Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 20.08.2019 – Vf. 2-VII-18
Titel:

Unzulässige Popularklage gegen außer Kraft getretene Regelungen zur Gebührenpflicht für die staatliche zur Unterbringung von Asylbegehrenden und für andere Sachleistungen

Normenketten:
BV Art. 98 S. 4
VfGHG Art. 27 Abs. 5
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Einstellung eines Popularklageverfahrens nach Erledigterklärung, soweit es § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 DVAsyl 2016 betrifft. (Rn. 13 – 15)
2. Unzulässigkeit einer Popularklage mangels Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie sich gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 richtet. (Rn. 16 – 23)
3. Ein Interesse an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer außer Kraft getretenen Rechtsvorschrift kann nicht damit begründet werden, hierdurch würde die Rechtsposition von Betroffenen im Hinblick auf die Rücknahme darauf beruhender bestandskräftiger Gebührenbescheide gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BayVwVfG verbessert. (Rn. 20 – 23)
Schlagworte:
Popularklage, Asyldurchführungsverordnung, Feststellungsinteresse, Außerkrafttreten, Gebührenbescheid
Fundstellen:
BayVBl 2020, 306
LSK 2019, 18763
BeckRS 2019, 18763

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12 a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung - DVAsyl) vom 16. August 2016 (GVBl S. 258, BayRS 26-5-1-A/I) betrifft.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
3. Dem Antragsteller sind die durch das Popularklageverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte aus der Staatskasse zu erstatten.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Popularklage richtet sich gegen die Gebührenregelung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12 a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung - DVAsyl) vom 16. August 2016 (GVBl S. 258, BayRS 26-5-1-A/I) sowie gegen deren Vorgängerregelung in § 22 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes (Asyldurchführungsverordnung - DVAsyl) vom 4. Juni 2002 (GVBl S. 218, BayRS 26-5-1-A) in der Fassung des § 1 Nr. 4 der Änderungsverordnung vom 13. April 2004 (GVBl S. 126).
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1. Die angegriffenen Vorschriften regeln auf der Grundlage des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Kostengesetzes (KG) die Gebührenpflicht für die Inanspruchnahme von staatlichen Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbegehrenden und von anderen Sachleistungen.
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a) Die Bestimmungen der Asyldurchführungsverordnung vom 16. August 2016 (DVAsyl 2016), die gemäß § 30 Abs. 1 DVAsyl 2016 am 1. September 2016 in Kraft getreten sind, haben folgenden Wortlaut:
§ 23 Unterkunftsgebühr
(1) Die Höhe der Gebühr für die Unterkunft beträgt
1. für allein stehende oder einem Haushalt vorstehende Personen monatlich 278 €,
§ 24 Gebühren für Verpflegung und Haushaltsenergie Die Höhe der Gebühr beträgt
1. für Alleinstehende oder Alleinerziehende monatlich 128 € für Verpflegung und 28 € für Haushaltsenergie,
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b) Die Vorgängerregelung der Asyldurchführungsverordnung vom 4. Juni 2002 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 13. April 2004 (DVAsyl 2002/ 2004), die gemäß § 30 Abs. 2 DVAsyl 2016 mit Ablauf des 31. August 2016 außer Kraft getreten ist, lautete:
§ 22 Unterkunftsgebühr (1) 1Die Höhe der Gebühr für Unterkunft und Heizung beträgt
1. für allein stehende oder einem Haushalt vorstehende Personen monatlich 185,00 €;
2. für Haushaltsangehörige monatlich 65,00 €.
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2. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die §§ 23 und 24 DVAsyl 2016 mit rechtskräftigem Beschluss vom 16. Mai 2018 Az. 12 N 18.9 im Wege der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam erklärt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Verordnungsgeber habe es entgegen dem Erfordernis aus Art. 21 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 KG unterlassen, vor Festlegung der Gebührensatzhöhe eine ordnungsgemäße Gebührenkalkulation zu erstellen.
II.
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1. Der Antragsteller hat mit seiner am 6. Februar 2018 erhobenen Popularklage ursprünglich beantragt, § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 DVAsyl 2016 sowie § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Ferner hat er mit Schriftsatz vom 12. April 2018 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der der Vollzug der angegriffenen Vorschriften und die Vollstreckung der auf ihrer Grundlage erlassenen Gebührenbescheide bis zur Entscheidung über die Popularklage ausgesetzt wird.
