Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 10.07.2019 – AN 18 E 19.50573, AN 18 E 19.50571
Titel:

Erfolgloser Eilantrag mit dem Ziel der Zuständigerklärung Deutschlands für das Asylverfahren (Dublin-Verfahren)

Normenkette:
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 8, Art. 17 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3
Leitsätze:
1. Die Zuständigkeiten und die daraus resultierenden Rechte der Asylantragsteller aus Art. 8 ff. der Dublin-III-Verordnung gelten nach Überschreitung der Fristen in Art. 21 der Dublin-III-Verordnung und dem daraus folgenden Zuständigkeitsübergang nicht mehr. (Rn. 7 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Vorliegen eines humanitären Grundes i.S.v. Art. 17 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung kommt es im familiären Kontext nicht nur auf das Vorliegen einer familiären Beziehung an, sondern es muss hinzukommen ein Beistands-, Schutz- oder ähnliches Verhältnis, das die persönliche Nähe zwischen Antragsteller und Familienangehörigen auch bereits während des Asylverfahrens gebietet. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die "Versteinerungsklausel" des Art. 7 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung gilt nicht für Art. 17 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch gegen Bundesrepublik Deutschland auf Zuständigerklärung bzw. Annahme eines Aufnahmegesuchs Griechenlands (verneint), absoluter Charakter der Fristenregelung des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO (bejaht), Humanitäre Klausel (Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO): Ermessensreduzierung auf Null wg. Kindeswohl bei Minderjährigem, der in wenigen Tagen volljährig wird (verneint), Widersprüche im Vortrag der Antragsteller, Aufnahmegesuch, Dublin, Frist, humanitäre Klausel, Versteinerungsklausel, Kindeswohl
Fundstelle:
BeckRS 2019, 14716

Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Der Antrag wird abgelehnt.
3. Die Antragsteller haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes … wird abgelehnt.

Gründe

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Der Antrag der afghanischen Antragsteller,
1.
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnung der wiederholten Übernahmegesuche durch das griechische Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat - für den Asylantrag des Antragstellers zu 1. als Familienangehörigen des Antragstellers zu 2. für zuständig zu erklären;
2.
hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, durch den Liaisonbeamten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der Hellenischen Republik oder auf anderem Wege darauf hinzuwirken, dass das griechische Dublin-Referat ein erneutes Aufnahmegesuch stellt, und diesem stattzugeben;
3.
den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners zu gewähren
hat keinen Erfolg.
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1. Er ist zwar zulässig. Insbesondere ist das erkennende Gericht hier örtlich zuständig. Dies ergibt sich aus dem insoweit bindenden Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. Mai 2019 (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Die Antragsteller sind auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Es ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienenden Regelungen der Dublin III-VO sowohl dem derzeit noch minderjährigen Antragsteller zu 1. als denjenigen, der aus Griechenland nach Deutschland überstellt werden will, als auch dem Antragsteller zu 2. als dessen in Deutschland ansässigen, als subsidiär schutzberechtigt anerkannten, volljährigen Halbbruder (gleicher Vater) ein subjektives Recht auf die Einhaltung der Bestimmungen der Dublin III-VO vermitteln.
3
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dies jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn den Antragstellern ohne einstweilige Anordnung unzumutbare Nachteile drohen und für die Hauptsache hohe Erfolgsaussichten prognostiziert werden können (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Februar 2019, § 123 Rn. 145). Führt die einstweilige Anordnung - wie vorliegend die letztlich begehrte Zuständigkeitserklärung der Antragsgegnerin für das Asylverfahren des Antragsteller zu 1. - zu einer Vorwegnahme der Hauptsache, muss nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache zu erwarten sein. Vielmehr muss die Anordnung auch notwendig sein, um den Eintritt schwerer oder irreparabler Schäden zu verhindern.
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Es fehlt bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Die Antragsteller haben gegen die Antragsgegnerin weder aus Art. 8 Dublin III-VO (dazu 2.1) noch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO (dazu 2.2) einen Anspruch darauf, dass diese sich für den Asylantrag des Antragstellers zu 1. zuständig erklärt bzw. einem erneuten Aufnahmegesuch Griechenlands stattgibt. Ein solcher Anspruch lässt sich auch nicht aus einer anderen Norm der Dublin III-VO ableiten (dazu 2.3).
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2.1 Eine etwaige Zuständigkeit der Antragsgegnerin gemäß Art. 8 Dublin III-VO ist im Zuge der Fristüberschreitung gemäß Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO auf Griechenland übergegangen.
