Inhalt

LG Aschaffenburg, Endurteil v. 06.09.2019 – 32 O 395/18
Titel:

Deliktische Haftung eines Automobilherstellers gegenüber einem Kraftfahrzeugkäufer aufgrund des Abgasskandals

Normenketten:
BGB § 31, § 826, § 849
ZPO § 32
Leitsätze:
1. Der Fahrzeughersteller erklärt konkludent mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs, dass das jeweilige Produkt ohne Manipulation den behördlichen Zulassungsprozess durchlaufen hat. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Schädigung des Käufers ergibt sich daraus, dass die Abgaswerte nicht jenen entsprechen, die der Käufer aufgrund der Fahrzeugbeschreibung und der gesetzlichen Grenzwerte erwarten durfte, und die Verwendung der Manipulationssoftware dazu geführt hat, dass das erworbene Fahrzeug im Sinne des § 434 BGB im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft war. (Rn. 34 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Gewinnstreben um den Preis einer bewussten Täuschung und Benachteiligung von Behörden einerseits und Kunden andererseits gibt dem Handeln des Automobilherstellers ein Gepräge der Sittenwidrigkeit. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Automobilhersteller kann nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB darlegungspflichtig sein. (Rn. 59 – 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasskandal, Dieselmotor Typ EA 189, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung, Schaden, Software-Update, Sittenwidrigkeit, subjektiver Tatbestand, sekundäre Darlegungslast
Fundstelle:
BeckRS 2019, 26060

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 26.156,29 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.09.2018 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Volkswagen Sharan mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit den 27.09.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.358,86 € € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.09.2018 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 29 Prozent und die Beklagte 71 Prozent.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 36.855,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Schadensersatz aufgrund des Erwerbs eines von dem sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...
2
Der Kläger kaufte gemäß Rechnung vom 02.12.2011 (siehe Anlagenband) einen VW Sharan vom ..., zum Preis von 36.855,00 €.
3
Am 01.08.2019 beträgt der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 72.573 km.
4
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe EA 189 verbaut. Es verfügt über eine Typgenehmigung nach Euro 5. Die Einhaltung der dafür maßgeblichen Grenzwerte für Stickoxide (Art. 10 Verordnung EG Nr. 715/2007, Anhang I, Tabelle 1) hängt davon ab, in welchem Ausmaß Abgase aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet werden. Im streitgegenständlichen Fahrzeug lässt die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgerätes eine Abgasrückführung im zur Einhaltung der Grenzwerte nötigen Umfang nur unier den Bedingungen des zum Erlangen der Typgenehmigung durchgeführten gesetzlich vorgeschriebenen Testlaufs zu. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass im normalen Straßenverkehr die Fahrkurven dieses Testlaufs - neuer europäischer Fahrzyklus (NEFZ) - exakt nachgefahren werden.
5
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, ihm stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage Vertrauenshaftung, Garantiehaftung und deliktischer Haftung zu, im Ergobnis sei die Beklagte verpflichtet, das Fahrzeug des Klägers gegen Zahlung des Kaufpreises zurückzunehmen.
6
Der Kläger habe sich zwar zunächst der Musterfeststellungsklage angeschlossen, sei aber am 18.02.2019 aus dem dortigen Klageregister gelöscht worden (Anlage MFK 1).
7
Der Kläger beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Klägern einen Betrag in Höhe von 36,855,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seil dem 02.12.201011 bis zum 27.09.2018 und seither in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Volkswagen Sharan mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 26.09.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.952,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.09.2018 zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig, da sich der Kläger der Musterfeststellungsklage angeschlossen habe.
10
Die Beklagte trägt im Wesentlichen weiter vor, nicht haftbar zu sein, da sie nicht Herstellerin des Fahrzeugs sei. Als Herstellerin des in dem Fahrzeug verbauten Motors habe sie den Kläger nicht getäuscht, auch sei ihm kein Schaden entstanden und die klägerseits bezeichneten Haftungsnormen seien nicht verwirklicht.
11
Eine mündliche Verhandlung ist am 02.08.2019 durchgeführt worden. Auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 02.08.2019 wird verwiesen (Bl. 719 ff. d.A.).
12
Das Gericht hat der Klagepartei am Ende der mündlichen Verhandlung, eine Schriftsatzfrist bis zum 30.08.2019 gesetzt zur Vorlage eines Nachweises, dass der Kläger von der Musterfeststellungsklage abgemeldet ist (Bl. 720 d.A.).
13
Hinsichtlich des übrigen Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage ist im zugesprochenen Umfang begründet.
A.
15
Die Klage ist zulässig.
I.
16
Das Gericht ist gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
17
Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen. Der Kläger hat unter anderem einen Anspruch aus § 826 BGB schlüssig vorgetragen, was sich auch daraus ergibt, dass der Anspruch begründet ist. Da bei § 826 BGB der Eintritt eines Schadens zum Tatbestand gehört, nicht lediglich zur Rechtsfolgenseite, ist auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 BGB. Ort des Schadenseintritts ist der Wohnort des Klägers als Geschädigtem, welcher sich im Moment des Vertragsschlusses im hiesigen Bezirk befand. Es ist also davon auszugehen, dass eine Vermögensschädigung in Bessenbach stattgefunden hat und somit der Erfolgsort im Bezirk des Landgerichts Aschaffenburg belegen ist. Damit wurde die behauptete unerlaubte Handlung auch in Bessenbach begangen.
