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LG Landshut, Hinweisbeschluss v. 07.08.2019 – 13 S 1823/19
Titel:

Mehrfacher Anspruch auf Ausgleichsleistung eines Fluggastes bei Kumulation der Störungen auf einer bestimmten Reiseverbindung 

Normenkette:
FluggastrechteVO Art. 3 Abs. 2a, Art. 5 Abs. 3, Art. 2
Leitsätze:
1. Eine bestätigte Buchung im Sinne des Art. 3 der Fluggastrechteverordnung liegt vor, wenn die Umbuchung eines Fluges aufgrund eines Streiks der Mitarbeiter der Crew und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Annullierung aufgrund Streiks stattfindet. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Änderung  des Reisevertrages schlägt sich nicht in jedem Fall auf das Vorliegen einer bestätigten Buchung durch. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht darauf abzustellen, welche Urlaubsvorbereitungen der  Fluggast bereits getroffen hat, weil er jedenfalls die Unannehmlichkeit gehabt hat, dass er zweimal sein Urlaubsziel nicht erreicht hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein sog. „wilder Streik“ fällt nicht unter den Begriff außergewöhnliche Umstände, wenn er auf die überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durch die Fluggesellschaft zurückgeht (ebenso EuGH BeckRS 2018, 5392).  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausgleichsleistung, Fluggastrechte, Reiseveranstalter, Reisevertrag, Ausgleichszahlung, Fluggast, Schutzniveau, Umbuchung, Streik, Anuulierung
Vorinstanz:
AG Erding, Urteil vom 26.04.2019 – 7 C 2077/18
Fundstelle:
BeckRS 2019, 21078

Tenor

I. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 26.4.2019, Az. 7 C 2077/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
II. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
III. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Amtsgericht Erding hat den Klägern nach Flugannullierung auf der Grundlage der Europäischen Fluggastrechteverordnung eine Ausgleichsleistung zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
2
Die Kläger buchten den Flug X3 4282 von München nach Heraklion am 06.10.2016 von 14.50 Uhr bis 18.40 Uhr. Dem lag ein mit dem Reiseveranstalter TUI Deutschland GmbH unter der Vorgangsnummer ...14 geschlossener Reisevertrag zugrunde (vgl. Anlage K 1). Vor dem Hintergrund der Flugstreichungen im Rahmen des „wilden Streiks“ der TUIfly Crews (vom 03.10.2016 bis 09.10.2016) wurde einvernehmlich der Hinflug X3 4282 vom 06.10.2016 auf den Flug Nr. X3 4272 am 07.10.2016 geändert. Letztlich wurde auch der Flug am 07.10.2016 annulliert.
3
Bezüglich des am 07.10.2016 annullierten Fluges haben die Kläger in dem Verfahren 524 C 11838/16 beim Amtsgericht Hannover am 08.09.2017 einen gerichtlichen Vergleich mit der Beklagten abgeschlossen. Gegenstand dieses Verfahrens war nur der Flug vom 07.10.2016. Im Vergleich wurden die streitgegenständlichen Ansprüche abgegolten.
4
Im hiesigen Verfahren begehren die Kläger Ausgleichsleistung auch für den ursprünglichen Flug.
5
Die Beklagte verwehrt sich dagegen. Bei den Ansprüchen auf pauschalierte Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung handle es sich um gesetzliche Ansprüche auf vertraglicher Grundlage. Dementsprechend sei es hier von Bedeutung, dass der Reiseveranstalter eine Umbuchung auf einen anderen Flug im Rahmen desselben Vertragsverhältnisses angeboten habe und sich die Reisevertragsparteien darauf verständigt haben. Wenn sodann der im Rahmen der Umbuchung vereinbarte Flug annulliert wird, so entstehe der pauschalierte Ausgleichsanspruch nicht doppelt. Vielmehr bestehe der Ausgleichsanspruch lediglich hinsichtlich desjenigen Fluges, für den letztlich und zum Flugzeitpunkt die bestätigte Buchung bestand, was letztlich nur am 07.10.2016 der Fall gewesen wäre. Durch die Änderung hätten die Kläger keine bestätigte Buchung mehr für den ursprünglich bestätigten Flug am 06.10.2016 gehabt.
6
Auch die Zwecksetzung der Verordnung verlange nichts anderes, da sie nicht zur Überkompensation der Reisegäste führen solle. Der Ausgleichsanspruch solle sich durch Abhilfeversuche nicht vervielfältigen, da sich auch nicht die Beeinträchtigung für den Reisegast vervielfältige. Die Kläger seien hier nur einmal aufgrund des annullierten Fluges nicht an ihr Reiseziel gekommen, nicht mehrfach. Die Umbuchung sei auch jedes Mal vereinbart worden, bevor die Kläger zum Flughafen gefahren sind.
