Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 20.08.2019 – RN 5 E 19.1457
Titel:

Vorübergehende Erteilung einer Berufserlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs

Normenketten:
GG Art. 12 Abs. 1
ÄApprO § 34
VwGO § 123
BÄO § 3 Abs. 2 S. 8, § 10 Abs. 3 S. 1
Schlagworte:
Vorübergehende Erteilung einer Berufserlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs, Besonderer Einzelfall, Ermessensreduzierung auf Null, Ausgleich von Defiziten, Anordnung, Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenversicherung, Aufenthaltserlaubnis, Berufserlaubnis, Erteilung, Approbation, Humanmedizin, Krankenhaus, Medizin, Versorgung, Ausübung, Verlängerung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 22522

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die der Antragstellerin erteilte Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs als Ärztin für den Fachbereich Chirurgie mit Einsatz in der Chirurgischen Abteilung am Krankenhaus … für den Zeitraum vom 26. August bis 31. Oktober 2019 zu verlängern.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 1/3 und der Antragsgegner 2/3.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorübergehende Verlängerung der Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs.
2
Die am …1977 in …Serbien geborene Antragstellerin absolvierte in der Zeit von 1996 bis 2007 das Hochschulstudium der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität in Nis, das sie mit Diplom, ausgestellt am 20.08.2007, abschlossen hat und damit die Berufsbezeichnung „Doktor der Medizin“ erlangt hat.
3
Mit Bescheid vom 26.07.2016 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin die jederzeit widerrufliche Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 Abs. 1 der Bundesärzteordnung (BÄO) im Freistaat Bayern für den Zeitraum vom 26.07.2016 bis 25.07.2018.
4
Mit Antrag vom 30.11.2017 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erteilung der Approbation als Ärztin und legte Unterlagen vor. Mit Schreiben vom 04.01.2018 bat der Antragsgegner um die Nachreichung weiterer, konkret bezeichneter Unterlagen. Mit Schreiben vom 19.02.2018 reichte die Antragstellerin die fehlenden Dokumente nach. Mit Schreiben vom 22.03.2018 gab der Antragsgegner ein Gutachten zum Ausbildungsstand der Antragstellerin bei Dr. med. 1* …, …, in Auftrag. Das auf den 05.04.2018 datierte Gutachten des Dr. med. 1* … kommt zu dem Ergebnis, dass eine Gleichwertigkeit der Ausbildung der Antragstellerin festgestellt werden könne.
5
Mit Bescheid vom 27.06.2018 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin die jederzeit widerrufliche Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 der Bundesärzteordnung (BÄO) im Freistaat Bayern für den Zeitraum vom 26.07.2018 bis 25.07.2019 unter der Annahme eines besonderen Einzelfalls, da das Verfahren auf Erteilung der beantragten Approbation aus von der Antragstellerin nicht zu vertretenden Gründen bisher nicht abgeschlossen werden konnte.
6
Mit Schreiben vom 10.10.2018 beauftragte der Antragsgegner Dr. med. 2* … eine Gleichwertigkeitsprüfung vorzunehmen. Mit Gutachten vom 05.04.2018 sei die Gleichwertigkeit der Ausbildung festgestellt worden. Die Prüfung des Praktischen Jahres sei jedoch fehlerhaft und insbesondere unter Vermischung mit den Blockpraktika erfolgt. Mit kurzgutachterlicher medizinischer Stellungnahme vom 13.02.2019 kam Herr Dr. med. 2* … zu dem Ergebnis, dass aufgrund eines wesentlichen Defizits im Bereich der praktisch-klinischen Ausbildung PJ-Tertial Chirurgie keine umfassende Gleichwertigkeit festgestellt werden könne, sodass die Erteilung der Approbation auf dem Wege einer Gleichwertigkeitsprüfung nicht möglich sei.