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Nach Auffassung des Antragstellers verletzen die Gebührenregelungen das Willkürverbot des Art. 118 Abs. 1 BV. Es gebe keinen sachlichen Grund, für eine Leistung, die ausschließlich in der Zurverfügungstellung einer Wohnfläche bestehe, eine Gebühr nach Köpfen und in einer Höhe zu bemessen, die im Ergebnis zu einem Entgelt führe, das bei einem vergleichbaren zivilrechtlichen Mietverhältnis wegen Mietwuchers nichtig und strafbar wäre. Die Gebühr sei jedenfalls in den Fällen dicht belegter Gemeinschaftsunterkünfte sittenwidrig. Darüber hinaus sei das Äquivalenzprinzip verletzt, weil die pauschale Gebührenregelung ohne Berücksichtigung der zugewiesenen Wohnfläche in krassem Missverhältnis zur staatlichen Leistung stehe. Ferner werde gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit verstoßen, weil auf der Grundlage der angegriffenen Regelungen gegenüber den Betroffenen ohne vorherige Information zum Teil Gebührenbescheide mit einer Rückwirkung von bis zu 17 Monaten erlassen worden seien. Es widerspreche dem Vertrauensschutz, die rückwirkende Festsetzung auch für Gebühren zu erlauben, die die ortsübliche Miete um das Doppelte oder Dreifache überstiegen und mit denen die Betroffenen nicht hätten rechnen müssen.
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2. a) Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 1. Juni 2018 unter Hinweis auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2018 Az. 12 N 18.9 die Popularklage und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit für erledigt erklärt, als sie sich gegen §§ 23 und 24 DVAsyl 2016 richten.
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b) Hinsichtlich § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 hat er die Popularklage und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufrechterhalten. An einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung bestehe weiterhin ein beachtliches Interesse, weil auf der Grundlage dieser Vorschrift in großer Zahl Gebührenbescheide erlassen worden seien, die bei Erfolg der Popularklage mit Wirkung für die Vergangenheit als rechtswidrig zurückgenommen werden könnten und auch müssten. Die Rücknahme begründe einen Anspruch der Betroffenen gegen den Freistaat Bayern darauf, gezahlte rechtswidrige Unterbringungsgebühren und Energiekostenbeiträge zurückerstattet zu bekommen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 ebenso in massiver Weise gegen das Willkürverbot verstoße, wie das der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für die Nachfolgeregelungen in §§ 23, 24 DVAsyl 2016 festgestellt habe.
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Dass die Asyldurchführungsverordnung 2002/2004 schon vor Erhebung der Popularklage außer Kraft getreten sei, schließe es nicht aus, ihre Verfassungswidrigkeit nachträglich festzustellen. Denn eine verfassungswidrige Norm sei von Anfang an nichtig und nicht erst aufgrund der Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit. Für die Zulässigkeit einer Popularklage komme es darauf an, ob von einer solchen Rechtsvorschrift noch rechtliche Wirkungen ausgehen könnten. Das sei bei § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 der Fall. Auch wenn die auf dieser Grundlage erlassenen Gebührenbescheide inzwischen bestandskräftig und vollzogen sein mögen, führe das nicht zur Unzulässigkeit der Popularklage. Der Gesetzgeber selbst habe in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 BayVwVfG eine Ausnahme von dem Grundsatz der Aufrechterhaltung unanfechtbar gewordener Bescheide im Interesse der Rechtssicherheit normiert. Danach könne jeder Adressat eines bestandskräftigen Gebührenbescheids zumindest innerhalb der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 3 Satz 5 BayVwVfG beantragen, alle gegen ihn erlassenen Gebührenbescheide zurückzunehmen und die von ihm bezahlten Gebühren zurückzuzahlen.
III.
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1. Der Bayerische Landtag ist der Ansicht, es bestehe mit Blick auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens.
12
2. Die Bayerische Staatsregierung hat mitgeteilt, dass eine Neuregelung der Gebührenerhebung auf der Grundlage der Asyldurchführungsverordnung entsprechend den Vorgaben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 16. Mai 2018 vorbereitet werde. Ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens bestehe aus ihrer Sicht nicht. Soweit der Antragsteller die Popularklage aufrechterhalte, sei sie unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis fehle.
IV.
13
1. Das Verfahren ist einzustellen, soweit es § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 DVAsyl 2016 betrifft und vom Antragsteller für erledigt erklärt worden ist.
