Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 30.01.2019 – 3 K 1419/17
Titel:

Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen

Normenketten:
EStG § 4 Abs. 1 S. 1
GewStG § 35b Abs. 2 S. 2 und 3
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1 S. 2
Schlagwort:
Besteuerungsgrundlagen
Fundstellen:
StEd 2019, 665
EFG 2019, 1729
LSK 2019, 22811
BeckRS 2019, 22811

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist nur noch die Rechtmäßigkeit der Höhe von Zuschätzungen („Unsicherheitszuschlägen“) aufgrund einer Betriebsprüfung.
2
Der Kläger erzielte in den Streitjahren aus dem Betrieb mehrerer Erotikmärkte in verschiedenen Städten, darunter auch X, Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die einzelnen Märkte wurden getrennt voneinander geführt und stellten jeweils einen eigenen Gewerbebetrieb dar. Sie waren jeweils untergliedert in einen Verkaufsbereich u.a. für Erotikartikel sowie einen Bereich mit Videokabinen und Erotikkino. Die Einnahmen aus dem Verkaufsbereich wurden vom Fremdpersonal in eine Registrierkasse eingegeben, die Tageseinnahmen mittels Tagesendsummenbons festgehalten. Die Kassenautomaten der Bereiche Kino und Videokabinen wurden dagegen vom Kläger selbst in unregelmäßigen Abständen (maximal einmal die Woche) geleert.
3
Den Gewinn ermittelte der Kläger jeweils nach § 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) durch Betriebsvermögensvergleich.
4
Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für den Erotikmarkt in X stellte das Finanzamt X unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2b Abgabenordnung (AO) zunächst erklärungsgemäß gesondert fest:

