Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 06.06.2019 – W 8 S 19.50526
Titel:

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Spanien

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 34a
AufenthG § 60 Abs. 7, 60a Abs. 2c
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. In Spanien sind keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden.  (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist davon auszugehen, dass der spanische Staat der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Prüfung des Asylbegehrens einschließlich des Vorliegens möglicher Abschiebungshindernisse auch im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention und die Grundrechte-Charta nachkommt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweiliger Rechtsschutz, Dublin-Verfahren, algerische Staatsangehörigkeit, in Deutschland nachgeborenes Kind einer bereits bestandkräftig entschiedenen Asylbewerberin, Geschlecht des Kindes „divers“, wahrscheinlich männlich, Abschiebungsanordnung nach Spanien, keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Spanien, Erkrankungen in Spanien behandelbar, komplexe Störung der Geschlechtsentwicklung, komplexe genitale Fehlbildung, Unterbringung und (medizinische) Versorgung ausreichend gewährleistet, keine zielstaats- oder inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse, Ablehnung von Prozesskostenhilfe, Abschiebungsanordnung, Staatsangehörigkeit, Erkrankung, systemische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2019, 11376

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten wird sowohl im vorliegenden Sofortverfahren als auch im Klageverfahren W 8 K 19.50525 abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist ein am … … 2019 in Deutschland geborener algerischer Staatsangehöriger, dessen Mutter bereits in einem eigenen Dublin-Verfahren bestandskräftig abgelehnt und der die Abschiebung nach Spanien angedroht wurde (vgl. dazu VG Würzburg, B.v. 23.5.2018 - W 8 S 15.50234 - juris; U.v. 5.7.2018 - W 8 K 18.50233). Die Mutter des Antragstellers hat für den Antragsteller am 29. März 2019 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt.
2
Mit Bescheid vom 15. Mai 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Spanien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
3
Der Antragsteller (vertreten durch seine Mutter) erhob am 29. Mai 2019 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Sofortverfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
4
Zur Begründung ließ der Antragsteller durch seine Mutter im Wesentlichen vorbringen: Nach der Geburt seien gesundheitliche Probleme beim Antragsteller festgestellt worden. Eine Bescheinigung sei ausgestellt worden, dass beim Antragsteller eine genitale Fehlbildung festgestellt worden sei, welche eine operative Korrektur erfordere. Der Antragsteller habe große Probleme und es sei nicht klar, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. Aufgrund der Komplexität sei eine operative Versorgung in einem kinderurologischen Fachzentrum dringend erforderlich. Dies wäre in der Klinik in Aschaffenburg möglich. Bei einer Abschiebung nach Spanien hätte der Antragsteller vermutlich keine Möglichkeit, angemessen versorgt und behandelt zu werden. Für die Mutter sei es schwer und unmöglich, Hilfe für den Antragsteller zu finden. Darüber hinaus drohe die Abschiebung nach Algerien. Sowohl der Antragsteller mit dem Geschlecht „divers“ im Geburtenregister als auch seine Mutter hätten in diesem Land mit sehr konservativen und patriarchalen Gesetzen und Gebräuchen keine Chance zu überleben. Der Antragsbegründung wurden verschiedene ärztliche Bescheinigungen beigefügt.
5
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 19.50525) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
6
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 15. Mai 2019 begehrt.
7
Soweit der Antrag zulässig ist (betreffend Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides), ist er unbegründet.
8
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 15. Mai 2019 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
9
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerseite führt zu keiner anderen Beurteilung.
10
Spanien ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Spaniens ergibt sich - wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat (darauf kann Bezug genommen werden) - nach § 20 Abs. 3 Dublin III-VO. Nach § 20 Abs. 3 Dublin III-VO ist die Situation des Antragstellers untrennbar mit der Situation seiner Mutter verbunden mit der Folge, dass Spanien, das für die Mutter zuständig ist, zwangsläufig auch für den Antragsteller zuständig ist. Dies gilt ausdrücklich auch für Antragsteller, die nach der Ankunft im Mitgliedsstaat (hier in Deutschland) geboren werden. Die Mutter des Antragstellers ist bestandskräftig ausreisepflichtig. In ihrem Dublin-Verfahren wurde ihr Asylantrag rechtmäßig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Spanien angeordnet (vgl. VG Würzburg, B.v. 23.5.2018 - W 8 S 18.50234 - juris; U.v. 5.7.2018 - W 8 K 18.50233). Im Verfahren der Mutter haben die spanischen Behörden ausdrücklich ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages erklärt.