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Danach geht die Zuständigkeit für einen Asylantrag auf den Mitgliedstaat über, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, wenn dieser Mitgliedstaat nicht innerhalb von drei Monaten (vgl. Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO; bzw. zwei Monaten im Falle des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 Dublin III-VO) nach Stellung des Antrages ein Aufnahmeersuchen an den seiner Ansicht nach eigentlich zuständigen Mitgliedstaat richtet. Da der Antragsteller zu 1. seinen Asylantrag bereits am 15. Februar 2017 - dieser Zeitpunkt ist zwischen den Beteiligten unstrittig - in Griechenland gestellt hatte, konnte ein Aufnahmegesuch nur bis zum 15. Mai 2017 erfolgen. Die griechischen Behörden richteten allerdings erst am 16. Juni 2017, also nach Ablauf der Dreimonatsfrist ein Aufnahmeersuchen an die Antragsgegnerin, so dass unabhängig von einer zuvor eventuell bestehenden Zuständigkeit aus Art. 8 ff. Dublin III-VO Griechenland zuständig geworden ist.
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Soweit die Antragsteller - auch unter Berufung auf die Rechtsprechung einiger anderer Verwaltungsgerichte (z.B. VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris) darauf verweisen, dass die Zuständigkeiten aus Art. 8 ff. Dublin III-VO und die daraus resultierenden Rechte der Antragsteller trotz Fristablaufs weiter bestünden, da andernfalls über ein verspätetes Aufnahmeersuchen eine Familienzusammenführung verhindert werden könne, verfängt diese Argumentation nicht.
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Eine Außerachtlassung der Regelung insbesondere in Fällen des Art. 8 Dublin III-VO würde dem vom Verordnungsgeber vorgegebenen und insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO widersprechen. Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift, die diesen Widerspruch rechtfertigen könnte, besteht vorliegend kein Raum. Eine solche wäre nur dann möglich, wenn dem Wortlaut der Fristenregelungen eine überschießende Tendenz zukommen würde, d.h. dass von ihm auch Fälle erfasst wären, die nach dem Regelungskonzept des Verordnungsgebers eigentlich nicht hierunter fallen sollen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 - 1 C 15/18 - juris Rn. 18). Von einem derart planwidrig zu weit gefassten Wortlaut kann aber vorliegend gerade nicht ausgegangen werden. Der Verordnungsgeber hat trotz seines erklärten Ziels, die subjektiven Rechte der Asylsuchenden und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Rechte unbegleiteter Minderjähriger mit der Dublin III-VO stärker zu schützen, dennoch die auch bereits zuvor schon bestehenden strikten Fristenregelungen mit den daraus resultierenden und dem Verordnungsgeber auch bekannten Folgen für die Zuständigkeiten einschränkungslos beibehalten. Er hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass er den Vorschriften zur Familienzusammenführung nicht bedingungslos - also auch im Falle des Fristablaufs - einen Vorrang vor den ebenso in der Verordnung erklärtem Ziel klarer und schnell definierter Zuständigkeiten einräumen wollte. An diese generelle Wertentscheidung des Verordnungsgebers ist das Gericht im Rahmen seiner Beurteilung des Streitfalles gebunden, selbst dann, wenn es den Konflikt zwischen klar und schnell definierten Zuständigkeiten einerseits und dem Schutz subjektiver Rechte ggf. anders auflösen würde. Würde es nämlich seine eigene Wertentscheidung an Stelle der des Verordnungsgebers setzen, wäre dies mit einem unzulässigen Eingriff in die Entscheidungsprärogative des Verordnungsgebers und insoweit mit einer Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Garantien verbunden (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 - 1 C 15/18 - juris Rn. 17 a.E.).
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Diese gesetzgeberische Entscheidung setzt sich schließlich auch nicht in Widerspruch zu dem im Rahmen der Verordnung gebotenen Schutz der Familieneinheit, wie er sich insbesondere aus Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 der GR-Charta ergibt und wie er auch in den Erwägungsgründen der Dublin III-VO explizit betont wird.
