Inhalt

LSG München, Urteil v. 26.11.2019 – L 15 BL 2/19
Titel:

allgemeine Wahrnehmungsstörung, Ausgleich des Mehraufwands, Benennen, Blindengeld, Blindheit, blindheitsbedingte Mehraufwendungen, Blindheitsnachweis, Darlegungslast, Erkennen, faktische Blindheit, hochgradige Sehbehinderung, Kognitionsstörung, Landesblindengeld, Lichtlosigkeit, mehrfachbehindertes Kind, Mitwirkungsobliegenheit, objektive Beweislast, pflegerische Betreuung, Reizaufnahme, Reizweiterleitung, Sehvorgang, Sinnesmodalitäten, spezifische Sehstörung, Verarbeitung, Verarbeitungsstörung, Vorlesekraft, Wahrnehmung in nichtvisuellen Modalitäten, Zerebrale Blindheit, Zweckverfehlungseinwand

Normenkette:
BayBlindG Art. 1
Leitsätze:
1. Einem Blindengeldanspruch nach dem BayBlindG steht nicht entgegen, dass nicht der eigentliche Sehvorgang betroffen, sondern die Verminderung bzw. Aufhebung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit durch eine allgemeine zerebrale Beeinträchtigung des sehbehinderten Menschen verursacht ist - etwa bedingt durch eine schwere Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung (Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats v. 19.12.2016 - L 15 BL 9/14).
2. Im Falle eines erhobenen Zweckverfehlungseinwands ist im Einzelfall zu prüfen, ob bei der Ausprägung des individuellen Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen; der pauschale Verweis auf die zugrundeliegende Gesundheitsstörung genügt nicht.
3. Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung stellen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar; es muss sich vielmehr um blindheitsspezifischen Aufwand handeln.
4. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz.
5. Für den Einwand der Zweckverfehlung trägt die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Bei notwendigen Ermittlungen trifft den Antragsteller die (allgemeine) Mitwirkungsobliegenheit.
Schlagworte:
allgemeine Wahrnehmungsstörung, Ausgleich des Mehraufwands, Benennen, Blindengeld, Blindheit, blindheitsbedingte Mehraufwendungen, Blindheitsnachweis, Darlegungslast, Erkennen, faktische Blindheit, hochgradige Sehbehinderung, Kognitionsstörung, Landesblindengeld, Lichtlosigkeit, mehrfachbehindertes Kind, Mitwirkungsobliegenheit, objektive Beweislast, pflegerische Betreuung, Reizaufnahme, Reizweiterleitung, Sehvorgang, Sinnesmodalitäten, spezifische Sehstörung, Verarbeitung, Verarbeitungsstörung, Vorlesekraft, Wahrnehmung in nichtvisuellen Modalitäten, Zerebrale Blindheit, Zweckverfehlungseinwand
Vorinstanz:
SG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 18.03.2018 – S 4 BL 6/17
Fundstelle:
BeckRS 2019, 34456

Tenor

I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 18. März 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
2
Die 1997 geborene Klägerin ist schwerstpflegebedürftig bei schwerster geistiger und statomotorischer Retardierung unklarer Genese. Für die Klägerin, bei der eine generalisierte Hirnatrophie, Kleinhirnatrophie ohne umschriebene Läsion festgestellt worden ist, wurde (mit Bescheid vom 14.09.1999) ein Grad der Behinderung von 100 festgesetzt, ferner die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „B“, „G“, „aG“, „H“ und „RF“.
3
Am 12.02.2016 beantragte die Klägerin über ihre gesetzlichen Vertreter beim Beklagten Blindengeld. Der Beklagte zog u.a. die Schwerbehindertenakte mit dem Pflegegutachten des MDK Bayern vom 25.01.2013 bei. Das Gutachten stellte die Pflegestufe III fest. Im gutachterlichen Befund des Pflegegutachtens ist u.a. festgehalten, dass das Sprachverständnis nicht altersgerecht und eine nonverbale Kommunikation nicht möglich sei. Nach Angaben der Pflegepersonen sei die Klägerin häufig sehr unruhig aufgrund der Atemnot und würde oft unkontrollierte Bewegungen der Arme und Beine zeigen. Sie habe kein Sättigungsgefühl. Es bestehe eine Sprachstörung. Nicht beurteilbar seien u.a. Antrieb, Stimmung, Wahrnehmung und Denken sowie das Gedächtnis. Zudem wertete der Beklagte den ärztlichen Bericht der Gemeinschaftspraxis Kinderärzte A-Stadt vom 02.05.2016 aus, in dem für die Klägerin die Diagnosen infantile Zerebralparese, Tetraspastik, epilepsiesymptomatisch multifokal, schwere Entwicklungsverzögerung, geistige Behinderung, Skoliose, Schluckstörung und zentrale Blindheit beider Augen gestellt wurden. Aufgrund der Schwere der Hirnschädigung mit schwerster statomotorischer und psychomentaler Retardierung könne die Klägerin nicht auf visuelle Reize adäquat reagieren; es bestehe kein Fixieren oder Folgen und die Pupillen reagierten nur verzögert auf Lichtreize und damit eindeutig zerebrale zentrale Blindheit. Aufgrund der Schwere der Hirnschädigung und aufgrund des klinischen Untersuchungsbilds könne diese erklärt werden und es sei aus kinderneurologischer Sicht hierzu keine zusätzliche augenärztliche Untersuchung notwendig. Die Klägerin sei ein schwerstpflegebedürftiges Mädchen. Aufgrund der Gesamtsituation müsse für die Klägerin in erster Linie die aufwendige Pflege sichergestellt sein.