II.
18
Weiterhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30.08.2019 durch Vorlage einer Email mit dem Absender des Bundesamts der Justiz nachgewiesen, dass der Kläger am 18.02.2019 aus dem Klageregister der Musterfeststellungsklage gelöscht wurde (Anlage MFK 1). Zweifel an der Richtigkeit dieser Auskunft bestehen nicht.
19
Die Klage war daher im relevanten Zeitpunkt, d.h. zum Schluss der mündlichen Verhandlung, zulässig.
B.
20
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger Schädigung zu. Insoweit kann der Kläger Erstattung des gezahlten Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die gezogenen Nutzungen (gefahrene Kilomotor) verlangen, wobei sich insoweit ein Rückzahlungsanspruch i.H.v. 26.156,29 € ergebt Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
21
Außerdem kann der Kläger Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Übernahme des Fahrzeuges sowie Zahlung der ersatzfähigen außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangen. Weitergehende Ansprüche bestehen dagegen nicht.
I.
22
In der Sache ist die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
23
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung, so dass er Erstattung des tatsächlich gezahlten Kaufpreises von 36.855,00 € unter Abzug und Anrechnung einer Nutzungsentschädigung von 10.698,71 € für erfolgte Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen kann.
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1. Die Beklagte hat den Kläger sittenwidrig getäuscht, was beim Kläger dann zu einem entsprechenden Vermögensschaden in Höhe des gezahlten Kaufpreises geführt hat.
25
Die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
26
a. Die Beklagte hat den Kläger konkludent darüber getäuscht, dass die Zulassung des Fahrzeuges zum Straßenverkehr und die Einstufung in die angegebene Schadstoffklasse gesetzmäßig erfolgen, während sie tatsächlich erschlichen wurde (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss v. 05.03.2019, Az. 13 U 142/18).
27
Dazu hatte die Beklagte das Fahrzeug des Klägers mit einer manipulierten Motorensoftware in Verkehr gebracht, ohne hierüber aufzuklären. Auf diesem Weg hatte die Beklagte überhaupt erst die entsprechende Typgenehrrigung erschlichen, denn erst die installierte Manipulationssoftware hat dazu geführt, dass das Fahrzeug bei der Prüfung den Testlauf unter Laborbedingungen erkannte und dadurch abweichend vom Regelmodus 0, der im normalen Verkehr galt, auf einen Modus 1 umschaltete und nur dadurch die Werte so erreicht wurden, dass die entsprechende Typgenehmigung erteilt wurde.
28
Der Fahrzeughersteller erklärt konkludent mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs, dass das jeweilige Produkt ohne Manipulation den behördlichen Zulassungsprozess durchlaufen hat (vgl. LG München, Urteil v. 15.02.2019, Az. 13 O 3243/18, Rn. 29)
29
Das Gericht verkennt nicht, dass der Hauptvorwurf der konkludenten Täuschung der Beklagten nicht so sehr in einem aktiven Tun als vielmehr in einem Verschweigen und damit einem Unterlassen liegt. Die Zurechnung erfordert also das Bestehen und die Verletzung einer entsprechenden Aufklärungspflicht, wobei nicht unberücksichtigt bleibt, dass weder Verkäufer noch Hersteller grundsätzlich eine alles umfassende Aufklärungspflicht trifft.
30
Die Besonderheit dieses Falles führt jedoch dazu, dass hier für die Beklagte eine entsprechende Aufklärungspflicht gegenüber potenziellen Käufern und Erwerbern von Fahrzeuggen mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 oblag. Zum einen hat nämlich die Beklagte durch die „bewusste“ Manipulation und die diesbezüglich verschleiernde Art einen „versteckten“ und für den normalen Nutzer kaum bis gar nicht erkennbaren Sachmangel an den betreffenden Fahrzeugen hervorgerufen. Eine Offenbarungspflicht besteht jedoch dann, wenn Umstände vorliegen, deren Eintritt den Vertragszweck aus Sicht des jeweiligen Käufers vereiteln könnte und die der Käufer selbst nicht zu erkennen vermag. Dies ist in den vorliegenden Fallgestaltungen der Fall, denn das Fahrzeug des Klägers hätte die für die sog. grüne Plakette erforderliche Schadstoffklasse nicht eingehalten, wenn die Beklagte die diesbezügliche Software nicht installiert und das Fahrzeug damit bei der Prüfung den Testlauf unter Laborbedingungen nicht erkannt hätte, sondern die Prüfung unter dem Regelmodus 0, wie er dann im normalen Verkehr gilt, vorgenommen worden wäre.
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Hinzukommt, dass gravierende Auswirkungen für die Erwerber wie ein Entzug der Zulassung letztlich nachträglich nur deshalb den entsprechenden Käufern nicht drohte, weil die gesamte Manipulation der Beklagten bei allen Typklassen dann im September 2015 insgesamt „aufgeflogen“ ist, was angesichts der Millionen von betroffenen Fahrzeugen dazu geführt hat, dass die Beklagte als Hersteller in Abstimmung und unter Kontrolle des Kraftfahrtbundesarntes Maßnahmen entwickeln musste, um die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Genehmigung für die jeweiligen Nutzer herbeizuführen. Nur deshalb sind dann die Behörden im Rahmen des gebilligten Plans nachträglich nicht eingeschritten, sondern haben sich in der Entwicklungsphase der Beklagten und nach der Entwicklung der Nachbesserungsmaßnahmen bis zu deren Durchführung „still verhalten“. Wäre dagegen nicht das „gesamte System der Beklagten aufgeflogen“, so hätte in entsprechenden Einzelfällen den potentiellen Käufern Nachteile wie ein Entzug der Zulassung drohen können. Dies belegt bereits der Umstand, dass potenziere Kunden, die nachträglich die Nachbesserung nicht haben vornehmen lassen, durchaus ein Entzug der Zulassung - zumindest in bestimmten Einzelfällen - drohen konnte.