12
Soweit eingewandt wird, dass es der Staat (im Einzelfall) in der Hand habe, durch die Verzögerung eines Aufnahmegesuchs seine Zuständigkeit zu begründen und damit eine Familienzusammenführung zu verhindern, rechtfertigt dies keine Ausnahme von der generellen Wertentscheidung des Verordnungsgebers. Insoweit wird nämlich übersehen, dass für den ersuchenden Staat im Rahmen des Art. 21 Dublin III-VO eine Pflicht zur Ausübung seines Ermessens innerhalb der Frist besteht, ob er ein Aufnahmegesuch stellt oder nicht. Folgt in diesem Zusammenhang aus dem sich aus Art. 8 ff. Dublin III-VO ergebenden Schutz der Familieneinheit ein Anspruch des Asylsuchenden, kann dieser vor den Gerichten im ersuchenden Staat ggf. im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden.
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Unabhängig davon kann dem aus der EMRK und der GR-Charta gebotenen Schutz der Familieneinheit bei Übergang der Zuständigkeit in Folge eines verspäteten Aufnahmegesuchs (auch) über Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hinreichend Rechnung getragen werden. Im Einzelnen kann sich in Fällen, in denen bei Anwendung der zwingenden Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO eine Verletzung insbesondere des Art. 8 EMRK eintreten würde und dies nur durch ein Aufnahmegesuch nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO abgewandt werden kann, das den Mitgliedstaaten in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO eingeräumte Ermessen (arg: „kann“) derart zu einem Anspruch des Einzelnen verdichten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich für die Bearbeitung eines derartigen Gesuchs für zuständig erklären muss (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Der humanitären Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kommt nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers, wie es sich auch aus dem 17. Erwägungsgrund ergibt, gerade die Aufgabe zu, Familienangehörige zusammenzuführen, obwohl sie bei strenger Anwendung der Kriterien getrennt würden (so ausdrücklich Bericht der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems vom 6. Juni 2007, KOM/2007/0299 endg. 2.3.1 - juris).
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Den absoluten Charakter der Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO hat schließlich auch der EuGH bestätigt und insoweit explizit ausgeführt, dass es bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO hervorgehe, dass das Gesuch zwingend unter Beachtung der in Art. 21 Abs. 1 der Dublin III-VO genannten Fristen unterbreitet werden müsse und dies auch durch den Kontext, in den sich Art. 21 Abs. 1 der Dublin III-VO einfügt, sowie durch die bei der Auslegung der Vorschrift zu berücksichtigenden Ziele bestätigt werde (vgl. EuGH, U.v. 26.7.2017 - C-670/16 - juris Rn. 63 ff., 67 f., 74). Zwar lag dieser Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde, bei dem sich der Antragsteller gerade auf den Ablauf der entsprechenden Fristen und einem sich daraus ergebenden Anspruch auf Bearbeitung seines Asylantrages durch den Mitgliedstaat berufen hat, in dem er diesen gestellt hatte. Da der EuGH in diesem Fall aber gerade unter Zugrundelegung eines absoluten Charakters der Fristenregelungen ein subjektives Recht des Antragstellers auf Zuständigkeitsübergang kraft Fristablauf anerkannt hat, muss dieser zwingende Charakter der Fristenregelungen konsequent auch im umgekehrten Fall gelten, wenn sich der Fristablauf zu Lasten des Antragstellers auswirkt, zumal sich aus der Entscheidung des EuGH keine Hinweise auf eine Einschränkung seines Verständnisses zu den Fristenregelungen für andere Fallkonstellationen entnehmen lassen.
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Ein Absehen von der Fristenregelung des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO ist somit nicht möglich (so auch VG Berlin, B.v. 17.6.2019 - 23 K L 293.19 A - juris; VG Gießen, B.v. 8.4.2019 - 2 L 1027/19.Gl.A; VG Oldenburg, B.v. 4.12.2018 - 11 B 4236/18).
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2.2 Im vorliegenden Fall führt allerdings auch Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht zum Erfolg. Nach dieser Norm kann u.a. der zuständige Mitgliedstaat (Griechenland) bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, aufzunehmen, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 Dublin III-VO nicht zuständig ist. Bei der den Tatbestand dieser Norm prägenden Voraussetzung der humanitären Gründe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Lichte der Menschenrechte aus der EMRK und der GR-Charta ausgelegt werden und in diesem Rahmen insbesondere auch den sich aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 ergebenden Grundgedanken des Kindeswohls und der Einheit der Familie Rechnung tragen muss. Ausweislich des Wortlautes kann in diesem Zusammenhang aber nicht schon das bloße Vorliegen einer verwandtschaftlichen oder familiären Beziehung als humanitärer Grund qualifizieren (in diese Richtung wohl VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 67). Vielmehr muss sich der humanitäre Grund aus einem familiären Kontext ergeben, ist mithin nicht mit einem solchen gleichzusetzen, sondern setzt ihn als Grundlage voraus. Entscheidend kommt es also nicht nur auf das Vorliegen einer familiären Beziehung an, sondern hinzukommen muss ein Beistands-, Schutz- oder ähnliches Verhältnis, das die persönliche Nähe zwischen Antragsteller und Familienangehörigen auch bereits während des Asylverfahrens gebietet.