4
Am 09.06.2016 untersuchte die Augenärztin L. die Klägerin im Auftrag des Beklagten. In dem Gutachten wurde u.a. festgehalten, dass mit der Klägerin keine Kontaktaufnahme gelinge und dass diese nicht auf visuelle und akustische Reize reagiere. Berührungen hätten kurze Kopfbewegungen und schwache Mimik erzeugt. Die fehlenden visuellen Reaktionen seien nicht okulär, sondern durch die Hirnschädigung bedingt.
5
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von PD Dr. K. vom 20.09.2016 wurde festgehalten, dass bei der augenärztlichen Untersuchung kein morphologischer die Blindheit erklärender Augenbefund diagnostiziert worden sei. Im CT-Befund des Schädels sei eine generalisierte Hirnatrophie beschrieben, jedoch keine lokalisierte Schädigung im Bereich der Sehrinde. Die fehlenden Reaktionen auf visuelle und akustische Reize würden für eine Bewusstseinsstörung aufgrund der Hirnschädigung sprechen.
6
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2016 den Antrag auf Blindengeld ab, da auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld nicht gegeben seien.
7
Mit Schreiben vom 21.11.2016 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnungsentscheidung des Beklagten ein. Die Klägerin sei blind. Nach der Rechtsprechung des BSG stehe dem Anspruch auf Blindengeld nicht entgegen, dass auch die sonstigen Sinnesorgane wie das Hörvermögen oder der Tastsinn auf das Schwerste beeinträchtigt seien. Ohne weitere Ermittlungen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2017 den Widerspruch als unbegründet zurück. Da vorliegend eine Quantifizierung und Qualifizierung des Sehvermögens an den allgemeinen Beeinträchtigungen und der weiter vorliegenden medizinischen Besonderheiten scheitere, sei der vom Gesetz geforderte objektive Nachweis einer Blindheit im Sinne des BayBlindG nicht zu erbringen. Der Beklagte verwies auf den Grundsatz der objektiven Beweislast.
8
Hiergegen hat sich die am 03.03.2017 zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhobene Klage gerichtet. In der Klagebegründung ist auf die o.g. Untersuchung am 09.06.2016 verwiesen und hervorgehoben worden, dass die Sehschärfe damals auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 betragen habe. In dem Gutachten sei ausgeführt worden, dass keine Reaktion auf visuelle Reize erfolgt sei. Eine genaue Lokalisierung der Sehstörung sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht erforderlich; entscheidend für den Anspruch auf Blindengeld sei allein - auch zerebrale Schäden würden ausreichen -, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung Sehen fehle. Dies sei bei der Klägerin nach dem Sachverständigengutachten eindeutig der Fall. Dass auch andere Sinnesmodalitäten betroffen seien, spiele keine Rolle.
9
Zur Sachverhaltsermittlung hat das SG Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt und sodann Beweis erhoben. Es hat den Augenarzt Prof. Dr. M. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt (§ 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG). In seinem Gutachten vom 18.10.2018 hat der Sachverständige die Ergebnisse der Untersuchung vom 27.09.2017 geschildert. Bei der Visusmessung sei keine Lichtreaktion erfolgt. Der Optokinetische Nystagmus (OKN) sei binokulär nicht auslösbar gewesen. Die Pupillenreaktion sei direkt und indirekt auslösbar gewesen. Der Lidschlussreflex sei negativ. Es hätten, so der Sachverständige, keine Anzeichen für visuelle Wahrnehmungen bestanden. Eine Gesichtsfeldprüfung sei nicht möglich gewesen. Zusammenfassend hat Prof. Dr. M. festgestellt, dass bei der Klägerin kein Anhalt für eine Erkrankung bestehe, die eine isolierte Schädigung des visuellen Apparats verursache. Aufgrund des vitalen Sehnervs und der klaren Optik bestehe kein Anhalt für eine Degeneration der Sehnerven. Auch weiterhin bestehe kein Anhalt für eine transsynaptische Degeneration vom visuellen Kortex zurück in den Sehnervenkopf durch eine primäre Schädigung im visuellen Kortex oder im Corpus geniculatum. Bei der Klägerin bestehe keine spezifische Störung des Sehvermögens. Das Sehen sei vielmehr ähnlich betroffen wie die anderen Sinnesmodalitäten. Entsprechend den vorliegenden Unterlagen bestehe eine generalisierte Hirnatrophie unklarer Ätiologie mit fortgeschrittener geistiger Retardierung und mit hochgradiger Einschränkung aller Sinnesfunktionen. Bei der Klägerin bestehe der Verdacht einer neurodegenerativen Erkrankung mit generalisierter Hirnatrophie. Es sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass visuelle, akustische sowie taktile Reize aufgrund dessen nicht kognitiv aufgenommen werden könnten, und es sei davon auszugehen, dass Lichtsignale vom Auge aufgenommen, jedoch zu keiner Reaktion führen würden; gutachterlich gesehen bestehe keine Störung des Sehvermögens, sondern eine generalisierte Störung der Reizverarbeitung aller Sinne. Damit seien die Voraussetzungen des BayBlindG nicht erfüllt.
10
Daraufhin hat die Klägerseite klargestellt, gegen das Gutachten hinsichtlich der medizinischen Äußerungen keine Einwendungen zu erheben. Allerdings kenne der Sachverständige die Rechtsprechung des BSG anscheinend nicht.