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Schließlich hat die Beklagte auch ihre Fahrzeuge und die ihres Konzerns - und so auch das Fahrzeug des Klägers - aktiv beworben und damit gegenüber den Interessenten solcher Fahrzeuge konkludent die Ordnungsgemäßheit der Zulassung dieses Fahrzeugs vorgespiegelt. Fahrzeuge wie dasjenige des Klägers hätten jedoch die für die sog. „grüne Plakette“ erforderliche Schadstoffklasse nicht eingehalten, wäre die Manipulation mit den unterschiedlichen Betriebsmodi nicht vorgenommen worden. Die erfolgte Typgenehmigung mit der entsprechenden Einhaltung der Grenzwerte beruhte also nicht auf einer ordnungsgemäßen Prüfung unter den Betriebsbedingungen wie bei der Nutzung des Fahrzeuges im allgemeinen Verkehr, sondern auf der Manipulation der Motors, so dass diese demnach gerade nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist.
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Es liegt auf der Hand, dass eine solche Schadstoffmessung auf dem Prüfstand zur Erlangung einer Typengenehmigung nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der dann auch auf der Straße bei entsprechender Nutzung gegeben ist - mag hier wegen individueller Faktoren der Schadstoffausstoß bekanntermaßen auch höher sein -, da ansonsten durch Manipulation jedweder Art Tür und Tor geöffnet würde und eine Vergleichbarkeit der selbst unter den dem realen Fahrbetrieb entfernen, genormten Prüfbedingungen nicht mehr hergestellt wird. Die von der Beklagten ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung und die hier vorgenommene Manipulation ist deshalb als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften anzusehen.
34
Dadurch sind die Kunden, wie der Kläger, auch bewusst benachteiligt und geschädigt worden. Zum einen entsprechen die so durch die Manipulation erst erreichten Abgaswerte nicht jenen, die der Kunde aufgrund der Fahrzeugbeschreibung und der gesetzlichen Grenzwerte erwarten durfte. Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass ein Kunde durchaus davon ausgeht, dass die bekanntermaßen unter Laborbedingungen ermittelten Werte im Alltagsbetrieb und bei der Nutzung im Verkehr regelmäßig so nicht erreicht werden können. Es muss jedoch kein Kunde erwarten, dass diese normale Abweichung durch den Einsatz einer verbotenen Software erheblich vergrößert wird und der Hersteller die erforderliche Typengenehmigung im Rahmen der Überprüfung unter Laborbedingungen überhaupt erst durch eine entsprechende Manipulation und einen anderen Betriebsmodus, als denjenigen, der der Benutzung im Straßenverkehr entspricht, erreicht.
35
Allein wegen dieser Besonderheiten hätten also potenzielle Käufer von der Beklagten in diesem Sonderfall und aufgrund dieser hier gegebenen Besonderheiten, die deutlich vom Normalfall abweichen, über diese Umstände aufgeklärt werden müssen.
36
Die Tatsache der Benachteiligung und Schädigung der Käufer ergibt sich zudem daraus, dass die Verwendung der Manipulationssoftware durch die Beklagte dazu geführt hat, dass das vom Kläger erworbene Fahrzeug im Sinne des § 434 BGB im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft war (vgl. u.a. BGH, Boschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, LG Bochum, Urteil vom 29.12.2017, Az. 6 O 96/17; OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016, Az. 28 W 14/16 OLG Celle, Beschluss vom 30.06.2016 - Az. 7 W 26/16 OLG München, Beschluss vom 03.07.2017, Az. 21 U 4818/16).
37
Die Täuschung der Beklagten gegenüber allen (potenziellen) Käufern derartiger Fahrzeuge durch konkludentes Handeln liegt darin, dass ein Neuwagenkäufer grundsätzlich davon ausgehen kann, dass das erworbene Fahrzeug vollständig mangelfrei ist, den gesetzlichen Vorschriften genügt und ohne Einschränkung und ohne weitere zusätzliche spätere Maßnahmen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen darf, wobei diese Vorstellungen in der Regel für den Kaufentschluss des jeweiligen Käufers wie auch des Klägers maßgeblich sind. Diese Vorstellungen eines Käufers, wie des Klägers, war hier aufgrund der von der Beklagten vorgenommenen Manipulation und der diesbezüglichen Täuschung falsch, da die von der Typergenehmigung ausgewiesenen und gesetzlich vorgegebenen Werte letztlich von dem Fahrzeug der Beklagten so unter dem Betriebsmodus des Straßenverkehrs selbst unter Laborbedingungen im sogenannter Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) nicht, sondern nur durch Einsatz der verbotenen Manipulationssoftware erreicht wurden und diese Fahrzeuge dann nach Erhalt der Genehmigung so in den Verkehr gebracht wurden, ohne die diesbezüglichen potentiellen Käufer über die vorgenommene Manipulation zu informieren.