11
Die wegen des zwischenzeitlichen Untertauchens der Mutter geltende 18-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO, die bis 23. November 2019 läuft, ist noch nicht abgelaufen. Der Antragsgegner hat dies am 7. September 2018 ausdrücklich den spanischen Behörden mitgeteilt.
12
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, liegen nicht vor.
13
Die Überstellung nach Spanien ist nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417). Danach ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 Grundrechte-Charta (GR-Charta) zur Folge hätte.
14
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Spanien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die hier relevante Gruppe der Dublin-Rückkehrer (vgl. zuletzt etwa VG Berlin, B.v. 14.3.2019 - 31 L 828.18 A - juris; VG Chemnitz, U.v. 7.3.2019 - 4 L 155/19.A - juris; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 - 8 B 16/19 - juris; VG Magdeburg, B.v. 18.1.2019 - 6 B 60/19 - juris; VG Würzburg, B.v. 18.1.2019 - W 8 S 19.50035 - juris; B.v. 11.1.2019 - W 2 S 19.50022 - juris; VG München, B.v. 17.10.2018 - M 22 S 18.52859 - juris; VG Aachen, B.v. 13.8.2018 - 4 L 1065/18.A - juris; jeweils m.w.N.), zumal die Antragstellerseite nichts Gegenteiliges substanziiert vorgebracht hat.
15
Sofern Dublin-Rückkehrer einen (weiteren) Asylantrag stellen, wird in Spanien ein Asylverfahren durchgeführt. Dublin-Rückkehrer können ein eventuelles Asylverfahren in Spanien fortsetzen bzw. einen neuen Asylantrag stellen. Spanien verfügt zudem über ein rechtsstaatliches Asylsystem mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Außerdem ist der Zugang zur Versorgung, wie er auch anderen Asylbewerbern offensteht, garantiert. Asylbewerber, die über keine finanziellen Mittel verfügen, haben das Recht auf Unterbringung und Versorgung zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse. Sie haben auch rechtlich vollen Zugang zu öffentlicher medizinischer Versorgung wie spanische Staatsbürger, darunter auch zu psychologischer Betreuung für Opfer von Folter, Misshandlung und anderer Traumatisierung. Asylbewerber haben Zugang zu allgemeiner und spezialisierter medizinischer Hilfe, die kostenlos durch den Staat gewährleistet wird. Spezialisierte Mitarbeiter überwachen die psychische und physische Gesundheit. Geschulte Psychologen kümmern sich um Asylbewerber mit psychischen Problemen (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Spanien vom 6.7.2018 m.w.N.). Infolgedessen ist gewährleistet, dass Asylbewerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten. Dies umfasst auch die medizinische oder sonstige Hilfe für Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen (vgl. zuletzt etwa VG Berlin, B.v. 14.3.2019 - 31 L 828.18 A - juris; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 - 8 B 16/19 - juris; VG Magdeburg, B.v. 18.1.2019 - 6 B 60/19 - juris; VG Würzburg, B.v. 18.1.2019 - W 8 S 19.50035 - juris; B.v. 11.1.2019 - W 2 S 19.50022 - juris; VG München, B.v. 17.10.2018 - M 22 S 18.52859 - juris; VG Aachen, B.v. 13.8.2018 - 4 L 1065/18.A - juris; jeweils mit weiteren Nachweisen).
16
Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO notwendig machen, liegen nicht vor.
17
Auch sonst liegen beim Antragsteller weder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG - bezogen auf Spanien - noch inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
18
Insbesondere sind keine gewichtigen Erkrankungen - diagnostiziert bzw. geltend gemacht sind insbesondere: komplexe Störung der Geschlechtsentwicklung, komplexe genitale Fehlbildung - ersichtlich, die in Spanien nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten. Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten sind in Spanien wie generell in der EU in ausreichendem Maß verfügbar. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Auch sonst ist unschädlich, dass das Versorgungsniveau in Spanien womöglich geringer ist als in Deutschland.
19
Weiter ist zu den von der Antragstellerseite geltend gemachten Erkrankungen anzumerken, dass diese Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat mittlerweile ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 und 3 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien für die Gesundheitsgefahren, die im Übrigen auf eine bestehende Rechtsprechungslinie aufbauen, hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG - ebenfalls angelehnt an entsprechende Rechtsprechung - ausdrücklich auch prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substanziierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt, die bei der Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen anwendbar sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris; OVG NW, B.v. 9.10.2017 - 13 A 1807/17.A - NVwZ-RR 2018, 207; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 - 2 L 85/17 - NVwZ-RR 2018, 244 sowie Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409; jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier.
