Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.05.2019 – 10 CE 19.997
Titel:

Entfernung von Wahlplakaten 

Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2, Art. 21 Abs. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2, Abs. 3
StGB § 130 Abs. 1, § 185, § 186
OWiG § 118 Abs. 1
Leitsätze:
1. Durch die Verwendung des Begriffs „Volksverräter“ kann  kein taugliches Angriffsobjekt iSd § 130 Abs. 1 StGB angenommen werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine gem. § 185 StGB straflose Äußerung, die in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt, kann nicht nach § 118 Abs. 1 OWiG geahndet werden und somit auch nicht Grundlage einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 2, 3 LStVG sein. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Europawahl, Wahlplakat, Volksverhetzung, taugliches Angriffsobjekt, Partei, Schutzbereich, Wahl, "Volksverräter", öffentlicher Frieden, Meinungsäußerung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Entscheidung vom 20.05.2019 – W 9 E 19.592
Fundstelle:
BeckRS 2019, 10748

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, von ihr Anfang Mai 2019 entfernte Wahlplakate für die Europawahl 2019 wieder aufzuhängen.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 20. Mai 2019 insoweit stattgegeben, als der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aufgegeben wurde, die von ihr innerhalb geschlossener Ortschaft abgehängten Wahlplakate für die Wahl zum 9. Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 der Antragstellerin mit der Aufschrift „Reserviert für Volksverräter“ und „Volksverräter stoppen!“ unverzüglich wieder an ihren ursprünglichen Standorten aufzuhängen. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt (Ziffer I.). Die Kosten des Verfahrens hat es der Antragstellerin zu 1/3 und der Antragsgegnerin zu 2/3 auferlegt (Ziffer II.).
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Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Für sie ist beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. Mai 2019 abzuändern und den Antrag nach § 123 VwGO unter entsprechender Abänderung auch der Kostenentscheidung vollumfänglich abzulehnen.
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Sie macht zum einen geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den Antrag der Antragstellerin dahingehend einschränkend ausgelegt, wonach diese mit ihrem Eilantrag nur die Rückgängigmachung der Entfernung der Wahlplakate innerhalb geschlossener Ortschaft begehrt hätte. Eine solche Einschränkung lasse sich weder dem eindeutig formulierten Antrag noch der hierzu erfolgten Begründung entnehmen, führe aber dazu, dass der Antrag ohne Sachentscheidung im Kern reduziert worden sei, wodurch sich die Kostentragungslast der Antragsgegnerin erhöht habe. Zum anderen handle es sich bei den Plakaten mit der Aufschrift „Reserviert für Volksverräter“ und „Volksverräter stoppen!“ um sanktionsbehaftete Aussagen im Sinne des § 130 StGB. Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Deutungsmöglichkeit, wonach die Plakatmotive auch so verstanden werden könnten, dass rechtsstaatliche Verfahren verlangt werden würden, sei fernliegend und verkenne den manipulativen Charakter der bewusst im „Nazijargon“ gewählten Aussagen. Es gehe eindeutig und ausschließlich darum, dass Vertreter etablierter Parteien als Volksverräter einzukerkern und damit zu stoppen seien.
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Die Antragstellerin trat der Beschwerde entgegen und beantragt, diese abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
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Die eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
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1. Soweit sich die Antragsgegnerin gegen die ihrer Ansicht nach zu Unrecht erfolgte einschränkende Auslegung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht und damit mittelbar gegen die Kostenentscheidung wendet, ist die Beschwerde bereits unzulässig. Denn Zulässigkeitsvoraussetzung hierfür ist u.a., dass der Beschwerdeführer durch die von ihm angefochtene Entscheidung selbst beschwert wird (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, 5. Auflage 2018, § 146 Rn. 41; Happ in Eyermann, 15. Auflage 2019, § 146 Rn. 25 und Vor § 124 Rn. 25 m.w.N.). Dies ist, soweit das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung den Eilantrag abgelehnt (vgl. Ziffer I. Satz 2) bzw. infolge der Antragsauslegung darüber nicht entschieden hat, nicht der Fall. Der Wunsch (allein) nach einer Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung kann nach der gesetzlichen Wertung des § 158 Abs. 1 VwGO die Anrufung des Rechtsmittelgerichts nicht rechtfertigen. Damit ist die Beschwerde, soweit sie in der Sache das Ziel einer günstigeren Kostenentscheidung verfolgt, unstatthaft (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.8.2016 - OVG 12 S 37.16, OVG 12 L 40.16 - juris Rn. 2; OVG Saarl, B.v. 19.1.2016 - 2 B 223/15 - juris Rn. 4; Kaufmann in Posser/Wolf BeckOK, Stand 1.4.2019, § 146 Rn. 1 m.w.N.).
