Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.12.2019 – 10 ZB 19.34074
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1
RL 2013/32/EU Art. 33
EATRR Art. 1 lit. c
Leitsatz:
Im Asylverfahrens ist die Frage der rechtlichen (Un-)Möglichkeit einer Abschiebung wegen Übergangs der Verantwortung für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 2 EATRR auf die Bundesrepublik Deutschland nicht zu prüfen, da es sich hierbei allenfalls um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis handelt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässiger Asylantrag, Verantwortungsübergang für Ausstellung eines Reiseausweises, Abschiebungshindernis, Abschiebungsandrohung, Reiseausweis, Mitgliedstaat, Zuerkennung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 28.10.2019 – M 8 K 19.32759
Fundstelle:
BeckRS 2019, 34596

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) schon nicht hinreichend dargelegt ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht vorliegt.
2
Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Hieran fehlt es vorliegend.
3
Der Kläger erachtet die Frage, „welche Art von Aufenthalt ein Aufenthalt mit Zustimmung der Behörden i.S.d. Art. 2 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge (EATRR) ist“, für grundsätzlich klärungsbedürftig. Er meint, dass in seinem Fall „eine Verfahrensverschleppung durch die Beklagte, die dazu geführt hat, dass (er) sich (…) seit 6½ Jahren im Zweitstaat aufgehalten hat, (…) als solche Billigung des dauerhaften Aufenthalts zu bewerten ist“ und demzufolge zumindest die Abschiebungsandrohung aufzuheben sei.
4
Damit wirft der Kläger jedoch keine entscheidungserhebliche Grundsatzfrage auf. Die Frage betreffend die Auslegung bestimmter Tatbestandsmerkmale von Art. 1 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 30. September 1994 (BGBl. II S. 2645) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16. Oktober 1980 (- EATRR -) ist im vorliegenden asylrechtlichen Verfahren schon nicht entscheidungserheblich.
5
Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig erfolgte, weil ihm bereits in der Republik Italien internationaler Schutz gewährt wurde (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber von der ihm durch Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes (- VRL -) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Kategorie des unzulässigen Asylantrags eingeführt (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand: Nov. 2019, § 29 Rn. 3). Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a VRL können Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Dies soll nicht nur Mehrfachanerkennungen, sondern auch - bei nochmaliger Durchführung eines Asylverfahrens nicht auszuschließende - divergierende Entscheidungen innerhalb der Union mit all ihren unionsrechtlich unerwünschten Folgeerscheinungen vermeiden (BVerwG, B.v. 27.6.2017 - 1 C 26.16 - juris Rn. 35).
6
Unabhängig von der Frage des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (s. hierzu UA S. 6) ist im vorliegenden asylrechtlichen Verfahren, welches gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, jedenfalls die Frage der rechtlichen (Un-)Möglichkeit einer Abschiebung wegen Übergangs der Verantwortung für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 2 EATRR auf die Bundesrepublik Deutschland nicht zu prüfen. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann zwar, wenn ein Asylantrag gestellt wurde, zu entscheiden haben, ob im Hinblick auf den Staat, der die Flüchtlingsanerkennung ausgesprochen hat (Erststaat i.S.d. Art. 1 Buchst. c EATRR) und in den die Abschiebung erfolgen soll, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote vorliegen (vgl. § 35 i.V.m. § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 34 AsylG; BVerwG, U.v. 15.1.2019 - 1 C 15.18 - juris Rn. 48; Funke-Kaiser in Funke-Kaiser in GK-AsylG, Stand: Nov. 2019, § 35 Rn. 10). Ob aber - insbesondere, wenn solche Abschiebungsverbote nicht gegeben sind - der Verantwortungsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland als Zweitstaat i.S.d. Art. 1 Buchst. d EATRR zur Folge hat, dass die Abschiebung rechtlich unmöglich ist, weil sich der Ausländer nunmehr hier aufhalten darf (zu aufenthaltsrechtlichen Folgen aus Art. 2 EATRR, vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2017 - 1 C 26.16 - juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 27.10.2004 - 10 CS 04.2158 - juris), ist eine davon zu unterscheidende Frage. Insoweit handelt es sich allenfalls um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (vgl. NdsOVG, B.v. 2.8.2018 - 8 ME 42/18 - juris Rn. 25), welches aber nicht Gegenstand des Asylrechtsstreits ist.
7
Demzufolge erübrigt sich im vorliegenden asylrechtlichen Zulassungsverfahren auch eine Befassung mit den weiteren vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen zu Art. 2 Abs. 2 Buchst. c, Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EATRR und zur Zulässigkeit einer Abschiebung „ohne Zusage der Behörden des Erststaates“.
8
Im Übrigen ist obergerichtlich geklärt, dass die Zustimmung zur Übernahme der Verantwortung für die Ausstellung von Reiseausweisen i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EATRR zumindest voraussetzt, dass eine stillschweigende Billigung des Zweitstaates für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings vorliegt (s. auch: Kommentar zu den Bestimmungen des Übereinkommens im Erläuternden Bericht zum Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge, BT-Drs. 12/6852, Ziff. 21.). Solch eine stillschweigende Billigung kann nicht aus der rein verfahrensakzessorischen Gestattung des Aufenthalts während des laufenden Asylverfahrens nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG hergeleitet werden, welche unmittelbar kraft Gesetzes eintritt (OVG RhPf, B.v. 25.9.2018 - 7 B 11097/18 u.a. - juris -Ls 1. u. 2.-; s. auch: BayVGH, B.v. 27.10.2004 - 10 CS 04.2158 - juris Rn. 4 f.).
9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
10
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).