Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 31.07.2019 – AN 3 K 19.00010
Titel:

Entstehung der Pflicht zur Entrichtung des Straßenausbaubeitrags

Normenkette:
BayKAG Art. 5
Leitsatz:
Sofern eine Gemeinde in ihrer Straßenausbausatzung bestimmt hat, dass als Merkmal des Entstehens der Beitragsschuld auch der Grunderwerb gehört, führt allein eine Verfügungsbefugnis der Gemeinde nach Art. 13 BayStrWG noch nicht zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht. (Rn. 19 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbaubeiträge, Herstellungsmerkmale, sachliche Beitragspflicht, notwendiger Grunderwerb, Bestimmtheitsgebot, Leistungsklage, Rückzahlung, Anfechtungsklage, Beitragspflicht, Grundbuch, Ausbaubeitrag, Vorausleistung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.04.2020 – 6 ZB 19.1904
Fundstelle:
BeckRS 2019, 20672

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2013 in Form des Abhilfebescheids vom 4. Mai 2016 und in der Form des Widerspruchbescheids vom 5. Februar 2018 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckund Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Mit Bescheid vom 29. Januar 2013 setzte die Beklagte zunächst einen Straßenausbaubeitrag in Höhe von 4.808,81 EUR fest und forderte unter Berücksichtigung einer Vorausleistung eine Nachzahlung in Höhe von 1.402,81 EUR. Als Maßnahme wurde die Erneuerung der Gehwege, der Straßenbeleuchtung und Schaffung von unselbständigen Grünanlagen entlang der …-Straße genannt.
2
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Ausbauaufwand belaufe sich auf 471.284,27 EUR, der Anteil der Beklagten betrage 45% und der der Anlieger 55%. Der abzurechnende Beitragssatz betrage 7,572933 EUR/m². Die Fläche des klägerischen Grundstücks betrage 733 m², durch die 2 Vollgeschosse ergebe sich ein Nutzungsfaktor von 1,30 und unter Kürzung aufgrund eines Eckgrundstücks somit eine beitragspflichtige Nutzungsfläche von 635 m².
3
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Februar 2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei neben dem streitgegenständlichen Grundstück auch Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. … Gemarkung …, das auch Teil der abgerechneten Anlage sei. Laut Satzung sei der Grunderwerb Entstehungsvoraussetzung für die Beiträge. Da dieser nicht stattgefunden habe, sei die endgültige Herstellung noch nicht abgeschlossen und der Bescheid rechtswidrig.
4
Mit Bescheid vom 4. Mai 2016 hat die Beklagte dem Widerspruch teilweise abgeholfen und den Straßenausbaubeitrag auf 4.533,20 EUR gekürzt und im Übrigen der Widerspruchsbehörde vorgelegt.
5
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 1. Juni 2016 hat der Kläger zunächst Untätigkeitsklage erhoben. Mit Erlass des ablehnenden Widerspruchsbescheids am 5. Februar 2018 stellte der Kläger die Klage auf eine Anfechtungsklage um.
6
Die Widerspruchsbehörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ein notwendiger Grunderwerb sei. Bei der …-Straße handele es sich um eine ehemalige Staatsstraße, die bereits seit Jahrzehnten ausgebaut sei. Die Gehwege entlang von Staatsstraßen innerhalb von Ortsdurchfahrten seien Bestandteil dieser Staatsstraßen und bedürften keiner separaten Widmung. Der letztlich für die Umgestaltung der Straße ursächliche Ausbau und die Verlegung der Staatsstraße sei auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses der … vom 8. September 1997 erfolgt. Die hier streitgegenständliche Straße sei im Zuge dessen zu einer Ortsstraße abgestuft worden. Durch die Abstufung einer Staatsstraße zu einer Ortsstraße ändere sich nichts an den Bestandteilen dieser Straße. Im Beschluss des Stadtrates vom 11. November 2004 zur Abstufung sei nicht explizit auf die einzelnen Flurnummern bzw. einzelnen Straßenteile eingegangen worden, sondern lediglich auf das abgeschlossene Planfeststellungsverfahren verwiesen worden. Hinsichtlich der Frage der Eigentumsverhältnisse und der Erforderlichkeit des Grunderwerbs sei auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ausbaus der ehemaligen Staatsstraße, d.h. den Zeitpunkt der Aufstufung der …-Straße zur Staatsstraße abzustellen. Das neu gebildete Grundstück Fl.-Nr. … gehöre und habe zur öffentlichen Straße gehört.