11
Am 10.12.2018 hat der Beklagte auf das Urteil des BSG vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) hingewiesen und festgestellt, dass mit der Klägerin u.a. keinerlei Verständigung möglich sei. Daher sei es bei dem bei der Klägerin bestehenden und in verschiedene Befundberichten beschriebenen, generalisierten und die Blindheit überlagernden Krankheitsbild ausgeschlossen, dass der Mangel an Sehvermögen durch bestimmte Maßnahmen (wie Assistenzleistungen etc.) ausgeglichen werden könne. Es könne von vornherein kein Mehraufwand speziell durch die Blindheit bei der Klägerin entstehen. Der Beklagte hat im Sinne der genannten Rechtsprechung des BSG vom 14.06.2018 den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung geltend gemacht. Sofern dies auf Klägerseite anders gesehen werde, werde gebeten, so der Beklagte, konkret darzulegen, ob und inwieweit seit Antragstellung ein Mehraufwand speziell durch die Blindheit entstanden sei.
12
Am 08.01.2019 hat die Klägerseite bestätigt, dass bei der Klägerin aufgrund ihrer schweren Behinderung eine Schwerstpflegebedürftigkeit vorliege. Es sei jedoch nicht zutreffend, dass mit ihr keine Kommunikation möglich sei, vergleichbar einer Person, die im Koma liege. Da die Klägerin nicht sehen könne, könne sie lediglich über das Gehör an der Außenwelt teilnehmen, was sie auch tue. So reagiere die Klägerin z.B. auf die Stimmen ihr vertrauter Menschen, Musik, Radio etc. Selbstverständlich würde die Kommunikation trotz der schweren Behinderung bei einer Sehfähigkeit der Klägerin weiter ausgeweitet werden können. Dann hätte sie, so der Vortrag, ganz andere Möglichkeiten, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten und besser gefördert zu werden. Daher könne der Ansicht des Beklagten nicht beigetreten werden, dass das Blindengeld vorliegend seinen Zweck verfehle. Sicher richtig sei, dass die Sehbehinderung der Klägerin auch mit dem Blindengeld nur in dem Maße kompensiert werden könne, wie ihr nicht Grenzen aufgrund der weiteren schweren Behinderungen gesetzt seien. Hier jedoch von einer Zweckverfehlung zu sprechen, würdige die Klägerin in ihrer Persönlichkeit herab, auch wenn dies sicher nicht die Intention des Beklagten sei.
13
Am 05.02.2019 hat ein Erörterungstermin des SG stattgefunden. Der Vertreter des Beklagten hat mitgeteilt, dass nach seiner Einschätzung das Gutachten vom 18.10.2018 hinreichend zum Ausdruck bringe, dass bei der Klägerin eine generalisierte Schädigung festzustellen sei und dass die medizinischen Voraussetzungen der Blindheit demnach gegeben seien. Auf Frage des Gerichts hat der Betreuer der Klägerin deren Reaktionen geschildert. Er hat berichtet, dass der Klägerin häufig vorgelesen würde, wobei es sich um Jugendromane handele. Die Klägerin reagiere auf das Vorlesen und gebe Geräusche von sich, nämlich Summlaute, die dann für das Wohlbefinden stünden. Es könne auch geschehen, dass die Klägerin des Vorlesens überdrüssig werde, worauf sie dann zu protestieren beginne. Der Klägerin werde auch mehrmals am Tag Musik aus dem Radio vorgespielt, das Radio werde in der Regel etwa eine halbe Stunde toleriert. In der Regel könne die Klägerin etwa eineinhalb Stunden im Rollstuhl sitzen. Beim Essen werde die Klägerin gefüttert. Dabei werde ihr rechter Arm fixiert, da sie unkontrollierte Bewegungen mache. Die Klägerin reagiere auf die Ankündigung von Nahrung mit Schmatzgeräuschen. Die Klägerin bewege sich gelegentlich im Bett. Es handle sich aber nur um ein minimales Rutschen. Sie reagiere nicht auf das Anschalten oder Abstellen des Lichts. Auf einen möglichen Anspruch auf Blindengeld sei man aufmerksam geworden, da die Klägerin Bewegungen nicht verfolge. Auf Fragen des Gerichts hat der Betreuer der Klägerin ausdrücklich mitgeteilt, dass ihm spezifisch blindheitsbedingte Assistenzleistungen und Aufwendungen nicht einfallen würden. Die finanziellen Leistungen des Blindengelds würden eingesetzt werden, um einen Treppenlift oder ein neues Bett zu finanzieren.
14
Im Nachgang zum Erörterungstermin hat der Beklagte am 20.02.2019 den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung erneut vorgetragen. Auch unter Berücksichtigung der Aussagen der Eltern im Termin am 05.02.2019 sei es der Klägerin bei der bestehenden komplexen gesundheitlichen Situation nicht möglich, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am täglichen oder kulturellen Leben teilzunehmen.
15
Mit Schriftsatz vom 21.02.2019 hat die Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass das Blindengeld eine pauschalierte Leistung sei. Die blinde Person erhalte, wenn das Blindengeld einmal bewilligt worden sei, diese Leistung unabhängig davon, ob und wieviel Geld sie dafür einsetze, ihre blindheitsspezifischen Einschränkungen auszugleichen. Das bedeute, dass der aktive Blinde ein genauso hohes Blindengeld erhalte, wie die blinde Person, die nur ein wenig aus dem Haus gehe und keine Assistenz- oder Unterstützungsleistungen „einkaufe“. Beim Einwand der Zweckverfehlung dürfe daher nicht außer Acht gelassen werden, dass über die Verwendung des Blindengelds, das ohne Nachweis eines konkreten Bedarfs geleistet werde, keine Rechenschaft abgelegt werden müsse. Es müsse, so die Bevollmächtigte, von der blinden Person gerade nicht dargelegt werden, welche konkreten Ausgaben z.B. zur Teilnahme am kulturellen Leben bestünden. Somit dürften keine überzogenen Anforderungen an den blindheitsbedingten Aufwand gestellt werden.