20
Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen enthalten entgegen § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG insbesondere keine Aussage zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung auf die krankheitsbedingte Situation für die Antragsteller voraussichtlich ergeben. Den aktuellen Arztbriefen, insbesondere des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau vom 31. Januar 2019 und 8. April 2019, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Dort ist zwar in der einen Bescheinigung vom 31. Januar 2019 vermerkt, aufgrund der Komplexität sei eine operative Versorgung in Deutschland, in einem kinderurologischen Fachzentrum, dringend erforderlich. Dies wäre auch im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau möglich. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass die Operation nicht auch in Spanien erfolgen könnte. Die Operation im urologischen Fachzentrum im Klinikum Aschaffenburg wird nur als eine Möglichkeit dargestellt. Zudem ist dem Arztbrief vom 8. April 2019 zu entnehmen, dass sich der männliche Genotyp bestätigt habe und in der Folgezeit eine Operation zwecks plastischer Rekonstruktion geplant werden solle, etwa im 8. Lebensmonat. Abgesehen davon ist keiner der vorliegenden ärztlichen Unterlagen zu entnehmen, dass bei dem Antragsteller im Falle einer eventuellen Verzögerung oder einem Unterbleiben dieser Operation eine erheblich konkrete Gefahr bestünde aus gesundheitlichen Gründen, lebensbedrohlich oder schwerwiegend zu erkranken.
21
Wie schon im Verfahren der Mutter (vgl. VG Würzburg, B.v. 23.5.2018 - W 8 S 18.50234 - juris) ausgeführt, ist davon auszugehen, dass der spanische Staat der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Prüfung des Asylbegehrens einschließlich des Vorliegens möglicher Abschiebungshindernisse auch im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention und die Grundrechte-Charta nachkommt. Eine parallele oder zusätzliche (Zweit-)Prüfung im Hinblick auf Algerien durch die deutschen Behörden kommt nach der vorliegenden Systematik im Dublin-Verfahren nicht in Betracht. Vielmehr ist der Antragsteller genauso wie seine Mutter gehalten, ihre administrativen, rechtlichen und auch gerichtlichen Möglichkeiten in Spanien auszuschöpfen. Dies gilt auch zum gesundheitlichen Aspekt. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es auf das Vorbringen der Antragstellerseite nicht an, dass dem Antragsteller mit dem Geschlecht „divers“ in Algerien erhebliche Nachteile drohten und er keine Überlebenschance hätte. Zudem ist dazu anzumerken - ohne dass es hier rechtlich von Belang ist -, dass nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nach der Chromosomenanalyse beim Antragsteller von einem normalen männlichen Karyotyp, 46 XY auszugehen ist. Der entsprechende Eintrag im Geburtenregister könnte geändert werden. Des Weiteren könnte durch die angesprochene plastische Rekonstruktion - die nach Auffassung des Gerichts bei Bedarf auch in Spanien durchgeführt werden könnte - auch äußerlich eine Verbesserung erreicht werden.
22
Weitergehende ärztliche Atteste wurden indes nicht vorgelegt, geschweige denn solche, denen zu entnehmen wäre, dass die Behandlung bzw. Weiterbehandlung der Erkrankungen des Antragstellers gerade und nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen könnte und nicht auch in Spanien möglich wäre.
23
Ausgehend von dieser Rechtslage ist gerade im Hinblick auf die geltend gemachten Erkrankungen des Antragstellers festzustellen, dass - wie bereits oben ausgeführt - entsprechende Behandlungsmöglichkeiten auch in Spanien existieren. Der Antragsteller ist von Rechts wegen gehalten, alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des zur Verfügung stehenden spanischen Gesundheitssystems zu begegnen und die dortigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren und ihnen die Spitze zu nehmen.
24
Zudem liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - BVerwGE 127, 33). Für die Annahme einer solchen Gefahr fehlen greifbare Anhaltspunkte. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist, wie bereits ausgeführt, die Behandlung von Erkrankungen in Spanien hinreichend gewährleistet. Das Gericht hat keine gegenteiligen Erkenntnisse, dass es gerade bei den Krankheiten des Antragstellers anders sein sollte.
