Inhalt

SG Landshut, Urteil v. 18.06.2019 – S 4 KR 9/19
Titel:

Krankenversicherung:

Normenkette:
SGB V § 13 Abs. 3 Satz 1, § 37
Leitsätze:
1. Der Anspruch auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form der Behandlungspflege ist nicht dadurch ausgeschlossen, weil die Einrichtung selbst zur Erbringung medizinischer Behandlungspflege verpflichtet ist. (Rn. 48)
2. Die Erbringung medizinischer Behandlungspflege gehört nicht regelmäßig als einfachste Maßnahme der Krankenpflege zu der von ambulant betreuten Wohngemeinschaften geschuldeten Leistung. (Rn. 62)
Schlagworte:
Erbringung von einfachsten Maßnahmen der Krankenpflege oder weitergehender medizinischer Behandlungspflege, geeigneter Ort, häusliche Krankenpflege in ambulant betreuter Wohngruppe, Behandlungspflege, Krankenversicherung, Kostenübernahme, häusliche Krankenpflege, Kostenerstattung, Wohngemeinschaft, Pflegeversicherung, Kostenfreistellung, Sachleistungsanspruch, ambulante Betreuung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 20.08.2019 – L 5 KR 404/19
BSG Kassel vom -- – B 3 KR 2/20 R
Fundstelle:
BeckRS 2019, 15000

Tenor

I. Der Bescheid vom 16.10.2018, geändert im Bescheid vom 08.11.2018 in Form des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018, Az. … ., wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der häuslichen Krankenpflege für den Zeitraum vom 22.10.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von 315,22 EUR freizustellen sowie an die Klägerin 1.882,40 EUR zu bezahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung und Freistellung von den Kosten häuslicher Krankenpflege in Form von Medikamentenabgabe und Blutzuckermessungen vom 22.10.2018 bis 31.12.2018 während die Klägerin in einer ambulant betreuten Wohngruppe lebt.
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1. Die am …1939 geborene Klägerin lebt seit dem 11.12.2016 in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft II in dem „Seniorenservicehaus L.“ zusammen mit 11 weiteren Personen. In dem selben Gebäude befindet sich eine weitere Wohngemeinschaft mit maximal 12 Bewohnern.
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Die Klägerin erhält Pflegeleistungen aus dem Pflegegrad 4. Leistungen der Pflegeversicherung werden im Rahmen der Sachleistung in Anspruch genommen. Die Pflegekasse zahlt auch den Wohngruppenzuschlag in Höhe von 214,00 €.
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2. Dem Aufenthalt in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft in dem „Seniorenservicehaus L.“ lagen folgende Verträge zugrunde:
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Mit der Firma W. Service Wohnen GmbH schloss die Klägerin folgende Verträge:
- den Mietvertrag vom 11.12.2016 (Mietvertag), der u.a. folgende Regelungen enthält:
„Nr. 1.1: Dem Mieter wird der Raum Nr. A001, der aus dem beigefügten Lageplan ersichtlich ist, ausschließlich zu Wohnzwecken überlassen.“
Nr. 3.1: Die Miete (Netto-Kaltmiete) beträgt monatlich 418,12 Euro.
Nr. 4.1: Die Betriebskosten für den Raum A001 betragen 174,20 Euro als monatliche Pauschalzahlung.
Nr. 5.1: Bei Vertragsunterzeichnung leistet der Mieter eine Kaution in Höhe von drei Monatskaltmieten = 1.254,36 Euro.
Nr. 12.2: Die diesem Vertrag beigefügte Gemeinschaftsordnung, der Betreuungsvertrag und das Übergabeprotokoll sind Vertragsbestandteil.
- den Betreuungsvertrag vom 11.12.2016 (Betreuungsvertrag), der u.a. folgende Regelungen enthält:
„§ 2 Nr. 4: Die Leistungen der Betreuungskräfte umfassen insbesondere:
- Rufbereitschaft 24 Stunden
- Bereithaltung bzw. Vermittlung von pflegerischen Diensten;
- Gewährung von Erster Hilfe im Notfall und Vermittlung ärztlicher Hilfe;
- Verständigung von Angehörigen bei Notsituationen;
- Kooperation mit Ärzten;
- Hilfestellung in Behördenangelegenheiten;
- Entwicklung und Gestaltung einer Hausgemeinschaft;
- Information und Beratung der Angehörigen bzw. Betreuer;
- Wäscheservice…
- Zubereitung von täglich drei Haupt-, sowie bis zu drei Zwischenmahlzeiten mit alkoholfreien Getränken
- Reinigung der Wohnung;
§ 3 Nr. 1: Für die in § 2 bezeichneten Leistungen erhält der Träger vom Bewohner ein pauschales Entgelt in Höhe von monatlich € 1.150,00.“
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Mit dem ambulanten Pflegedienst K. W. schloss die Versicherte außerdem einen Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen vom 11.12.2016 (Pflegevertrag) mit folgendem Inhalt:
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1.2. Die Leistungen des SGB V und deren Vergütungen ergeben sich dem Grunde nach aus der vom Pflegedienst mit der Krankenkasse des Kunden geschlossenen Vergütungsvereinbarung. Die vertragsärztlich verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V werden mit der auf der Rückseite dieser Verordnung vorgesehenen Unterschrift des Kunden jeweils Bestandteil des vertraglich vereinbarten Leistungsumfangs. Für nicht gesetzlich krankenversicherte Kunden, die ärztlich verordnete Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Anspruch nehmen, ergeben sich die Vergütung dieser Leistungen aus einem Kostenvoranschlag den der Pflegedienst unverzüglich aushändigt.