16
Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt hatten, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 18.03.2019 die o.g. Verwaltungsentscheidungen des Beklagten aufgehoben und diesen verurteilt, der Klägerin ab 01.02.2016 Blindengeld nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBlindG zu zahlen. In dem Gerichtsbescheid hat sich das SG auf die neue Rechtsprechung des BSG vom 14.06.2018 gestützt und u.a. hervorgehoben, dass der Anspruch bei zerebral schwerst geschädigten Personen keine spezifische Sehstörung (mehr) voraussetze. Nach Auffassung des SG stehe fest, dass die Klägerin an einer generalisierten Hirnatrophie leide, die zu einer Störung der Reizverarbeitung führe. Bei der Klägerin bestehe eine gleichzuachtende Sehstörung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 BayBlindG, da die optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein der Klägerin nicht möglich sei. Der Einwand des Beklagten vom 20.02.2019, dass aus augenärztlicher Sicht ein Mangel des Sehvermögens nicht nachgewiesen sei, entbehre der Tatsachengrundlage; diesem Vortrag sei schon die Stellungnahme des Vertreters des Beklagten im Erörterungstermin entgegenzuhalten. Auch PD Dr. K. habe bereits am 20.09.2016 ausgeführt, dass ein morphologisches Korrelat für die nicht vorhandene Sehfunktion bestehe. Dem Beklagten sei, so das SG, der von ihm zu führende Nachweis der Zweckverfehlung nicht gelungen. Die Klägerin verfüge über ein Rest-Kommunikationsvermögen. So habe die Betreuungsperson im o.g. Erörterungstermin anschaulich den nonverbalen Austausch zwischen Klägerin und Betreuungspersonen geschildert. Der Beklagte könne nicht mit der Einschätzung überzeugen, dass mit der Klägerin keinerlei Verständigung möglich sei. Die Einschätzung des SG, die dem entgegenstehe, decke sich auch mit den medizinischen Erkenntnissen. So habe die Gutachterin L. die Reaktion auf Berührungen beobachtet und auch Prof. Dr. M. habe in der Anamnese die Reaktion der Klägerin auf Geräusche referiert. Auch sei der Klägerin zuzustimmen, dass bei der pauschalierten Leistung des Blindengelds ein Nachweis der Verwendung des Gelds für spezifische Assistenzleistungen gerade nicht erforderlich sie. Abstrakt sei durchaus denkbar, dass eine externe Vorlesekraft die Betreuerin entlaste und damit die Klägerin eine Teilhabe erfahre. Ein Ersuchen auf Schilderung des Mehraufwands durch Blindheit sei daher verfehlt. Auch sei, so das SG weiter, eine selbst initiierte Kontaktaufnahme der betreffenden blinden Person mit der Umwelt keine Anforderung, die in den Zweck des Blindengelds hineininterpretiert werden könne. Eine solche finde in der Formulierung des Einwands der Zweckverfehlung durch das BSG keinen Anhalt. Im Übrigen sei die Klägerin durch ihren Betreuer wirksam vertreten und könne über die Betreuungsperson durchaus effektiv Kontakt zur Umwelt aufnehmen.
17
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 01.04.2019 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt. In der Berufungsbegründung ist zunächst hervorgehoben worden, dass nach der Rechtsprechung des BSG auch Schwersthirngeschädigte ohne visuelle Wahrnehmung grundsätzlich Anspruch auf Blindengeld hätten; eine spezifische Sehstörung sei nicht erforderlich. Im Fall der Klägerin sei nunmehr eine der Blindheit nach dem BayBlindG entsprechend gleich schwere Störung des Sehvermögens anzunehmen. Vorliegend sei jedoch der anspruchsvernichtende Einwand der Zweckverfehlung gelungen, der hiermit erneut erhoben werde. Die Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zur entscheidenden Bedeutung eines Restkommunikationsvermögens, zur Nicht-Erforderlichkeit des Nachweises der Verwendung des Geldes für spezifische Assistenzleistungen und zum Ausschluss eines Ersuchens auf Schilderung von Mehraufwand widerspreche den Vorgaben des BSG im Urteil vom 14.06.2018. Speziell zum Ausgleich des Sehvermögens bestimmte Maßnahmen, wie vom Beklagten in dem Schriftsatz beispielhaft aufgeführt - Assistenzleistungen, Hilfsmittel und Verrichtungen - seien bei der Klägerin allesamt nicht möglich. Dies werde u.a. durch die Angaben des Betreuers vor Gericht (s.o.) bestätigt. Hier zeige sich eindeutig, dass bei der Klägerin die Pflege ausschließlich wegen der bei ihr bestehenden schwersten geistigen und körperlichen Behinderung im Vordergrund stehe. Der Beklagte könne nicht die Auffassung des SG nachvollziehen, dass bei der pauschalierten Leistung des Blindengelds ein Nachweis der Verwendung des Geldes für spezifische Assistenzleistungen gerade nicht erforderlich und ein Ersuchen des Beklagten auf Schilderung des Mehraufwands verfehlt sei. Damit würde trotz des Nachweises, dass gerade keinerlei blindheitsspezifische Assistenzleistungen angefallen seien bzw. anfallen könnten, was vorliegend durch die Angaben des Betreuers belegt sei, der Einwand der Zweckverfehlung immer ins Leere laufen, was nach Auffassung des Beklagten den Ausführungen des BSG zum Einwand der Zweckverfehlung widerspreche. Hinsichtlich der Argumentation mit einer Restkommunikationsfähigkeit der Klägerin bzw. die Lautäußerungen hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass eine Objektivierung der subjektiven Eindrücke und Deutungen durch die Familie der Klägerin nicht möglich sei. Allein das Abstellen auf eine rudimentäre nonverbale Kommunikation entspreche nach Rechtsauffassung des Beklagten nicht der Intention des o.g. BSG-Urteils.