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b. Diese Täuschung und die vorgenommene Manipulation der Beklagten war auch kausal für die Kaufentscheidung des Klägers.
39
Es ist anerkannt, dass es bei täuschendem Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend ist, dass die Tatsachen, über die getäuscht wurde, für den Entschluss des Getäuschten nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts grundsätzlich Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. etwa BGH NJW 1995, 2361).
40
Wie zuvor ausgeführt, hatte die Beklagte hier über eine Manipulation der Motors sowie über die ordnungsgemäße Prüfung und Zulassung des Fahrzeuges getäuscht. Dies stellt nach kaufrechtlichen Regeln einen Sachmangel dar, weil ein Durchschnittskäufer erwarten darf, dass die in der Testphase laufenden stickoxidverringarnden Prozesse auch im realen Fahrbetrieb aktiv bleiben und nicht durch den Einsatz einer Software deaktiviert oder diese nur im Testzyklus aktiviert worden, um so überhaupt unter Prüfbedingungen die maßgeblichen Grenzwerte einzuhalten. Ist danach der Ausstoß der Stickoxidwerts im realen Fahrbetrieb - unabhängig von individuellen Faktoren - unter anderem allein deshalb höher als im künstlichen Fahrbetrieb, weil die Software zwischert beiden verschiedenen Betriebsmodi - also künstlicher Fahrbetrieb und realer Fahrbetriebwechseln kann, so handelt es sich unter kaufrechtlichen Gesichtspunkten um eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Fahrzeugklassen.
41
Ob der jeweilige Käufer nun besonderen Wert auf ein umweltschonendes Fahrzeug legt oder ein besonderes Umweltbewusstsein hatte, wie vom Kläger auch im hiesigen Verfahren vorgetragen, ist nicht einmal entscheidend. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass jeder Käufer sowohl auf eine sachmängelfreie Eigenschaften des Motors als zentrales Element eines Fahrzeuges als auch auf eine unter regelgerechten Bedingungen zu Stande gekommene ordnungsgemäße Zulassung des Fahrzeuges als Voraussetzung für dessen uneingeschränkte Benutzung im Straßenverkehr Wert legt, so dass dies insgesamt nur den Schluss zulässt, dass ein Käufer wie der Kläger bei Kenntnis einer solchen wie hier vorgenommenen Manipulation das Fahrzeug nicht gekauft hätte. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug in dem ursprünglichen Zustand, wie ausgeführt, einen kaufrechtlichen Sachmangel aufweist. Diesbezüglich kann man - gerade beim Erwerb eines Neufahrzeuges oder Gebrauchtfahrzeugen in einem noch relativ neuen Zustand angesichts der damit verbundenen hohen Kaufpreise - davon ausgehen, dass kein verständig und halbwegs wirtschaftlich denkender Kunde als Käufer ein solches sachmängelbehaftetes Fahrzeug erwirbt, insbesondere dann nicht, wenn der Automarkt eine Vielzahl von Fahrzeugen in den jeweils vergleichbaren Preissegmenten oder den gewünschten Typklassen aufweist, die derartige Sachmängel nicht und unter regulären Bedingungen die Typengenehmigung erhalten haben. Die Lebenserfahrung spricht dafür, dass Kraftfahrzeugkäufer vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen würden, wäre ihnen bekannt, dass das betreffende Fahrzeug zwar formal über eine EG-Typgenehmigung verfügt, aber wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung diese nicht hätte erhalten dürfen, weshalb Maßnahmen der die Typgenehmigung erteilenden Behörde und dem folgend der Zulassungsstelle bis hin zur Stilllegung drehen (so auch OLG Karlsruhe, Urteil v. 18.7.2019 - 17 U 160/18; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 05.03.2019, Az. 13 U 142/18; OLG Köln, Beschluss v. 16.07.2018, Az. 27 U 10/18).
42
Dabei wäre es auch unerheblich, wenn im Wege der Manipulation in erster Linie die Stickstoffemissionen manipuliert worden wären und der Kläger sich zu diesem Wert keine Gedanken gemacht hätte, wie es die Beklagte vorträgt. Wesentlich ist die Tatsache der Manipulation, die sich auf den Vorgang der Prüfung des Fahrzeuges und somit auch auf die Typgenehmigung als solche sowie auf die Zulassung auswirkte und dieser Umstand gerade dazu führte, dass das Fahrzeug in dem in den Verkehr gebrachten Zustand sachmängelbehaftet war.