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1.3. Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - soweit bewilligt - und der Pflegeversicherung oder anderer Sozialleistungsträger werden vom Pflegedienst unmittelbar mit diesen abgerechnet. Die hinsichtlich der Leistungen der Pflegeversicherung verbleibenden Eigenanteile sowie die Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegenüber nicht gesetzlich Versicherten werden dem Kunden in Rechnung gestellt.
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1.4. Bewilligt die gesetzliche Krankenkasse ärztlich verordnete Leistungen nicht und will der Kunde diese dennoch in Anspruch nehmen, erstellt der Pflegedienst einen Kostenvoranschlag für diese Leistungen auf Basis der zwischen der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse und dem Pflegedienst vertraglich vereinbarten Vergütung. Die nicht bewilligten, aber aufgrund ärztlicher Anordnung weiterhin in Anspruch genommenen Leistungen hat der Kunde selbst zu bezahlen.
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Mit der Vereinbarung zum Bewohnergremium der Wohngemeinschaft II des „Seniorenservicehauses L.“ der W. Service Wohnen GmbH vom 11.12.2016 (Bewohnergremiumsvereinbarung) regelten die Beteiligten das Verhältnis zwischen den Mietern, dem Vermieter dem Pflegedienst und dem Betreuungsdienst. Diese Vereinbarung enthält u.a. folgende Regelungen:
„§ 4 Zuständigkeit des Gremiums
1. Das Gremium entscheidet über die Angelegenheiten des Gemeinschaftslebens, z.B.“
Nutzung und Gestaltung der gemeinsamen Räume, gemeinschaftliche Anschaffungen,
ausnahmsweise Haustierhaltung, Reinigung der Gemeinschaftsräume, Gartenpflege usw. Sonderwünsche erhöhen die Kosten entsprechend.
2. Das Gremium ist an gesetzliche, behördliche und vertragliche Vorgaben gebunden,
die Voraussetzung bzw. Bedingung sind für die Betreuung und Pflege in der Wohngemeinschaft. Das Gremium hat keine Entscheidungskompetenz bzgl. des Betreuungskonzepts des Pflege- und Betreuungsdienstes.
§ 8 Betreuungsvertrag und Pflegevertrag
1. Für jeden Mieter ist mit einem Dienstleister ein individueller Betreuungs- und Pflegevertrag abzuschließen.
Das Bewohnergremium der Wohngemeinschaft des Seniorenservicehauses L. und die W. Service Wohnen GmbH haben am 13.11.2018 einen Vertrag über eine Präsenzkraftbestellung (Präsenzkraftbestellungsvereinbarung) geschlossen, mit folgendem Inhalt:
2.) Leistungen:
Die von den Präsenzkräften zu leistenden Tätigkeiten können sein:
- Organisatorische Unterstützung bei Ein- und Auszug von Bewohnern (nicht Möbeltransport)‚ regelmäßigen Betreuungsangeboten
- Kontakt zu ehrenamtlichen Helfern (Beschäftigungsprogramme)
- Beratung und lnformationsaustausch mit Bewohnern, Angehörigen,
- Vereinbarung von Terminen mit Dritten (z.B. Friseur, Fußpflege, Geistlichen etc.}
- Veröffentlichung von Informationen, Terminen etc (Pinnwand, Presse).
- Entgegennahme und Verteilung von Wareneingängen/Post für Bewohner
- Hilfestellung in Behördenangelegenheiten
- Vermittlung von Hausmeisterdiensten
- Kooperation mit Ärzten, Therapeuten und Apotheken
- Begleitung bei Arztvisiten und Umsetzung der Anweisungen des Arztes Individuelle Pflege- und Betreuungsleistungen sind nicht Gegenstand dieses Auftrages.
Fürsorgeleistungen nach dem SGB XII werden im Rahmen dieser Vereinbarung nicht erbracht.
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3. Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der Praxis Dres. S. E. und K. W.-M. vom 01.10.2018 beantragte der ambulante Krankenpflegedienst K. W. für die Klägerin häusliche Krankenpflege (HKP) in Form von Verabreichen von Medikamenten 7 x täglich/7 x wöchentlich, Blutzuckermessung 3 x täglich/7 x wöchentlich und Injektionen 3 x täglich/7 x wöchentlich für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 31.12.2018.