7
Nach Art. 13 Abs. 1 BayStrWG stehe dem Träger der Straßenbaulast, der nicht Eigentümer des für die Straße in Anspruch genommen Grundstücks sei, bis zu einem eventuellen Erwerb dieser Fläche die Ausübung der Rechtspflicht des Eigentümers in dem Umfang zu, in dem dies die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordere. Dem Eigentümer erwachse daraus ein Anspruch auf Übernahme des in Anspruch genommen Grundstücks.
8
Nach herrschender Rechtsprechung unterliege der Übernahmeanspruch des Grundstückseigentümers bis zum Inkrafttreten der Neufassung des BGB der regelmäßigen dreißigjährigen Verjährungsfrist.
9
Nachdem die seinerzeit Verfügungsberechtigten (zumindest aufgrund stillschweigender Duldung) die Benutzung durch die Allgemeinheit zugelassen hätten und aus der Sicht der Verkehrsteilnehmer aufgrund objektiv erkennbarer äußeren Umstände zumindest von einer konkreten Freigabe zur Verkehrsnutzung auszugehen sei, unterliege die strittige Fläche dem Straßenverkehrsrecht, ein etwaiger Übernahmeanspruch sei jedoch schon verjährt. Ein Grunderwerb durch die Beklagte sei in Folge nicht mehr notwendig, sodass die Eigentumsverhältnisse dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht nicht entgegenstünden.
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Zur Begründung der Klage verweist der Kläger auf die Widerspruchsbegründung und beantragt,
1.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2013 in der Fassung des Abhilfebescheids vom 4. Mai 2016 und des Widerspruchbescheids vom 5. Februar 2018 wird aufgehoben.
2.
Der Beitrag in Höhe von 4.533,20 EUR ist nebst Zinsen in Höhe von 6% ab dem 24. April 2010 aus einem Betrag von 3.406,00 EUR und ab dem 29. Februar 2013 aus weiteren 1.127,20 EUR dem Kläger zu erstatten.
11
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
12
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, das Grundstück Fl.-Nr. … sei bereits vor Beginn der Baumaßnahmen wahrscheinlich in Übereinstimmung mit dem damaligen Eigentümer überbaut gewesen und habe dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestanden. Unterlagen hierzu seien jedoch nicht gefunden worden und auch eine Eintragung von dinglichen Rechten im Grundbuch hätte nicht festgestellt werden können. Da die ehemalige Staatsstraße (Fahrbahn und Gehweg) bereits seit Jahrzehnten ausgebaut gewesen sei, habe für die Beklagte nach der Abstufung zur Ortsstraße kein Zweifel daran bestanden, dass der über das Flurstück des Klägers führende Gehwegbereich Bestandteil der Eintragung in das Bestandsverzeichnis gewesen sei und dass der damalige Eigentümer seine Zustimmung zum Überbau und zur Widmung der Straße erteilt habe. Das im Eigentum des Klägers stehende Flurstück … gehöre, soweit es Teil des Gehwegs sei, zur öffentlichen Straße und unterfalle damit der Straßenbaulast des Straßenbaulastträgers. Im Übrigen werde auf die Begründung der Widerspruchsbehörde verwiesen, insbesondere darauf, dass ein möglicher Eigentumserwerb nach § 13 Abs. 2 BayStrwG bereits verjährt sei.
13
Aus alldem ergebe sich, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Lediglich hilfsweise und ergänzend werde noch vorgetragen, dass ein eventuell als notwendig angesehener Grunderwerb durch die Beklagte an dem Ergebnis der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nichts ändere. Der Grunderwerb könne noch im Rahmen der Kostenspaltung separat abgerechnet und verbeschieden werden.
14
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 legte der Kläger ein Urteil des Landgerichts … vom 15. Oktober 2018 vor, in dem die Beklagte verurteilt wurde, das im Eigentum des Klägers stehende Grundstück Fl.-Nr. … zu räumen und herauszugeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Behörden- und die Gerichtsakten sowie auf die über die mündliche Verhandlung gefertigte Niederschrift.

