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VGH München, Beschluss v. 02.07.2019 – 9 ZB 19.32226
Titel:

Genitalverstümmelung bei einem weiblichen Kleinkind bei einer Rückkehr nach Sierra Leone

Normenkette:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Leitsatz:
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 7349). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (Sierra, Leone), Genitalverstümmelung, Antrag auf Zulassung der Berufung, Darlegungserfordernis, grundsätzliche Bedeutung, Beschneidung, inländische Fluchtalternative
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 22.03.2019 – RO 14 K 18.32916
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13919

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
2
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2019 - 9 ZB 19.30057 - juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
3
Hinsichtlich der aufgeworfenen Frage, „ob einem weiblichen Kleinkind bei einer Rückkehr nach Sierra Leone aufgrund der dort praktizierten Tradition die Genitalverstümmelung droht, selbst wenn die Eltern gegen eine Beschneidung sind“, fehlt es schon an der ausreichenden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass 80 bis 90 Prozent der Mädchen und Frauen in Sierra Leone von Genitalverstümmelung betroffen sind. Es hat jedoch die Wahrscheinlichkeit einer drohenden Genitalverstümmelung der Klägerin wegen des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative in einem anderen Landesteil verneint. Es ging dabei davon aus, dass die Eltern der Klägerin entsprechend ihrem eigenen Bekunden eine Beschneidung ihrer Tochter ablehnen und bestrebt seien zu verhindern, dass die Klägerin dieser Prozedur unterzogen werde. Insbesondere in einer größeren Stadt, wie etwa Freetown, Makeni, Bo, Kenema oder Port Loko, sei es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin von noch in Sierra Leone lebenden Familienmitgliedern oder Angehörigen der Bondo-Society des Heimatortes der Eltern, die eine Beschneidung der Klägerin befürworten würden, aufgespürt werden könne. Zwar werde die Genitalverstümmelung in allen Landesteilen Sierra Leones und damit auch in größeren Städten praktiziert, jedoch falle bei einem Wohnortwechsel nach Freetown oder in eine andere größere Stadt und Bruch mit der Familie in der Heimatregion bzw. Dorfgemeinschaft die soziale Kontrolle seitens der heimischen Ethnie fort. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Stattdessen wird von der Klägerin in Zweifel gezogen, dass ihre Eltern dauerhaft in der Lage wären, sie zu behüten. Die Eltern müssten noch für zwei weitere Kinder sorgen. Es sei davon auszugehen, dass die Mutter der Klägerin darauf angewiesen sein werde, dass sich auch Verwandte um die Kinder kümmern, zumal das Gericht davon ausgehe, dass sowohl der Vater als auch die Mutter der Klägerin zum Familieneinkommen beitragen könnten. Hiermit wird die diesbezügliche tatrichterliche Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht kritisiert. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG aber gerade kein Grund für die Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 - 9 ZB 17.31736 - juris Rn. 4).
4
Darüber hinaus ist auch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht ausreichend dargelegt. Eine über die konkrete Einzelfallwürdigung des Verwaltungsgerichts hinausgehende Bedeutung zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Stützt sich das Verwaltungsgericht - wie hier - bei seiner Entscheidung auf bestimmte eingeführte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 - 9 ZB 19.31227 - juris Rn. 4 m.w.N.). Die vom Verwaltungsgericht abweichende Bewertung bereits eingeführter Erkenntnisquellen genügt insoweit nicht.
5
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
6
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).