43
Hinsichtlich der notwendigen haftungsbegründenden Kausalität zwischen der Täuschung durch die Beklagte als Hersteller und der Kaufentscheidung durch den Kläger als Käufer wird nicht verkannt, dass die Entscheidung über einen Fahrzeugkauf häufig auf einen ganzen Bündel an unterschiedlichen Motiven (z.B. die Motorleistung, der Kraftstoffverbrauch, die Ausstattung, der konkrete Preis, der Werkstattservice, das Markenimage etc.) beruhen kann, in das die hier streitgegenständlichen Abgaswerte, die bei der Abgasuntersuchung erzielten Messergebnisse und das Vorhandensein der grünen Plakette sich gegebenenfalls als weitere Beweggründe einreihen. Gleichwohl ändert auch das nichts daran, dass angesichts der vorgenommenen Manipulation mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen hinsichtlich der Fahrzeuge aus dem Konzern der Beklagten dann gerade kein echter Entscheidungskonflikt bestanden hätte, wenn dor Kläger als Käufer aufgeklärt worden wäre und die Hintergründe gekannt hätte, mithin wenn ihm auch bewusst geworden wäre, dass die hier relevanten Fahrzeuge der Beklagten mit dem streitgegenständlichen Dieselmotor des Typs EA 189 so in dem Zustand, wie sie ursprünglich bestanden, sachmängelbehaftet waren und eigentlich ohne die relevante Manipulationssoftware zur Beeinflussung der Abgaswerte im Prüfungsmodus die Typengenehmigung oder die grüne Plakette nicht erhalten hätten. Angesichts der Vielzahl an vergleichbaren oder ähnlichen Fahrzeugen auf dem Automarkt ist deshalb bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass auch bei einer Vielzahl an Motiven ein verständiger und wirtschaftlich denkender Käufer die Kaufentscheidung jedenfalls auf Fahrzeuge anderer Hersteller konzentriert hätte, die sachmängelfrei sind und die die entsprechende Typengenehmigung und die grüne Plakette unter regulären Bedingungen erhalten haben. Demnach hätte also ein Entscheidungskonflikt allenfalls hinsichtlich anderer vergleichbarer oder ähnlicher Fahrzeuge verschiedener anderer Hersteller bestanden, während ein Fahrzeug der Beklagten mit einem Dieselmotor dieses Typs EA 189 von vornherein im Rahmen der Kaufentscheidung als Alternative ausgeschlossen worden wäre.
44
c. Diese vorgenommene Täuschung der Beklagten sowie deren Gesamtverhalten beim Inverkehrbringen solcher Fahrzeuge waren sittenwidrig.
45
Sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt und dem Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (Palndt-Sprau, 77. Auflage, § 826, Rn. 4).
46
Beweggrund der Beklagten zur Vornahme der Manipulation am Motor und der entsprechenden Täuschung darüber war allein die Erzielung eines höheren Gewinns bzw. die Ersparnis von weiteren Entwicklungskosten. Die Beklagte nutzte bei ihrer Täuschung aus, dass der Endverbraucher darauf vertraut, dass ein Fahrzeug, das von einem Hersteller für den Verkauf freigegeben wurde, die Zulassungsprüfungen ordnungsgemäß durchlaufen hat und dementsprechend die gesetzlich vorgegebenen Werte ohne Manipulation bei den Prüfbedingungen erfüllt.
47
Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte in großem Umfang und mit erheblichem technischem Aufwand im Profitinteresse zentrale gesetzliche Vorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden konkludent getäuscht hat. Sie hat dabei nicht nur einfach gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der vorgenommenen Manipulation an diesem Motortyp für alle davon betroffenen Fahrzeuge zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden einerseits sowie nachfolgend nach dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge gegenüber den Verbrauchern andererseits geschaffen. Es lag also eine bewusste Täuschung der Aufsichtsbehörden einerseits und der Verbraucher andererseits vor, um die entsprechende Typengenehmigungen für die Fahrzeuge zu erhalten und diese dann so in Verkehr bringen zu können, um dadurch entsprechende Vertragsschlüsse der Händler mit Kunden herbeiführen zu können. Dabei ist die Beklagte bewusst verschleiernd und durch einen offensichtlich nur begrenzt einbezcgenen Personenkreis vorgegangen, um diese Manipulation geheim zu halten, zumal diese Manipulation auch nur äußerst schwer zu entdecken war und so im normalen Verkehr mangels erkennbarer Auswirkungen eigentlich nicht aufgefallen wäre.
48
Die Täuschung diente, andere Motive sind jedenfalls nicht ersichtlich, allein dem Zweck, zur Kostensenkung und möglicherweise auch zur Umgehung technischer Probleme bei der Entwicklung einer rechtlich und technisch einwandfreien, aber teurere Lösung der Abgasreinigung formal die Voraussetzungen für die Typgenehmigung zu erfüllen und mit Hilfe diese Manipulation umweltfreundliche Prüfvermerke veröffentlichen zu können, um dadurch entsprechende Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis einer bewussten Täuschung und Benachteiligung von Behörden einerseits und Kunden andererseits gibt dem Handeln der Beklagten ein Gepräge der Sittenwidrigkeit. Ein solches zumindest auch die Verbraucher konkludent täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen und verwerflich, da die Beklagte eben nicht nur die Aufsichts- und Prüfbehörden getäuscht, sondern durch ihr täuschendes Verhatten bei dem weiteren Inverkehrbringen der Fahrzeuge auch die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt hat.
49
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte verstoßen das Handeln und die Täuschung der Beklagten nach Meinung des erkennenden Einzelrichters gegen das Gerechtigkeitsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.
50
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Kläger nicht unmittelbar dem Schutzweck der verletzten EG-Verordnung unterfällt, weil diese Verordnung in erster Linie dem Umweltschutz dienen soll. Die Auswirkungen der Verletzung dieser Verordnung und der sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen treffen auch unmittelbar den Kläger als Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Hinzu kommt, dass der Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften der Verletzten EG-Verordnung dazu geführt haben, dass der jeweils betroffene Käufer und damit auch der Kläger ein Fahrzeug erworben hat, welches tatsächlich im Sinne der Gewährleistungsvorschriften ursprünglich mangelhaft war und von dem auszugehen ist, dass er dies bei Kenntnis der Manipulation nicht erworben hätte, so dass auch der klägerische Rechtskreis unmittelbar betroffen ist.
51
d. Dem Kläger ist ein Schaden entstanden.