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Würde man den Klägern hier doppelt Ausgleich zusprechen, dann wäre das Ergebnis, dass ein Luftfahrtunternehmen und ein Reiseveranstalter schlechter gestellt werden, wenn sie im Rahmen von Umbuchungen versuchen, die Gäste trotz der schlechten Bedingungen ins Zielgebiet zu bringen. Wenn sie gar nichts unternähmen, würden sie besser stehen. Das könne weder im Interesse der Reisegäste sein, noch Zielsetzung der Ausgleichszahlung der Fluggastrechteverordnung.
II.
8
1. Der Kammer ist diese Problematik hinlänglich bekannt. Es werden dazu unterschiedliche Meinungen vertreten, wobei das Amtsgericht Erding die herrschende Meinung wiedergibt. Dieser schließt sich die Kammer an und macht sich das richtige Urteil voll zu eigen.
9
Versucht der Fluggast mehrmals eine bestimmte Flugverbindung zu nehmen und kumulieren die Störungen, ist fraglich, ob die Ausgleichszahlung nur einmal oder für jede Störung greift. Ein EuGH-Vorabentscheidungsverfahren diesbezüglich (Rechtssache C-305/15) hat sich durch Rücknahme erledigt.
10
Der Reform-Vorschlag der EU-Kommission will die Ausgleichsleistung nur einmal zuerkennen (vgl. dazu Staudinger/Keiler, Fluggastrechteverordnung, 1. Aufl. 2016, Art. 7 Rdnr. 23). In der Rechtsprechung finden sich Vertreter für beide Ansichten. Der Bundesgerichtshofes und überwiegende Teile der Literatur geben die vom Amtsgericht Erding vertretenen Meinung vor (BGH, Urteil vom 10.10.2017, Az.: X ZR 73/16; BeckOK Fluggastrechteverordnung, Stand 1.7.2019, Art. 8 Rdnr. 20 ff; Steinrötter in beck.online.Großkommentar, Stand 1.6.2019, Art. 2 Rdnr. 95 ff.; Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl., § 40 Rdnr. 9, Staudinger/Keiler, Fluggastrechteverordnung, 1. Aufl. 2016, Art. 7 Rdnr. 23).
11
Das AG Frankfurt a.M. (Urteil vom 16.5.2013, Az.: 31 C 3349/12 (78), BeckRS 2014, 04048) hat die doppelte Ausgleichsleistung zugesprochen, anders als das AG Düsseldorf (Urteil vom 1.2.2012, Az.: 24 C 8824/10, Az.: 24 C 8824/10, BeckRS 2012, 22833).
12
Auch das Amtsgericht Erding hat bereits am 8.6.2018 (Az.: 14 C 3351/17) die doppelte Ausgleichsleistung zugesprochen.
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2. Die Berufungsbegründung ist klar strukturiert und die Argumente sind nachvollziehbar vorgetragen. Der Beklagten ist insofern zuzustimmen, als der hiesige Fall aufzeigt, dass die Fluggastrechteverordnung ein sehr hohes Schutzniveau für die Fluggäste aufweist.
14
Der hier streitgegenständliche Flug am 06.10.2016 wurde annulliert. Nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. l der Fluggastrechteverordnung ist eine Annullierung die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war (vgl. auch Steinrötter in beckonline - Großkommentar, Stand 1.6.2019, Art. 2 Fluggastrechteverordnung Rdnr. 95). Vorliegend wurde der streitgegenständliche Flug aufgrund des „wilden Streiks“ der TUI Crew überhaupt nicht durchgeführt. Hierin liegt nach dem oben Gesagten eine Annullierung im Sinne der Fluggastrechteverordnung.
3. Die Beklagte kann mit dem Argument, dass die Kläger keine bestätigte Buchung im Sinne des Art. 3 der Fluggastrechteverordnung für den Flug vom 06.10.2016 nach Umbuchung hatten, nicht durchdringen.
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Unstreitig verfügten die Kläger jeweils über eine bestätigte Buchung für den streitgegenständlichen Flug am 06.10.2016. Zu einem Zeitpunkt, der erstinstanzlich nicht konkret benannt wurde, aber jedenfalls zumindest am Vortrag des 06.10.2016 war, kam es über das Reisebüro zu einer Umbuchung auf den 07.10.2016. Anlass für diese Umbuchung waren Streikmaßnahmen bei der Beklagten. Auf welche Weise und wann genau die Kläger von den Streikmaßnahmen erfahren haben, ist erstinstanzlich offen geblieben. Jedenfalls wurde der streitgegenständliche Flug tatsächlich annulliert.