2008

2009

2010

Bescheid vom

12.10.2009

11.08.2010

28.10.2011

Einkünfte aus Gewerbebetrieb

2.673,37 €

./. 24.415,17 €

./. 22.078,05 €

5
In der Zeit vom 03.12.2012 bis zum 23.04.2014 fand beim Kläger für den Betrieb in X durch das Finanzamt Y eine Betriebsprüfung betreffend die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb 2008 bis 2010, die Gewerbesteuer 2008 bis 2010 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2008, 2009, 2010 und 2011 statt, die mit Bericht vom 29.07.2014 abgeschlossen wurde.
6
Die einzelnen Prüfungsfeststellungen ergeben sich aus der Anlage 4 zum Betriebsprüfungsbericht, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Danach verfügte der geprüfte Betrieb neben der Kasse für den Verkaufsbereich über Geldeinwurfautomaten im Kabinen- und Kinobereich. Der Prüfer bemängelte unter Hinweis auf das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2013 (4 K 26/11), dass die Grundaufzeichnungen nicht getrennt für jede Kabine und auch nicht getrennt nach Kabinen- und Kinoerlösen geführt worden seien. Auch lägen für die Einnahmen aus dem Kabinen- und Kinobereich keine Kassenberichte vor. Eigenbelege für Entnahmen seien nicht gefertigt worden. Die Kassensturzfähigkeit sei damit zu keiner Zeit gegeben gewesen. Die Einnahmen aus den Kabinen seien weder täglich noch zeitnah ermittelt worden. Im Schnitt seien die Automaten alle 18 Tage geleert worden; der maximale Abstand zwischen zwei Leerungen habe sogar 32 Tage betragen. Der Prüfer hielt einen Zeitraum von einer Woche noch für „zeitnah“, der Steuerberater hielt diese Grenze für willkürlich.
7
Wiederholt seien zwei verschiedene Kassenblätter für denselben Monat vorgelegt worden (Anl. 4 Tz. 2.a)). Vor allem im Jahr 2010 fehle teilweise auch das Datum der Leerung in den Kassenbüchern. Die Verbuchung sei regelmäßig erst mit dem letzten Tag des Monats erfolgt.
8
Die Bareinnahmen seien nicht täglich aufgezeichnet worden. Zum Teil seien mehrere Leerungen im Tresor angesammelt, das Geld dann in einer Summe auf der Bank eingezahlt und damit erstmals als Erlös aufgezeichnet worden (Anl. 4 Tz. 2.c)). Der Prüfer habe insgesamt 8 Monate festgestellt, an denen die zeitliche Differenz zwischen Leerung und Einzahlung mindestens 5 Tage, maximal 24 Tage betragen habe. Diese Praxis verstoße gegen § 146 AO.
9
Auch aus der unregelmäßigen Höhe der erklärten Einnahmen ergäben sich Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der erklärten Erlöse (Anl. 4 Tz. 3). So seien am 23.03.2009 für 12 Tage Erlöse i.H.v. 5.650 € [ca. 470 €/Tag] erklärt worden, acht Tage später für die dazwischenliegenden Tage aber Erlöse i.H.v. 8.210 € [ca. 1.026 €/Tag]. Am 23.11.2009 seien für 24 Tage Erlöse i.H.v. 12.480 € [520 €/Tag] erklärt worden, am 28.11.2009 für die dazwischenliegenden 5 Tage aber Erlöse i.H.v. 12.480 € [2.496 €/Tag]. Am 13.09.2010 seien für 13 Tage Erlöse i.H.v. 4.820 € [ca. 370 €/Tag] erklärt worden, am 30.09.2010 für die dazwischenliegenden 17 Tage aber Erlöse i.H.v. 13.260 € [780 €/Tag]. Diese Schwankungen seien nicht nachvollziehbar, auch wenn der Berater versuche, sie durch „Teilleerungen“ zu erklären, weil nicht immer alle Kabinen gleichzeitig geleert worden seien und es dadurch bei der nächsten vollständigen Leerung zu einem überdurchschnittlichen Ergebnis komme.
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Schließlich müsse aufgrund der Normalverteilung eine Wahrscheinlichkeit von 50% dafür vorliegen, dass eine erste Nachkommastelle der erklärten Bruttoerlöse entweder eine Null oder eine 5 sei. In X seien aber auf 56 Erlöse nur zwei mit der Nachkommastelle 5 entfallen und damit statistisch viel zu wenig. Der Steuerberater habe hierzu vorgebracht, dass die Kabinen nur liefen, wenn mindestens ein voller Euro-Betrag eingeworfen werde. Die erste Nachkommastelle „5“ komme deshalb nur dann zustande, wenn ein Kunde 50 Cent mehr (also zu viel) eingeworfen habe. (Anl. 4 Tz. 5).
11
Aufgrund der festgestellten Mängel der Buch- und Kassenführung bei den Geldeinwurfautomaten des Kabinen- und Kinobereichs nahm der Prüfer in Anlehnung an das von ihm zitierte FG-Urteil für Privatentnahmen Netto-Zuschätzungen i.H.v. 19.000 € für 2008, 17.000 € für 2009 und 18.000 € für 2010 vor; das sind jeweils knapp 10% der vor der Betriebsprüfung angesetzten Netto-Einnahmen aus dem Kabinen- und Kinobetrieb.
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Das Finanzamt folgte den Feststellungen und der Rechtsauffassung des Prüfers und erließ jeweils am 28.08.2014 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, in denen es die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wie folgt feststellte und den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob, § 164 Abs. 3 AO:

2008

2009

2010

Einkünfte aus Gewerbebetrieb

21.673,37 €

./. 7.415,17 €

./. 4.078,05 €

GewSt-Messbetrag (nachrichtl.)