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Dessen ungeachtet erscheint nach den vorliegenden Unterlagen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des Antrags gemäß § 88, § 122 Abs. 1 VwGO nachvollziehbar und schlüssig. So setzt sich die Begründung des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO ausschließlich und ausführlich mit der Wertung der „Plakatinhalte“ durch die Antragsgegnerin auseinander (S. 3 ff. des Schriftsatzes v. 17.5.2019) und nimmt ausdrücklich nur auf Ziffer 2 der Mitteilung der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2019 Bezug (S. 2 des Schriftsatzes v. 17.5.2019), wo dargelegt wird, weswegen die Plakate mit den Aufschriften „Reserviert für Volksverräter“, „Volksverräter stoppen!“, „Multikulti tötet“ entfernt wurden. Auf das unter Ziffer 1 des Schreibens vom 7. Mai 2019 dargelegte Plakatierverbot außerhalb geschlossener Ortschaft wegen Verstoßes gegen das Bundesfernstraßengesetz und die Straßenverkehrsordnung geht die Antragsbegründung indes nicht ein.
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2. Soweit die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde einwendet, dass die Plakate „Reserviert für Volksverräter“ und „Volksverräter stoppen!“ entgegen der Auffassung des Erstgerichts „sanktionsbehaftet“ und damit zu Recht entfernt worden seien, dringt sie damit ebenfalls nicht durch.
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Die textliche und bildliche Aussage auf den Wahlplakaten einer politischen Partei stellt ungeachtet ihres möglichen ehrverletzenden Gehalts ein vom Schutzbereich des Art. 21 Abs. 1 i.V.m. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasstes Werturteil dar. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.1995 - 1 BvR 1476/91 u.a. - juris Rn. 108). Jedermann hat insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern (vgl. BVerfG, B.v. 10.7.1992 - 2 BvR 1802/91 - NJW 1992, 2750). Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 24.9.2009 - 2 BvR 2179/09 - juris Rn. 3).
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Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt unter anderem im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Wie im angegriffenen Beschluss des Gerichts ausgeführt, kommt als Rechtsgrundlage für die Maßnahme der Antragsgegnerin allenfalls Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 LStVG in Frage, wonach die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen nur treffen können, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden (Nr. 1) sowie durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen (Nr. 2). Sind Anordnungen nach Absatz 2 nicht möglich, nicht zulässig oder versprechen sie keinen Erfolg, so können die Sicherheitsbehörden die Gefahr oder Störung selbst, durch die Polizei oder durch vertraglich Beauftragte abwehren oder beseitigen (Art. 7 Abs. 3 LStVG). Offen bleiben kann insoweit, ob die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 LStVG im vorliegenden Fall überhaupt gegeben waren, weil jedenfalls kein (evidenter) Verstoß gegen ein Strafgesetz oder eine Ordnungswidrigkeitenvorschrift vorliegt.
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Das Vorliegen einer Störung der öffentlichen Sicherheit wurde hier mit einem Verstoß gegen § 130, § 185, § 186 StGB oder § 118 OWiG begründet. Bei den genannten Strafvorschriften handelt es sich um ein allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG; § 118 OWiG ist hingegen kein allgemeines Gesetz, das gemäß Art. 5 Abs. 2 GG der freien Meinungsäußerung Schranken setzen kann (vgl. OLG Rostock, B.v. 12.2.2018 - 21 Ss OWi 200/17 (Z) - juris Rn. 2 m.w.N.). Bei der Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften sind insbesondere die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene zur Geltung kommt (BVerfG, B.v. 6.9.2000 - 1 BvR 1056/95 - juris Rn. 34; B.v. 24.9.2009 - 2 BvR 2179/09 - juris Rn. 6).
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Gemessen hieran geht das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass den Wahlplakaten keine sanktionsbehaftete Aussage im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB entnommen werden kann. Nach dieser Vorschrift sind zum Schutz des öffentlichen Friedens zur Friedensstörung geeignete Äußerungen verboten, die zum Hass aufstacheln gegen bestimmte in- und ausländische Gruppen, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen Einzelpersonen aufgrund deren Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem Bevölkerungsteil, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern oder sie durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden in ihrer Menschenwürde angreifen (Rackow in v. Heintschel-Heinegg BeckOK, StGB, Stand 1.2.2019, § 130 vor Rn. 1).