18
Mit Schriftsatz vom 06.05.2019 hat die Klägerin die Zurückweisung der Berufung beantragt und sich zur Begründung auf die Entscheidung des SG berufen. Der Beklagte habe zwar Zweckverfehlung eingewandt; bei der Klägerin finde jedoch auch nonverbal eine Kommunikation mit ihren Betreuungspersonen statt. So könne sie Wohlbefinden und Ablehnung äußern. Eine Verständigung sei daher möglich und ein Vergleich mit dem für die Zweckverfehlung vom BSG aufgeführten Personenkreis der dauernd Bewusstlosen sei vorliegend völlig verfehlt.
19
In einem aufklärenden Schreiben vom 10.07.2019 hat der Berichterstatter des Senats die Beteiligten u.a. darauf hingewiesen, dass die Untersuchung, inwieweit im Einzelfall ein Mehraufwand bestehen könne, sogar den Kern der Prüfungen darstelle. Eine andere Sichtweise komme u.a. deshalb kaum in Betracht, weil das BSG in dem o.g. Urteil (v. 14.06.2018) dem erkennenden Senat gerade eine konkrete Untersuchung aufgegeben habe: Das Berufungsgericht werde, so das BSG, zu prüfen haben, ob aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes bei der dortigen Klägerin blindheitsbedingter Mehraufwand entstehen könne. Dies könne ohne Mitwirkung des Betroffenen bzw. dessen Betreuer kaum sinnvoll erfolgen. Eine andere Frage sei hingegen, ob die Klägerseite eine Nachweispflicht treffe.
20
Mit Schriftsatz vom 01.08.2019 hat die Klägerseite mitgeteilt, mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht einverstanden zu sein. An den Einwand der Zweckverfehlung müsse im Übrigen ein strenger Maßstab angelegt werden, da dieser Einwand keine Normierung im Gesetz finde. Es könne keinesfalls ausreichend sein, dass aufgrund der schweren geistigen Behinderung der Klägerin die Zweckverfehlung des Blindengelds ohne weitere Prüfung angenommen werde.
21
Der Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 18.03.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
22
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
23
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und auch begründet.
25
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind oder hochgradig sehbehindert im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht.
26
Letzteres hat das SG zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
27
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
28
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt, 2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
29
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und 1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder 2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
30
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
31
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6): aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist, ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt, gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
32
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile v. 20.12.2018 - L 15 BL 6/17 - und 12.11.2019 - L 15 BL 1/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil v. 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil v. 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil v. 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss v. 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil v. 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil v. 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.).
33
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
34
Sie ist zwar blind im Sinne des BayBlindG. Der Beklagte hat jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild der Klägerin blindheitsbedingte Aufwendungen (in ihrer Situation) von vornherein ausschließen.
35
1. Bei der Klägerin lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. bereits die Entscheidungen v. 31.01.1995 - 1 RS 1/93 - und 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R; zuletzt Urteil v. 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen.
36
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung aller Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt eindeutig aus den sämtlich nachvollziehbaren und aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, u.a. auch aus den Sachverständigengutachten von Dr. L. und Prof. Dr. M., und ist auch zwischen den Beteiligten nicht streitig. Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es im Urteil v. 11.08.2015 (a.a.O.) hieran nicht mehr festgehalten. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung hat sich das BSG aufgrund von Erkenntnisschwierigkeiten sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst gesehen (vgl. näher a.a.O.). Ebenfalls aufgegeben in der genannten Entscheidung hat das BSG die in der früheren Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen dem „Erkennen“ und dem „Benennen“ als so verstandene Teilaspekte bzw. Teilphasen des Sehvorgangs, da die Differenzierung gerade bei zerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen, d.h. die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - a.a.O. - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung „Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist“ (BSG, a.a.O.). Der Senat fühlt sich an diese (neuere) Rechtsprechung des BSG gebunden (vgl. bereits das Urteil v. 19.12.2016 - L 15 BL 9/14).
37
Die Klägerin ist blind im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG. Es ist zur Gewissheit des Senats nachgewiesen, dass bei ihr eine Verarbeitungsstörung vorliegt, so dass sie die Signale der (auch) visuellen Sinnesmodalität nicht identifizieren, mit früheren Erinnerungen nicht vergleichen und nicht benennen konnte.
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a. Durch die neuere Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) hat sich an der Erforderlichkeit der Prüfung, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (nun: optische Reizaufnahme und Verarbeitung etc.) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen, nichts geändert (vgl. bereits die frühere Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der es schon bisher in den Fällen umfangreicher zerebraler Schäden auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht mehr ankam, wenn bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestanden, z.B. Urteil v. 27.11.2013 - L 15 BL 4/11; so auch die Lit., vgl. Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, 134 (135): keine allgemeine „Entwarnung“). Der Blindheitsnachweis muss somit auch weiterhin erbracht werden.