0 €

0 €

0 €

13
Ebenfalls mit Bescheid vom 28.08.2014 hob es den Bescheid vom 04.03.2014 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 nach § 35b Abs. 2 Sätze 2 und 3 Gewerbesteuergesetz (GewStG) auf.
14
Mit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO geändertem Bescheid vom 28.08.2014 setzte es den Gewerbesteuermessbetrag 2012 auf 63 € fest (Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 26.391 €).
15
Zur Begründung der fristgerecht eingelegten Einsprüche gegen diese Bescheide verwies der Klägervertreter auf sein beigefügtes Schreiben vom 22.04.2014 an den Betriebsprüfer, in dem er eine Mängelliste des Prüfers beantwortet habe, was aber im Prüfungsbericht nicht gewürdigt worden sei.
16
Das Finanzamt wies die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 07.09.2016 als unbegründet zurück. Die Buch- und Kassenführung der Kabinen- und Kinokassen sei nicht ordnungsgemäß, da sie den Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 AO nicht entspreche. Im Übrigen werde auf das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2013 im Verfahren 4 K 26/11 verwiesen, welches einen anderen Erotikmarkt betreffe, den der Kläger geführt habe.
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Mit Fax vom 10.10.2016 hat der Klägervertreter Klage erhoben und zur Begründung u.a. die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren X B 192/15 (Kläger gegen Finanzamt Jena wegen einheitlicher und gesonderter Feststellung 2004 und Gewerbesteuermessbescheid 2004) vorgelegt. Dieses Verfahren wurde als Revisionsverfahren unter dem Az. X R 11/16 fortgeführt. Auch im dortigen Verfahren hatte der Prüfer 10% der erklärten Umsätze aus dem Kabinen- und Kinobereich zugeschätzt, weil keine getrennte Aufzeichnung für die einzelnen Kassen erfolgt und die Bareinnahmen aus diesem Bereich nicht zeitnah ermittelt und keine Kassenberichte geführt worden seien.
18
Mit Beschluss vom 24.10.2016 hat das Gericht in Abstimmung mit den Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH im o.g. Verfahren X R 11/16 angeordnet. Nach Abschluss des BFH-Verfahrens durch Zurückverweisung an das FG Thüringen mit Urteil vom 20.03.2017 ist das hiesige Klageverfahren unter dem neuen Az. 3 K 1419/17 wiederaufgenommen worden.
19
Der Klägervertreter meint, der Zuschätzung des Finanzamts fehle die vom BFH im vorgenannten Urteil geforderte Begründungstiefe für die Nachprüfbarkeit der Angemessenheit der Höhe der Zuschätzung. Der Hinweis auf das Urteil des FG Nürnberg vom 28.03.2013 (4 K 26/11) genüge jedenfalls nicht. Auch das FG Thüringen und das beklagte Finanzamt Jena hätten sich auf dieses Urteil berufen. Der BFH halte auch die Rechtfertigung der Zuschätzung aus der Schwere der Mängel der Buchhaltung und dem Anteil der davon betroffenen Umsätze am Gesamtumsatz und die Darlegung, warum ein äußerer Betriebsvergleich und auch eine Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung nicht durchgeführt werden könnten, nicht für ausreichend. Er fordere konkrete und nachprüfbare Aussagen zur Schätzungshöhe und die Nachprüfung derselben auf ihre Plausibilität.
20
Der Kläger habe in den Streitjahren keinen aufwendigen Lebensstil geführt. Allein längere Auslandsaufenthalte und vermutete weitere Bankkonten im Ausland seien nicht geeignet, einen aufwendigen Lebensstil zu belegen. Zudem rechtfertige die Unmöglichkeit einer Geldflussrechnung nach den Ausführungen des BFH nicht eine pauschale Zuschätzung.
21