14
Das Popularklageverfahren nach Art. 98 Satz 4 BV dient dem Schutz der Grundrechte als Institution. Ist es in zulässiger Weise eingeleitet worden, so kann es der Antragsteller grundsätzlich nicht durch eine prozessuale Erklärung von sich aus beenden. Da kein Antrag nach Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 2 VfGHG gestellt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof darüber zu befinden, ob ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens besteht (Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 1 VfGHG). Dies ist dann anzunehmen, wenn eine verfassungsgerichtliche Klärung von Fragen, die den Gegenstand des Verfahrens bilden, im öffentlichen Interesse geboten erscheint (vgl. VerfGH vom 2.12.1997 VerfGHE 50, 268/270; vom 20.11.2018 -Vf. 1-VII-18 - juris Rn. 8).
15
Das ist nicht der Fall. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO die angegriffenen Vorschriften der Asyldurchführungsverordnung 2016 mit rechtskräftigem Beschluss vom 16. Mai 2018 Az. 12 N 18.9 für unwirksam erklärt. Damit steht allgemein verbindlich fest (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO), dass sie von Anfang an unwirksam waren und zu keinem Zeitpunkt Rechtswirkungen entfalten konnten. Das schließt ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Popularklageverfahrens in aller Regel und so auch im vorliegenden Fall aus. Es lässt sich insbesondere nicht mit der Erwägung begründen, der Verordnungsgeber beabsichtige eine Neuregelung der strittigen Gebühren. Denn die Prüfung abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VerfGH vom 25.5.1972 VerfGHE 25, 71/73; vom 6.12.2010 BayVBl 2011, 238/239).
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2. a) Die Popularklage ist unzulässig, soweit sie sich gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 richtet. Es fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil die angegriffenen Vorschriften bereits - vor Erhebung der Popularklage - außer Kraft getreten sind.
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aa) Die Asyldurchführungsverordnung 2002/2004 ist gemäß § 30 Abs. 2 DVAsyl 2016 mit Ablauf des 31. August 2016 außer Kraft getreten. Dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Gebührenregelungen der §§ 23 und 24 DVAsyl 2016 für unwirksam erklärt hat, lässt aus den zutreffenden Gründen dieser Entscheidung (BayVGH vom 16.5.2018 - 12 N 18.9 - juris Rn. 120) die alten Gebührenregelungen der §§ 22 und 23 DVAsyl 2002/2004 nicht „Wiederaufleben“. Denn mit der ausdrücklichen Anordnung des Außerkrafttretens der alten Verordnung gibt der Verordnungsgeber typischerweise zu erkennen, dass das alte Recht ersatzlos entfallen soll (vgl. BayVGH vom 16.8.2001 VGH n. F. 54,178/182 f.; Holtbrügge in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 2 Rn. 49). Weder Wortlaut noch Sinnzusammenhang des § 30 Abs. 2 DVAsyl 2016 geben Anlass für die Annahme, die alte Verordnung solle in ihrem Gebührenteil ausnahmsweise nur für den Fall außer Kraft gesetzt werden, dass sich die neue Verordnung als wirksame Grundlage für eine Gebührenerhebung erweist.
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bb) Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. Ein solches Interesse besteht dann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 9.5.2016 BayVBl 2016, 625 Rn. 103 m. w. N.; vom 2.12.2016 - Vf. 3-VII-14 -juris Rn. 13; vom 30.8.2017 BayVBl 2018, 234 Rn. 75).
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Ein objektives Interesse in diesem Sinn ist zu verneinen. Es ist nicht substanziiert vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass noch Gebühren- oder Vollstreckungsstreitigkeiten aus dem Nutzungszeitraum vor dem 1. September 2016 anhängig sind, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit der damaligen Rechtsgrundlage entscheidungserheblich ankäme.
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cc) Ein Feststellungsinteresse lässt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht mit der Erwägung begründen, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit würde die Rechtsposition der Adressaten von bestandskräftig gewordenen und vollzogenen Gebührenbescheiden für den fraglichen Zeitraum im Rahmen eines Antrags auf Rücknahme und Ausgleich des Vermögensnachteils nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BayVwVfG verbessern. Solche Auswirkungen kämen der angestrebten verfassungsgerichtlichen Entscheidung nicht zu.