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b. Hinsichtlich der Klägerin ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, der Blindheitsnachweis erbracht. In dem genannten Urteil vom 11.08.2015 hat das BSG, wie bereits dargelegt, den Sehvorgang im Sinne des BayBlindG (neu) definiert und im Urteil vom 14.06.2018 (a.a.O.) dies bestätigt. Im Rahmen eines umfassenden Verständnisses des Sehvorgangs sieht das BSG nicht nur die optische Reizaufnahme - und wohl ebenfalls die Reizweiterleitung, ohne dass dies in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgehalten worden wäre -, sondern auch die weitere Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein des Menschen als vom Begriff des Sehens im rechtlichen Sinne mit umfasst an; dabei hat das BSG insoweit keine weitere Einschränkung gemacht. Es ist daher im Hinblick auf die Verarbeitungsvorgänge von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen (s.u.). Dieses erklärt sich auch mit Blick auf die nach der neuen Rechtsprechung des BSG nun entfallende (in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderungen früher vorzunehmende), in Problemfällen äußerst schwierige und kaum zu leistende Differenzierung, ob das Sehvermögen (Sehen- bzw. Erkennen-Können) beeinträchtigt war, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine Störung des visuellen Benennens vorlag, sodass das Gesehene nicht richtig benannt werden konnte. Der Senat hat im Urteil vom 19.12.2016 (a.a.O.) bereits dargestellt, dass die Aufgabe dieser schwierigen Differenzierung von der Literatur denn auch als sachgerecht begrüßt und als gewisse Vereinfachung auf dem Weg zum Blindheitsnachweis verstanden worden ist (vgl. Braun, a.a.O.), und hat hervorgehoben, dass er diese Auffassung teilt. Somit ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur „Verarbeitung im Bewusstsein“ des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw. aufgehoben ist.
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Eine solche (auch) visuelle Verarbeitungsstörung ist vorliegend zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme und wird nicht nur von der Klägerin, sondern auch vom Beklagten, wie dieser in der Berufungsbegründung ausdrücklich zugestanden hat, so gesehen. Es stehen globale bzw. generalisierte schwerste Schädigungen des gesamten Gehirns der Klägerin fest. Bei der bereits von der Kinderklinik am Klinikum Fürth 1999 durchgeführten Schädel-CT hat sich eine generalisierte Hirnatrophie gezeigt und ebenso ein hochpathologisches EEG. Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass die Ursache des Krankheitsbilds der Klägerin zumindest zunächst unklar gewesen ist. Denn Kausalitätsfragen spielen im Blindengeldrecht grundsätzlich keine Rolle. Auch werden hierdurch keine Zweifel am tatsächlichen Zustand der Klägerin begründet.
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Weitere Feststellungen des Senats sind daher nicht erforderlich. Vorliegend kann offenbleiben, welche Tatbestandsalternative des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG die Klägerin erfüllt. Es liegt jedenfalls zumindest eine im Sinne der Richtlinien der DOG gleichzusetzende Sehstörung (Fallgruppenkatalog, s.o.) vor.
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2. Ein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht jedoch nicht, da der Beklagte zutreffend den Einwand der Zweckverfehlung erhoben hat.
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Wie das BSG in dem genannten Urteil vom 14.06.2018 dargelegt hat, stellt die in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG enthaltene Formulierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausgleichs blindheitsbedingter Mehraufwendungen keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Dennoch bleibe, so das BSG (a.a.O.), der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung, was sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz erschließe. So sehe das BayBlindG Regelungen zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen vor (Art. 4 Abs. 3 BayBlindG). Der Zweck des Blindengelds werde aber, so das BSG in der genannten Entscheidung, auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbilds des Betroffenen gar nicht erst ent- bzw. bestehen könne. Das BSG hat in der Entscheidung vom 14.06.2018 im Einzelnen Folgendes festgestellt:
„Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. Dies wird am ehesten auf generalisierte Leiden zutreffen können (zB dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma). Das Gesetz geht in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein „Mehraufwand“ aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs. 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen [ …]. Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S. 1 zu A und 17/21510 S. 1 zu A). Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann.“
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Vorliegend hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin kann krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden.
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Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Auswertung aller vorliegenden einschlägigen medizinischen und pflegerischen Unterlagen. Der Senat beruft sich hier vor allem auf die o.g. sachverständigen Feststellungen des vom SG beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. M. und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. Vor allem das o.g. Gutachten des MDK vom 25.01.2013 und auch die Angaben der Klägerseite (vor allem im Erörterungstermin am 05.02.2019) selbst zeigen aber daneben ebenfalls deutlich, dass aufgrund des Gesundheitszustands der Klägerin ein Ausgleich des Mangels an Sehvermögen nicht möglich ist. Aufgrund der generalisierte Hirnatrophie unklarer Ätiologie mit fortgeschrittener geistiger Retardierung mit hochgradiger Einschränkung aller Sinnesfunktionen besteht bei der Klägerin eine massive Einschränkung aller Sinnesfunktionen seit frühester Kindheit. Visuelle, akustische sowie taktile Reize können nicht kognitiv aufgenommen werden; es besteht eine generalisierte Störung der Reizverarbeitung aller Sinne. Vor allem kann die Klägerin nicht einmal Grundbedürfnisse und Stimmungen ausdrücken, hat einen gestörten Tag-Nachtrhythmus und ist nicht in der Lage, altersgerecht soziale Bereiche des Lebens auch nur wahrzunehmen. Eine nonverbale Kommunikation mit der Klägerin ist nicht möglich. Einfache Gebote und Verbote kann sie nicht verstehen. Körperliche Bedürfnisse kann sie nicht ausdrücken. Im weiteren Wohnumfeld ist sie trotz entsprechender Übung nicht orientiert.