Aus den erklärten Umsätzen und dem erklärten Wareneinsatz hätte das Finanzamt nach Meinung des Klägervertreters durchaus eine Nachkalkulation erstellen können. Aus den von der Betriebsprüfung festgestellten Umsatzschwankungen könne nicht geschlossen werden, dass der Kläger einen bestimmten Prozentsatz an Umsätzen nicht erklärt habe. Diese Umsatzschwankungen seien erklärbar: Der Kläger habe die bei jeder Kabine angebrachten Geldbehältnisse nur dann leeren können, wenn sich kein Kunde darin befunden habe. Eine regelmäßige turnusgemäße Leerung eines jeden Automaten, die eine größere Umsatzkontinuität zur Folge hätte, sei deshalb nicht möglich, ohne das Geschäft zu beeinträchtigen. Zudem sei das Geschäft des Klägers stark von äußeren Einflüssen abhängig. Es laufe als „Freizeitbeschäftigung“ nur dann, wenn dem Kunden diese Freizeit auch zur Verfügung stehe. Staus auf der Autobahn und sonstige wetterbedingte Beeinträchtigungen des Verkehrsflusses und der daraus folgende Zeitdruck der Fernfahrer und sonstigen Reisenden beeinträchtigten den Umsatz sehr stark. Sie beträfen dann meist eine Vielzahl von Kunden. Auch kostengünstigere Freizeitbeschäftigungen, wie interessante Filme oder Fußballspiele im mitgeführten Fernsehen der Fernfahrer führten zu Umsatzeinbußen. Es sei daher nicht möglich, von einem „Grundumsatz“ auszugehen, der bei jeder Leerung der Geldbehältnisse vorhanden sein müsse. Eine auf einer solchen Basis vorgenommene Zuschätzung verstoße gegen allgemeine Erfahrungssätze und stelle eine fehlerhafte Ermessensausübung dar.
22
Der Klägervertreter beantragt, die Bescheide vom 28.08.2014 wegen gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2b AO für 2008, 2009 und 2010, über den Gewerbesteuermessbetrag für 2012 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 - jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.09.2016 - aufzuheben.
23
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
24
Anders als in dem vom BFH entschiedenen Fall sei der Ansatz eines Sicherheitszuschlags i.H.v. 10% auf die erklärten Einnahmen im Streitfall begründet. Ihm lägen folgende Überlegungen des Prüfers zugrunde:
25
Da der Kläger diese Art der „Buchführung“ seit Jahren betreibe, sei eine Nachkalkulation mangels eines zu den Erlösen korrespondierenden Wareneinsatzes nicht möglich. Die Erlöse könnten nicht anhand einer Ausbeute- oder Aufschlagskalkulation ermittelt werden. Auch eine durchgeführte Geldverkehrsrechnung habe nicht zu einer tauglichen Schätzungsgrundlage geführt. Das liege neben dem aufwendigen Lebensstil des Klägers auch daran, dass er in Spanien einen weiteren Wohnsitz habe und sich dort regelmäßig länger aufhalte. Für die Betriebsprüfung sei weder ersichtlich noch nachprüfbar gewesen, welchen Lebensstil er dort pflege. Zudem sei nicht auszuschließen, dass - vor allem im Ausland - noch weitere private Bankkonten existierten.
26
Aufgrund der Mängel der Kassenführung bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Einnahmen vollständig erklärt worden seien. Das gelte sowohl für die Anzahl der Leerungen als auch die Vollständigkeit aller Kassen und die Richtigkeit der Erlöse hieraus. Diese Zweifel könne der Kläger mangels ordnungsgemäßer Kassenführung nicht ausräumen.
27
Dem Ansatz des Sicherheitszuschlags i.H.v. 10% lägen folgende Überlegungen zugrunde:
28
Die Erlöse aus dem Kabinen- und Kinobereich seien vom Prüfer aufgelistet worden (Anl. B1). An diese Liste seien zwei Spalten angefügt worden, aus denen sich die Zahl der Tage seit der letzten Leerung und der Umsatz pro Tag für diesen Zeitraum ergäben. Dabei habe sich gezeigt, dass sich wiederholt große Spannbreiten bei den Tagesumsätzen ergeben hätten. So habe es in jedem Jahr Zeiträume gegeben, in denen der Umsatz pro Tag 1.000 € überschritten habe. Es sei nicht plausibel, dass solche erheblichen Schwankungen zufällig zustande gekommen sein sollen, vgl. bereits Anl. 4 Tz. 3 Betriebsprüfungsbericht. Als Grundüberlegung für den Sicherheitszuschlag habe man daher die Zeiträume, die unter einer gewissen Betragsschwelle lägen, auf diese angehoben. Der Berechnung habe man einmal eine „Betragsschwelle“ i.H.v. 600 € und einmal i.H.v. 700 € pro Tag zugrunde gelegt und die die darunter liegenden Umsätze auf diesen Betrag angehoben. Eine Anhebung auf den Schwellenwert 600 € führe in der Summe zu Mehreinnahmen i.H.v. 52.830 €, eine Anhebung auf den Schwellenwert 750 € zu Mehreinnahmen i.H.v. insgesamt 163.112 €. Die Zuschätzung des Finanzamts führe in der Summe zu Mehreinnahmen i.H.v. 54.411 €, also etwa dem Betrag, der bei der Anhebung auf den Schwellenwert 600 € entstünde. Der Sicherheitszuschlag sei damit plausibel.