21
Die Popularklage dient dem Schutz der Grundrechte gegenüber Rechtsvorschriften, von denen noch rechtliche Wirkungen ausgehen können, nicht dagegen der nachträglichen Beseitigung bestandskräftiger Entscheidungen, die im Vollzug solcher Rechtsvorschriften ergangen sind (VerfGH vom 29.4.1993 VerfGHE 46, 137/139 f.; vom 28.10.2014 VerfGHE 67, 274 Rn. 30; vom 27.8.2018 BayVBl 2019, 46 Rn. 25). Das Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof enthält zwar keine ausdrückliche Regelung zur Frage, welche Rechtsfolgen sich aus der Nichtigerklärung einer Rechtsvorschrift für darauf beruhende, bestands- oder rechtskräftig gewordene und vollzogene Verwaltungsakte oder Gerichtsentscheidungen ergeben. Eine entsprechende Anwendung des § 79 BVerfGG, hier des Absatzes 2 Sätze 1 und 2 dieser Vorschrift, liegt aber nahe (vgl. VerfGHE 46, 137/140 m. w. N.). Danach bleiben - außer im Strafrecht und vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung - die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt; die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist ausgeschlossen. Dem ist der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen (BVerfG vom 6.12.2005 BVerfGE 115, 51/63).
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Diese gesetzgeberische Wertung untersagt zwar nicht, bestandskräftige Verwaltungsakte, die auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhen, in Anwendung der allgemeinen Verwaltungsverfahrensvorschriften (Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG) auch für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Regelungen stellen die Entscheidung über die Rücknahme aber in das Ermessen der zuständigen Behörde, bei deren Ausübung der Rechtsgedanke des § 79 Abs. 2 BVerfGG einzubeziehen ist, wenn sich aus dem einschlägigen Fachgesetz nichts anderes ergibt (BVerwG vom 24.2.2011 NVwZ 2011, 888 Rn. 15; vom 26.9.2012 NVwZ-RR 2013, 325 Rn. 25). Die Nichtigerklärung der Rechtsgrundlage reduziert dieses Ermessen daher nicht in der Weise (auf Null), dass eine Verpflichtung der Behörde (zum Wiederaufgreifen des Verfahrens und) zur Rücknahme des Verwaltungsakts besteht. Der Betroffene hat lediglich Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über (ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und) die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts (vgl. Suerbaum in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 48 Rn. 60 ff. und Engels, ebd., § 51 Rn. 8 ff.).
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In diesem gesetzlichen Rahmen kann die Rechtsposition von Adressaten rechtsbeständiger Gebührenbescheide, die in Vollzug des § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 für die Zeit vor dem 1. September 2016 erlassen worden sind, durch eine verfassungsgerichtliche Nichtigerklärung der damaligen Rechtsgrundlage nicht in einer Weise verbessert werden, die ein objektives Feststellungsinteresse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über die Popularklage begründet. Zwar mag eine Reduzierung des Ermessens ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn sich aufgrund der besonderen Umstände allein eine Rücknahme als ermessensfehlerfrei erweist. Das ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheids nach den Umständen des Einzelfalls schlechthin unerträglich erscheint (etwa BVerwG vom 23.10.2007 BVerwGE 129, 367 Rn. 33; vom 22.10.2009 BVerwGE 135, 121 Rn. 30). Dafür kann aber die - abstrakte - verfassungsgerichtliche Prüfung der Rechtsgrundlage im Popularklageverfahren nichts hergeben.
24
b) Durch die Entscheidung über die Popularklage hat sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt.
VI.
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1. Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).
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2. Nach Art. 27 Abs. 5 VfGHG kann der Verfassungsgerichtshof die volle oder teilweise Erstattung von Kosten und Auslagen anordnen. Er kann nach seiner Rechtsprechung von dieser Befugnis auch in Fällen Gebrauch machen, in denen -wie hier zu § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 DVAsyl 2016 - ein Verfahren eingestellt wird (VerfGH vom 11.2.1993 VerfGHE 46, 40/42; vom 24.5.1995 VerfGHE 48, 46/48; VerfGH BayVBl 2011, 238/239).
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Es entspricht der Billigkeit, gemäß Art. 27 Abs. 5 VfGHG der Staatskasse die Hälfte der notwendigen Auslagen aufzuerlegen, die dem Antragsteller durch seine Popularklage entstanden sind. Soweit er sich gegen § 23 Abs. 1 Nr. 1 und § 24 Nr. 1 DVAsyl 2016 gewendet hat, wurde seinem Begehren im Ergebnis entsprochen, weil diese Vorschriften vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof für unwirksam erklärt worden sind. Im Hinblick auf die zugleich angegriffene Vorgängerregelung in § 22 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004 war die Popularklage hingegen von vornherein unzulässig.