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Liegen hiernach humanitäre Gründe vor, reicht dies allein noch nicht aus, um dem Antragsteller einen zwingenden Anspruch auf die begehrte Zustimmung des Antragsgegners zum Aufnahmegesuch zu vermitteln. Bereits aus dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO („kann“) folgt nämlich, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen ist. Ein strikter, im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzbarer Anspruch der Antragsteller kommt mithin nur dann in Betracht, wenn bei Berücksichtigung aller in das Ermessen einzustellenden Belange die Annahme des Aufnahmegesuchs als einzig denkbare Entscheidung in Betracht kommt (Ermessensreduzierung „auf Null“).
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Mit Blick auf diese Maßgaben kann vorliegend auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls nicht davon ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) das Ermessen der Antragsgegnerin derart reduziert wäre, dass ausschließlich die Annahme des Aufnahmegesuchs rechtsfehlerfrei wäre. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die seitens der Antragsteller geltend gemachten, sich aus dem familiären Kontext ergebenden Gründe, es zwingend erfordern, dass der sich noch in Griechenland befindende Antragsteller zu 1. für die Dauer seines Asylverfahrens zum Antragsteller zu 2. in das Bundesgebiet nachzieht.
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Im Rahmen des Ermessens ist auch dem Charakter des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO als Auffangvorschrift Rechnung zu tragen. Der Verordnungsgeber hat im Interesse eines geordneten und funktionsfähigen Asylsystems mit der Dublin III-VO ein System zur schnellen und klaren Zuweisung von Zuständigkeiten geschaffen und bereits innerhalb dieses Zuweisungssystems der Einhaltung grundrechtlicher Belange Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund soll Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in erster Linie Härtefälle erfassen, bei denen, würde man dem Interesse an der Zuständigkeit den Vorrang einräumen, grundrechtliche Positionen des Antragstellers in nicht gerechtfertigter Weise beeinträchtigt wären. Dem ist hier aber nicht so. Weder vermögen die Belange des Kindeswohls (dazu 2.2.1) noch andere Aspekte (dazu 2.2.2) vorliegend eine Ermessenreduzierung auf Null begründen.
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2.2.1 Grundsätzlich liegt zwar auch für das Gericht tatbestandlich ein humanitärer Grund i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vor, wenn minderjährige ledige Kinder betroffen sind (wg. besonderer Schutzbedürftigkeit). Bei der Ausübung des Ermessens und insbesondere der Frage, ob eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, muss man allerdings zur Feststellung der Intensität der grundrechtlichen Betroffenheit im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH das Alter des Kindes und die bestehenden familiären Bindungen in den Blick nehmen, da diese Aspekte den humanitären Gründen je nach Sachverhaltskonstellation ein unterschiedliches Gewicht geben und damit im Einzelfall durch einen strikten Vorrang der Zuständigkeitsvorschriften eine Grundrechtsverletzung begründen können. So werden vom EGMR regelmäßig für die Prüfung einer Verletzung des Kindeswohls das Alter eines Kindes, der Umstand, dass es unabhängig von seiner Familie eingereist ist, und Bindungen des Kindes zu Mitgliedern seiner Familie in seinem Herkunftsstaat herangezogen (siehe etwa EGMR, U.v. 30.7.2013 - Berisha/Switzerland, Nr. 948/12 - BeckRS 2014, 80974 (engl.) Rn. 56); U.v. 19.2.1996 - Gül/Schweiz, Nr. 23218/94 - InfAuslR 1996, S. 245 ff.). Auch der EuGH erkennt im Rahmen des Familiennachzugs eine unterschiedliche Schutzwürdigkeit des Kindeswohls in Abhängigkeit vom Lebensalter an (vgl. EuGH, U.v. 27.6.2006 - Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union, C-540/03 - Slg. 2006, I-5809 = NVwZ 2006, 1033 Rn. 63 und 73).
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Hier hat der derzeit noch minderjährige Antragsteller zu 1. bereits ein Alter erreicht, bei dem davon auszugehen ist, dass er nicht mehr in einem gesteigerten Maße auf die Fürsorge von Familienangehörigen angewiesen ist. Er wird bereits in wenigen Tagen (am 14. Juli 2019) 18 Jahre alt und damit volljährig. Auch im Zeitpunkt der Stellung seines Antrages auf Eilrechtsschutz (5. April 2019) war er nur wenige Wochen von der Volljährigkeit entfernt.