52
Unabhängig von der Frage, ob durch eine nachträgliche Änderung und ein Software-Update der eigentliche Sachmangel im Sinne des Gewährleistungsrochts beseitigt würde und nach einer Nachbesserung ein objektiver Wertverlust der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge nicht mehr vorliegt, liegt der eingetretene Schaden im Verhältnis des Klägers zur Beklagten als Nicht-Vertragspartnerin bereits in dem Abschluss des Vertrages, der jedenfalls zu den damaligen Bedingungen vom Kläger nach Überzeugung des Gerichts so in der Form bei Kenntnis aller Umstände nicht abgeschlossen worden wäre. Ein Schaden aufgrund einer sittenwidrigen Schädigung ist grundsätzlich im Rahmen der Differenzhypothese zu ermitteln, das heißt durch ein Gegenüberstellen der jetzigen Vermögenslage des Geschädigten und derjenige, die ohne eine Schädigung bestehen würde. Es kann jedoch ein Schaden auch dann vorliegen, wenn eigentlich eine objektive Werthaltigkeit der vertraglichen Gegenleistung vorliegt. Die Differenzhypothese muss nämlich stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Der Schadensersatz dient aber dazu, den konkreten subjektiven Vermögensnachteil des Geschädigten auszugleichen.
53
Insoweit genügt jede Schadenszufügung im weitesten Sinne, also jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage in ihrer Gesamtheit und zwar in dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene eine Entscheidung zu Lasten seines Vermögens trifft. Dabei ist auch eine subjektbezogene Betrachtung heranzuziehen. Nach dem subjektbezogenen Schadensbegriff stellt auch dor Abschluss eines Rechtsgeschäftes, welches nicht den Zielen des Geschädigten entspricht, einen Schaden im Rahmen des § 826 BGB dar, ohne dass es im Ergebnis darauf ankäme, ob die erhaltene Leistung wirtschaftlich betrachtet hinter der Gegenleistung zurückbleibt oder nicht bzw. ob hier nachfolgend ein Ausgleich erfolgt.
54
Einen Schaden im Sinne des § 826 BGB erleidet, trotz objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung, auch, wer „durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist“ (BGH, Urteil vom 21.12.2004, VI ZR 306/03, juris Rn 16 = BGHZ 161, 361). Dabei ist auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses abzustellen.
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Hier ist bereits nicht von der objektiven Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung auszugehen, weil der Kläger mit dem Kaufvertrag ein Auto erwarb, welches nach den Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamts in dem Zustand des Erwerbs „nicht vorschriftsmäßig“ war - eine Konstellation, die mit einer Wertminderung einhergeht, ohne dass deren Höhe hier exakt beziffert werden müsste. Auch wenn die den Wert mindernden Tatsachen bei Abschluss des Kaufvertrages noch nicht bekannt waren, war die Anlage der Wertminderung bereits bei Kaufvertragsschluss vorhanden. Diese Konstellation führt dazu, dass der Vertrag als ein von der Klagepartei ungewollter Vertrag im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BGH anzusehen ist. Daher liegt der Schaden vorliegend nicht etwa nur in der Wertminderung, sondern in dem ungewollten Vertrag als Ganzes, so dass der Vertrag im Wege des Schadensersatzes rückgängig zu machen ist.
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Das von der Beklagten angebotene und von der Klagepartei aufgespielte Software-Update ändert nichts am Vorliegen des Schadens, selbst wen feststünde, dass durch das Update keinerlei negative Auswirkungen auf die Motorleistung zu befürchten seien. Die Klagepartei ist im Rahmen des § 826 BGB so zu stellen, wie sie ohne die Täuschung und damit ohne den Abschluss des ungewollten Vertrages stünde. Dies hätte zur Folge, dass das Fahrzeug nicht in Verkehr gebracht worden wäre und die Klagepartei es nicht erworben hätte, so dass bei ihr kein Software-Update installiert werden könnte. (vgl. LG München, Urteil v. 29.03.2019, Az. 13 O 5153/18)
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Damit ist dieser Schaden bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses endgültig eingetreten.
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2. Auch die subjektiven Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagten sind zu bejahen.
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Die Beklagte erfüllt auch den subjektiven Tatbestand dor bewussten und vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung. Ihr sind das Wissen und der Vorsatz der an der Manipulation am Motor und der Täuschung darüber beteiligten Organmitglieder und sonstigen Mitarbeiter zuzurechnen. Eine solche Zurechnung erfolgt bei einer juristischen Person wie der Beklagten nach den allgemeinen Regeln der § 31 BGB. Grundsätzlich muss, damit eine Zurechnung erfolgen kann, das jeweilige Wissens- bzw. Vorsatzelement bei einem maßgeblichen Organmitglied der Beklagten festgestellt werden. Kann eine solche Feststellung nicht erfolgen, geht dies grundsätzlich zu Lasten des hier beweisbelasteten Klägers.
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Vorliegend ist jedoch die Beklagte nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast weitgehend darlegungspflichtig, ohne dass die Beklagte ihrer diesbezüglich ihr obliegenden Darlegungslast zu der Frage, welche ihrer Organe tatsächlich Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuarungssoftware hatten und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst haben, ausreichend nachgekommen ist. Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht gerade dann, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die nicht darlegungsbelastete Partei alte wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr auch zumutbar ist, nähere diesbezügliche Angaben zu machen. Der Gegner der primär darlegungspflichtigen Partei darf sich in einer solchen Situation nicht auf pauschalen Sachvortrag oder einfaches Bestreitcn beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt, die entsprechenden Informationen hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.