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Mit Bescheid vom 16.10.2018 wurden Injektionen 3 x täglich/7 x wöchentlich für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 31.12.2018 genehmigt. Verabreichen von Medikamenten 7 x täglich/7 x wöchentlich, Blutzuckermessung 3 x täglich/7 x wöchentlich wurde letztmalig von 01.10.2018 bis 21.10.2018 bewilligt. Hierbei handele es sich um einfachste Behandlungspflege im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die in einem Haushalt grundsätzlich von jedem Erwachsenen erbracht werden könne. Dies sei analog auch auf die Kräfte der Wohngemeinschaften anzuwenden, die für die psychosoziale Betreuung und Begleitung für die Bewohner der Wohngemeinschaft zuständig sind.
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Mit Schreiben vom 02.11.2018 legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit der Vorgabe Behandlungspflege durch nicht geschulte Betreuungskräfte einer Wohngemeinschaft durchführen zu lassen, sei sie nicht einverstanden.
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Mit weiterem Bescheid vom 08.11.2018 lehnte die Beklagte die Medikamentengabe und Blutzuckermessungen ab dem 22.10.2018 ab unter Wiederholung der Begründung des Bescheides vom 16.10.2018.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege bestehe auch in betreuten Wohngemeinschaften. Nach Rechtsprechung des BSG sei eine Behandlungspflege jedoch „nicht erforderlich“, wenn und insoweit die Bewohner bereits einen Anspruch auf die jeweilige Leistung gegen den Betreuungsdienst haben. Ein Anspruch dieser Art ergebe sich aus dem Betreuungsvertrag. Der Betreuungsvertrag mit der Firma W. Service Wohnen GmbH für die ambulante Wohngemeinschaft „Seniorenservicehaus.“ beinhalte unter § 2 als „direkte Leistung“ die Betreuung im „lebenspraktischen Bereich“, dazu gehöre auch die Gesundheitssorge. Die regelmäßige Einnahme von Medikamenten und das Blutzuckermessen seien in den Bereich der Gesundheitssorge einzuordnen. Eine besondere Qualifikation sei hierfür nicht erforderlich, so dass die Verrichtung von Präsenzkräften, auch ohne medizinische Vorkenntnisse jederzeit sichergestellt werden könne.
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Somit sei eine Behandlungspflege im Bereich Medikamentenabgabe und Blutzuckermessen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erforderlich im Sinne der Rechtsprechung, da sie bereits anderweitig sichergestellt sei.
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4. Mit Schriftsatz vom 03.01.2019 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage erhoben und diese mit dem Schriftsatz vom 05.03.2019 begründet.
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Diesen Schriftsätzen beigefügt waren der Mietvertrag vom 11.12.2016, der Pflegevertrag vom 11.12.2016, der Betreuungsvertrag vom 11.12.2016, die Bewohnergremiumsvereinbarung vom 11.12.2016, die Präsenzkraftbestellungsvereinbarung vom 13.11.2018 sowie die Rechnungen samt Leistungsnachweisen des ambulanten Krankenpflegedienstes K. W. für die Monate Oktober, November und Dezember 2018.
20
Anspruchsgrundlage sei § 37 Abs. 2 SGB V, da die Wohngemeinschaft, in welcher die Klägerin lebt, ein geeigneter Ort für die Erbringung der HKP sei. Insbesondere fände die Rechtsprechung des BSG zu den Einrichtungen der Eingliederungshilfe, Urteile vom 25.02.2015 - Az.: B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14, keine Anwendung. Der Anspruchsausschluss gemäß § 37 Abs. 3 SGB V greife nicht, denn im Haushalt der Klägerin lebe keine Person, die die benötigten Leistungen vorrangig zu erbringen hätte. Auch erfolge keine pauschale Abgeltung durch den Zuschlag nach § 38a SGB XI. Eine individuelle pflegerische Versorgung finde durch die Präsenzkraft nach § 38a SGB XI nicht statt.
21
Mit Schriftsatz vom 25.04.2019 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf die aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg, Beschluss vom 18.02.2019 - Az.: S 7 KR 1/19 ER hingewiesen.
22
Mit weiterem Schriftsatz vom 28.05.2019 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beschrieben, welches Personal sich zu welcher Zeit in der Wohngemeinschaft aufhält.
23
Von 06.00 bis ca. 10.00 oder 11.00 Uhr, je nach Bedarf, sei eine Pflegefachkraft anwesend, welche die Wohngemeinschaft im Rahmen ihrer Tour anfährt.
24
Von 07.30 Uhr bis 14.00 Uhr sei für beide im selben Haus geführten Wohngemeinschaften eine Hauswirtschaftskraft anwesend.
25
Von 07.30 Uhr bis 12.00 Uhr sei für beide Wohngemeinschaften eine Servicekraft vor Ort, welche sich mit Hauswirtschaft beschäftigt und insbesondere die Wäsche reinigt.
