Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 15.01.2019 – 1 OLG 8 Ss 169/18
Titel:

Verschlechterungsverbot im Strafprozess

Normenkette:
StPO § 257c, § 333, § 335, § 337, § 341 Abs. 1, § 344, § 345 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO liegt vor, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten mit einer Zeugenvernehmung fortgesetzt wird. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein erstinstanzliches Urteil, welches sich im Rahmen eines gemäß § 257c StPO zugesicherten Verständigungsrahmens bewegt, ausschließlich durch den Angeklagten angefochten, so darf im Rahmen einer Berufungshauptverhandlung ein widerrufenes Geständnis des Angeklagten gemäß § 254 StPO verlesen werden. Der Angeklagte ist insoweit durch das Verschlechterungsverbot ausreichend geschützt.   (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Angeklagter, Verwertungsverbot, Diebstahl, Geldstrafe, Beweisaufnahme, Geständnis, Verständigung, Berufung
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Urteil vom 28.02.2018 – 44 Ds 419 Js 65519/16 (2)
Fundstelle:
BeckRS 2019, 2529

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 28.02.2018 mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Nürnberg zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 02.02.2017 wurde der Angeklagte wegen Hehlerei zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 14.06.2017 auf die Revision des Angeklagten mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Nürnberg zurückverwiesen.
2
Mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 28.02.2018 wurde der Angeklagte sodann wegen versuchter Hehlerei zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt.
3
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers ... vom 07.03.2018, eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg am selben Tage, das Rechtsmittel der Berufung eingelegt. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg wurde am 18.04.2018 an den Verteidiger zugestellt, woraufhin der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.05.2018, eingegangen bei Gericht am selben Tage, von der Berufung auf eine Revision überging und diese im selben Schriftsatz auch begründete. Die Sachrüge begründete ergänzend der weitere Verteidiger ... mit Schriftsatz vom 21.06.2018. Zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 31.08.2018 äußerten sich die Verteidiger mit Schriftsätzen vom 20.09.2018 (Rechtsanwalt ...) und vom 24.10.2018 (Rechtsanwalt ...). Auf die jeweiligen Ausführungen wird Bezug genommen.
II.
4
Die nach §§ 333, 335, 337, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Revision hat mit der erhobenen Verfahrensrüge zu § 231 Abs. 2 StPO Erfolg. Es liegt ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO vor, da der Angeklagte im Termin vom 02.02.2018 vorschriftswidrig abwesend war.
5
Die Generalstaatsanwaltschaft ging in ihrem Vorlageschreiben vom 31.08.2018 vom Vorliegen eines Verfahrensfehlers aus, da angesichts des vom Angeklagten vorgelegten Attests des Dr. ... vom 01.02.2018 nicht von einem unerlaubtem Fernbleiben des Angeklagten im Termin vom 02.02.2018 ausgegangen werden könne. Dem schließt sich der Senat an.
6
Darüber hinausgehend erachtet der Senat den Revisionsvortrag, in Abwesenheit des Angeklagten sei die Verhandlung mit einer Zeugenvernehmung fortgesetzt worden, ausreichend für die Feststellung, dass der Angeklagte in einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung abwesend war, nachdem die Beweisaufnahme einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 338 Rn. 37). Darauf, worüber der Zeuge vernommen wurde, und ob seine Aussage in die Urteilsgründe eingegangen ist, kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 21.08.2018, 2 StR 172/18, Rn. 6, zitiert nach juris). Das Gericht hätte am 02.02.2018 die Beweisaufnahme nicht ohne den Angeklagten durchführen dürfen.
7
Deswegen ist das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 28.02.2018 auf die Revision des Angeklagten mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
8
Das widerrufene Geständnis des Angeklagten vom 02.02.2017 kann im Rahmen einer Beweisaufnahme verwertet werden. Wird ein Urteil, das sich im Rahmen des zugesicherten Verständigungsrahmens bewegt, einzig vom Angeklagten angefochten, ist dieser zureichend durch das Verschlechterungsverbot geschützt. Ein Verwertungsverbot bezüglich seines Geständnisses besteht dann nicht (vgl. Moldenhauer/Wenske in: Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., § 257 c Rn. 38). Dieses kann auch nach § 254 StPO verlesen werden.
9
Zur Strafbarkeit wegen Hehlerei kommt es auf den Zeitpunkt des sportlichen Ereignisses an, auf das gewettet wurde:
10
Lag dieses Ereignis sowohl nach dem Einbruchsdiebstahl als auch nach jenem Zeitpunkt, in dem sich der Angeklagte den Wettschein verschafft hatte, so liegt eine vollendete Hehlerei vor. Denn bis zu jenem Ereignis verbriefte der Wettschein einen aufschiebend bedingten Anspruch (§ 808 BGB) und hatte dadurch einen gewissen Wert. Folglich war der Einbruch dann eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat - das Einbruchsopfer erlitt einen Vermögensschaden - und der Angeklagte hat sich die durch jene Tat erlangte Sache verschafft, vorausgesetzt, der Angeklagte hatte bereits eine vom Vortäter unabhängige Verfügungsgewalt.
11
In allen anderen Fällen hat sich der Angeklagte eines Versuches der Hehlerei schuldig gemacht. Dies jeweils schon durch das Sichverschaffen des Wettscheins und nicht erst durch das versuchte Einlösen. Letzteres lässt sich zwar als weitere Versuchshandlung betrachten, sowohl als versuchtes Absetzen (vgl. zu einem Scheck OLG Zweibrücken OLGSt § 257 Nr. 1, S. 2) als auch als versuchtes Drittverschaffen. Diese Versuchshandlung verschmilzt aber mit dem vorausgegangenen Sichverschaffen zu einer Tat im Rechtssinne (vgl. Walter in LK, 12. Aufl., § 259 Rn. 106 m.w.N.).
12
Es handelt sich jeweils um einen untauglichen Versuch. Am deutlichsten, wenn schon zum Zeitpunkt des Einbruchs das Sportereignis stattgefunden hatte, denn dann war der Wettschein bereits zu jener Zeit wertlos und sein Diebstahl mithin keine gegen fremdes Vermögen gerichtete Vortat (vgl. Walter, a.a.O., Rn. 17).
13
Ferner ist der Wettschein selbst in den Blick zu nehmen. Nachdem dieser im Original dem Verfahren nicht zur Verfügung steht, ist von Interesse, welche (aufgedruckten) Informationen der Wettschein selbst enthielt und welche Fakten erst durch dessen elektronische Prüfung im Wettbüro offenbar wurden. Welche maximale Gewinnchance hat im Übrigen ein entsprechender Wettschein?