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Hier war es dem Kläger gerade nicht möglich, näher dazu vorzutragen, wer auf der Vorstandsebene der Beklagten bzw. wer von den maßgeblichen Organen entsprechende Kenntnisse hatte oder Anweisungen vorgenommen hat, da dies Kenntnis von den internen Strukturen, den Vorgängen und Abläufen sowie konkreter im Einflussbereich der Beklagten liegender Geschehnisse voraussetzen würde. Andererseits muss und kann der Kläger davon ausgehen, dass z.B. der damalige Vorstandsvorsitzende oder sonstige maßgebliche Organe Kenntnis von der Manipulation am Motor hatten oder deren Entwicklung und Installation gebilligt oder sogar angewiesen haben. Demnach oblag es hier allein der Beklagten, zu den Kenntnissen ihrer Organmitglieder und Mitarbeiter substanziiert und konkret vorzutragen, was ihr auch zumutbar ist.
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Hinzukommt, dass der Kläger aus der Sicht eines Außenstehenden schon zahlreiche Punkte und Einzelheiten zur Beteiligung von namentlich beteiligter Personen dargelegt hat, mehr konnte der Kläger nicht vortragen, da er gerade keinen Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten hat und dieser auf Veröffentlichungen aufgrund vorgenommener Recherchen in den Medien sowie auf diesbezügliche Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen war. Auf dieser Grundlage hat er durch seine Angabe zu vermeintlich namentlich beteiligten Personen den ihm zumutbaren Vortrag erbracht und damit ausreichend substantiiert vorgetragen.
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Die Beklagte hingegen hatte jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse konkret darzulegen, um es dem Kläger zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und die erforderlichen Beweisantritte dann auf dieser Grundlage vornehmen zu können.
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Der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten ist jedoch auffällig unzureichend. Die Beklagte hat dazu nämlich lediglich eine Kenntnis von Vorstandsmitgliedern bestritten und dies als (offensichtliche) Maßnahmen von Mitarbeitern abgetan, deren Kenntnisse sie sich nicht zurechnen lassen müsse. Zudem hat sie vorgetragen, dass eine Aufarbeitung weiterhin noch erfolgen müsse, jedoch noch keine konkreten näheren Erkenntnisse dazu erlangt worden seien, ob auch Organmitglieder in die Manipulation einbezogen worden sein.
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Warum hier nach mehreren Jahren seit Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 trotz Einschaltung von internen Ermittlern immer noch keine diesbezüglichen Erkenntnisse vorliegen sollen, ist absolut unverständlich und lässt nur den Schluss zu, dass hier von Seiten der Beklagten bewusst nicht mehr vorgetragen werden soll. Dies geht zu ihren Lasten, denn das diesbezügliche Vorgehen ist unzureichend und genügt nicht den Anforderungen gemäß § 138 Abs. 1 ZPO, wonach die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben. Angesichts des mittlerweile vergangenen Zeitablaufs seit Entdeckung der Manipulation an dem Motor für eine Vielzahl von verschiedenen Fahrzeugen (September 2015) ist der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten unzureichend, auffallend pauschal und unvollständig und damit im Ergebnis schlicht unglaubhaft, mithin unerheblich. Zu einer substantiierten Darlegung hätte umso mehr Anlass bestanden, als es sich bei Einführung einer manipulierten, auf Verzerrung der Prüfstandswerte ausgerichteten Motorsteuerung um eine wesentlich strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Reichweite und ebenso großen Risiken in einem solchen weltweit tätigen Großkonzern handelt, bei denen nicht anzunehmen ist, dass sie von einem eher am unteren Ende der Betriebshierarchie angesiedelten Personenkreis in eigener Verantwortung getroffen worden ist, ohne dass die relevanten Organe der Beklagten davon Kenntnis hatten bzw. dies sogar konkret angewiesen haben, vielmehr spricht eigentlich unter Zugrundelegung normaler Lebensumstände und Erfahrungswerte eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Vorgänge mit Kenntnis und Billigung des Konzernvorstandes erfolgt sind. Dies und das unzureichende Vorbringen im Rahmen der sekundären Darlegungslast hat für die Beklagte zur Folge, dass das Bestreiten der Beklagten unerheblich ist und damit der Sachvortrag des Klägers zu den behaupteten internen Vorgängen zugrundezulegen ist.
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Demnach ist bei dieser Sachlage und der hier maßgeblichen prozessualen Lage damit mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon auszugehen, dass in die diesbezügliche Entscheidung auch Organe einbezogen waren, die Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder jedenfalls abgesegnet wurde, so dass von entsprechenden zurechenbaren Kenntnissen und dem daraus folgenden Vorsatz auszugehen ist (so u.a. auch: OLG Karlsruhe, Urteil v. 05.03.2019, Az. 13 U 142/18; OLG Karlsruhe, Urteil v. 18.07.2019, Az. 17 U 160/18; OLG Köln, Beschluss v. 16.07.2018, Az. 27 U 10/18; LG Hildesheim, Urteil v. 17.01.2017, Az. 3 O 13916 3 O 139/16 LG Bochum, Urteil v. 13.07.2017. Az. 8 O 366/16).