7
Mit Schreiben vom 20.02.2019 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass er nach einer Überprüfung des Gutachtens vom 05.04.2018, das der Antragstellerin im Rahmen dieses Schreibens erstmalig übermittelt wurde, zu dem Ergebnis kommen, dass noch Ausbildungsdefizite in der praktischen Ausbildung im Fach Chirurgie bestehen. Auf Grundlage der hier vorliegenden Unterlagen sei eine Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes derzeit zu verneinen. Aus diesem Grund sei der Antragsgegner nach Aktenlage gehalten, die Nicht-Gleichwertigkeit mit kostenpflichtigem Bescheid festzustellen. Kostengünstiger und zielführender sei es jedoch, wenn sich die Antragstellerin bereits jetzt für die Möglichkeit des Approbationserwerbs im Wege einer erfolgreich abgelegten Kenntnisprüfung entscheiden würde. Im Übrigen wird auf das Schreiben und seinen Inhalt Bezug genommen.
8
Mit Schreiben vom 22.03.2019 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass es der Antragstellerin mit Einverständnis ihres Arbeitsgebers möglich sei, in die chirurgische Abteilung zu wechseln. Dort werde sie innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten die als Defizit festgestellten Tätigkeiten und Fertigkeiten erwerben. Soweit es aus organisatorischen Gründen möglich sei, werde die Antragstellerin mit der Rotation be-reits am 01.04.2019 beginnen. Mit Schreiben vom 23.05.2019 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin dem Antragsgegner schließlich mit, dass ein Beginn der Rotation aufgrund von Personalengpässen und Krankheitsausfällen erst zum 01.07.2019 möglich sei und legte ein Schreiben der Kliniken … vom 16.05.2019 bei. Dort wird bestätigt, dass die von April - Juli geplante Hospitation im Fachbereich Chirurgie aufgrund von Personalengpässen und Krankheitsausfällen nicht wie geplant zum 01.04.2019 starten konnte. Weiter wird der Antragstellerin ein Einsatz in der Chirurgischen Abteilung am Krankenhaus in in der Zeit von 01.07.2019 bis 31.10.2019 zugesichert.
9
Mit Bescheid vom 17.07.2019 stellte der Antragsgegner fest, dass der Ausbildungsstand der Antragstellerin im Vergleich zu der entsprechenden deutschen Qualifikation wesentliche Unterschiede aufweise (Ziffer 1.). Der ärztliche Ausbildungsstand der Antragstellerin sei im Vergleich zu der aktuellen deutschen ärztlichen Ausbildung nicht gleichwertig, da ihr Ausbildungsstand wesentliche Unterschiede im Fach Chirurgie aufweise. Dieser wesentliche Ausbildungsunterschied im Fachbereich Chirurgie sei von der Antragstellerin auch nicht im Wege ihrer Berufspraxis ausgeglichen worden. Im Übrigen wird auf den Bescheid und seinen Inhalt verwiesen.
10
Mit Bescheid vom 17.07.2019 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin die jederzeit widerrufliche Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 Abs. 1 der Bundesärzteordnung (BÄO) im Freistaat Bayern für den Zeitraum vom 26.07.2019 bis 26.08.2019.
11
Mit Schriftsatz vom 25.07.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben (RN 5 K 19.1332). Mit Schriftsatz vom 09.08.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Antragstellerin einen Antrag gemäß § 123 VwGO stellen.