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Angriffsobjekte gemäß § 130 Abs. 1 StGB sind eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder ein Einzelner. Eine Gruppe ist eine durch gemeinsame Merkmale und deren subjektive Entsprechung verbundene Mehrzahl von Menschen, welche sich durch diese Merkmale von anderen Personengruppen unterscheidet (Krupna in Dölling/Duttge/ König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage 2017, § 130 Rn. 4; Schäfer in Münchner Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 Rn. 28 f.).
18
Ausgehend hiervon kann durch die Verwendung des Begriffs „Volksverräter“ schon kein taugliches Angriffsobjekt im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB angenommen werden, da allein gemeinsame politische oder wirtschaftliche Interessen keine Gruppe zustande kommen lassen (BayObLG, B.v. 22.3.1990 - RReg 5 St 136/89 - NJW 1990, 2479/2480 zu § 131 Abs. 1 a.F.; Rackow in v. Heintschel-Heinegg BeckOK, StGB, Stand 1.2.2019, § 130 Rn. 14.1). Zwar kann der Begriff des „Volksverräters“ angesichts seiner historischen Belastung eine besondere Herabsetzung des betroffenen Personenkreises beinhalten. Dieser Begriff wurde insbesondere von den Nationalsozialisten ausgehend von der Ideologie der Volksgemeinschaft als „Mittelpunkt des modernen Rechtsdenkens“ verwendet, um ein in ihren Augen besonders schädliches Verhalten zu kennzeichnen. So wurde etwa durch das Gesetz zur Änderung des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934 mit § 90 f StGB a.F. (RGBl. I, S. 341) ein neuer Straftatbestand des „Volksverrats durch Lügenhetze“ geschaffen. Indes ist zu berücksichtigen, dass die beanstandete Begrifflichkeit in der öffentlichen Diskussion auch heute noch gebraucht wird, um Kritik an der vermeintlich fehlenden Responsivität der politisch Verantwortlichen gegenüber den Einstellungen der Mehrheit des Volkes zu üben (ausführlich: VerfGH Sachsen, U.v. 3.11.2011 - Vf. 311 - juris Rn. 37). Jedenfalls fehlt es aber an einer Gruppe, welche national, rassisch, religiös oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmt ist (zu Einzelfällen vgl. Sternberg-Lieben/Schittenhelm in Schönke/Schräder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage, § 130 Rn. 4 m.w.N.).
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Hinsichtlich der weiter herangezogenen Strafvorschriften des § 185 und § 186 StGB fehlt es schon an einer den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Begründung der Beschwerde, weil lediglich pauschal auf das erstinstanzliche Vorbringen verwiesen wird. Ungeachtet dessen sind Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung nur strafrechtlich relevant, wenn sie sich auf einen deutlich aus der Allgemeinheit hervortretenden Personenkreis beziehen, der klar abgrenzbar und überschaubar ist und dessen Mitglieder sich zweifelsfrei bestimmen lassen (Valerius in v. Heintschel-Heinegg BeckOK, StGB, Stand 1.2.2019, § 185 Rn. 8 m.w.N.), was bei dem von der Antragstellerin verwendeten Begriff „Volksverräter“ nach Auffassung des Senats nicht der Fall ist. Für die Anwendung von § 186 StGB (Üble Nachrede) fehlt es bereits an einer Behauptung oder Verbreitung einer Tatsache, vielmehr kommen in den Plakatinhalten Werturteile zum Ausdruck.
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Soweit der Rechtsverstoß auf § 118 Abs. 1 OWiG gestützt wird, wird verkannt, dass die Norm als Auffangtatbestand zurücktritt, wenn andere Strafvorschriften - hier insbesondere § 130, § 185 f. StGB (Weiner in BeckOK Graf, Stand 15.3.2019, § 118 Rn. 2) - spezieller und damit abschließend sind. Eine gemäß § 185 StGB straflose Äußerung, die in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt, kann deshalb nicht nach § 118 Abs. 1 OWiG geahndet werden (OLG Rostock 12.2.2018 - 21 Ss OWi 200/17 (Z) - juris Rn. 5 mit Verweis auf BVerfG, 24.3.2001 - BvQ 13/01 - juris Rn. 26 zu § 15 VersG) und somit auch nicht Grundlage einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 2, 3 LStVG sein.
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Die Beschwerde der Antragsgegnerin war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
22
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG, wobei aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache der volle Auffangwert zugrunde gelegt wird (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO)