Inhalt

LG Bamberg, Beschluss v. 17.06.2019 – 3 T 76/19
Titel:

Zur Frage des Wiederauflebens der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Erstentscheidung im Falle der Aufhebung der abweichenden Berufungsentscheidung durch die dritte Instanz

Normenkette:
ZPO § 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 Var. 2,§ 717 Abs. 1, § 775 Nr. 1, § 793
Leitsätze:
1. Hebt das Revisionsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts, welche das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil der ersten Instanz aufgehoben hatte, ihrerseits auf und verweist es den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, so lebt die vorläufige Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht wieder auf (in Anlehnung an Kammergericht, Beschluss vom 11.07.1989 - 1 W 630/89 - Rn. 5 ff. juris = NJW 1989, 3025/3026; a.A. OLG Frankfurt, Urteil vom 21.12.1989 - 1 U 136/85 - NJW 1990, 721).
2. Die Gläubigerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die (vorläufige) Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten erstinstanzlichen Vorbehaltsurteil. Umstritten ist die Rechtsfrage, ob im Falle der revisionsgerichtlichen Aufhebung einer Entscheidung des Berufungsgerichts, welche ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der ersten Instanz aufgehoben hatte, und der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht die vorläufige Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung wiederauflebt. Das Landgericht Bamberg verneinte diese Frage und wies die Beschwerde der Gläubigerin mit Beschluss vom 17.06.2019, Az. 3 T 76/19, als unbegründet zurück. Zugleich ließ es die Rechtsbeschwerde zum Bundgerichtshof zu. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Schlagworte:
vorläufige Vollstreckbarkeit, erstinstanzliche Entscheidung, Abweichung, Berufungsurteil, Aufhebung, Zurückverweisung, Revisionsgericht, Wiederaufleben, Erstentscheidung, Einstellung, Zwangsvollstreckung, Urkundenprozess, Revision
Fundstelle:
BeckRS 2019, 12013