12
Die Antragstellerin trägt im Wesentlichen vor, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung geboten sei, da die Antragstellerin im Falle einer Nichtverlängerung der Berufserlaubnis ihre berufliche Tätigkeit bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Erteilung der Approbation im anderweitig anhängigen Verfahren nicht mehr ausüben könne und ihr hierdurch die Grundlage ihrer Existenz entzogen werde und weil anderenfalls die ärztliche Versorgung von Patienten der Kliniken … in sowie am Standort … nicht mehr sichergestellt werden könne. Es liege ein besonderer Einzelfall vor, da die Antragstellerin ihren Approbationsantrag am 30.11.2017 gestellt habe, das Gutachten des vom Antragsgegner beauftragten Sachverständigen datiert vom 05.04.2019 der Antragstellerin aber erst mit Schreiben des Antragsgegners vom 20.02.2019 zur Kenntnis gelangt sei. Die gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 8 BÄO sehe eine Verbescheidung innerhalb von vier Monaten ab vollständigem Vorliegen der hierzu erforderlichen Unterlagen vor. Demnach hätte eine entsprechende Entscheidung noch im Laufe des Jahres 2018 ergehen können. Durch die vom Antragsgegner gewählte Vorgehensweise, einen Feststellungsbescheid in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auslaufen der erteilten Berufserlaubnis zu erlassen wäre der Antragstellerin die Möglichkeit der Gleichartigkeitsprüfung bzw. das Nachreichen nicht berücksichtigter oder gar nicht angeforderter Unterlagen ebenso abgeschnitten, wie der Ausgleich der angenommenen Defizite während des gerichtlichen Verfahrens. Dieser Ausgleich wäre der Antragstellerin schon im Jahr 2018 möglich gewesen, hätte der Antragsgegner das Gutachten in zeitlicher Nähe zu dessen Eingang auf Plausibilität und Richtigkeit geprüft. Die Antragstellerin hätte das Defizit im Bereich der chirurgischen Tätigkeit somit ohne weiteres im Rahmen der bestehenden Berufserlaubnis ausgleichen können. Die Antragstellerin habe sich auch unverzüglich nach Mitteilung des Defizits durch den Antragsgegner bemüht, dieses Defizit durch eine Rotation in die Chirurgie noch im Rahmen ihrer bestehenden Berufserlaubnis auszugleichen. Dass dies entgegen der zunächst vom Arbeitgeber gemachten Zusage nicht möglich gewesen sei, liege außerhalb ihres Einflussbereichs. Das Defizit im Bereich der Chirurgie könne nach Abschluss der Rotation auch vollständig ausgeglichen werden. Hinzu komme, dass sich die Antragstellerin in den bisherigen drei Jahren ihrer Tätigkeit sowohl fachlich wie auch sprachlich sehr gut eingebracht habe. Aufgrund der bekannten Dauer von verwaltungsgerichtlichen Verfahren stehe die Antragstellerin im Falle der Nichtverlängerung der Berufserlaubnis schutzlos, da das Erlöschen der Berufserlaubnis für sie als serbische Staatsangehörige neben den wirtschaftlichen Konsequenzen des Verlustes ihres Arbeitsplatzes auch ausländerrechtliche Konsequenzen sowie Problemstellungen der Arbeitslosenversicherung nach sich ziehe. In ausländerrechtlicher Hinsicht habe der Ablauf der Berufserlaubnis die Konsequenz, dass die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin nach drei Monaten erlösche und diese gezwungen sei, das Land zu verlassen. Ein Bezug von Arbeitslosengeld sei der Antragstellerin darüber hinaus nach dem Verlust ihrer Stelle nicht möglich, da hierfür Voraussetzung sei, dass sie weitervermittelbar sei. Dies sei jedoch mangels erteilter Approbation und nicht verlängerter Berufserlaubnis nicht mehr möglich. Die Antragstellerin wäre insofern gezwungen, Deutschland zu verlassen und den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von Serbien aus abzuwarten. Die Nichtverlängerung der Berufserlaubnis treffe die Antragstellerin nicht nur persönlich, sondern habe auch erhebliche Auswirkungen auf die ärztliche Versorgung der in den Kliniken … GmbH an den Standorten und … zu behandelnden Patienten. Bei der ärztlichen Tätigkeit handele es sich anerkanntermaßen um einen sogenannten „Mangelberuf“. Insofern würden auch Gründe der ärztlichen Versorgung vorliegen. Nach Mitteilung des Arbeitgebers sei die Aufrechterhaltung der Dienste nur durch Überstunden möglich. Der herrschende Personalmangel könne auch nicht durch Nachbesetzungen behoben werden. Hier würden durch den Arbeitgeber stetig Stellenausschreibungen erfolgen. Darüber hinaus handele es sich bei der ärztlichen Tätigkeit anerkanntermaßen um einen sogenannten „Mangelberuf“.