29
Aus den Akten, insbesondere der Prüferhandakte, ergibt sich noch Folgendes:
30
Im Prüfungszeitraum hatte der Kläger mindestens drei Pkw geleast: Mercedes ML 500 ( Bruttolistenpreis 84.100 €), Mercedes GL 420 CDI (Bruttolistenpreis 103.500 €) und Mercedes SL 500 (Bruttolistenpreis 136.800 €). Neben diesen drei Fahrzeugen im Firmenvermögen war noch ein Mercedes SLK 350 im Privatvermögen vorhanden, der im Jahr 2008 nach vorhergehendem Leasing erworben worden war.
31
In eine Kapitallebensversicherung wurden jährlich etwa 30.000 € eingezahlt.
32
Die Tochter des Klägers besuchte in den Streitjahren ein Internat in der Schweiz. Nach einer Bescheinigung der Schule vom 25.01.2007 betrug das Schul- und Verpflegungsgeld jährlich 48.000 CHF.
33
Am 14.03.2013 wurde der Erotikmarkt X vom Prüfer besichtigt (Aktenvermerk vom selben Tag), den ein Mitarbeiter des Erotikmarktes begleitete. Damals war der Markt von Montag bis Samstag jeweils von 9:00 Uhr bis 24:00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen jeweils von 12:00 bis 24:00 Uhr geöffnet. Der Keller wurde als Lager genutzt, das EG für den Shop und Kabinen, das OG für Kino. Nach einer handgefertigten Skizze des Prüfers gab es acht Kabinen, von denen damals drei wegen stark rückläufigen Besuchs nicht aktiv waren. Für die Besucher der Kabinen und des Kinos gab es jeweils einen separaten Eingang, so dass man nicht durch den Laden musste. Das Personal hatte deshalb keinen Überblick darüber, wie viele Personen den Kabinen- und Kinobereich besuchten. Die einzelnen Kabinen sind abschließbar. Sobald die Tür geschlossen ist, wird dies auf einem Bildschirm bei der Shopkasse (den nur der Kassierer einsehen kann) angezeigt. Bezahlt werden kann mit Münzen und Scheinen. Das Programm läuft, solange ein Guthaben vorhanden ist. 1 € reicht für 6 Minuten. - Über wie viele Plätze das Kino verfügte, ist nicht festgehalten. Während der Betriebsbesichtigung wurde dort umgebaut. Die Filme im Kino liefen sonst nach Auskunft eines Mitarbeiters des Erotikmarktes rund um die Uhr, spezielle Wünsche konnten an der Shopkasse angemeldet werden. Der Eintritt ins Kino kostete 15 €; der Automat gab kein Wechselgeld heraus. Nach Bezahlung am Automaten konnte das Kino über ein Drehkreuz betreten werden. Der Eintritt galt für den ganzen Tag. An der Shop-Kasse wurden dafür Tageskarten verteilt, die eine kostenlose Rückkehr ermöglichten. Im Kino sind nach Auskunft des Mitarbeiters Freitag und Samstag die besseren Tage; die Kabinen sind alle Tage etwa gleich gut besucht. Das Kino wurde hauptsächlich von Stammkunden besucht, die Kabinen von Laufkundschaft.
34
Am 25.04.2012 fand eine Betriebsbesichtigung in C statt, an der neben dem Prüfer auch dessen Sachgebietsleiter, der Kläger und der damalige Steuerberater teilnahmen (Aktenvermerk vom selben Tag). Dabei äußerte der Kläger, er müsse die Automaten selbst leeren, weil er seinen Angestellten nicht traue. Zum Leeren der Automaten verwende er Postkisten. Je eine für die Kabinen und das Kino. Beim Leeren hänge er Tüten über die Überwachungskameras, damit die Angestellten nicht sähen, wieviel Geld sich in den Postkisten befinde. Gezahlt werden könne mit 50-Cent-Stücken, 1 € und 2 € Münzen, 5 €, 10 €, 20 € und 50 € Scheinen. Das Volumen einer Kabinenkasse reiche für mindestens zwei Monate Dauerbetrieb aus, so dass er keine Notwendigkeit sehe, diese öfter zu leeren. Die Angestellten könnten zwar auf die Einwurf-Öffnung der Kinokasse zugreifen, etwa, wenn sich ein Schein verkantet habe, nicht aber auf die Entnahme-Öffnung.