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In diesem Zusammenhang lässt sich auch nicht einwenden, dass mit Blick auf Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO (sog. Versteinerungsklausel) für die Beurteilung des Kindeswohls auf die Stellung des Asylantrages (also Februar 2017) abgestellt werden müsse und der Antragsteller zu 1. zu diesem Zeitpunkt erst 15 1/2 Jahre alt war. Zum einen greift Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO seinem Wortlaut nach schon nicht für den in Kapitel IV enthaltenen Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Zum anderen können von der Versteinerungsklausel nach deren Sinn und Zweck nur in sich abgeschlossene, statische Tatsachen gemeint sein, nicht aber auch dynamisch-wertende Beurteilungen wie die Prüfung der Dienlichkeit des Kindeswohls, für die zwingend auf den Sachverhalt abgestellt werden muss, der im Zeitpunkt der Beurteilung vorliegt. Würde man dies anders sehen, könnte beispielsweise Art. 8 Dublin III-VO dazu führen, dass ein Kind mit einem sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhaltenden Familienangehörigen, von dem aktuell eine Gefährdung des Kindeswohl ausgeht, zusammengeführt würde, nur weil die damaligen Umstände bei Antragstellung noch dafür sprachen, dass es dem Wohl des Kindes entspräche. Ein derartiges Verständnis der Versteinerungsklausel wäre mit dem grundrechtlich gebotenen Schutz des Kindes nicht vereinbar.
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Schließlich kann auch kein Wertungswiderspruch darin gesehen werden, dass dem Antragsteller zu 1. aufgrund des verspäteten Aufnahmeersuchens nunmehr über Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kein Anspruch auf Annahme des Ersuchens zuzuerkennen ist, er aber bei Einhaltung der Fristvorschriften im Zuge des Minderjährigenschutzes ggf. einen entsprechenden Anspruch aus Art. 8 Dublin III-VO gehabt haben mag. Insoweit ist nämlich die unterschiedliche Zweckrichtung der Normen zu berücksichtigen: So sieht Art. 8 Dublin III-VO mit Blick auf das Ziel klarer und schnell definierter Zuständigkeiten für die Durchführung des Asylverfahrens qualitativ einen pauschalierten Minderjährigenschutz vor, dem regelmäßig eine über das im Einzelfall nach EMRK und GR-Charta gebotene Schutzniveau hinausgehende Tendenz innewohnt. Dem Ziel der klar und schnell definierten Zuständigkeiten würde es nämlich widersprechen, wenn in jedem konkreten Einzelfall der sich aus potentiellen Grundrechtsverletzungen ergebende Einfluss auf die Zuständigkeitsverteilung zu prüfen wäre. Vor diesem Hintergrund dienen die Vorschriften der Art. 8 ff. Dublin III-VO dazu, dem Grundrechtsschutz bereits bei der Bestimmung der Zuständigkeit anhand typisierter Gefährdungslagen Rechnung zu tragen. Aufgrund dieser Typisierung muss das in den Art. 8 Dublin III-VO berücksichtigte grundrechtliche Schutzniveau naturgemäß weiter greifen, als das nach der EMRK oder der GR-Charta im Einzelfall gebotene, damit es bei der Zuständigkeitsabgrenzung in der Mehrzahl der Fälle eben nicht zu Grundrechtsverletzungen kommt. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO bildet demgegenüber als Auffangtatbestand ein Korrektiv für Situationen, in denen im konkreten Einzelfall der nach EMRK und der GR-Charta gebotene Schutz in nicht zu rechtfertigender Weise beeinträchtigt ist. Sein Zweck besteht mithin nicht darin, dem Antragsteller das gleiche Schutzniveau einzuräumen, wie es in Art. 8 Dublin III-VO zur Gewährleistung eines einerseits funktionierenden und andererseits zugleich die Grundrechte wahrenden Systems vorgesehen ist. Vielmehr bezweckt Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, den Antragsteller vor einer konkreten Verletzung seiner Grundrechte im Einzelfall zu bewahren.