13
Die Antragstellerin beantragt,
1.
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, die Verlängerung der der Antragstellerin erteilten Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs als Ärztin für den Zeitraum vom 26. August bis 30. November 2019 auszusprechen.
2.
bis zur Entscheidung der Kammer über diesen Antrag eine Vorsitzendenentscheidung nach §§ 123 Abs. 2 Satz 3, 80 Abs. 8 VwGO zu treffen.
14
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
15
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass hier nicht die Fallkonstellation vorliege, dass die Gleichwertigkeitsprüfung aus Gründen, die die Antragstellerin nicht zu vertreten habe, nicht innerhalb der Dauer ihrer noch bis zum 26.8.2019 gültigen Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufes abgeschlossen werden konnte. Die Gleichwertigkeitsprüfung sei im behördlichen Verfahren am 19.07.2019 durch den Zugang des Feststellungsbescheids abgeschlossen worden. Dass die Antragstellerin die Approbation im Wege der von ihr erhobenen Klage erreichen möchte, sei für die Frage der ausnahmsweisen Verlängerung ihrer Berufserlaubnis unerheblich. Hätte sich die Antragstellerin für die Teilnahme an der Kenntnisprüfung entschieden, so wäre ihr bei Bestehen dieser Kenntnisprüfung inzwischen möglicherweise die von ihr beantragte Approbation erteilt worden, sodass es auf eine Verlängerung der Berufserlaubnis gar nicht mehr ankommen würde. Die Antragstellerin habe nach dem Erlass des Feststellungsbescheids eine zweite Verlängerung der Berufserlaubnis erhalten, sodass sich die Gesamtdauer der Berufserlaubnis somit bereits auf insgesamt über drei Jahre belaufe. Zudem sei der Antrag auf Erteilung der Approbation erst über ein Jahr nach erstmaliger Erteilung der Berufserlaubnis am 04.12.2017 eingegangen. Erst durch den Approbationserteilungsantrag werde eine Gleichwertigkeitsprüfung ausgelöst, welche für den Zweijahreszeitraum maßgeblich sei. Die Verzögerung bei der Gleichwertigkeitsprüfung sei bereits bei der Erteilung der letzten Berufserlaubnis berücksichtigt worden. Die bestehende Zeit vor der Approbationsantragstellung muss sich die Approbationsbehörde nicht zu ihren Lasten anrechnen lassen. Darüber hinaus diene die Erteilung einer Erlaubnis zur vorläufigen Ausübung des ärztlichen Berufes über die Zweijahresfrist hinaus nach dem gesetzgeberischen Willen nicht dem Ausgleich von im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung festgestellten Defiziten, da ansonsten die Berufserlaubnis stets für den Erwerb berufspraktischer Erfahrung verlängert werden müsste, wenn weiterhin noch wesentliche Unterschiede bestehen. Zudem überzeuge die Behauptung, wonach es ohne die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung der Antragstellerin zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgung der Patienten an der Klinik kommen würde, nicht. Es sei alltäglich, dass ärztliches Personal in einem Krankenhaus mittel- oder kurzfristig nicht zur Verfügung stehe. Wenn sich auf eine bestimmte Stelle vermehrt Ärzte aus Drittstaaten bewerben und dadurch eine längere Vorlaufzeit entstehe, sei es Aufgabe der Personalpolitik von Krankenhäusern sich darauf einzustellen und entsprechend zu planen. Zudem kann sich die Antragstellerin auf keine schweren und unzumutbaren, nachträglich nicht zu beseitigenden Nachteile berufen, die die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnten. Auch wenn sie ohne den begehrten Erlass der einstweiligen Anordnung nicht mehr als Ärztin mit Patientenkontakt tätig sein dürfe, führe dies nicht zu einer anderen Bewertung, da Personen mit abgeschlossenem Hochschulstudium der Humanmedizin in anderen Berufsfeldern ohne Berufserlaubnis oder Approbation, beispielsweise als sachkundige Person in einem Pharma-Unternehmen nach § 15 Arzneimittelgesetz tätig werden können.