16
Gemäß Art. 3 Abs. 2 a Fluggastrechteverordnung gilt diese Verordnung nur unter der Bedingung, dass Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen. Wann die bestätigte Buchung vorliegen muss, wird in der Fluggastrechteverordnung nicht geregelt. In der Kommentarliteratur wird davon ausgegangen, dass die bestätigte Buchung grundsätzlich zum Zeitpunkt der geplanten Abfertigung vorliegen muss (BeckOK - Schmid, Fluggastrechteverordnung, 10. Aufl. Art. 3, RdNr. 26). Anlass der Umbuchung war unstreitig der Streik, für den die Beklagte die Verantwortung zu tragen hatte. Die Umbuchung fand aufgrund dessen und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Annullierung aufgrund Streiks statt. Die Kläger wollten weiterhin nach Heraklion reisen. Dieses Verhalten der Mitarbeiter der Crew muss sich die Beklagte letztlich zurechnen lassen, gerade auch im Hinblick auf Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung. Dieser besteht in einem hohen Schutzniveau für die Fluggäste. Es ist richtig, wenn die Berufungsführerin vorträgt, dass eine Überkompensation nicht Sinn der Verordnung sein kann. Die Umbuchung war aber nicht von den Klägern veranlasst, sondern von der Beklagten. Denkt man sich den zweiten (auch annullierten Flug) weg, dann erscheint einem naheliegender, dass für den ersten eine Entschädigung zu leisten ist. Einen vergleichbaren Fall hatte das Amtsgericht Bremen zu entscheiden (Urteil vom 18.1.2018, Az.: 9 C 61/17).
17
Die Buchung ist nicht gleichlautend mit dem Abschluss eines Reisevertrages. Eine Vertragsänderung schlägt sich damit nicht in jedem Fall auf das Vorliegen einer bestätigten Buchung durch. Dies leuchtet auch ein, wenn man sich vor Augen führt, dass auch eine einheitliche Buchung bedeuten kann, dass zwei eigenständige Flüge vorliegen (Staudinger in Staudinger/Keiler, 1. Aufl. 2016 in beckonline zu Art. 2 Fluggastrechteverordnung Rdnr. 21 a.E. und zur Buchung an sich Rdnr. 52).
18
4. Die Argumentation, dass die Unannehmlichkeiten nur einmal aufgetreten seien, greift nicht durch. Es kann letztlich nicht darauf ankommen, ob der Fluggast zum Flughafen gefahren ist oder nicht. Es ist nicht darauf abzustellen, welche Urlaubsvorbereitungen er bereits getroffen hat. Er hat hier jedenfalls die Unannehmlichkeit gehabt, dass er zweimal sein Urlaubsziel nicht erreicht hat.
19
Die Argumentation des AG Düsseldorf (a.a.O.), es handle sich bei der alternativen Beförderung nicht um einen Flug, sondern um eine Unterstützungsleistung, die als reine Sekundärleistung nicht ausgleichspflichtig sein soll, überzeugt nicht. Es liegen zwei Flüge vor, für die eine Buchung besteht (s.o.).
20
Mit überzeugender Begründung wird auch das Vorbringen entkräftet, dass ein Unternehmen, dass keinen Ersatzflug anbietet, besser stünde, weil es nur einmal Ausgleich zahlen müsste (vgl. BeckOK Fluggastrechteverordnung, Stand 1.7.2019, Art. 8 Rdnr. 23). Würde der Fluggast infolge der ersten Annulierung zu einem anderen Unternehmen wechseln, dann würde er auch zweimal Entschädigung erhalten.
21
Anders gewendet: würde ein anderer Fluggast für den 7.10. Einen Flug gebucht haben, der annulliert wird, dann müsste das Unternehmen diesem auch eine Entschädigung zahlen.
22
5. Die Ausgleichszahlung ist auch nicht aufgrund eines außergewöhnlichen Umstandes entfallen, den die Beklagte nicht zu vertreten hätte, vgl. Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung. Der EuGH hat am 17.04.2018 in der Rechtssache Krüsemann ./. TUIfly (C-195/17 u.a., NJW 2018, 1592) entschieden, dass ein sog. „wilder Streik“ nicht unter den Begriff außergewöhnliche Umstände fällt, wenn er auf die überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durch die Fluggesellschaft zurückgeht. Der EuGH hat in der angesprochenen Entscheidung betont, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 restriktiv zu handhaben ist.
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6. Es wäre wünschenswert gewesen es mit dem Vergleichsabschluss beim Amtsgericht Hannover sein Bewenden haben zu lassen. Die Kläger haben dies jedoch letztlich nicht getan. Da mit dem Vergleichsschluss beim Amtsgericht Hannover nur die streitgegenständlichen Ansprüche (und damit die Ansprüche den Flug vom 07.10.2016 betreffend), nicht aber alle den gesamten Vorfall betreffenden Ansprüche abgegolten wurden, ist auch für den Flug am 06.10.2016 eine Ausgleichszahlung zu leisten.