Entscheidungsgründe

16
Die Klage ist hinsichtlich Ziffer 2 bereits unzulässig. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet.
17
1. Der Antrag, die Beklagte zur Rückzahlung des bereits geleisteten Straßenausbaubeitrags zu verurteilen, ist unzulässig, da es am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Voraussetzung für die Leistungsklage ist ein vorheriger Antrag bei der Beklagten auf Rückzahlung des geleisteten Beitrags, nachdem der streitgegenständliche Bescheid aufgehoben wurde. Erst bei Ablehnung der Rückzahlung durch die Beklagte entsteht ein Rechtsschutzbedürfnis für den hier gestellten Antrag. Mangels dieser Voraussetzungen war die Klage in Ziffer 2 bereits unzulässig (so auch BVerwG, U.v. 4. November 1976 - II C 59.73; VG München, U.v. 27. Juli 2006 - M 10 K 05.2557).
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2. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2013 in der Fassung des Abhilfebescheids vom 4. Mai 2016 und des Widerspruchbescheids vom 5. Februar 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Straßenausbaubeitragsbescheid ist rechtswidrig, weil die abzurechnende Maßnahme noch nicht vollständig abgeschlossen war und deshalb die sachliche Beitragspflicht bislang noch nicht entstehen konnte. Es fehlt nach wie vor am vollständigen notwendigen Grunderwerb, den die Beklagte in ihrer Ausbaubeitragssatzung (ABS) als Merkmal des Entstehens der Beitragsschuld (sachliche Beitragspflicht) bestimmt hat, § 3 ABS in der Fassung vom 27. Januar 2003.
20
Für das Erschließungsbeitragsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 9. August 2013 - Az. 9 B 31.13 Folgendes ausgeführt:
„Das Eigentum der Gemeinde an den Straßenflächen muss zwar nicht, darf aber als Herstellungsmerkmal in der Satzung angeordnet werden. Der Zweck des § 132 Nr. 4 BauGB, den betroffenen Bürgern die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage möglichst eindeutig erkennbar zu machen, wird nicht gefährdet, wenn der Grunderwerb zum Herstellungsmerkmal erklärt wird. Denn er lässt sich anhand eines objektiven, eindeutig erkennbaren Kriteriums feststellen, nämlich der Eintragung im Grundbuch.“
(so auch VGH München, B.v. 4. März 2013 - 6 B 12.2097, für das Straßenausbaubeitragsrecht BayVGH, B.v. 10. April 2014 - 6 ZB 14.85; OVG Mecklenburg-Vorpommern, U.v. 27. Januar 2016 - 1 L 1/12).
21
Dieses Merkmal ist vorliegend nicht erfüllt.
22
Unstreitig hat die Beklagte das Eigentum an Grundstücken, die Teil der auszubauenden Maßnahme waren (Fl.-Nrn. … und …, Gemarkung …), nicht erlangt.
23
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat es auch eines Grunderwerbs und nicht nur einer Verfügungsbefugnis nach dem BayStrWG bedurft (dazu a.). Der Grunderwerb war nach Auffassung der Kammer auch notwendig im Sinne des § 3 ABS (dazu b.).
24
a. Bereits der Wortlaut des § 3 ABS lässt nicht den Schluss zu, dass für das Merkmal „Grunderwerb“ eine bloße Verfügungsbefugnis genügt. Grunderwerb bedeutet endgültiger Abschluss der Eigentumsübertragung mit Eintragung in das Grundbuch. Dass die Beklagte nicht Eigentümerin oben genannter Grundstücke ist, ist unbestritten und dies zeigen insbesondere Grundbuchauszüge.
25
Unabhängig hiervon kann aus Rechtsgründen keine korrigierende Auslegung dahingehend erfolgen, dass eine bloße Verfügungsbefugnis genügt (wie sie von der Beklagten ins Auge gefasst wird). Denn eine solche Auslegung würde dem Bestimmtheitsgebot widersprechen. Eine Merkmalsregelung, die im Wege der Interpretation ausgeweitet werden kann, wäre mit dem Gebot der Bestimmtheit nicht zu vereinbaren (vgl. BVerwG, U. v. 19.11.1982, a. a. O.; BayVGH, U. v. 17.12.2004, a. a. O.).
26
b. Die bislang nicht erworbenen Grundstücke waren für die Entstehung der Beitragspflicht auch notwendig im Sinne des § 3 ABS.
27
Zum einen ergibt sich die Notwendigkeit von Grundstücken/Grundstücksflächen für die Ausbaumaßnahme aus dem Inhalt des Bauprogramms der Beklagten. Durch die Bestimmung des Umfangs der Ausbaumaßnahe bestimmt sich die Notwendigkeit der zu erwerbenden Grundstücken. Hat sich die Beklagte auf einen gewissen Umfang der Maßnahme und für ein Bauprogramm entschieden, so ist der Erwerb von Grundstücken, die von der Maßnahme umfasst sind, notwendig.
28
Aus den Akten und insbesondere den Plänen zum Bau des Gehweges geht hervor, dass die hier inmitten stehenden Grundstücke (Fl.-Nrn. … und … Teil der Erneuerung des Gehwegs sind und somit Bestandteil der ausgebauten und abgerechneten Maßnahme.
29
Eine andere Auslegung des Begriffs der „Notwendigkeit“ verstößt auch gegen das Bestimmtheitsgebot. Die Beitragspflichtigen müssen aus den Unterlagen (Bauprogramm, Pläne etc.) eindeutig und unmissverständlich erkennen können, welche Grundstücke von der Ausbaumaßnahme erfasst und überbaut werden, mithin „notwendig“ sind. Eine einseitige Auslegung der Beklagten, welche Grundstücke sie unabhängig vom Bauprogramm für „notwendig“ für die abzurechnende Maßnahme hält, würde wiederum dem Gebot der Bestimmtheit widersprechen.
30
Es fehlt demnach an einem notwendigen Grunderwerb oben genannter Grundstücke und damit an einem Merkmal zur Entstehung der sachlichen Beitragspflicht.
31
Der Klage war somit in Ziffer 1 stattzugeben.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.