16
Im Übrigen wird hinsichtlich der Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
17
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit dem Ziel der einstweiligen Verlängerung der Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BÄO in Verbindung mit § 34 Approbationsordnung für Ärzte (i. d. F. v. 2.8.2013, im Folgenden: ÄApprO) hat weitgehend Erfolg, jedoch ist die Erlaubnis nur bis zum 31.10.2019 zu verlängern.
18
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch in der Form eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf das begehrte Verwaltungshandeln und einen Anordnungsgrund, bestehend in einer Eilbedürftigkeit, glaubhaft macht. Ist der Antrag - wie hier - auch nur auf die einstweilige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer entsprechenden Anordnung kommt dann grundsätzlich nur in Betracht, wenn ein Obsiegen in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (BayVGH B.v. 18.9.2018 - 21 CE 18.1100 - juris Rn. 20).
19
1. Der Antrag ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig. Die Antragstellerin begehrt der Sache nach eine einstweilige Erweiterung ihres Rechtskreises und damit eine Regelungsanordnung, da sie den Ausspruch einer Verlängerung der am 26.08.2019 ablaufenden Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufes über diesen Zeitpunkt hinaus bis zum 30.11.2019 anstrebt. Die Antragstellerin verfügt auch über das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Eine bloße Anfechtung des Feststellungsbescheids vom 17.07.2019 würde der Antragstellerin nicht zu ihrem Begehren auf einstweilige Erteilung der Berufserlaubnis verhelfen.
20
2. Der Antrag gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zudem weitgehend begründet.
21
a) Der Anordnungsgrund liegt in der am 26.08.2019 auslaufenden Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs.
22
b) Die Antragstellerin hat zudem einen Anspruch auf einstweilige Verlängerung der Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BÄO in Verbindung mit § 34 ÄApprO - zumindest bis zum 31.10.2019 - hinreichend glaubhaft gemacht.
23
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BÄO kann Personen, die eine abgeschlossene Ausbildung für den ärztlichen Beruf nachweisen, eine Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs erteilt werden. Die Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis steht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 BÄO im Ermessen der zuständigen Behörden. Sie ist aber, wie sich aus der Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 2 BÄO ergibt, nur widerruflich und nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren der ärztlichen Tätigkeit im Geltungsbereich der Bundesärzteordnung, mithin im Bundesgebiet, zu erteilen. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BÄO darf sie ausnahmsweise über diese zwei Jahre hinaus im besonderen Einzelfall oder aus Gründen der ärztlichen Versorgung erteilt oder verlängert werden, wenn eine Approbation wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO nicht erteilt werden kann. Bei dem „besonderen Einzelfall“ und den „Gründen der ärztlichen Versorgung“ handelt es sich um Rechtsbegriffe, die der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen. Sie dienen nicht nur öffentlichen Interessen, sondern zugleich auch dem subjektiven Interesse der Antragstellerin (BVerwG, Urteil vom 04.02.1982 - 3 C 19.81 - Rn. 23ff., juris).