26
Von 08.00 Uhr bis 13.00 Uhr sei für beide Wohngemeinschaften eine Reinigungskraft zur Reinigung der Zimmer vor Ort.
27
Von 06.00 Uhr bis 14.00 Uhr und von 14.00 Uhr bis 20.30 Uhr sei pro Wohngemeinschaft jeweils eine Betreuungskraft in der WG.
28
Die Präsenzkraft sei ohne feste Zeiten, je nach Bedarf, in der Regel nachmittags in der WG. Je nach Pflegeaufwand gemäß SGB XI und SGB V komme eine Pflegekraft auf der regulären Tour mittags bzw. abends in der Wohngemeinschaft vorbei.
29
Von 20.30 Uhr bis 06.00 Uhr sei für beide Wohngemeinschaften eine Nachtschwester für nächtliche Toilettengänge und für Notfälle anwesend.
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Am 18.06.2019 fand ein Termin zur mündlichen Verhandlung statt.
31
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
1.
Der Bescheid vom 16.10.2018, geändert im Bescheid vom 08.11.2018 in Form des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018, Az. .. … ., wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der häuslichen Krankenpflege für den Zeitraum vom 22.10.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von 315,22 EUR freizustellen sowie an die Klägerin 1.882,40 EUR zu bezahlen.
3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
32
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
33
Die Beklagte verweist mit ihren Schriftsätzen vom 21.01.2019 und 15.04.2019 auf die Gründe des Widerspruchsbescheides.
34
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, die Sitzungsniederschrift und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte.

Entscheidungsgründe

35
Die Klage ist zulässig und begründet.
36
Die Klägerin hat Anspruch auf Kostenfreistellung bzw. -erstattung von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in Form von Medikamentenabgabe und Blutzuckermessungen vom 22.10.2018 bis 31.12.2018 gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V. Danach wandelt sich der Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungs- bzw. Kostenfreistellungsanspruch um, wenn die Krankenkasse einen Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung häusliche Krankenpflege „zu Unrecht abgelehnt“ hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind.
37
Der Anspruch auf Freistellung von den Kosten bzw. auf Kostenerstattung reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt also voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat.
38
Nach der Ansicht der Kammer hat die Klägerin einen Anspruch auf die Gewährung von häuslicher Krankenpflege durch die Beklagte aus § 37 SGB V.
39
Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft kann ein geeigneter Ort zur Erbringung von häuslicher Krankenpflege i.S. des § 37 SGB V sein (hierzu 1.), wenn die Einrichtung nicht selbst zur Erbringung medizinischer Behandlungspflege verpflichtet ist (hierzu 2.) und diese nicht regelmäßig als einfachste Maßnahme der Krankenpflege zu der von ambulant betreuten Wohngemeinschaften geschuldeten Leistung gehört (hierzu 3.).
40
1. Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft kann ein geeigneter Ort zur Erbringung von häuslicher Krankenpflege i.S. des § 37 SGB V sein.
41
a. Nach § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.
42
Gemäß § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.
43
§ 37 Abs. 6 SGB V bestimmt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 festlegt, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können.
44
Diesem Auftrag ist der Gemeinsame Bundesausschuss nachgekommen. In der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (häusliche Krankenpflege-​Richtlinie) heißt es in § 1 Abs. 2 Satz 2, dass Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch an sonstigen geeigneten Orten besteht, an denen sich die oder der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und für die Erbringung der einzelnen Maßnahme geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (z.B. im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), wenn die Leistung aus medizinisch-​pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Orte im Sinne des Satz 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein. § 1 Absatz 5 regelt hierzu, dass für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z.B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden kann.