Entscheidungsgründe

35
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das Finanzamt ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig.
36
1. Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO eröffnet dem Finanzgericht hierzu eine eigene Schätzungsbefugnis. Diese Schätzungsbefugnis von Finanzamt und Finanzgericht war im Streitfall nach inzwischen übereinstimmender Auffassung der Beteiligten gegeben. Auf die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20.03.2017 X R 11/16, BStBl II 2017, 992, zum Parallelfall des Finanzgerichts Thüringen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Der BFH rügt insbesondere, dass der Inhalt der Geldspeicher im Zeitpunkt der (erstmaligen) Entleerung nicht aufgezeichnet, sondern der Bestand dieser Kassen lediglich durch Rückrechnung, nämlich durch Addition der Bankgutschriften und verausgabten Beträge, ermittelt wurde. Die zeitlich spätere Zählung der Geldbeträge durch die Bank bei Einzahlung auf dem Bankkonto sei dafür kein Ersatz, da sie - wie in den Fällen einer verzögerten Verbuchung - keinen wirksamen Schutz gegen die bei solchen, den offenen Ladenkassen ähnelnden Geldbehältern bestehende Manipulationsanfälligkeit darstelle. Die nur durch Rückrechnung ermittelten Kassenbestände beinhalteten keinerlei Vermutung der Richtigkeit. Damit fehle die Kassensturzfähigkeit. Folglich könnten die Buchführungsergebnisse, soweit sie die Erlöse aus dem Bereich Video/Kino betreffen, nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden.
37
2. Bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sind gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 AO alle Umstände zu berücksichtigen, die dafür von Bedeutung sind. Die Schätzung darf nicht gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen, auf sachfremden Erwägungen beruhen oder willkürlich sein (BFH a.a.O.). Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH-Urteil vom 18.10.1983 VIII R 190/82, BStBl II 1984, 88). Deshalb sind alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde (bzw. dem Gericht) Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen. Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren (BFH-Urteil vom 15.04.2015 VIII R 49/12, StuB 2015, 604 m.w.N.).
38
Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung beruht. Die Vernachlässigung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei der Sachaufklärung darf - wie die Rechtsprechung wiederholt betont hat - nicht dazu führen, dass der Nachlässige einen Vorteil gegenüber demjenigen erzielt, der seine steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Es gilt das Verbot der Prämierung von Mitwirkungspflichtverletzungen. Die Schätzungsungewissheit darf nicht dazu führen, nur den Betrag anzunehmen, der auch im ungünstigsten Fall als sicher vereinnahmt angesehen werden kann. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung muss ein Steuerpflichtiger, der Anlass zur Schätzung gibt, es vielmehr hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und das Finanzamt bzw. das Finanzgericht im Rahmen seines Schätzungsspielraums je nach Einzelfall bei steuererhöhenden Besteuerungsgrundlagen an der oberen, bei steuermindernden Besteuerungsgrundlagen an der unteren Grenze bleibt (Seer, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, 150. Lfg., § 162 AO Rz. 44, 45 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).
39
