Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.07.2019 – 5 ZB 18.895
Titel:

Bestimmung eines nicht feststellbaren Personenstands

Normenketten:
PStG § 25
VwGO § 124a Abs. 5 S. 4, § 152 Abs. 1
Leitsatz:
Die sich aus § 25 PStG ergebende Mitwirkungsobliegenheit eines im Ausland Geborenen kann auch dann verletzt sein, wenn er schon im vorangegangenen aufenthaltsrechtlichen Verfahren zumutbare Aufklärungsbemühungen unterlassen hat.
Schlagworte:
Bestimmung eines nicht feststellbaren Personenstands, abgelehnter Asylbewerber, ungeklärte Identität, Mitwirkungsobliegenheit, Personenstand
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 20.02.2018 – W 1 K 17.101
Fundstellen:
BayVBl 2020, 381
DVBl 2020, 508
BeckRS 2019, 17762
LSK 2019, 17762
DÖV 2019, 1016

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Bestimmung seines Personenstands gemäß § 25 PStG. Er reiste Anfang 2001 in die Bundesrepublik ein und stellte einen Asylantrag, der unanfechtbar abgelehnt wurde. Seine Herkunft blieb dabei ungeklärt. Nach Abschluss des Asylverfahrens wurde der Kläger sowohl dem pakistanischen als auch dem afghanischen Generalkonsulat in Deutschland vorgeführt; beide Generalkonsulate verweigerten die begehrte Ausstellung eines Reisepasses. Im Zuge des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gab der Kläger 2008 eine eidesstattliche Versicherung ab, wonach er im Jahr 1981 in Afghanistan geboren, schiitischen Glaubens sei und der Volksgruppe der Hazara angehöre. Im Alter von zwei Jahren sei er von einem Freund der Familie mit nach Pakistan genommen worden, wo er wie ein Pakistaner aufgewachsen sei; ab seinem neunten Lebensjahr sei er dort weitgehend auf sich allein gestellt gewesen.
2
Nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beantragte der Kläger die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, die unter Hinweis auf seinen Aufenthaltsstatus nach § 25 Abs. 5 AufenthG abgelehnt wurde. Im ausländerrechtlichen Verfahren legte der Kläger im Jahr 2009 nach mehrmaligen Aufforderungen einen ausführlichen Lebenslauf vor. Daraufhin bat das Landratsamt mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 um die Klärung von aufgetretenen Widersprüchen und um die Beantwortung einiger zusätzlicher Fragen. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach. Den Antrag auf Beurkundung seiner Geburt im Ausland gemäß § 49 PStG a.F. (jetzt § 36 PStG) lehnte der zuständige Standesbeamte mit Bescheid vom 18. Oktober 2010 ab, weil die Identität des Klägers nicht geklärt sei. Dies wurde vom Amtsgericht Schweinfurt und vom Oberlandesgericht Bamberg bestätigt.
3
Im Jahr 2015 beantragte der Kläger, Maßnahmen nach § 25 PStG zu treffen, insbesondere zu bestimmen, dass ein Vor- und Familienname sowie ein Geburtsort und Geburtstag in das Personenstandsregister einzutragen seien. Aufgrund seiner persönlichen Situation und der Gegebenheiten in Afghanistan und Pakistan könne er nie in den Besitz identitätsnachweisender Dokumente gelangen. Das Landratsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22. Dezember 2016 ab. Nachhaltige und erfolgversprechende Bemühungen des Klägers, seine Identität mit Hilfe der vorgeblichen Herkunftsstaaten zu klären, seien weder erkennbar noch ausreichend nachgewiesen.
4
Die daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Würzburg vom Urteil vom 20. Februar 2018 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 25 PStG nicht erfüllt seien. Zwar unterfalle der Kläger grundsätzlich dem Merkmal der „angetroffenen Person“, das auch Personen erfassen könne, die zwar nicht hilflos seien, aber keine zutreffenden Angaben über ihren Personenstand machen könnten. Die weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 25 PStG, dass der Personenstand des Betroffenen nicht zu ermitteln sei, liege jedoch nicht vor. Eine Feststellung nach § 25 PStG komme nur und erst dann in Betracht, wenn alle behördlichen Nachforschungen ergebnislos geblieben seien oder jedenfalls kein sicheres Ergebnis erbracht hätten. Das Verfahren dürfe nicht dazu missbraucht werden, eine Person, die Namen und Herkunft zu verheimlichen suche, mit einem amtlich festgelegten „Ersatz-Personenstand“ auszustatten. Zurückhaltung sei deshalb insbesondere bei Ausländern geboten, bei denen in erster Linie der Heimatstaat für die Identitätsklärung zuständig sei. Der Kläger habe nicht in ausreichender Weise an der Klärung seines Personenstandes mitgewirkt; insbesondere habe er das Schreiben des Landratsamts vom 9. Dezember 2009 nicht beantwortet. Die Widersprüche seit Beginn des Asylverfahrens bis heute fielen in die Sphäre des Klägers, der sich nicht einfach auf mangelndes Erinnerungsvermögen berufen könne. Es erscheine nicht völlig aussichtslos, nach Beantwortung auch nur eines Teils der gestellten Fragen bei erneuten Ermittlungen durch das pakistanische oder afghanische Konsulat weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
5
Gegen das Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt.
II.
6
1. Der allein auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ernstliche Zweifel im Sinn dieser Norm bestehen (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Dies setzt voraus, dass mit dem Zulassungsantrag ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - NVwZ 2016, 1243/1244 m.w.N.).