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 24.05.2019, Az. 601 M 501/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Gläubigerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 426.209,50 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1
Die Gläubigerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die (vorläufige) Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil des Landgerichts Bamberg vom 03.03.2017, Az. 1 HK O 34/16, mit angegriffenem Beschluss des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - Bamberg vom 24.05.2019. Ihre zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg und war daher als unbegründet zurückzuweisen.
I.
2
Die Gläubigerin vollstreckt aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Vorbehaltsurteil des Landgerichts Bamberg vom 03.03.2017, Az. 1 HK O 34/16, mit dem die Schuldnerin in der Hauptsache zur Zahlung von 428.209,50 EUR verurteilt wurde. Die Gläubigerin hat im Rahmen der Vollstreckung u.a. Vorpfändungen bzw. vorläufige Zahlungsverbote in Bezug auf bestimmte Drittschuldner erwirkt.
3
Das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Bamberg wurde auf die schuldnerseits dagegen geführte Berufung durch Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 02.08.2017, Az. 8 U 49/17, abgeändert und die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen. Das vorerwähnte Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Bamberg wurde auf die gläubigerseits hiergegen geführte Revision durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.05.2018, Az. II ZR 299/17, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
4
Mit Antrag vom 16.05.2019, eingegangen am selben Tage, beantragte die Schuldnerin, die Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil des Landgerichts Bamberg vom 03.03.2017 für unzulässig zu erklären, wogegen sich die hieraus vollstreckende Gläubigerin mit Schriftsatz vom 23.05.2019, eingegangen am selben Tage, wandte.
5
Mit angegriffenem Beschluss vom 24.05.2019 stellte das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht -Bamberg die Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil des Landgerichts vom 03.03.2017 bis zur erneuten Entscheidung des Rechtsstreits durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht ein und hob die ergangenen Vorpfändungen auf. Seine Entscheidung stützte das Amtsgericht auf § 775 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 717 Abs. 1 ZPO, da auch nach Aufhebung des Berufungsurteils durch das Revisionsgericht die vorläufige Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Vorbehaltsurteils nicht wieder auflebe.
6
Gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 24.05.2019, der dem Gläubigervertreter am 31.05.2019 zugestellt wurde, legte die Gläubigerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 03.03.2019, eingegangen am selben Tage, sofortige Beschwerde ein. Maßgeblich rügt die Gläubigerin einen Verstoß gegen ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz dadurch, dass ihr die Möglichkeit der Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Vorbehaltsurteil genommen werde.
7
Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 04.06.2019 nicht ab und legte die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor.
8
Mit Beschluss vom 13.06.2019 wurde das Verfahren nach § 568 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache und zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung der Kammer zur Entscheidung übertragen.
II.
9
Der gemäß §§ 793, 567 ff. ZPO statthaften und fristgerecht erhobenen sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 03.03.2019 bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Die beanstandete amtsgerichtliche Entscheidung, die Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil des Landgerichts vom 03.03.2017 auf Grundlage der §§ 775 Nr. 1, 717 Abs. 1 ZPO einzustellen, entspricht sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung der Sach- und Rechtslage.
10
Nach § 717 Abs. 1 ZPO tritt die vorläufige Vollstreckbarkeit (einer unterinstanzlichen Entscheidung) mit der Verkündung einer (oberinstanzlichen) Entscheidung, die die Erstentscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder abändert, insoweit außer Kraft, als die Aufhebung oder Abänderung ergeht.
11
Entscheidungserheblich ist vorliegend die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage, ob die vorläufige Vollstreckbarkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung wieder auflebt, wenn das Revisionsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts, welches die für vorläufig vollstreckbar erklärte Entscheidung der ersten Instanz aufgehoben hatte, seinerseits aufhebt und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweist (§ 563 Abs. 1 ZPO).
12
Verbreitet wird in dieser Konstellation angenommen, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht wieder auflebt (KG, Beschluss vom 11.07.1989 - 1 W 630/89 - Rn. 5 ff. mit ausführlicher Übersicht zum damaligen Streitstand, juris = NJW 1989, 3025/3026; Herget, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 717 Rn. 1; Götz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 717 Rn. 6; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 717 Rn. 3; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 7 §§ 704-827, 22. Aufl. 2002, § 717 Rn. 3 mit Übersicht zum seinerzeitigen Streitstand; Giers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 717 Rn. 4; Ulrici, in: BeckOK ZPO, 32. Edition Stand 01.03.2019, § 717 Rn. 6; Kindl, in: Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 717 Rn. 2 a.E.; Kroppenberg, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 9. Aufl. 2017, § 717 Rn. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 717 Rn. 1; Boemke-Albrecht, NJW 1991, 1333/1335). Als Begründung hierfür wird angeführt, dass durch die Aufhebung der Zweitentscheidung und Zurückverweisung an die zweite Instanz durch die dritte Instanz, sofern die Entscheidung erster Instanz nicht wiederhergestellt werde, die Erstentscheidung keine Bestätigung finde, sondern deren Bestand offen bleibe (vgl. KG, a.a.O., Rn. 6 und 8: Herget, a.a.O.; Götz, a.a.O.; Lackmann, a.a.O.; Münzberg, a.a.O.; Giers, a.a.O.; Ulrici, a.a.O.; Boemke-Albrecht, a.a.O., 1334/1335), und zudem die die vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigende Richtigkeitsvermutung der Erstentscheidung durch die - wenn auch ihrerseits aufgehobene - abweichende Zweitentscheidung weiterhin erschüttert sei (KG, a.a.O., Rn. 7; .Boemke-Albrecht, a.a.O., 1334/1335).
13
Nach anderer Auffassung lebt im Falle der Kassation der aufhebenden zweitinstanzlichen Entscheidung durch die dritte Instanz die vorläufige Vollstreckbarkeit der Erstentscheidung wieder auf (OLG Frankfurt, Urteil vom 21.12.1989 - 1 U 136/85 - NJW 1990, 721; Hess, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 8 §§ 592-723, 4. Aufl. 2013, § 717 Rn. 9 m.w.N. zum Streitstand; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl. 2019, § 704 Rn. 6; in diese Richtung wohl auch BGH, Beschluss vom 14.10.1981 - V ZR 113/80 -, Rn. 7, juris = NJW 1982, 1397, wo es heißt: „Allerdings ist mit Aufhebung des Berufungsurteils das landgerichtliche Urteil, welches die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig erklärt hat, zunächst wieder wirksam geworden“). Danach falle mit der Aufhebung der Berufungsentscheidung deren Wirkung insgesamt weg, auch die Richtigkeitsgewähr der Erstentscheidung komme wieder voll zum Tragen. Damit fielen zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 717 Abs. 1 ZPO weg (Hess, a.a.O.).
14
Die Kammer schließt sich der erstgenannten Ansicht an. Maßgeblich ist, dass es in der gegenständlichen Konstellation zu einer die Ersterkenntnis aufhebenden Entscheidung im Rechtsmittelverfahren gekommen ist und damit die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 717 Abs. 1, 775 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Da §§ 717 Abs. 1, 775 Nr. 1 ZPO keine Regelung für den Fall enthalten, dass die abändernde Zweitentscheidung ihrerseits aufgehoben wird und die Sache an das Zweitgericht zurückverwiesen wird, verbleibt es bei ihrer Einschlägigkeit, wonach die Wirkungen der Erstentscheidung in Ansehung der abweichenden Zweitentscheidung außer Kraft getreten sind und die Vollstreckung hieraus unzulässig ist. Eine unzumutbare Rechtsschutzverkürzung für die erstinstanzlich obsiegende Partei ist hiermit nicht verbunden, zumal sich in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten beide Seiten auf die von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verbürgte Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, wozu auch die Beschreitung des eröffneten Rechtsmittelzuges gehört, berufen können.
III.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
16
Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 47 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO und bemisst sich nach der in Streit stehenden zu vollstreckenden Hauptforderung (428.209,50 EUR) entsprechend der Erstentscheidung des Landgerichts Bamberg vom 03.03.2017.
V.
17
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Var. 2 ZPO vorliegen. Die gegenständliche Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (vgl. dazu Heßler, in: Zöller, ZPO. 32. Aufl. 2018, § 543 Rn. 11 m.w.N.). Die klärungsbedürftige Frage des Wiederauflebens der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Erstentscheidung im Falle der Aufhebung einer abweichenden Zweitentscheidung (und Zurückverweisung) durch die dritte Instanz tritt in einer unbestimmten Vielzahl von Rechtsmittelverfahren auf, so dass ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der Klärung und einheitlichen Handhabung dieser Frage besteht. Zudem erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (vgl. dazu Heßler, a.a.O., Rn. 13 m.w.N.), da die aufgeworfene Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wurde (siehe nochmals einerseits KG, Beschluss vom 11.07.1989 - 1 W 630/89 - Rn. 5 ff. juris = NJW 1989, 3025/3026 und anderseits OLG Frankfurt, Urteil vom 21.12.1989 - 1 U 136/85 - NJW 1990, 721 sowie in der Tendenz wohl auch BGH, Beschluss vom 14.10.1981 - V ZR 113/80 -, Rn. 7, juris = NJW 1982, 1397).