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OLG München, Verfügung v. 04.07.2019 – 18 U 4761/18
Titel:

vorsätzlich sittenwidrige Schädigung des Herstellers eines mit einer Abgasrückführung versehenen Motors

Normenketten:
BGB § 31, § 826
StGB § 263 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Schaden des Käufers ist mit Abschluss des durch eine sittenwidrige Einwirkung auf seine Willensbildung zustande gekommenen Kaufvertrages über ein mit einer nicht offengelegten Abschalteinrichtung ausgestattetes Kraftfahrzeug eingetreten (OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 3395). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Vorstand oder Repräsentant des Herstellers den Einsatz einer beanstandeten Motorsteuerungssoftware gekannt und gebilligt hat (OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 3395); den Hersteller trifft eine sekundäre Darlegungslast, wer für die Entwicklung und den Einbau der Software verantwortlich ist. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasrückführung, Täuschung, Schädigung, Gebrauchtfahrzeug, Arglist, Schaden, Hersteller, Vorstand, Kenntnis, sekundäre Darelgungslast
Fundstelle:
BeckRS 2019, 16812

Tenor

Die seitens der Beklagten erhobenen rechtlichen Einwendungen gegen ihre vom Landgericht bejahte Haftung gemäß § 826 in Verbindung mit § 31 BGB hält der Senat nach vorläufiger rechtlicher Würdigung nicht für überzeugend.
a) In den streitgegenständlichen Pkw der Marke … ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor der Baureihe . eingebaut worden, der nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen mit einer - nicht offen gelegten - Einrichtung ausgestattet ist, die die Abgasrückführung so steuert, dass sie im Testlauf für das Typengenehmigungsverfahren höher ist als im Straßenverkehr, und die vom Kraftfahrtbundesamt als unzulässig angesehen wird. Das Inverkehrbringen eines derartigen Fahrzeugs stellt eine konkludente Täuschung des Endkunden dar. Es entlastet die Beklagte nicht, dass sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht selbst hergestellt und in Verkehr gebracht hat. Ihre Schädigungshandlung ist darin zu sehen, dass sie den oben bezeichneten Motor zu dem Zweck entwickelt hatte, dass dieser in einen Pkw eingebaut und als dessen wesentlicher Bestandteil an einen Endkunden verkauft wird, dem die Funktionsweise der Umschaltlogik verheimlicht wird.
b) Ein konkretes Einwirken der Beklagten auf das Vorstellungsbild des Klägers bei Erwerb des Fahrzeugs ist zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 826 BGB - anders als bei einem auf den Straftatbestand des Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) gestützten Schadensersatzanspruch - nicht erforderlich. Ebenso wenig kann sich die Beklagte darauf berufen, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug gebraucht von einem Dritten erworben hat.
c) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt eine bewusste arglistige Täuschung regelmäßig zugleich einen Verstoß gegen die guten Sitten dar (BGH, Urteil vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03, Rn. 13, BGHZ 161, 361). Die Ansicht der Beklagten, dass die Verwendung einer dem Endkunden gegenüber nicht offengelegten Abschaltautomatik nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße, teilt der Senat nicht.
d) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht im Falle einer durch arglistige Täuschung verübten sittenwidrigen Schädigung der Schaden regelmäßig in der eingegangenen Verpflichtung, die der Getäuschte bei Kenntnis der Umstände nicht eingegangen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03, Rn. 14 ff., zit nach juris, BGHZ 161, 361). Deshalb kann der Argumentation der Beklagten nicht gefolgt werden, dass der Klägerin kein erstattungsfähiger Vermögensschaden entstanden sei. Der Schaden des Käufers ist mit Abschluss des durch eine sittenwidrige Einwirkung auf seine Willensbildung zustande gekommenen Kaufvertrages über ein mit einer nicht offengelegten Abschalteinrichtung ausgestattetes Kraftfahrzeug eingetreten (ebenso OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 - 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395).
e) Das Landgericht hat die von ihm bejahte Haftung der Beklagten auf §§ 826, 31 BGB gestützt. Dies begegnet keinen Bedenken.
Zur Begründung eines solchen Schadensersatzanspruchs kann zwar nicht auf die Feststellung verzichtet werden, dass ein verfassungsmäßiger Vertreter im Sinne von § 31 BGB persönlich die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 536/15, Rn. 27, NJW 2017, 250).
Der Senat schließt sich jedoch auch in diesem Punkt der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (a.a.O., Rn. 58) an, wonach eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass ein Vorstand oder Repräsentant der Beklagten den Einsatz der beanstandeten Motorsteuerungssoftware gekannt und gebilligt hat, weil ein „Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters“, der den Vorstand bzw. Repräsentanten, der den Einsatz der Motorsteuerungssoftware genehmigt hat, ebenfalls getäuscht haben müsste, höchst unwahrscheinlich wäre.
Im Übrigen trifft die Beklagte nach Ansicht des Senats eine sekundäre Darlegungslast, weil die primär darlegungsbelastete Klägerin außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während der Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung möglich und zumutbar ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 559/14, Rn. 18, NJW 2016, 3244). Der Vortrag der Beklagten, sie habe trotz Bemühungen nicht ermitteln können, wer für die Entwicklung und den Einbau der streitgegenständlichen Software verantwortlich sei, ist unsubstantiiert und widerspricht jeder Lebenserfahrung.