24
Die Annahme eines besonderen Einzelfalls im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 BÄO setzt voraus, dass sich die persönlichen Verhältnisse der Antragstellerin wesentlich von denjenigen anderer Antragsteller unterscheiden (VG Bremen, B.v. 22.10.2018 - 5 V 2130/18 - juris Rn. 12). Dabei kommt es auf eine zusammenfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls an, insbesondere der persönlichen und beruflichen Situation des Bewerbers sowie seiner Integration in die hiesigen Berufs- und Lebensverhältnisse, wobei auch das Zusammentreffen mehrerer atypischer Merkmale einem Fall die geforderte Besonderheit verleihen kann. Zu den Aspekten, die im Rahmen dieser Einzelfallprüfung herangezogen werden können, kann neben dem Familienstand unter anderem auch die aufenthaltsrechtliche sowie die staatsangehörigkeitsrechtliche Situation eines ausländischen Arztes gehören (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 -21 CE 18.136 - juris Rn. 19). Ausgangspunkt der Beurteilung ist jedoch, dass der Gesetzgeber in § 10 Absatz 2 BÄO grundsätzlich davon ausgeht, dass die Dauer der Berufserlaubnis von vornherein höchstens zwei Jahre beträgt und innerhalb dieses Zeitraums die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation hergestellt werden müssen (vgl. BT-Drs. 17/7218 S. 42).
25
Ein besonderer Einzelfall kann in Abwägung der betroffenen Rechtsgüter ausnahmsweise aber auch dann vorliegen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation innerhalb der zwei Jahre nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BÄO nicht hergestellt werden konnten. Aus dem Normzusammenhang ergibt sich, dass eine Verlängerung grundsätzlich nur dann infrage kommen kann, wenn das zugrundeliegende Approbationsverfahren aus Gründen andauert, die nicht oder nicht überwiegend aus der Sphäre der Antragstellerin herrühren (VG Bremen, Beschluss vom 22. Oktober 2018 - 5 V 2130/18 -, Rn. 25, juris).
26
So liegt der Fall hier.
27
Gem. § 3 Abs. 2 Satz 8 BÄO ist den Antragstellern spätestens vier Monate, nachdem der zuständigen Behörde alle erforderlichen Unterlagen vorliegen, ein rechtsmittelfähiger Bescheid über die Feststellung der wesentlichen Unterschiede zu erteilen. Dieser Zeitraum wurde vom Antragsgegner jedoch deutlich überschritten. Die Antragstellerin hat mit Datum vom 19.02.2018 sämtliche Unterlagen vollständig bei dem Antragsgegner eingereicht. Ein rechtmittelfähiger Bescheid des Antragsgegners erging jedoch erst am 17.07.2019 und damit 15 Monate später. Dies liegt insbesondere auch daran, dass der Antragsgegner mit einer Überprüfung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. 1* …, datiert auf den 05.04.2018, bis zum 10.10.2018 und damit über ein halbes Jahr zugewartet hat, sodass das Ergebnis dieser Überprüfung, d.h. die kurzgutachterliche medizinische Stellungnahme des Dr. 2* … erst am 13.02.2019 vorgelegen hat. Dies nahm der Antragsgegner schließlich auch zum Anlass der Antragstellerin unter Berufung auf die Annahme eines besonderen Einzelfalles mit Bescheid vom 27.06.2018 die Verlängerung der Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gem. § 10 BÄO für den Zeitraum vom 26.07.2018 bis 25.07.2019 zu erteilen. Da die verstrichene Zeit zwischen dem Erhalt des Gutachtens des Sachverständigen Dr. med.1* … vom 05.04.2019 und der auf den 13.02.2019 datieren kurzgutachterlichen medizinischen Stellungnahme des Dr. med. 2* … allein in die Risikosphäre des Antragsgegners fällt, und es dem Antragsgegner bei rechtzeitiger Überprüfung möglich gewesen wäre, die Gleichwertigkeitsprüfung bereits innerhalb der zweijährigen Berufserlaubnis bis zum 25.07.2018 abzuschließen, kann der Antragstellerin nicht vorgehalten werden, dass sich die Gesamtdauer der vorläufigen Berufserlaubnis nun bereits auf über 3 Jahre erstreckt.
