Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 11.05.2021 – 3 U 3129/19
Titel:

Täuschung durch vertragswidriges Belassen von Zeitschriften zur Vermietung bei Kunden

Normenkette:
UWG § 3, § 4 Nr. 4, § 5 Abs. 1, § 5a Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine unlautere Behinderung nach § 4 Nr. 4 UWG liegt bei einem Schleichbezug außerhalb eines eingeführten Vertriebssystems allenfalls gegenüber dem Betreiber des Vertriebssystems, nicht aber gegenüber Dritten vor. (Rn. 16 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Überlässt ein Lesezirkelunternehmen die von Verlagen aufgrund der Vermietung kostengünstiger zur Verfügung gestellten Zeitschriften vertragswidrig Bibliotheken nach Abschluss der Vermietung dauerhaft, stellt dies eine erhebliche Irreführung gegenüber den Zeitschriftenverlagen dar. (Rn. 50 – 85) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das vertragswidrige dauerhafte Überlassen von zur Vermietung und anschließenden Vernichtung erworbenen Zeitschriften kann gegen die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG verstoßen. (Rn. 91 – 95) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behinderung, Mieter, Leistungen, Mietsache, Berufung, Unterlassungsanspruch, Wettbewerbswidrigkeit, Vermietung, Verkauf, wettbewerbswidrig, Mietvertrag, Entgelt, Erinnerung, Mitbewerber, vorgerichtliche Anwaltskosten, Co KG, Bundesrepublik Deutschland
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 07.08.2019 – 4 HKO 3308/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 27.01.2022 – I ZR 77/21
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 49162

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. August 2019, Az. 4 HK O 3308/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft von bis zu 2 Jahren, zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen, Bibliotheken mit Zeitschriftenexamplaren zu beliefern, die sie zuvor bei Verlagen zu Konditionen erworben hat, die lediglich eine Vermietung als Lesezirkel-Exemplare vorsehen, ohne diese Exemplare nach Erscheinen des Folgehefts wieder abzuholen, es sei denn, diese sind im Einzelfall dort aktuell nicht vorhanden oder ein längeres Belassen in den Bibliotheken wurde der Beklagten von den Verlagen ausdrücklich gestattet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 536,97 € nebst Zinsen, jeweils in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils Basiszinssatz, aus einem Teilbetrag von 182,16 € seit dem 25. November 2017 und einem weiteren Teilbetrag von 354,81 € seit dem 4. April 2018 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 60% und die Beklagte 40%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung wegen der Unterlassungspflicht durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in Höhe von 20.000,00 € leistet.
Der Kläger und die Beklagte können die jeweils gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung wegen des Zahlungsausspruchs und der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 50.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten darum, ob das beklagte Lesezirkelunternehmen öffentliche Bibliotheken unter Verletzung der mit den Verlagen/Vertriebsunternehmen eingegangenen Bedingungen beliefert und dem Kläger deshalb wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche zustehen.
2
Der Kläger vertreibt bundesweit Zeitschriften und Zeitschriftenabonnements, u.a. an öffentliche Bibliotheken, die Beklagte betreibt im nordbayerischen Raum einen Lesezirkel. Die Beklagte bezog bis 1. Februar 2021 zumindest einen Teil der Zeitschriften von der D…D…Pressev…GmbH, deren Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für den Lesezirkel, Stand 2016, u.a. vorsehen, dass die Lesezirkelexemplare in der dort näher beschriebenen Weise fest in Umschläge einzuheften sind. Sie enthalten ferner die Verpflichtung, die Exemplare in den Erstmappen sowie daran anschließend in den Folgemappen gegen Entgelt zu vermieten und im Anschluss an die Vermietung zurückzuholen und zu vernichten. Die Bedingungen der B…M…V GmbH (BMV, Stand 15. November 2004) enthalten die Bestimmung, dass der Lesezirkel die Exemplare fest in Umschläge einzuheften und in den Erstmappen sowie anschließend in den Folgemappen gegen branchenübliches Entgelt zu vermieten hat. Eine kostenlose oder dauernde Überlassung ist ausgeschlossen; nach Abschluss der Mehrfachvermietung sind die Zeitschriften einer ordnungsgemäßen Vernichtung zuzuführen. Die Regelungen im Vertrag der Beklagten mit der O…G…GmbH & Co. KG vom 20. Oktober/4. November 2020 legen fest, dass die Belieferung zur ausschließlichen Eigenverwendung als Lesezirkelexemplar zum Zwecke der Vermietung erfolgt und jede Veräußerung oder sonstige Weitergabe unzulässig ist; es wird dabei auf die aktuellen Kriterien der IVW zu Lesezirkelunternehmen Bezug genommen. Die Beklagte schritt in der Vergangenheit nicht dagegen ein, dass belieferte Bibliotheken die Lesezirkelumschläge systematisch entfernten.