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Durch dieses Verständnis des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO wird dem Antragsteller zu 1. auch nicht in ungerechtfertigter Weise der Rechtsschutz zur Geltendmachung der sich aus Art. 8 Dublin III-VO ergebenden subjektiven Rechte entzogen. Vielmehr stand es dem Antragsteller zu 1. frei, gegenüber den griechischen Behörden ggf. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Stellung eines fristgemäßen Aufnahmeersuchens zu erwirken und damit einen Anspruchs au Art. 8 Dublin III-VO durchzusetzen. Das Unterlassen dieser Rechtsschutzmöglichkeit kann jedenfalls nicht dazu führen, dass eine eigentlich als Auffangvorschrift zur Korrektur im Einzelfall vorgesehene Vorschrift wie Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO extensiv ausgelegt wird und über sie ein (insoweit höheres) Schutzniveau vermittelt wird, das im Rahmen des Art. 8 Dublin III-VO auf Grundlage einer anderen Gemengenlage der widerstreitenden Interessen gewährleistet wird.
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2.2.2 Abgesehen vom Aspekt des Kindeswohls sind auch keine anderen humanitären Gründe im familiären Kontext geben, die eine Ermessensreduzierung auf Null bedingen würden. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist für das Vorliegen eines humanitären Grundes im familiären Kontext ein rein formales Verwandtschaftsverhältnis, d.h. ein bloßes Geschwistersein keinesfalls ausreichend. Soweit ein besonderes Beistands- oder Schutzverhältnis im Einzelfall nicht vorliegt, wird man zumindest fordern müssen, dass sich die familiären Beziehungen in einem tatsächlich gelebten Verhältnis manifestiert haben (vgl. dazu schon oben).
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Die seitens der Antragsteller in diesem Zusammenhang geltend gemachte seit frühester Kindheit bestehende persönliche Beziehung, aus der eine tiefe Verbundenheit und enge Freundschaft resultiere und in der der Antragsteller zu 2. eine väterliche Rolle eingenommen habe, ist schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der diesbezügliche Vortrag lässt sich nämlich nicht mit dem vereinbaren, was der Antragsteller zu 2. in seinem eigenen Asylverfahren in den Jahren 2011/2012 vorgetragen hat.
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So hat der Antragsteller zu 2. in seiner Eidesstattlichen Versicherung vom 14. Juni 2019 vorgetragen, dass die Antragsteller nach dem Tod des Stiefvaters des Antragstellers zu 1. die Zeit im Iran überwiegend zusammen verbracht hätten. In seinem verwaltungsbehördlichen bzw. -gerichtlichen Asylverfahren hat der Antragsteller zu 2. jedoch angegeben, dass er bereits zwei Jahre vor seiner Ausreise aus dem Iran, also im Sommer 2008 - und damit nur kurze Zeit nach dem Tod des Stiefvaters des Antragstellers zu 1. im Jahre 2007 oder 2008 - von Mashad, dem gemeinsamen Wohnort der Antragsteller, nach Teheran gezogen sei. Ein enges, vom ständigen persönlichen Kontakt geprägtes Verhältnis im Sinne des jetzigen Vortrags dürfte damit allenfalls für ein paar Monate möglich gewesen sein. Es ist auch nicht plausibel, wie zwischen den Antragstellern nach dem Wegzug des Antragstellers zu 2. nach Teheran im Jahr 2008 noch ein persönlicher Umgang i.S.e. Verbringens gemeinsamer Zeit stattgefunden haben kann; schließlich sind die Städte Teheran und Mashad fast 900 km voneinander entfernt und der Antragsteller zu 2. war damals selbst noch minderjährig, was beides gegen die Möglichkeit häufiger (z.B. wöchentlicher) gegenseitiger Besuche spricht. Die geltend gemachte enge Verbindung zwischen den Antragstellern, die sich bereits in der Kindheit entwickelt und in der der Antragsteller zu 2. eine väterliche Rolle eingenommen haben will, ist dem Gericht vor diesem Hintergrund nicht schlüssig dargelegt. Dagegen spricht auch, dass die Antragsteller seit je her bzw. spätestens seit dem Tod des gemeinsamen Vaters im Jahre 2003 in verschiedenen Familien (zwar gleicher Vater, aber verschiedene Mütter) und überwiegend auch in unterschiedlichen Städten bzw. Ländern aufgewachsen sind. Bei einer Zusammenschau der jetzigen Einlassungen mit denen, die vom Antragsteller zu 2. in seinem eigenen Asylverfahren gemacht wurden, ergibt sich nämlich, dass die Antragsteller