7
Der Kläger trägt zur Begründung seines Zulassungsantrags vor, das Verwaltungsgericht habe die klägerischen Aufklärungsmöglichkeiten überschätzt und überzogene Anforderungen an seine Verpflichtung zur Lieferung weiterer Angaben gestellt. Das Gericht habe verkannt, dass ein erheblicher Teil der von der Behörde gestellten zusätzlichen Fragen Vorgänge in der Kindheit des inzwischen 37 Jahre alten Klägers beträfen. Zu dem Freund der Familie, der sich zunächst um den Kläger gekümmert habe, bestehe bereits seit mehreren Jahrzehnten kein engerer Kontakt mehr. Die gesamte Frageliste der Behörde sei von vornherein auf eine fehlende Beantwortbarkeit angelegt. Ein junger Mensch, der ab dem neunten Lebensjahr im täglichen Existenzkampf weitgehend auf sich allein gestellt gewesen sei, könne die gefragten Dinge nicht wissen. Das Verwaltungsgericht hätte sich um einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Aufklärungsbedürfnissen der Behörde und den realistischen Erinnerungsfähigkeiten des Klägers bei jahrzehntelang zurückliegenden Sachverhalten bemühen müssen.
8
Dieses Vorbringen kann nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel führen. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Bestimmung seines Personenstands nach § 25 PStG hat.
9
a) Nach § 25 PStG bestimmt die zuständige Verwaltungsbehörde, welcher Geburtstag, Geburtsort, Vorname und Familienname für eine Person einzutragen ist, die im Inland angetroffen wird und deren Personenstand nicht festgestellt werden kann. Diese Norm dient dazu, einer Person mit ungewissem Personenstand im Wege einer Notlösung einen „Ersatz-Personenstand“ zu vermitteln, um sie so - vorrangig im öffentlichen Interesse - mit den zur Teilnahme am Rechtsverkehr notwendigen Identifizierungsmerkmalen auszustatten (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1966 - VII C 112.65 - BVerwGE 25, 109/111 f.; VG Berlin, U.v. 29.5.2013 - 3 K 1012.12 - juris Rn. 21 f.; Gaaz/Bornhofen, Personenstandsgesetz, 4. Aufl. 2018, § 25 Rn. 3, 6). Entsprechend ihrem ultima ratio-Charakter ist die Norm eng auszulegen; die konstitutive behördliche Bestimmung eines Personenstands kommt nur in Betracht, wenn alle Aufklärungsmöglichkeiten zur Ermittlung der tatsächlichen Identität ausgeschöpft sind. Zwar steht - wie § 25 Satz 3 PStG zeigt - einer Personenstandsbestimmung der Umstand, dass der Geburtsort des Betroffenen außerhalb des Geltungsbereichs des Personenstandsgesetzes liegt, nicht von vornherein entgegen (vgl. BGH, B.v. 23.1.2019 - XII ZB 265/17 - NJW 2019, 933 Rn. 25; VG Braunschweig, U.v. 22.2.1979 - I A 22/74 - StAZ 1980, 74; anders noch BVerwG, U.v. 23.9.1966 - VII C 23.66 - BVerwGE 25, 113). Bei der Anwendung der Vorschrift ist jedoch das Zusammenspiel mit den aufenthaltsrechtlichen Vorgaben, insbesondere den dortigen Mitwirkungspflichten, zu beachten. Denn die Tatbestandsvoraussetzung des § 25 Satz 1 PStG, dass der „Personenstand nicht festgestellt werden kann“, ist nur erfüllt, wenn der Betroffene alles in seinen Kräften Stehende getan hat, um zu einer Klärung seines Personenstands beizutragen (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1966 - VII C 112.65 - BVerwGE 25, 109/111 f.; BT-Drs. 16/1831 S. 47).
10
b) Hieran gemessen hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Maßnahmen nach § 25 PStG hat. Die tatsächliche Würdigung des Gerichts, dass der Kläger seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht Genüge getan hat und daher das behördliche Feststellungsverfahren noch nicht abgeschlossen werden konnte, ist nicht zu beanstanden; sie wird vom Kläger auch nicht substantiiert in Zweifel gezogen. Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, hat der Kläger zunächst im aufenthaltsrechtlichen Verfahren den Fragenkatalog vom 9. Dezember 2009 nicht, auch nicht teilweise, beantwortet oder zu beantworten versucht. Er kam damit seinen ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten nicht hinreichend nach (vgl. allgemein § 82 AufenthG sowie speziell zur Passpflicht § 3 AufenthG). Dieser aufenthaltsrechtliche Befund kann nicht durch den Rückgriff auf das Verfahren nach § 25 PStG überspielt bzw. ausgehebelt werden. Dementsprechend hat das Landratsamt im personenstandsrechtlichen Verfahren zutreffend auf den bislang nicht beantworteten Fragenkatalog aus dem Jahr 2009 Bezug genommen. Soweit der Kläger einwendet, dass damit die Reichweite seiner Mitwirkungsobliegenheiten überspannt worden sei, hat das Verwaltungsgericht überzeugend dargelegt, dass trotz der langen Zeitspanne und des mangelnden Erinnerungsvermögens des Klägers zumindest Angaben zu einem Teil der Fragen, etwa zu den Namen seiner leiblichen Eltern oder zu den Familienmitgliedern seines Ziehvaters, hätten erwartet werden können. Nach alledem bestehen weitere Ansatzpunkte für die Ermittlung des tatsächlichen Personenstands des Klägers, denen bislang in Ermangelung seiner Mitwirkung nicht nachgegangen werden konnte.
11
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).