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Das BSG hat zuletzt in seinem Urteil vom 30.11.2017 - Az.: B 3 KR 11/16 R zur Regelung des „sonstigen geeigneten Ortes“ unter den Randnummern 24 bis 26 Folgendes hierzu ausgeführt:
„Der Senat hat in seiner Rechtsprechung (vor allem BSGE 118, 122 = SozR 4-​2500 § 37 Nr. 13, RdNr. 16 ff) bereits mehrmals die Regelung des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V aF (idF des GKV-​WSG) ausgelegt, durch die eine „vorsichtige Erweiterung“ des Haushaltsbegriffs in dieser Norm vorgenommen worden ist (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-​WSG>, BT-​Drucks 16/3100 S. 104 Zu Nummer 22 <§ 37> Zu den Buchstaben a und c). Danach enthält diese Norm keine gesetzliche Definition des „geeigneten Ortes“. Die Vorschrift zählt lediglich beispielhaft eine Anzahl nicht abschließend genannter „geeigneter Orte“ auf, an denen häusliche Krankenpflege möglich ist mit Rücksicht auf das gesetzliche Anliegen, neue Wohnformen in Wohngemeinschaften oder betreutes Wohnen zu fördern. Der Senat hat die Vorschrift dahingehend ausgelegt, dass dem Gesetzestext nicht (mehr) eine Beschränkung derart zu entnehmen ist, dass häusliche Krankenpflege etwa nur dann beansprucht werden kann, wenn noch ein Mindestmaß an eigener Haushaltsführung „oder ein Leben in der Familie“ vorliegt und wenn weitere Leistungen ggf. ambulant in Anspruch genommen werden können. Vor diesem Hintergrund hat der Senat selbst stationäre Einrichtungen als sonstige geeignete Orte im Sinne der häuslichen Krankenpflege in Betracht gezogen, in denen sich der Versicherte auf unabsehbare Zeit aufhält und betreut wird, ohne anderswo zu leben oder zu wohnen. Der Senat hat dazu aufgezeigt, dass die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit ambulanten Betreuungshilfen hin zu einer stationären Einrichtung fließend sein können, und längst nicht alle Formen des betreuten Wohnens eine größere Nähe zur eigenständigen Haushaltsführung aufweisen als eine herkömmliche stationäre Einrichtung. Auf die dadurch bedingte Schwierigkeit einer eindeutigen Zuordnung einer Einrichtung entweder als stationäres Heim oder als ambulantes Angebot mit Betreuungshilfen hat der Senat unter Berücksichtigung der fortschreitenden Entwicklung neuer Wohnformen hingewiesen.
Im Ergebnis hat der Senat den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege unter Berücksichtigung des aufgezeigten gesetzlichen und gesetzeskonformen untergesetzlichen Regelwerks - mangels einer ausdrücklichen Definition des Tatbestandsmerkmals „geeigneter Ort“ - dahin konkretisiert, dass der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-​pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich (1.) aus der Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse und (2.) für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (wie z.B. in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen). Ob ein solcher Anspruch besteht, muss die Krankenkasse im Einzelfall prüfen (vgl. zum Ganzen: BSGE 118, 122 = SozR 4-​2500 § 37 Nr. 13, RdNr. 16 ff; Parallelurteil vom 25.2.2015 - B 3 KR 10/14 R - Juris RdNr. 16 ff; Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - Juris RdNr. 20 ff, NZS 2015, 617; vgl. auch Senatsbeschluss vom 16.3.2017 - B 3 KR 43/16 B - Juris). Daran hält der Senat fest.
Die vorstehend dargestellten Maßstäbe gelten auch für neue Wohnformen, wie das sog. „Service-​Wohnen“, mit dem üblicherweise verschiedene Möglichkeiten des organisierten Wohnens umschrieben werden. Hierzu zählen Wohnformen kombiniert mit Serviceleistungen, die entweder vor Ort (innerhalb des Wohnprojekts) bereitgestellt oder die durch externe Dienste erbracht werden. Neben einem Kauf- oder Mietvertrag schließen die Bewohner ergänzende Betreuungs- bzw. Service-​Verträge ab (vgl. Börner, in Igl/Felix <Hrsg>, Schriftenreihe Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa, Bd. 8, „Betreutes Wohnen“ in Abgrenzung zum Heimgesetz, Berlin, 2008, zugleich Diss, Kiel 2008, S. 22).“
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b. Die Klägerin lebt in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft II im „Seniorenservicehaus L.“. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 2 häusliche Krankenpflege-​Richtlinie handelt es sich dabei um einen sonstigen geeigneten Ort. Die Klägerin hält sich nämlich dort regelmäßig wiederkehrend auf und die verordnete Maßnahme kann dort zuverlässig durchgeführt werden, weil für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse unzweifelhaft vorliegen und die verordneten Leistungen aus medizinisch-​pflegerischen Gründen während des Aufenthalts in der Wohngruppe notwendig sind.
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Dem Grunde nach kann deshalb die Klägerin in der Wohngemeinschaft, in der sie dauerhaft lebt, einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form der Behandlungspflege haben.
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2. Der Anspruch auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form der Behandlungspflege ist nicht dadurch ausgeschlossen, weil die Einrichtung selbst zur Erbringung medizinischer Behandlungspflege verpflichtet ist.