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1. Maßgeblich sind die tatsächlichen bei der Klägerin bestehenden Verhältnisse (vgl. bereits das Urteil des Senats v. 12.11.2019 - L 15 BL 1/12). Auch wenn in dem o.g. Urteil des BSG von einer „näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder …, welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen“ die Rede ist, würde es nicht genügen, wenn der Beklagte abstrakt alle insoweit einschlägigen Krankheitsbilder auflisten würde. Aus naheliegenden Gründen ist ein Verweis auf die jeweilige Diagnose nicht ausreichend, um dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats v. 17.07.2012 - L 15 BL 11/08, in dem im Einzelnen dargelegt worden ist, dass auch bei der Diagnose eines „vollständigen Apallischen Syndroms“ die individuellen Verhältnisse mit Blick auf die der Feststellung immanenten diagnostischen Unsicherheit und der Begrenztheit medizinischer Erfahrungssätze im Einzelnen untersucht werden müssen); es sind die Voraussetzungen zu überprüfen, ob bei der konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen (so auch Braun, Die neuen Kriterien für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 3/2019, 94 (97)).
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2. Mit dem BSG geht der Senat davon aus, dass der Begriff der blindheitsbedingten Mehraufwendungen weit auszulegen ist (vgl. bereits das Urteil des Senats v. 12.11.2019, a.a.O.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den Darlegungen des BSG (s.o.) sowie aus den vom BSG ebenfalls genannten Motiven des Landesgesetzgebers (s.o.) (so auch Braun, a.a.O.). Inwieweit es genügt, wenn nur ganz geringfügiger Mehraufwand im Raum steht, muss vorliegend nicht entschieden werden, da vorliegend keinerlei Mehraufwand ermittelt bzw. letztlich auch von Klägerseite nicht benannt werden konnte.
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3. Wie vom Senat bereits entscheiden worden ist (Urteil v. 12.11.2019, a.a.O.), stellen entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 9/2019 Anm. 4) Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung, wie sie hier ausschließlich bestehen und auch vom Betreuer bzw. Pfleger der Klägerin im Erörterungstermin ausschließlich benannt wurden, keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Der Senat kann der Argumentation (Dau, a.a.O.) nicht folgen, es sei zweifelhaft, ob es einen Fall mit einem anspruchsvernichtenden Zweckverfehlungseinwand im Freistaat Bayern jemals geben werden könne, weil das BayBlindG unter blindheitsbedingten Mehraufwendungen entsprechend den gesetzgeberischen Motiven in erster Linie Aufwendungen für die pflegerische Betreuung verstehe, Wachkomapatienten und zerebral schwerstgeschädigte Menschen jedoch in jedem Fall intensiver pflegerischer Betreuung bedürften, so dass sich der Leistungszweck des BayBlindG bei ihnen deshalb gar nicht verfehlen lasse. Denn zum einen lässt sich aus den Motiven des Gesetzgebers (vgl. Bayer. Landtag, Drs. 13/458, S. 5) eine Verengung auf die - wie auch immer verstandene - pflegerische Betreuung gar nicht ableiten. Zum anderen kann sich der Senat dieser formalen Argumentation auch nicht anschließen, da in den einschlägigen Fällen naheliegenderweise auf blindheitsspezifische Betreuung abzustellen ist. Anderenfalls würden übrigens die Vorgaben des BSG im Wesentlichen ins Leere laufen.
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4. Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt nach der Entscheidung des BSG die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Dabei ist sie verpflichtet, soweit möglich den - wie oben dargelegt individuellen - Sachverhalt zu ermitteln, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass sie die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich einer negativen Tatsache trifft, eben hinsichtlich des Nichtvorhandenseins blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass zur Ermittlung daher neben den medizinischen/pflegerischen Unterlagen vor allem die Angaben der Personen heranzuziehen sind, die die Verhältnisse hinsichtlich des betroffenen blinden Menschen aufgrund der Sach- und Ortsnähe zutreffend beurteilen können. Die Antragsteller trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz; so kann unnötiger Aufwand o.ä. keine Berücksichtigung finden. Entscheidend nach der Rechtsprechung des BSG ist, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In der konkreten Situation des Betroffenen objektiv nicht möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand muss außer Betracht bleiben.
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5. Wie die Klägerseite zutreffend annimmt, wäre es nicht ausreichend, wenn eine Zweckverfehlung des Blindengelds aufgrund der schweren geistigen Behinderung der Klägerin ohne weitere Prüfung angenommen würde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aufgrund der vielmehr im Einzelnen durchgeführten Prüfung der der Klägerin verbleibenden Möglichkeiten durch den Senat ergibt sich, dass wegen den plausiblen medizinischen Unterlagen und weiteren vorliegenden Angaben davon ausgegangen werden muss, dass es das schwere Krankheitsbild der Klägerin ausschließt, den Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (auch nur teilweise) auszugleichen.