25
Des Weiteren geht das Gericht davon aus, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden im vorliegenden Einzelfall - soweit erforderlich - geeignete Vorkehrungen zum Schutz des Antragstellers treffen werden. Auf die Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 1 UA 2 Dublin III-VO wird hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es in Einzelfällen geboten sein, vor einer Rückverbringung mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufzunehmen, den Sachverhalt zu klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341 m.w.N.). Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG LSA, B.v. 20.6.2011 - 2 M 38/11 - InfAuslR 2011, 390, 392).
26
So ist die Lage auch im vorliegenden Fall. Das zuständige Bundesamt hat in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass der Antragsteller und seine Mutter bei der Übergabe an diese - soweit medizinisch erforderlich - eine Weiterbehandlung sowie hinreichende ärztliche Versorgung erhalten, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren auszuschließen.
27
Des Weiteren ist die Antragsgegnerin nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO bei der Überstellung gehalten, dem zuständigen Mitgliedsstaat Informationen über die besonderen Bedürfnisse bezüglich der Gesundheit der zu überstellenden Person zu übermitteln, um es den zuständigen Behörden im zuständigen Mitgliedsstaat gemäß den innerstaatlichen Recht zu ermöglichen, diese Person in geeigneter Weise zu unterstützen - unter anderem die unmittelbar notwendige medizinische Versorgung zu leisten - und um die Kontinuität des Schutzes und der Rechte sicherzustellen, die die Dublin III-VO und andere einschlägige Bestimmungen des Asylrechts gebieten. Dem Zielstaat wird daher im Vorfeld der Rückführung bei Vereinbarung eines Überstellungstermins mitgeteilt, wenn eine Person unmittelbar nach der Ankunft in ärztliche Hände übergeben werden soll. Soweit dieser Informationsaustausch erfolgt, genügt der überstellende Staat grundsätzlich den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, so dass selbst bei Überstellung von besonders schutzbedürftigen Personen, wie etwa psychisch Kranken, keine grundlegenden Einwände bestehen (vgl. Thym, ZAR 2013, 331 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR sowie etwa VG München, U.v. 6.5.2016 - M 12 K 15.50793 - juris; VG Würzburg, B.v. 5.3.2014 - W 6 S 14.30235 - juris).
28
Infolge der genannten Vorgaben der Dublin III-VO, einschließlich der Übermittlung der Daten mit dem dafür vorgesehenen Formblatt, ist sichergestellt, dass Spanien vom Gesundheitszustand der Antragsteller im Zuge der Überstellung als staatlich überwachte und organisierte Ausreise des Betreffenden in einen anderen Mitgliedsstaat erfährt (vgl. VG Freiburg, U.v. 4.2.2016 - A 6 K 1356/15 - juris).
29
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich. Eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde vom Antragsteller nicht substanziiert geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich, insbesondere liegen dazu keine qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen vor. Möglichen krankheitsbedingten Gefahren kann und muss - wie schon ausgeführt - gegebenenfalls durch geeignete Maßnahmen sowohl bei der Überstellung als auch bei der Ankunft in Spanien Rechnung getragen werden (vgl. auch VG München, U.v. 6.5.2016 - M 12 K 15.50793 - juris). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine ärztliche Bescheinigung - wie hier - ohne Aussagen zur Reisefähigkeit bzw. zur Reiseunfähigkeit des Betreffenden nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG erfüllt (BayVGH, B.v. 9.5.2017 - 10 CE 17.750 - juris).
30
Der Antragsteller hat auch nicht mit Blick auf seinen Vater einen Anspruch in Deutschland zu bleiben. Zum einen ist schon festzuhalten, dass die Mutter des Antragstellers nicht mit dem Vater verheiratet ist. Der leibliche Vater des Antragstellers wohnt nicht mit der Mutter des Antragstellers in Lebensgemeinschaft. Er lebt auch nicht mit dem Antragsteller selbst zusammen und kümmert sich offenbar auch nicht um ihn. Des Weiteren liegen seitens des Vaters weder Vaterschafts- noch Sorgerechtserklärungen vor, sodass auch daraus keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse resultieren.
31
Nach alledem ist die Abschiebung der Antragsteller nach Spanien rechtlich zulässig und möglich.
32
Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse der Antragsteller an der Aussetzung der Vollziehung des Bescheides, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen war.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
34
Schließlich war - nach den vorstehenden Ausführungen - der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 ZPO. Dies gilt sowohl für das Vorliegen der Antragsverfahren als auch für das Klageverfahren W 8 K 19.50525.