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a. Das BSG hat im Urteil vom 25.02.2015 - Az.: B 3 KR 11/14 R zur Konstellation der häuslichen Pflege in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe unter den Randnummern 23 und 24 im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erbringung von medizinischer Behandlungspflege Folgendes entschieden:
„Erbringt der Träger der Sozialhilfe die Leistungen der Eingliederungshilfe in einer vollstationären Einrichtung (§ 13 SGB XII, zum Einrichtungsbegriff iS des SGB XII vgl. BSGE 106, 264 = SozR 4-​3500 § 19 Nr. 2 RdNr. 13) der Hilfe für behinderte Menschen, wird grundsätzlich der gesamte Bedarf des Hilfebedürftigen nach § 9 Abs. 1 SGB XII in der Einrichtung in einrichtungsspezifischer Weise befriedigt. Die Einrichtung übernimmt für den Hilfebedürftigen von dessen Aufnahme bis zur Entlassung die Gesamtverantwortung für seine tägliche Lebensführung (vgl. Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand November 2014, K § 13 RdNr. 58, 59 mwN). Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 SGB IX auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zu denen nach § 26 Abs. 2 SGB IX u.a. auch die Behandlung durch Angehörige von Heilberufen gehört, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden, wie es bei der häuslichen Krankenpflege der Fall ist. Nach § 55 Satz 1 SGB XII umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen iS des § 43a SGB XI auch die Pflegeleistungen in der Einrichtung. Ist der behinderte Mensch allerdings so pflegebedürftig, dass die Pflege in der Einrichtung nicht sichergestellt werden kann, vereinbaren der Träger der Sozialhilfe und die zuständige Pflegekasse mit dem Einrichtungsträger, dass die Leistung in einer anderen Einrichtung erbracht wird, wobei den angemessenen Wünschen des behinderten Menschen Rechnung zu tragen ist (§ 55 Satz 2 SGB XII).
Danach hat der Träger der Sozialhilfe zwar letztlich alle Teilhabebedarfe der Eingliederungshilfe zu decken und kann dies durch Leistungen für Einrichtungen (§ 13 Abs. 1 SGB XII) gewährleisten, zu beachten ist aber der Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII). Leistungen anderer Sozialleistungsträger gehen grundsätzlich den Leistungen der Sozialhilfe vor (§ 2 Abs. 1 SGB XII), und auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind (§ 2 Abs. 2 Satz 2 SGB XII). Die medizinische Behandlungspflege ist Aufgabe der GKV, die daher diese Leistung vorrangig vor dem Träger der Sozialhilfe zu erbringen hat. Deshalb hat der Sozialhilfeträger im Verhältnis zur GKV nicht die Aufgabe, durch entsprechende Verträge mit den Einrichtungen der Eingliederungshilfe dafür zu sorgen, dass diese regelmäßig auch Leistungen der medizinischen Behandlungspflege erbringen. Die Verpflichtung der Einrichtung zur Übernahme der Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung sowie zur Deckung der Bedarfe in einrich-tungsspezifischer Weise weist den Einrichtungen daher keine weitergehenden Pflichten zu, als sie aufgrund ihrer Ausrichtung, des Eingliederungszwecks, dem sie dienen, und nach den Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII schulden. Einrichtungen der Eingliederungshilfe schulden danach regelmäßig selbst keine medizinischen Behandlungsmaßnahmen, sondern haben lediglich organisatorisch dafür Sorge zu tragen, dass die Bewohner der Einrichtung neben den von der Einrichtung selbst geschuldeten Leistungen auch solche anderer Träger in Anspruch nehmen können. So schulden solche Einrichtungen keine ärztliche Behandlung, sie haben aber ggf. Arztbesuche zu organisieren bzw. zu ermöglichen und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die medizinische Behandlungspflege, es sei denn, aus den Vereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII ergeben sich weitergehende Leistungsverpflichtungen.“
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Die Kammer folgt insoweit der vorstehend dargestellten Auffassung des BSG, wonach sich eine Einschränkung zur Leistungspflicht der Beklagten für medizinische Behandlungspflege ergibt, wenn ein Anspruch auf Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht.
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b. Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keinen gesetzlichen Anspruch auf Behandlungspflege gegen die Einrichtung.
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Davon, dass es sich bei der Seniorenwohngemeinschaft um eine stationäre Pflegeinrichtung im Sinne des § 71 Abs. 2 SGB XI oder eine stationäre Einrichtung nach § 71 Abs. 4 SGB XI handelte, geht die Beklagte selbst nicht aus. Die Klägerin erhielt von der Pflegekasse häusliche Pflegeleistungen nach § 36 SGB XI. Ein Versorgungsvertrag i.S.d. §§ 71 Abs. 2 i.V.m. § 72 SGB XI wurde mit der Einrichtung seitens der Pflegekasse nicht abgeschlossen. Es gibt auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass die personelle und sachliche Infrastruktur einer stationären Einrichtung bereitgehalten wurde.
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Es bestand auch keine gesetzliche Verpflichtung wegen Unterbringung in einer „faktischen Pflegeeinrichtung“ (zur ähnlichen Wohnsituation wie hier vgl. LSG Baden-​Württemberg Urteil vom 21.7.2015 - L 11 KR 3010/14 - Juris, PflR 2016, 112). Insbesondere enthält der mit der Firma W. Service Wohnen GmbH geschlossene Mietvertrag zwar in Nr. 12.2 die Regelung, dass die diesem Vertrag beigefügte Gemeinschaftsordnung, der Betreuungsvertrag und das Übergabeprotokoll Vertragsbestandteil sind, aber eine vertraglich vereinbarte Verpflichtung zur exklusiv an einen bestimmten Leistungserbringer gebundenen Inanspruchnahme weiterer „Service“ - ​Leistungen bestand nicht.
