Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 05.08.2019 – VG 18 E 19.50678
Titel:

Gerichtsstand bei Familienzusammenführung

Normenketten:
VwGO § 83 S. 1, § 123
GVG § 17a Abs. 2
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 1
Schlagworte:
Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit im Eilverfahren nach § 123 VwGO, Gerichtsstand bei Familienzusammenführung nach der Dublin III-VO Abstellen auf den Aufenthaltsort in Deutschland ansässiger Familienangehöriger (so auch BVerwG, B.v. 2.7.2019, 1 AV 2.19), Asylverfahren, Aufenthalt, Bestimmung, Griechenland, Verfahrensdauer, Verpflichtung, Verweisung, örtliche Unzuständigkeit, Familienzusammenführung, Aufenthaltsort
Fundstelle:
BeckRS 2019, 16866

Tenor

1. Das Verwaltungsgericht Ansbach erklärt sich für örtlich unzuständig.
2. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
verwiesen.

Gründe

1
Das Verwaltungsgericht Ansbach erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist das Verfahren nach Anhörung der Beteiligten an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, § 83 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen folgt hier aus § 123 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO i.V.m. § 17 Nr. 4 JustG NRW.
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Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist für den Erlass einstweiliger Anordnungen das Gericht der Hauptsache zuständig. Letzteres bestimmt sich hier nach Maßgabe des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, da es sich um eine Streitigkeit „nach dem Asylgesetz“ handelt. Dem steht auch der Umstand, dass die hier begehrte Abgabe einer Erklärung zum Überstellungsverfahren nicht im Asylgesetz selbst, sondern in den Vorschriften der Dublin III-VO geregelt ist, nicht entgegen. So greift das Asylgesetz gerade über die Regelung des im Bundesgebiet geführten Asylverfahrens hinaus und schafft gemäß § 88 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Grundlagen für die Zuständigkeiten des Bundesamts im Dublin-Verfahren (VG Freiburg, B.v. 8.5.2018 - A 4 K 11125/17 - juris Rn. 8; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 18; VG Gießen, B.v. 8.4.2019 - 2 L 1027/19.GI.A - BA S. 5; VG Berlin, B.v. 18.4.2019 - 9 L 77.19 A - BeckRS 2019, 6653 Rn. 3; B.v. 17.6.2019 - 23 K L 293.19 A - juris Rn. 6). Auch sonst weist das Asylgesetz enge Verknüpfungen mit den Zuständigkeitsregelungen der Dublin III-VO auf, indem es etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG bestimmt, dass ein Asylantrag bei Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats unzulässig ist (VG Sigmaringen, B.v. 4.3.2019 - A 2 K 7437/18 - juris Rn. 10).
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Ein solch weites Normverständnis erscheint zudem mit Blick auf den mit der Einführung des § 52 Nr. 2 S. 3 VwGO verfolgten Zweck geboten. Mit der Einführung der Vorschrift durch das Zweite VwGO-Änderungsgesetz vom 25. Juli 1978 (BGBl. I 1107) verfolgte der Gesetzgeber gerade eine Dezentralisation der gerichtlichen Zuständigkeit in Asylverfahren, für die zuvor eine bundesweite Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach bestanden hatte (hierzu ausführlich Kraft, BayVBl. 1998, 677). Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von einem weiten Verständnis des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO aus; so soll für die Anwendbarkeit der Vorschrift bereits ein im weiteren Sinn bestehender Zusammenhang mit dem Asylanerkennungsverfahren ausreichend sein (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.1984 - 9 A 1/84 - juris Rn. 4).
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Ein derartiger Zusammenhang mit dem Asylanerkennungsverfahren besteht auch im vorliegenden Fall. Nach Art. 1 Dublin III-VO dienen die in der Verordnung geregelten Kriterien und Verfahren der Bestimmung des für die Prüfung eines von einem Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedsstaats. Ein entsprechendes Ziel verfolgt auch der hiesige Eilantrag; mit diesem wollen die Antragsteller letztlich erreichen, dass sich die Antragsgegnerin für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 4) zuständig erklärt und in ein nationales Asylanerkennungsverfahren eintritt.