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist das Ergebnis der Schätzung des Finanzamts nicht zu beanstanden. Nach Auffassung des Senats liegt es sogar noch im unteren Bereich des möglichen Schätzungsrahmens. Eine Verböserung durch das Finanzgericht ist allerdings gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht möglich.
40
a) Im Streitfall hat das Finanzamt das Ergebnis der Buchführung des Klägers für den Shop unverändert der Besteuerung zugrunde gelegt. Auch die für den Bereich Kino und Kabinen erklärten Betriebsausgaben hat es übernommen. Lediglich auf die erklärten Einnahmen aus diesem Bereich hat es wegen der auch vom BFH in einem vergleichbaren Parallelbetrieb des Klägers ausdrücklich festgestellten schweren Mängel der Kassenführung einen Unsicherheitszuschlag i.H.v. 10% erhoben. Die Höhe der tatsächlichen Einnahmen aus diesem Bereich war und ist nicht zu ermitteln. Dafür hat der Kläger selbst gesorgt, indem er allein die Kassenbehälter in unregelmäßigen Abständen leerte, dabei die Überwachungskameras verhängte, damit seine Angestellten nicht sehen konnten, wieviel Geld er den Behältnissen entnahm, das entnommene Geld nicht sofort zählte und „verbuchte“, sondern teilweise im Tresor zwischenlagerte und nach Gusto auf der Bank einzahlte, wo der eingezahlte Betrag erstmals als Einnahme erfasst wurde. Diese Einnahmen rechnete der Kläger dann mit wohl von ihm in der Zwischenzeit in bar getätigten „Ausgaben“ zu den erfassten und erklärten Einnahmen hoch. Teilweise fand der Prüfer zwei verschiedene Kassenblätter für denselben Monat.
41
b) Eine Verprobung bzw. Hochrechnung der erklärten Einnahmen anhand der Betriebsausgaben, wie etwa im Gaststättenbereich oder im Handel, ist im Streitfall nicht möglich, da die Fixkosten für den Unterhalt der Räume, das Personal und die Gebühren für die gezeigten Filme unabhängig von der Zahl der Besucher sind. Das Kino muss z.B. unabhängig von der Anzahl der Besucher beleuchtet, bespielt, im Winter geheizt, im Sommer evtl. gekühlt werden. Die Filme laufen den ganzen Tag, so dass auch aus dem Verschleiß an Abspielgeräten - anders als bei verbrauchten Pizzakartons oder Kohlensäureflaschen - nicht auf Besucherzahlen (Pizza- oder Biermengen) hochgerechnet werden kann. Die genaue Zahl der Besucher wurde nicht erfasst. Der Besuch von Kino und Kabinen war unabhängig vom Besuch des Verkaufsraumes möglich, so dass das dortige Personal darüber keine Angaben machen konnte. Der Einkauf im Laden war auch nicht Voraussetzung für den Kino-/Kabinenbesuch. Eine Hochrechnung anhand der im Verkauf getätigten Umsätze ist deshalb nicht möglich. Die Bereiche Verkauf auf der einen Seite und Kino/Kabinen auf der anderen Seite sind voneinander unabhängig. Sie teilen lediglich dasselbe Gebäude. Dem Gericht erschließt sich daher nicht, was der ursprünglich erklärte Gesamtgewinn bzw. -verlust mit der Höhe des auf die Einnahmen aus dem Kino/Kabinenbereich erhobenen Sicherheitszuschlags zu tun haben soll (BFH im Urteil vom 20.03.2017 X R 11/16, BStBl II 2017, 992: „Auch erscheint es angesichts des ursprünglich erklärten Gesamtgewinns von zuletzt … € nicht ohne weitergehende und vertiefte Begründung verständlich, wieso das FG nicht einen geringeren Prozentsatz dieser Umsätze als ausreichend und angemessen bzw. zutreffend angesehen hat.“).
42