in den letzten 18 Jahren nur wenige Jahre überhaupt in derselben Stadt gewohnt haben, nämlich in den zwei Jahren seit der Geburt des Antragstellers zu 1. bis zum Tod des gemeinsamen Vaters (2003; zugleich auch Wegzug des Antragstellers zu 2. in den Iran nach Mashad) und in den Jahren 2005 (Übersiedlung der Familie des Antragstellers zu 1. nach Mashad) bis 2008 (Wegzug des Antragstellers zu 2. nach Teheran). Auch der Vortrag, dass der Antragsteller zu 2. den Antragsteller zu 1. und seine Mutter bereits in dieser Zeit finanziell unterstützt haben will, lässt sich nicht mit seinem Vorbringen im Asylverfahren in Einklang bringen. Legt man dieses hier zu Grunde, dürfte er im Iran überhaupt nicht über die finanziellen Möglichkeiten verfügt haben, um den Antragsteller zu 1. und dessen Mutter finanziell zu unterstützen. Damals hatte er angegeben, dass er im Iran nur in seiner Zeit in Teheran einer Arbeit nachgegangen sei, dafür aber kein Geld bekommen habe bzw. nur so viel, dass dieses gerade einmal seine Fahrtkosten gedeckt habe. Sein Leben im Iran habe ihm sein Onkel finanziert. Des Weiteren hat der Antragsteller zu 2. in seinem Asylverfahren auf Nachfrage zu seinen bestehenden Verwandtschaftsverhältnissen den Antragsteller zu 1. völlig unerwähnt gelassen, obwohl er für diesen die primäre Bezugsperson gewesen sein will und dieser - dem jetzigen Vortrag zufolge - das „einzige Familienmitglied“ sei, mit dem der Antragsteller zu 2. von je her ein gutes Verhältnis pflege. Weiter hat der Antragsteller zu 2. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen, den Iran im Jahr 2010 verlassen zu haben, um seine Brüder in Kanada bzw. den USA zu suchen, er „habe das Alleinsein satt“. Auch diese Einlassung lässt sich mit dem jetzigen Vortrag nicht vereinbaren, sondern impliziert, dass der Antragsteller zu 2. in seiner Zeit im Iran keine tieferen persönlichen Beziehungen zu seinem Halbbruder, dem Antragsteller zu 1. gepflegt haben kann.
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Dem Gericht kommt auch im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes keine Pflicht zur Anstellung weitere Ermittlungen zum Verhältnis der Antragsteller im Iran zu, da der Untersuchungsgrundsatz insofern durch die Mitwirkungspflichten der Antragsteller begrenzt wird. Die Mitwirkungspflicht eines Asylsuchenden besteht gerade darin, dass dieser unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern hat, der geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 - juris Rn. 11 m.w.N.). Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können folglich einem geltend gemachten Anspruch entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Dieser Grundsatz dürfte auch dann schon greifen, wenn das Begehren darauf abzielt, überhaupt erst Zugang zum deutschen Asylverfahren zu bekommen (so auch VG Berlin, B.v. 17.6.2019 - 23 K L 293.19 A). Denn für die richterliche Überzeugungsbildung ist letztlich eine bewertende Gesamtschau des Vorbringens der Antragsteller erforderlich, bei der auch der Plausibilität des Vorbringens eine entscheidende Rolle zukommt. Zudem verlangt auch die prozessuale Pflicht zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, dass der Vortrag widerspruchsfrei und in sich konsistent die einschlägigen Anspruchsgrundlagen ausfüllt.
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Es mag zwar sein, dass die Antragsteller jedenfalls zwischenzeitlich einen regelmäßigen Kontakt pflegen - so trägt der Antragsteller zu 2. vor, ca. jeden zweiten Tag mit dem Antragsteller zu 1. zu telefonieren und ihn zwei- bis dreimal im Jahr in Griechenland zu besuchen - und man insofern mit Blick auf den Gesundheitszustand des Antragstellers zu 1. das Vorliegen eines humanitären Grundes im familiären Kontext bejahen könnte.
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So tragen die Antragsteller vor, dass sich der Antragsteller zu 1. aufgrund seiner Erlebnisse im Iran (kein gutes Verhältnis innerhalb der Kernfamilie) und in Griechenland (sexueller Übergriff durch eine Mitarbeiterin einer Unterkunft auf Lesbos als der Antragsteller zu 1. 15 Jahre alt gewesen sei, Mobbing seitens anderer afghanischer Flüchtlinge wegen seines Atheismus und des Vorwurfs der Homosexualität) psychologisch erheblich belastet sei.