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Wie sich aufgrund der vorliegenden medizinischen Befunde ohne jeden Zweifel ergibt, leidet die Klägerin an einer schwersten geistigen statomotorischen Retardierung neben weiteren, letztlich gravierenden Gesundheitsstörungen. Der Beklagte hat zutreffend dargelegt, dass die Klägerin in jeder Hinsicht schwerstpflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig ist. Auf die nach dem Ergebnis des Verfahrens zur Überzeugung des Senats nachgewiesenen und zwischen den Beteiligten auch nicht streitigen schwersten Einschränkungen der Klägerin, die oben bereits im Einzelnen dargestellt worden sind, wird verwiesen.
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Im Übrigen kommt es nicht entscheidend darauf an, ob bei der Klägerin ein Restkommunikationsvermögen vorhanden ist. Dieses mag, was der Senat nicht in Abrede stellt, auf niedrigem Niveau durchaus noch vorhanden sein, schließt jedoch nicht aus - wie sich aus den Darlegungen des BSG im o.g. Urteil vom 14.06.2018 (a.a.O.) ohne Weiteres ergibt -, dass das Krankheitsbild der Klägerin von vornherein blindheitsbedingte Aufwendungen nicht entstehen lässt, da der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden kann. Denn ein solcher Ausschluss ist, wie das BSG ausdrücklich formuliert hat und wie sich aus medizinischer, pflegerischer und realistischer Sichtweise ergibt, keineswegs ausschließlich bei dauernder Bewusstlosigkeit oder Koma möglich.
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Entsprechend der zutreffenden Annahme des SG und der Klägerseite besteht keine Nachweispflicht des Betroffenen, welche blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Einzelnen entstanden sind. Dies folgt aus Sicht des Senats aufgrund der vom BSG vorgenommenen Beweislastverteilung, an die er sich gebunden fühlt. Vorliegend ist jedoch zur Überzeugung des Senats, die dieser aufgrund der plausiblen und fundierten medizinischen Befunde gewonnen hat, ausgeschlossen, dass ein blindheitsbedingter Mehraufwand bei der Klägerin im Hinblick auf ihr schweres Behinderungsbild besteht, da die Klägerin keine Mehraufwendungen haben kann, „die aufgrund der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, entstehen, so dass entweder die Tätigkeiten von Anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch Andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen“ (vgl. Braun, a.a.O., S. 97, mit Verweis auf Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 239). Insbesondere die vom Beklagten im Rahmen der Berufungsbegründung in der ausführlichen Liste aufgeführten einzelnen Aufwendungen kommen nicht in Betracht, darüber hinaus jedoch auch keine weiteren Maßnahmen des Ausgleichs mangelnden bzw. aufgehobenen Sehvermögens (vgl. Demmel, a.a.O.). Dass auch die Klägerseite keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen benennen kann, ist nicht von entscheidender Bedeutung, jedoch logische Konsequenz der schwersten Behinderung der Klägerin und unterstreicht die Auffassung des Senats.
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Entgegen der Auffassung des SG genügt die bloße Möglichkeit nicht, dass im Falle eine externe Vorlesekraft tätig wird, die somit finanziellen Aufwand erzeugt. Diese (theoretische) Konstruktion ist entsprechend der zutreffenden Annahme des Beklagten mit den Vorgaben des BSG im o.g. Urteil nicht vereinbar. Wie in der Berufungsbegründung zutreffend hervorgehoben worden ist, ist der Einsatz einer Vorlesekraft zur Entlastung von Betreuungspersonen und zur direkten Betreuung des Betroffenen hinsichtlich jeder Behinderung und Erkrankung denkbar; somit könnte der Einwand der Zweckverfehlung nie erhoben werden. Zum anderen handelt es sich hinsichtlich einer Vorlesekraft im vorliegenden Fall gerade nicht um blindheitsbedingten Mehrbedarf, was auch allgemein im Falle ernsthaft erkrankter bzw. anderweitig behinderter Menschen gilt. Soweit es beim Vorlesen um die inhaltliche Wiedergabe des schriftlich Verfassten (z.B. „einer Geschichte“) gehen sollte, wäre dieses bei der Klägerin nicht wegen der Sehbehinderung, sondern wegen der allgemeinen behinderungsbedingten Leseunfähigkeit erforderlich; die Wiedergabe des Verfassten spielt hier aber wohl ohnehin wegen der geistigen Behinderung der Klägerin bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung keine Rolle. Soweit es um die Herstellung von Nähe oder Beruhigung etc. der Klägerin geht - also um das Hören einer (vertrauten) Stimme -, reicht dies auch unter Berücksichtigung mangelnden Sehvermögens nicht aus. Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil v. 27.11.2013 - L 15 BL 4/12), stellen Maßnahmen nur des psychischen Beistands o.ä. keinen blindheitsbedingten Aufwand dar, da insoweit keine Betreuungsleistungen (im weiteren Sinn) betroffen sind. Schließlich gleicht auch die Herstellung von Nähe keine blindheitsspezifischen Nachteile aus (vgl. die therapeutisch empfohlene Ansprache etc. bewusstloser Menschen).
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Es kommt also letztlich nicht darauf an, ob ein Vergleich der Klägerin mit dem für die Zweckverfehlung vom BSG aufgeführten Personenkreis der dauernd bewusstlosen Personen und der Komapatienten vorliegend zutreffend oder, wie die Klägerseite meint, völlig verfehlt ist. Maßgeblich ist stets die von den Einschränkungen geprägte individuelle Situation des betroffenen Menschen.
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Weitere Ermittlungen sind nicht erforderlich. Sie sind denn auch nicht beantragt worden; entsprechende Hinweise sind insoweit auch von der Klägerseite in keiner Weise erfolgt.
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Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Der Gerichtsbescheid des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 25.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2017 abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).