c) Es gibt zudem keine allgemeinen Erfahrungssätze etwa des Inhalts, dass jemand, der einen Penisring kauft, diesen anschließend 20 Minuten lang in einer Kabine ausprobiert, oder dass jemand, der im Shop ein bestimmtes Getränk und einen Snack kauft, sich auch für den Kauf einer Kinokarte entscheidet. Jedenfalls sind solche Erfahrungssätze dem Gericht nicht bekannt. In der amtlichen Richtsatzsammlung sind Erotikkinos und -kabinen nicht enthalten. Eine Richtsatzschätzung kam deshalb ebenfalls nicht in Betracht.
43
d) Eine umfassende Geldverkehrsrechnung war nicht möglich, weil die privaten Konten nicht vollständig vorgelegt wurden, bzw. nicht klar war, welche Privatkonten der Kläger (und seine Familie) damals unterhielten. Nach den Feststellungen des Prüfers hielt sich der Kläger insgesamt jeweils mehrere Monate im Jahr in seinem Haus in Spanien auf. Das spricht dafür, dass er dort zumindest über ein weiteres Konto verfügte. Die Tochter war im Internat in der Schweiz, die Ehefrau war wohl teilweise auch in der Schweiz und hatte dort ein Konto.
44
e) Dem Finanzamt und auch dem Finanzgericht blieb und bleibt deshalb nicht anders übrig, als wegen der schweren vom Kläger allein zu vertretenden Mängel der Kassenführung und des im Übrigen nicht näher aufklärbaren Sachverhalts einen Sicherheitszuschlag auf die erklärten Einnahmen aus dem Kino- und Kabinenbereich zu erheben. Dieser erscheint i.H.v. 10% der erklärten Einnahmen aus diesem Bereich auch sachgerecht, wirtschaftlich vernünftig, plausibel und den Umständen angemessen, nach Auffassung des Senats sogar eher zu niedrig. Das Finanzamt hat im Streitjahr 2008 Einnahmen i.H.v. netto 19.000 € (brutto 22.610 €) zugeschätzt, 2009 Einnahmen i.H.v. 17.000 € (brutto 20.230 €) und 2010 Einnahmen i.H.v. 18.000 € (brutto 21.420 €). Bei 360 Öffnungstagen im Jahr (der Betrieb war das ganze Jahr geöffnet) sind das im Jahr 2008 rund 63 € am Tag, 2009 rund 56 € am Tag und 2010 rund 60 € am Tag. Das sind etwa vier Kinobesucher á 15 € oder 6 Stunden Kabinenbesuch (45 Minuten pro Kabine). Mehreinnahmen in dieser Höhe erscheinen dem Gericht durchaus tatsächlich möglich gewesen zu sein. Der Einwand des Klägers, es habe auch schwache Tage gegeben, verfängt nicht, da er gerade keine regelmäßigen Aufzeichnungen geführt hat. Nach den von ihm erstellten Unterlagen gab es auch äußerst umsatzstarke Tage. Der von der Betriebsprüfung errechnete Durchschnitt der erklärten Erlöse schwankte zwischen 370 € - ca. 25 Kinobesucher - pro Tag (13.09.2010, Zeitraum 13 Tage) und 2.496 € - ca. 166 Kinobesucher - pro Tag (28.11.2009, Zeitraum 5 Tage, Gesamterlöse 12.480 €). Am 23.11.2009, also unmittelbar vor diesen fünf Tagen mit den höchsten durchschnittlichen Tageseinnahmen, erklärte der Kläger für 24 Tage ebenfalls Gesamterlöse i.H.v. 12.480 €, also nur 520 € am Tag. Wie es zu dieser enormen Schwankungsbreite innerhalb eines Monats, in dem weder eine Fußball-Weltmeisterschaft noch sonst ein mediales Großereignis stattgefunden hat, außerhalb der staugeneigten Hauptreisezeiten und ohne Baustellensperrung, Volksfest o.ä. gekommen sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
45
4. Die angefochtenen Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrags 2012 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 sind Folge der aufgrund der Betriebsprüfung geänderten Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008, 2009 und 2010, bzw. der darauf beruhenden geänderten Bescheide über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2008, 2009 und 2010. Da letztere, wie oben dargelegt, rechtmäßig sind, sind es erstere auch.
46
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.