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Allerdings kann hieraus in Anlehnung an die bestehende obergerichtliche Rechtsprechung, wonach generell hohe Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen zu stellen sind, sowohl was die Schwere des Leidens als auch den qualifizierten ärztlichen Nachweis anbetrifft (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2-4, § 60a Abs. 2 c und 2d AufenthG), keine Ermessensreduzierung auf Null abgeleitet werden. Denn für eine solche wären zusätzliche Aspekte erforderlich, die der vorliegende Vortrag jedoch vermissen lässt. Zwar hat eine „Psychological Evaluation“ der Internationalen Organisation für Migration vom 27. September 2017 dem Antragsteller zu 1. bescheinigt, dass er an einer generellen Belastungsstörung leide. Darüber hinaus wird in einem „Psychological report“ vom 31. Oktober 2018 auch berichtet, dass der Antragsteller zu 1. aufgrund seiner Erlebnisse unter Schlafproblemen leide und verzweifelt sowie hoffnungslos sei. Auch sei davon auszugehen, dass eine Familienzusammenführung mit dem Antragsteller zu 2. dazu führen würde, dass sich der Antragsteller zu 1. von seinen traumatischen Erlebnissen erholen könne. Unklar bleibt aber vorliegend, wie sich die Situation des Antragstellers zu 1. zwischenzeitlich weiter entwickelt hat - die letzte Einschätzung, der „Psychological report“ datiert vom 31. Oktober 2018 -, ob er in den letzten Monaten medizinische Hilfe in Anspruch genommen hat, ob den psychischen Problemen des Antragstellers zu 1. auch anders begegnet werden könnte, als durch eine sofortige Zusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Halbbruder und, welchen konkreten Einfluss dessen Unterstützung auf das Wohlbefinden des Antragstellers zu 1. haben soll. Auch lässt sich den Einschätzungen nicht entnehmen, ob der Antragsteller zu 1. bspw. Probleme in der Alltagsbewältigung hat oder nicht. Vor diesem Hintergrund kann das Gericht hier keine Situation erkennen - die selbst bei Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller zu 1. gerade erst ins Erwachsenenalter übertritt - dazu führt, dass die einzig denkbare und menschlich nachvollziehbare Entscheidung hier eine sofortige Zusammenführung der Antragsteller ist. Auch wenn es verständlich sein mag, dass die Antragsteller den Wusch haben, in Deutschland zusammenzuleben, muss dennoch der Charakter des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO berücksichtigt werden, der als Auffangvorschrift aus der Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften resultierende humanitäre Schieflagen im Einzelfall verhindern soll. Um vor diesem Hintergrund zu einem entsprechenden gebundenen Anspruch zu kommen, sind die von den Antragsstellern vorgetragenen Gründe nicht ausreichend.
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Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Antragsgegnerin ihr im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zustehendes Ermessen bisher wohl überhaupt noch nicht, jedenfalls aber nicht ermessensfehlerfrei ausgeübt hat, ergibt sich nichts anderes. Zwar wird teilweise vertreten, dass eine fehlerhafte Ermessensausübung dazu führen müsse, dass der Anspruch auf eine bestimmte Ermessensentscheidung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits dann als hinreichend glaubhaft gemacht anzusehen sei, wenn die Ausübung des Ermessens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zugunsten der Antragsteller ausgehe (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123 Rn. 161b). Aus den vorstehend genannten Gründen lässt sich jedoch auch trotz eines Ermessensausfalls bzw. -fehlers nicht prognostizieren, dass eine ermessensfehlerfreie Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Annahme des Aufnahmeersuchens geführt hätte bzw. führen würde.
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2.3 Auch aus anderen Normen der Dublin III-VO lässt sich ein Anspruch der Antragsteller nicht herleiten. Insbesondere scheidet Art. 16 Abs. 2 Dublin III-VO als Anspruchsgrundlage aus, da die Antragsteller keine Geschwister „im Sinne des Absatzes 1“ sind, da hierfür ein auf einer oder mehrerer der dort aufgelisteten (gesundheitlichen) Umstände beruhendes Abhängigkeitsverhältnis i.S.e. Angewiesenseins zwischen ihnen erforderlich wäre. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis ist jedoch nicht glaubhaft gemacht (vgl. dazu die obigen Ausführungen).
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3. Nach alledem ist ein Anordnungsanspruch der Antragsteller damit nicht ersichtlich; die Anträge sind insofern vollumfänglich abzulehnen.
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Ist nach dem Vorstehenden der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfolglos, so gilt dies auch für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Denn es fehlt an der gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen hinreichenden Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung. Hierzu wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).