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c. Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keinen vertraglichen Anspruch auf Behandlungspflege gegen die Einrichtung.
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Das BSG führte im Urteil vom 25.02.2015 - Az.: B 3 KR 11/14 R unter Randnummer 30 und in seinem Urteil vom 22.04.2015 - Az.: B 3 KR 16/14 R unter Randnummer 34 zum vertraglichen Anspruch auf Behandlungspflege Folgendes aus: „In Einrichtungen, die aufgrund entsprechender Verträge auch medizinische Behandlungspflege zu erbringen haben, besteht für Versicherte ein Anspruch hierauf gegen die Einrichtung „nach den gesetzlichen Bestimmungen“ im Sinne von I. 6. Satz 1 HKP-​Richtlinie. Denn wirksame und rechtmäßige vertragliche Regelungen können Ansprüche „nach gesetzlichen Bestimmungen“ begründen, soweit diese eine Regelung durch entsprechende Verträge ausdrücklich vorsehen. Daher wird in der Literatur und der Rechtsprechung nicht zwischen vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen auf Behandlungspflege gegen den Einrichtungsträger unterschieden (vgl. z.B. BSG SozR 4-​2500 § 37 Nr. 2 sowie Weber, NZS 2011, 650, 653; ausdrücklich auch LSG Sachsen-​Anhalt, Urteil vom 24.10.2012 - L 4 KR 30/10 - Juris; LSG Sachsen-​Anhalt, Beschluss vom 22.11.2011 - L 10 KR 32/11 B ER - Juris).“
56
Die Firma W. Service Wohnen GmbH ist vertraglich nicht verpflichtet, für die Klägerin Leistungen der Behandlungspflege zu erbringen.
57
Weder als Vermieterin noch als Trägerin der ambulant betreuten Wohngemeinschaft II im „Seniorenservicehaus L.“ ist die Firma W. Service Wohnen GmbH vertraglich zur Behandlungspflege verpflichtet, denn der Mietvertrag enthält als Leistungspflicht der Vermieterin nur die Wohnraumüberlassung und der Betreuungsvertrag beinhaltet als Leistungspflicht der Trägerin nur Betreuungsleistungen.
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Darüber hinausgehende Leistungspflichten regeln weder der Mietvertrag noch der Betreuungsvertrag.
59
Der mit dem Pflegedienst K. W. geschlossene Pflegevertrag trifft auch Regelungen zu den Leistungen der häuslichen Krankenpflege.
60
Er sieht unter 1.2 vor, dass sich die Leistungen des SGB V und deren Vergütungen dem Grunde nach aus der vom Pflegedienst mit der Krankenkasse des Kunden geschlossenen Vergütungsvereinbarung ergeben. Die vertragsärztlich verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V werden mit der auf der Rückseite dieser Verordnung vorgesehenen Unterschrift des Kunden jeweils Bestandteil des vertraglich vereinbarten Leistungsumfangs. Unter 1.3 bestimmt der Vertrag, dass die Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - soweit bewilligt - vom Pflegedienst unmittelbar mit dieser abgerechnet werden. Weiter ist unter 1.4 geregelt, dass die nicht bewilligten, aber aufgrund ärztlicher Anordnung weiterhin in Anspruch genommene Leistungen der Kunde selbst zu bezahlen hat.
61
Damit bleiben die gegen die Krankenkasse bestehenden Ansprüche auf Leistungen der Behandlungspflege vorrangig.
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3. Die Erbringung medizinischer Behandlungspflege gehört nicht regelmäßig als einfachste Maßnahme der Krankenpflege zu der von ambulant betreuten Wohngemeinschaften geschuldeten Leistung.
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a. Das BSG hat im Urteil vom 25.02.2015 - Az.: B 3 KR 11/14 R unter Randnummer 28 hierzu Folgendes festgestellt:
„Die Leistungspflichten der Eingliederungseinrichtungen ergeben sich für deren Nutzer aus zivilrechtlichen Verträgen mit der Einrichtung und gegenüber dem Träger der Sozialhilfe ausschließlich aus dem SGB XII iVm den auf diesen gesetzlichen Grundlagen basierenden Verträgen (zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis BSGE 102, 1 = SozR 4-​1500 § 75 Nr. 9, RdNr. 15 ff). Entscheidend für die Leistungspflichten der Einrichtungen zur Hilfe behinderter Menschen ist danach das in den Vereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII festgelegte Ziel und der Zweck der Einrichtung, ihr Aufgabenprofil, die vorgesehene sächliche und personelle Ausstattung sowie der zu betreuende Personenkreis. Handelt es sich danach z.B. um eine Einrichtung, deren vorrangige Aufgabe darin besteht, Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten zu leisten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX), gehören einfachste medizinische Maßnahmen (vgl. dazu auch BSG SozR 3-​2500 § 53 Nr. 10), die für Versicherte im eigenen Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können und keine medizinische Fachkunde erfordern, wie die Einnahme von Medikamenten und das Blutdruckmessen, regelmäßig der Natur der Sache nach zum Aufgabenkreis der Einrichtung. Sie sind mit der Gewährung von Eingliederungshilfe durch den Sozialhilfeträger in einer stationären Einrichtung untrennbar verbunden und daher objektiv bereits Bestandteil der Eingliederungshilfe. Dies gilt auch für betreute Wohnformen, wenn dort nach Inhalt und Umfang vergleichbare Eingliederungsleistungen erbracht werden. Zum Erwerb lebenspraktischer Kenntnisse und Fähigkeiten gehört auch die Hilfe bei der Führung eines gesunden Lebens einschließlich der Vermittlung von Einsicht für gesundheitsförderliches Verhalten allgemein und speziell für die Notwendigkeit bestimmter medizinischer Maßnahmen.“
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b. Für die Kammer ist die vorliegende Konstellation der ambulant betreuten Wohngemeinschaft nicht vergleichbar mit der vom Bundessozialgericht entschiedenen Konstellation der häuslichen Pflege in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe.