3
Der Kläger mahnte die Beklagte am 24. November 2017 ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, weil sie Zeitschriften nicht in Schutzumschlägen ausliefere, es dulde, dass die Schutzumschläge entfernt wurden, und sie die Zeitschriften nicht regelmäßig wöchentlich abhole; diese würden teilweise über Jahre dauerhaft in den Bibliotheken verbleiben. Da die Beklagte die Ansprüche zurückweisen ließ, erwirkte der Kläger in der Folgezeit eine einstweilige Verfügung, die auf Widerspruch des Beklagten aufrechterhalten wurde (Landgericht Nürnberg-Fürth, 4 HK O 7719/17). Unter dem 4. April 2018 übersandte der Kläger ein Abschlussschreiben, auf welches hin die Beklagte keine Abschlusserklärung abgab.
4
Der Kläger behauptet, die Beklagte liefere Zeitschriftenexemplare, die sie aufgrund der Lesezirkel-Konditionen erworben habe, an Bibliotheken ohne Schutzumschläge aus; dies habe sie jedenfalls in der Vergangenheit getan. Ebenso hole die Beklagte die Zeitschriften nicht zeitnah ab, sondern belasse diese dort, so dass ganze Jahrgänge in den Bibliotheken vorhanden seien. Die Beklagte könne zu Lesezirkelkonditionen Zeitschriften zu wesentlich günstigeren Bedingungen einkaufen als der Kläger, der zudem die pressevertriebsrechtliche Preisbindung zu beachten habe. Das Verhalten der Beklagten stelle einen wettbewerbswidrigen Schleichbezug dar, so dass ein Unterlassungsanspruch nach § 4 Nr. 4 UWG gegeben sei. Ebenso sei das Verhalten nach der Generalklausel des § 3 UWG wettbewerbswidrig und unter dem Gesichtspunkt des verschleiernden Wettbewerbshandelns als irreführend zu beurteilen.
5
Die Beklagte bestreitet diese Vorwürfe zunächst in tatsächlicher Hinsicht. Die von ihr ausgelieferten Lesezirkelexemplare seien stets mit entsprechenden Umschlägen versehen gewesen; die Beklagte verkaufe solche auch nicht an Bibliotheken, sondern vermiete diese. Ihre Mitarbeiter nähmen die Zeitschriften von den Bibliotheken entgegen, wenn diese bereitgestellt werden; diese Praxis sei in der Vergangenheit noch nie von den Verlagen gerügt worden. Sie verteidigt ihr Handeln damit, dass eine starre Verpflichtung, Zeitschriften stets nach einem festen Zeitraum, insbesondere nach sieben Tagen oder dem Erscheinen des Folgehefts, abzuholen, in den Vertragsbedingungen nicht enthalten ist. Sie bestehe auch im Übrigen nicht, zumal es dem Interesse und dem Einverständnis der Vertriebsunternehmen entspreche, Zeitschriften länger bei den Mietern zu belassen, wenn diese noch gelesen werden. Auch lange Zeit nach Erscheinen einer Zeitschrift bestehe noch eine Nachfrage nach Anmietung entsprechender Jahrgänge, z.B. für Archivzwecke. Die für Lesezirkelexemplare gewährten Rabatte seien niedriger als vom Kläger angegeben; zudem seien Lesezirkel mit dem Aufwand des Auslieferns, Abholens und Vernichtens belastet.
6
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, Bibliotheken mit Zeitschriften zu beliefern, die sie zuvor bei den Verlagen zu Lesezirkelkonditionen erworben hat, ohne diese Zeitschriften nach Maßgabe der Lieferungsbedingungen für den Lesezirkel der Verlage, insbesondere der Lieferung- und Zahlungsbedingungen für den Lesezirkel des DPV (Anlage K4, nachfolgend wiedergegeben) mit Lesezirkel-Umschlägen zu vermieten und wieder abzuholen, sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.342,44 € nebst gestaffelter Zinsen zu zahlen. Die Beklagte habe das tatsächliche Vorbringen des Klägers nur unsubstantiiert bestritten, sodass dieses als zugestanden zugrundezulegen sei. Durch die Parteivernehmung habe sich herausgestellt, dass die Beklagte zu Lesezirkelbedingungen zu wesentlich günstigeren Konditionen einkaufen könne als der Kläger. Das Verschweigen der Wiederverkäufereigenschaft gegenüber einem Anbieter stelle einen Schleichbezug dar. Die Beklagte beeinträchtige das Geschäftsmodell der Verlage, welches den gewöhnlichen Verkauf und die Abgabe an Lesezirkelunternehmen trenne, indem er das Entfernen der Schutzumschläge dulde und die Zeitschriften über längere Zeiträume dort belasse. Hierdurch hindere sie zugleich den Kläger, seine Leistungen durch eigene Anstrengungen in angemessener Weise zur Geltung zu bringen.