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Für die Bestimmung des Gerichtsstands ist damit gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO zunächst derjenige Ort maßgeblich, an dem der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat. Eine Verpflichtung, seinen Aufenthalt an einem bestimmten Ort im Bundesgebiet zu nehmen, besteht hier alleine für den in Deutschland aufhältigen Antragsteller zu 5); dieser wurde zuletzt der Stadt Recklinghausen zugewiesen (Bl. 316 d. Behördenakte). Für die derzeit in Griechenland befindlichen Antragsteller zu 1) bis 4) besteht eine solche Verpflichtung hingegen nicht. Für diese wäre zwar eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach aufgrund des Sitzes des Bundesamts in Nürnberg gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO denkbar. Im Hinblick auf den Umstand, dass der Antrag letztlich auf die Familienzusammenführung und das Zusammenleben der Antragsteller zu 1) bis 4) mit dem in Recklinghausen wohnhaften Antragsteller zu 5) gerichtet ist, ist aber gleichwohl von einer einheitlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen für alle Antragsteller auszugehen (im Ergebnis ebenso VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 19; B.v. 18.4.2019 - 9 L 77.19 A - BeckRS 2019, 6653 Rn. 3; VG Gießen, B.v. 8.4.2019 - 2 L 1027/19.GI.A - BA S. 5; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 20; VG Trier, B.v. 23.7.2019 - 7 L 1027/19.TR - BA S. 2).
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Dahinter stehen letztlich Erwägungen der Prozessökonomie sowie eine konsequente Fortführung des von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO verfolgten Dezentralisierungsgedankens. Vor diesem Hintergrund muss insbesondere von einem einheitlichen Gerichtsstand hinsichtlich aller Antragsteller ausgegangen werden. Eine zum Teil auch in der Rechtsprechung angedachte Differenzierung nach dem jeweiligen Aufenthaltsort der einzelnen Antragsteller (in diese Richtung etwa VG Sigmaringen, B.v. 4.3.2019 - A 2 K 7437/18 - juris Rn. 8-16) erscheint schon wegen des identischen Lebenssachverhalts wenig zielführend. Diese unnatürliche Aufspaltung einheitlicher Lebenssachverhalte ginge zudem mit der Gefahr sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen einher. Dass für diesen gemeinsamen Gerichtsstand hier nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO der Aufenthaltsort des Antragstellers zu 5) maßgebend ist und damit eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen besteht, ist letztlich Ausfluss des in der Vorschrift angelegten Zentralisierungsgedankens. Mit diesem wäre es nur schwer vereinbar, ungeachtet des - mit Blick auf das Ziel der Familienzusammenführung am Wohnsitz des Antragstellers zu 5) in Recklinghausen eindeutig bestehenden - Ortsbezugs auf eine ggf. hinsichtlich der Antragsteller zu 1) bis 4) bestehende Auffangzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach abzustellen.
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Einer Verweisung steht auch nicht entgegen, dass es sich hier um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, da zum einen die § 83 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG auch in solchen Verfahren anzuwenden sind (BayVGH, B.v. 29.7.2002 - 20 A 02.40066 - juris Rn. 9; VGH BW, B.v. 17.1992 - 11 S 3050/91 - juris Rn. 3). Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass den Antragstellern im Hinblick auf die - durch die Verweisung bedingte - Verlängerung der Verfahrensdauer eine Vereitelung ihrer Rechte drohen würde.
8
Eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen steht letztlich auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach sich bei derartigen Konstellationen die Zuständigkeit des Gerichts nach dem in Deutschland lebenden Antragssteller und insofern nach dessen Wohnsitz richtet. Für ein solches Ergebnis spreche (auch), dass, sollte eine Familienzusammenführung erfolgen und die sich noch nicht in Deutschland befindenden Antragsteller ihren Aufenthalt bei dem bereits in Deutschland lebenden Angehörigen begründen, das Verwaltungsgericht, das für den in Deutschland lebenden Angehörigen zuständig ist, dann auch für alle weiteren asylrechtlichen Streitigkeiten gem. § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich zuständig wäre. Damit werde zugleich dem Anliegen entsprochen, einzelne Verfahrensabschnitte nicht unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen. Das Interesse der Antragsgegnerin an einer Konzentration der Rechtsschutzverfahren im Zusammenhang mit Überstellungsbegehren bei dem für den Behördensitz zuständigen Verwaltungsgericht Ansbach habe demgegenüber zurückzutreten (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2.19).
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Den Beteiligten wurde mit Schriftsatz des Gerichts vom 4. Juli 2019 Gelegenheit gegeben, sich bis zum 15. Juli 2019 zu einer Verweisung an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu äußern. Der daraufhin von Seiten der Antragsteller mit Schriftsatz vom 8. Juli 2019 sowie von Seiten der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 10. Juli 2019 geäußerten gegenteiligen Auffassung einer Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach aus § 52 Nr. 5 VwGO war jedoch im Hinblick auf die vorstehend ausgeführten Erwägungen nicht zu folgen.
10
Dieser Beschluss ist gemäß § 83 Satz 2 VwGO, § 17a Abs. 2 GVG unanfechtbar.
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Über die Kosten des Verfahrens hat nach § 83 Satz 1 VwGO, § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu entscheiden (vgl. VGH BW, B.v. 31.7.1991 - 5 S 1874/91 - juris Rn. 3).