28
Aufgrund dieser Verzögerungen teilte der Antragsgegner der Antragstellerin auch erstmals am 20.02.2019 (formlos) mit, dass der Antragsgegner nach einer Überprüfung des Gutachtens zu dem Ergebnis komme, dass bei der Antragstellerin noch Ausbildungsdefizite in der praktischen Ausbildung im Fach Chirurgie bestehen und auf Grundlage der vorliegenden Unterlagen eine Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes derzeit zu verneinen sei. Zu berücksichtigten ist dann jedoch, dass sich die Antragstellerin nach Erhalt des Schreibens vom 20.02.2019 zeitnah darum bemüht hat, ihre vorhandenen Defizite durch eine viermonatige Rotation in die chirurgische Abteilung auszugleichen. Mit Schreiben vom 22.03.2019 teilte der Verfahrens- bzw. nun auch Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass es der Antragstellerin mit Einverständnis ihres Arbeitsgebers möglich sei, in die chirurgische Abteilung zu wechseln. Dort werde sie innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten die als Defizit festgestellten Tätigkeiten und Fertigkeiten erwerben. Soweit es aus organisatorischen Gründen möglich sei, werde die Antragstellerin mit der Rotation bereits am 01.04.2019 beginnen (vgl. Blatt 273 der Behördenakte).
29
Wenn man bedenkt, dass das Ausbildungsdefizit im Bereich Chirurgie ausweislich des Feststellungsbescheids vom 17.07.2019 (lediglich) darin gesehen wird, dass die Antragstellerin im Rahmen des nach serbischen Rechts absolvierten Pflichtpraktikums lediglich eine Ausbildung von 15 Tagen absolvierte, während im Rahmen der Ausbildung nach deutschem Recht hier im Rahmen des praktischen Jahres 16 Wochen zu absolvieren gewesen wären, so ist nach der hier durchzuführenden summarischen Prüfung davon auszugehen, dass es der Antragstellerin wohl auch möglich gewesen wäre, die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation bis zum 25.07.2019, jedenfalls aber bis zum Ablauf der erneuten Verlängerung der vorläufigen Berufserlaubnis zum 26.08.2019 herzustellen, zumal die Antragstellerin nun im Rahmen der Ausübung des ärztlichen Berufs ein weitergehendes Tätigkeitsspektrum aufweisen kann als ein Student, der im Rahmen des praktischen Jahres tätig wird. Dem steht auch nicht entgegen, dass diese Kenntnisse während einer Tätigkeit mit einer vorübergehenden ärztlichen Berufserlaubnis nach § 10 BÄO im Bundesgebiet erworben hat. Auch eine solche Tätigkeit vermittelt eine ärztliche Berufspraxis im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 5 BÄO (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urteil vom 13. März 2014 - 8 LB 73/13 -, Rn. 60, juris).
30
Auch der Antragsgegner geht davon aus, dass der genannte wesentliche Ausbildungsunterschied im Fachbereich Chirurgie im Wege einschlägiger Berufspraxis ausgeglichen werden kann. So führt der Feststellungsbescheid vom 17.07.2019 wie folgt aus:
„Der unter Nr. 2.1. genannte wesentliche Ausbildungsunterschied im Fachbereich Chirurgie ist von ihrer Mandantin auch nicht im Wege ihrer Berufspraxis ausgeglichen worden.
Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 5 BÄO können wesentliche Unterschiede ganz oder teilweise durch Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeglichen werden, die die Antragsteller im Rahmen ihrer ärztlichen Berufspraxis in Voll- oder Teilzeit oder durch lebenslanges Lernen erworben haben, sofern die durch lebenslanges Lernen erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten von einer dafür in dem jeweiligen Staat zuständigen Stelle formell als gültig anerkannt wurden; dabei ist nicht entscheidend, in welchem Staat diese Kenntnisse und Fähigkeiten erworben worden sind. […] Einschlägige Berufserfahrung über einen längeren Zeitraum im Fach Chirurgie kann die Antragstellerin in ihrer beruflichen Laufbahn zum Ausgleich des oben aufgeführten wesentlichen Unterschieds nicht nachweisen.“
31
Dass diese ursprünglich zum 01.04.2019 vorgesehene Rotation in die chirurgische Abteilung - wie das entsprechende Schreiben der Kliniken … vom 16.05.2019 belegt (vgl. Blatt 280-281 der Behördenakte) - aufgrund von Personalengpässen und Krankheitsausfällen nun erst zum 01.07.2019 angetreten werden konnte, ist schließlich nicht der Antragstellerin anzulasten. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum der Antragsgegner im konkreten Fall nicht berücksichtigt hat, dass sich die Antragstellerin zeitnah nach der mit Schreiben vom 20.02.2019 mitgeteilten Ausbildungsdefizite in der praktischen Ausbildung im Fach Chirurgie um die - zudem nach Aktenlage erfolgversprechende - Nachholung dieser einschlägigen Berufserfahrung bemüht hatte und die vorläufige Berufserlaubnis nur bis zum 26.08.2019 und nicht bis zum 31.10.2019 verlängert hat.
32
Insofern geht die erkennende Kammer vorliegend zum einen von einem besonderen Einzelfall i.S.d. § 10 Abs. 3 BÄO aus, der es rechtfertigt, die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs beschränkt auf eine Tätigkeit im Fachbereich der Chirurgie zur Nachholung der einschlägigen Berufserfahrung und damit zur Schaffung der Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation ausnahmsweise noch einmal bis zum 31.10.2019 zu verlängern; zum anderen kommt die Kammer unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, mithin dass die Antragstellerin erstmalig mit Schreiben des Antragsgegners vom 20.02.2019 vom festgestellten Defizit im Fachbereich Chirurgie erfahren hat, sich daraufhin zeitnah um den Ausgleich dieses Defizits bemüht hat, die erforderliche einschlägigen Berufserfahrung derzeit im Fachbereich Chirurgie am Krankenhaus in (erfolgsversprechend) nachholt und es sich bei der Verlängerung bis zum 31.10.2019 um einen vergleichsweise geringen Zeitraum handelt, im vorliegenden Fall zumindest hinsichtlich der Verlängerung bis zum 31.10.2019 auch zu einer Ermessensreduzierung auf Null.
33
Eine Verlängerung bis zum 30.11.2019 kommt dagegen nicht Betracht, da die Antragstellerin ausweislich des Schreibens der Kliniken … vom 07.08.2019 nach ihrem Einsatz in zum 01.11.2019 wieder nach … in die Innere Medizin wechseln soll und für diesen Zeitraum bzw. diese Tätigkeit weder ein „besonderer Einzelfall“ noch - wie bereits die mögliche Rotation der Antragstellerin in die Chirurgie zeigt - „Gründe der ärztlichen Versorgung“ vorliegen, dass die also mithin bereits an der Verwirklichung dieser Tatbestandsmerkmale fehlt, jedenfalls aber insbesondere keine Ermessensreduzierung auf Null angenommen werden kann.
34
c) Zudem würden der Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung - auch vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG - schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten, da der Antragstellerin von Seiten ihres Arbeitgebers nur für die Zeit vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2019 der Einsatz in der chirurgischen Abteilung zugesichert wurde und ihr ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung die Möglichkeit genommen werden würde, im Rahmen der zweimonatigen Verlängerung die Voraussetzungen für die Erteilung ihrer Approbation zu schaffen.
35
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
36
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 VwGO (vgl. Ziffer 16.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Stand 2013). In Hinblick auf das Eilverfahren hält das Gericht eine hälftige Reduzierung des Streitwertes für angemessen. Eine Anhebung des Streitwertes erscheint hier wegen des variablen Zeitraums für eine Verlängerung auch mit Blick darauf nicht geboten, dass der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt, siehe insoweit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs (vgl. auch VG Bremen, Beschluss vom 22. Oktober 2018 - 5 V 2130/18 -, Rn. 31, juris).