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Die Argumentation des BSG, wonach einfachste Leistungen der häuslichen Krankenpflege immanenter Bestandteil der Eingliederungshilfe sind, geht davon aus, dass in einer Einrichtung eine Art Gesamtverantwortung für die Bewohner übernommen wird, die das Vorhalten von Personal- und Sachmitteln auf der Grundlage entsprechender Vereinbarungen mit den Sozialhilfeträgern nach §§ 75 SGB XII ff voraussetzt.
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Diese Grundlage für die Entscheidungen des BSG findet in ambulant betreuten Wohngruppen kein Äquivalent. Weder die Präsenzkraft i.S.d. § 38a SGB XI i.V.m. der Präsenzkraftbestellungsvereinbarung noch die Betreuungskräfte i.S.d. Betreuungsvertrages stehen in einer vergleichbaren Pflichtenstellung gegenüber den Versicherten.
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§ 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI bestimmt zu der Präsenzkraft, dass „eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen.“ Dieser Wortlaut der Vorschrift ordnet der Präsenzkraft ausdrücklich keine individuell pflegerischen Aufgaben zu. Die Tätigkeiten der Präsenzkraft müssen sich daher von der individuell pflegerischen Versorgung abgrenzen (vgl. Weber in NZS Heft 2/2019 Seite 55/56).
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In Übereinstimmung hiermit regelt die Präsenzkraftbestellungsvereinbarung unter 2) zu den Leistungen, dass die von den Präsenzkräften zu Ieistenden Tätigkeiten sein können:
- Organisatorische Unterstützung bei Ein- und Auszug von Bewohnern (nicht Möbeltransport)‚ regelmäßigen Betreuungsangeboten
- Kontakt zu ehrenamtlichen Helfern (Beschäftigungsprogramme)
- Beratung und Informationsaustausch mit Bewohnern, Angehörigen,
- Vereinbarung von Terminen mit Dritten (z.B. Friseur, Fußpflege, Geistlichen etc.}
- Veröffentlichung von Informationen, Terminen etc (Pinnwand, Presse).
- Entgegennahme und Verteilung von Wareneingängen/Post für Bewohner
- Hilfestellung in Behördenangelegenheiten
- Vermittlung von Hausmeisterdiensten
- Kooperation mit Ärzten, Therapeuten und Apotheken
- Begleitung bei Arztvisiten und Umsetzung der Anweisungen des Arztes Klarstellend wird bestimmt, dass individuelle Pflege- und Betreuungsleistungen nicht Gegenstand dieses Auftrages sind.
§ 1 Nr. 5 des Betreuungsvertrages regelt Folgendes: „Die Bewohner werden rund um die Uhr von Betreuungskräften betreut die Anleitung und Hilfestellung für die gemeinsame Planung, Gestaltung und Bewältigung des Alltages geben. Soweit notwendig, übernimmt ein ambulanter Krankenpflegedienst die Versorgung mit pflegerischen Leistungen im Sinne der Kranken- und Pflegeversicherung auf der Grundlage eines gesondert abzuschließenden Vertrages.“
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Somit werden Aufgaben auf individuell behandlungspflegerische Versorgung vom Betreuungsvertrag nicht erfasst, sondern sind gesonderten Vereinbarungen vorbehalten.
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Anders als bei Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind der Präsenzkraft vom Gesetzeswortlaut des § 38a SGB XI und den Regelungen der Präsenzkraftbestellungsvereinbarung sowie den Betreuungskräften von § 1 des Betreuungsvertrages keine individuellen pflegerischen Aufgaben zugewiesen, sodass es an einem Anknüpfungspunkt für die Zuordnung einfachster Maßnahmen der Krankenpflege in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft II im „Seniorenservicehaus L.“ fehlt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.