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Don diesbezüglichen Schaden hat die Beklagte auf dieser Grundlage vorsätzlich herbeigeführt. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass den Organen bei dieser Sachlage völlig klar war, dass kein betreffender Käufer einen Erwerb solcher Fahrzeuge mit dieser Manipulation am Motor vorgenommen hätte, mithin diese bei und mit dem Erwerb eines Fahrzeuges, welches die Typgenehmigung nur durch eine solche Manipulation erhalten haben und die damit sachmängelbehaftet waren, wirtschaftliche Schäden im dargelegten Sinne erleiden würden. Für Organe der Beklagten war nämlich aufgrund der zu unterstellenden Kenntnis vom Einbau der Software eindeutig ersichtlich, dass die Käufer damit die Kundenfahrzeuge erwerben würden, welche in dieser Form nicht den gesetzlichen Vorschriften und den Vorstellungen der Kunden entsprachen und die damit objektiv mangelhaft waren. Die sich daraus ergebende Schädigung aller Kunden hat die Beklagte damit durch ihre maßgeblichen Organe billigend in Kauf genommen, so dass auch entsprechender Schädigungsvorsatz vorlag.
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Der Kläger ist im Rahmen des Schadensersatzes so zu stellen, wie er ohne Täuschung und das sittenwidrige Vorgehen der Beklagten stehen würde. Insoweit ist das Gericht - wie ausgeführt - überzeugt, dass der Kläger ohne die Täuschung und bei Kenntnis der Umstände den Vertrag über den Erwerb des Fahrzeuges in der vorliegenden Ausgestaltung nicht abgeschlossen hätte. Da er diese Verpflichtung so nicht eingegangen wäre, er dieses Fahrzeug so nicht erworben hätte und damit den Kaufpreis nicht hätte zahlen müssen, ist ihm der für das Fahrzeug gezahlte tatsächliche Kaufpreis in Höhe von insgesamt 36.855,00 € als eingetretener Vermögensschaden zu erstatten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges.
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Andererseits muss sich der Kläger, was die Beklagte hilfsweise geltend gemacht hat, jedoch das anrechnen lassen, was er in Folge des ungewollten Vertrages an Vorteilen konkret erlangt hat (Palandt-Grüneberg, 77. Auflage, Vorb. § 249 Rn. 94). Nach der Mitteilung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug am 01.08.2019 eine Strecke von 72.573 km zurückgelegt. Dies ist unstreitig.
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Das Gericht schätzt die Gesamtlaufleistung eines Fahrzeuges bei diesem Typ auf 250.000 km. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Laufleistung ist nach den Grundsätzen der kilometeranteiligen linearen Wertminderung der Nutzungsersatz wie folgt zu berechnen:
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Bruttokaufpreis × gefahrene km ÷ Gesamtlaufleistung. (so auch: OLG Koblenz, Urteil vom 17.04.2019, Az. 5 U 1318/18; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az. 13 U 142/18; OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018, Az. 27 U 10/18, LG Aschaffenburg, Urteil vom 12.09.2018, 12 O 83/18, LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, Az. 3 O 139/16).
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Ausgehend davon ist die angemessene Nutzungsentschädigung mit einem Betrag in Höhe von 10.698,71 € in Ansatz zu bringen, die von dem zu erstattenden Kaufpreis in Abzug zu bringen ist. Damit verbleibt ein zurückzuzahlender Kaufpreis von 26.156,29 €.
II.
73
Zinsen nach Maßgabe der §§ 246, 849 BGB in Höhe von 4 Prozentpunkten bis zur Rechtshängigkeit stehen dem Kläger nicht zu. Vorliegend geht es nicht um die Entziehung oder die Beschädigung einer Sache und dessen Wert bzw. die schädigungsbedingte Wertminderung i.S.d. § 849 BGB.
III.
74
Der Kläger kann Feststellung des Annahmeverzuges verlangen, da sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges zumindest ab 27.09.2018 in Annahmeverzug befindet.
75
Der diesbezügliche Antrag ist zulässig, denn es besteht ein Feststellungsinteresse für den Kläger daran, dass der Annahmeverzug zur Vereinfachung der Zwangsvollstreckung festgestellt wird.
76
Der Anspruch ist auch begründet, da die Beklagte vom Kläger mit Schreiben vom 13.09.2018 (siehe Arlageband) unter Fristsetzung bis zum 26.09.2018 zur Rücknahme des Fahrzeuges aufgefordert wurde. Dies hatte die Beklagte abgelehnt, so dass ein weiteres tatsächliches Angebot im Sinne des § 294 BGB überflüssig war.
IV.
77
Zudem kann der Kläger auch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen, allerdings nur in Höhe des ausgeurteilten Betrages von 1.358,86 €.
78
Vorgerichtliche Anwaltskosten gehören zum erstattungsfähigen Aufwand, da die Beauftragung eines Rechtsanwaltes notwendig und zweckmäßig war. Für die Berechnung kann allerdings lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr ausgehend vom Wert der erfolgreichen Klage zu Grunde gelegt werden. Dies ergibt dann den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag von 1.358,86 €, wenn man diesbezüglich bei der Berechnung ausgehend von dem Wert des Erfolges der Klage eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zugrunde legt.
V.
79
Der Zinsanspruch hinsichtlich der Ziff. I des Tenors und hinsichtlich Ziff. III ist §§ 280, 286, 288 BGB zu entnehmen.
VI.
80
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
81
Die Entscheidung zum Streitwert folgt aus §§ 39, 48 GKG, 3 ZPO.