.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist eine Rückforderung aus einem Darlehensvertrag.
2
Das Amtsgericht Rosenheim hat den Antragsgegner zur Zahlung verpflichtet mit Endbeschluss vom 12.04.2019.
3
Gegen den am 23.04.2019 zugestellten Endbeschluss hat der Antragsgegner am 20.05.2019, eingegangen per Fax am 21.05.2019 Beschwerde beim Oberlandesgericht München eingelegt. Mit Verfügung vom 05.06.2019 wies die Vorsitzende den Antragsgegner darauf hin, dass die Beschwerde beim unzuständigen Gericht eingelegt wurde. Die Zustellung des Hinweises erfolgte am 11.06.2019.
4
Mit Schriftsatz vom 19.06.2019 hat der Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er trägt vor, dass er die Frist nicht schuldhaft versäumt habe. Seine Verfahrensbevollmächtigte treffe an der unzutreffenden Adressierung des Beschwerdeschriftsatzes kein Verschulden. Die Kanzleiangestellte G. habe den Schriftsatz zur Einlegung der Beschwerde zur Prüfung und zur Unterschrift vorgelegt. Die Verfahrensbevollmächtigte habe dabei festgestellt, dass die Beschwerdeeinlegung versehentlich an das OLG München adressiert worden sei. Die Verfahrensbevollmächtigte habe den Adressaten durchgestrichen und daneben Amtsgericht München hingeschrieben. Die Verfahrensbevollmächtigte habe die zweite Seite unterzeichnet, da sie bis zum 23.05.2019 abwesend war. Frau G. habe versehentlich die erste Seite des Schriftsatzes nicht ausgetauscht, sondern gefaxt und den Schriftsatz zur Post gebracht. Sie arbeite seit mehr als 30 Jahren in der Kanzlei und sei äußerst zuverlässig. Sie werde in Stichproben überprüft. Beanstandungen habe es bisher nicht gegeben. Die Beschwerde ging beim Amtsgericht Rosenheim am 19.06.2019 ein.
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Der Antragsgegner beantragt,
ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen, den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 12.04.2019 aufzuheben und den Antrag abzuweisen.
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Die Antragstellerin beantragt
Zurückweisung der Beschwerde.
II.
7
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 12.04.2019 ist unzulässig und damit gem. § 68 Abs. 2 S.2 FamFG zu verwerfen. Die Beschwerdefrist endete gem. §§ 68 Abs. 3 S.1, 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 329 Abs. 1, 3, 222 Abs. 1,2 ZPO, §§ 187, 188 Abs. 2 bei Zustellung am Dienstag den 23.04.2019 am Donnerstag, den 23.05.2019. Innerhalb dieser Frist ging beim für die Beschwerdeeinlegung gem. § 64 Abs. 1 FamFG zuständigen Amtsgericht Rosenheim keine Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde beim für die Beschwerdeeinlegung unzuständigen Oberlandesgericht München eingelegt. Der Mangel konnte nicht mehr geheilt werden, da die Beschwerde nicht mehr fristwahrend im ordentlichen Geschäftsgang an das Amtsgericht weitergeleitet werden konnte. Die Beschwerde beim Amtsgericht Rosenheim ging erst am 19.06.2019 ein.
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2. Der vom Antragsgegner gestellte Wiedereinsetzungsantrag gem. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 233 S.1 ZPO ist unbegründet, weil der Antragsgegner auf Grund eines ihm gem. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Verschuldens seiner Verfahrensbevollmächtigten die Beschwerdefrist versäumt hat. Zudem sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 236 Abs. 2 ZPO im Antrag nicht eingehalten.
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Die Anfertigung von Rechtsmittelschriften darf der Rechtsanwalt nicht seinem Büropersonal übertragen, es sei denn, er hat das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig überwacht und geprüft. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts überprüfen.
10
Dies hat die Verfahrensbevollmächtigte getan und erkannt, dass die Beschwerdeschrift unzutreffend an das Oberlandesgericht adressiert war. Sie hat nach ihren Angaben die Anschrift durchgestrichen und Amtsgericht München hingeschrieben. Ihre Angestellte habe versehentlich die erste Seite des Schriftsatzes nicht ausgetauscht, so dass der Schriftsatz weiterhin an das OLG München adressiert gewesen sei und entsprechend gefaxt worden sei.
11
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW-RR 2016, 126) genügt ein Rechtsanwalt seinen Pflichten, wenn er die fehlerhafte Angabe des Rechtsmittelgerichts handschriftlich korrigiert und die Einzelweisung erteilt, die fehlerhafte Seite auszutauschen. Eine Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern, besteht nicht.
12
Vorliegend ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass eine solche Korrektur tatsächlich erfolgt ist. Nach dem Sachvortrag der Kanzleiangestellten hat sie die nicht korrigierte erste Seite versehentlich gefaxt. Auf dem beim OLG eingegangenen Fax hätte somit erkennbar sein müssen, dass die Verfahrensbevollmächtigte die Adressierung an das OLG München durchgestrichen hat. Dies ist nicht ersichtlich.
13
Zudem ist die Verfahrensbevollmächtigte bei Übersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Fax verpflichtet, sich den Sendebericht vorlegen zu lassen und daraufhin zu überprüfen, ob die richtige Faxnummer verwendet wurde und ob der Schriftsatz an das zuständige Gericht übersandt wurde (BGH 18.10.1995 XII ZB 123/95; BGH 02.02.2016 II ZB 8/15). Sofern eine Kanzleiangestellte das übernimmt, genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Organisation nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Eine entsprechende Organisation und Überprüfung wurde nicht vorgetragen.
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Die Wiedereinsetzung muss zudem gem. § 234 Abs. 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Sie beginnt gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben wurde. Es fehlt ein Sachvortrag des Antragsgegners dazu, dass die versäumte Handlung innerhalb der 2-Wochenfrist gem. § 234 ZPO nachgeholt wurde. Die Verfahrensbevollmächtigte hat nicht vorgetragen, wann der Fehler in der Kanzlei erkannt wurde. Der Fehler hätte spätestens bei Überprüfung des Sendeberichts festgestellt werden müssen. Zum notwendigen Inhalt eines Wiedereinsetzungsantrags gehört nach § 236 Abs. 2 ZPO grundsätzlich ein Sachvortrag, aus dem sich ergibt, dass der Antrag rechtzeitig nach Behebung des Hindernisses gestellt wurde.
15
Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher abzuweisen.
III.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.
17
Eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist im Hinblick auf BGH FamRZ 2016, 452 nicht veranlasst, weil sie nach Auffassung des BGH kraft Gesetzes gem. § 117 I S. 4 FamFG i. V m. §§ 522 I S. 4, 574 I Nr. 1 ZPO stattfindet.
18
Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf §§ 40, 35, 37 FamGKG.