7
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die weiter eine vollständige Klageabweisung erstrebt. Das Landgericht habe nicht aufgrund einer Lebenserfahrung davon ausgehen dürfen, dass Bibliotheken von der Beklagten gemietete Zeitschriften nicht an sie zurückgäben und später erneut beschafften. Die Beklagte könne auch nichts dafür, wenn Gäste die Schutzumschläge abreißen oder beschädigen. Die Beklagte sei nicht Außenseiterin eines selektiven Vertriebssystems, sondern beziehe von den Verlagen bzw. Vertriebsunternehmen. Jedenfalls fehlten die besonderen Umstände, die für eine gezielte Behinderung erforderlich seien. § 5 UWG schütze die Marktgegenseite und die Mitbewerber, nicht dagegen den Vertragspartner, und erfasse lediglich den Absatz. Zuletzt hat die Beklagte vorgebracht, dass (insoweit unstreitig) der Vertrieb der Zeitschriften aus dem Verlag G… und Jahr mit Wirkung zum 1. Februar 2021 von der B…Vertriebs KG übernommen worden sei und deren Bedingungen nicht mit denen des DPV identisch oder vergleichbar seien.
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Die Beklagte beantragt,
Unter Abänderung und Aufhebung des am 07.08.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az.: 4 HK O 3308/18, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
9
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
wobei er den Klageantrag hilfsweise fasst:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren zu unterlassen, Bibliotheken mit Zeitschriften zu beliefern, die sie zuvor bei den Verlagen zu Lesezirkelkonditionen erworben hat, ohne diese Zeitschrift nach Maßgabe der Lieferungsbedingungen für den Lesezirkel der Verlage, insbesondere des DPV gemäß Anlage K4, zu vermieten und diese Zeitschriften jeweils nach ihrem Veröffentlichungsturnus wieder abzuholen.
10
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil. Zahlreiche Behauptungen der Beklagten hätten sich als unzutreffend herausgestellt; ihre Ausführungen seien als untaugliches und prozessual unbeachtliches Bestreiten zu bewerten. Er hält an seinem Vortrag fest, dass Zeitschriften ohne Schutzumschläge von der Beklagten an Bibliotheken geliefert wurden.
11
Der Senat hat wiederholt zur Sache mündlich verhandelt. Er hat den Kläger angehört und durch den beauftragten Richter Zeuginnen und Zeugen vernehmen lassen; ferner wurde die schriftliche Äußerung eines Geschäftsführers des D…P…vertriebs vom 7. Dezember 2020 mit Zustimmung der Parteien urkundlich verwertet. In der mündlichen Verhandlung am 28. April 2021 wurde die vorläufige Bewertung des Senats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und die Beweiswürdigung mit den Parteien erörtert. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sach- und Streitstands auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung sowie die ausgetauschten Schriftsätze, Bezug genommen.
II.
12
Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg. Der Kläger kann sein Begehren zwar nicht auf das Verbot der Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) stützen, doch ergibt sich ein entsprechender Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 UWG) aus dem Verbot der Irreführung (§ 5 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 5 a Abs. 1 UWG) und der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel (§ 3 Abs. 1 UWG). Während sich der Senat trotz Ausschöpfung aller angebotenen Erkenntnisquellen nicht davon überzeugen konnte, dass die Beklagte Zeitschriften ohne die vorgesehenen Umschlagmappen ausliefert oder ausgeliefert hat, steht für ihn fest, dass die Beklagte es letztlich ins Belieben der anmietenden Bibliotheken stellt, wann sie die Zeitschriften zurückgeben, dies keine Vermietung im Sinne der Bedingungen für Lesezirkelexemplare darstellt und dies einen für die Belieferungsquellen relevanten Umstand bedeutet.
13
1. Die Parteien sind, was bereits das Landgericht zutreffend angenommen hat und auch von der Berufung nicht mehr angegriffen wird, Mitbewerber i.S.v. § 2 Nr. 3 UWG auf dem Markt der Belieferung von Interessenten, insbesondere Bibliotheken, mit Zeitschriften.
14
Aus Sicht der Bibliotheken als der nachfragenden Marktgegenseite macht es keinen erheblichen Unterschied, ob Zeitschriften, die sie ihren Benutzern zur Verfügung stellen wollen, durch einen „echten“ Kauf z.B. beim Kläger erworben werden oder durch eine Vermietung z.B. bei der Beklagten bezogen werden, wenn diese - wie klägerseits behauptet, von der Beklagten teilweise eingeräumt und nach der Beweisaufnahme erwiesen - so lange dort belassen werden, wie ein Interesse der Benutzer besteht, und sie selbst entscheiden können, wann sie die Zeitschriften an die Beklagte zurückgeben. In der entscheidenden Phase in den Monaten nach Erscheinen der einzelnen Exemplare, in denen mit einem ernsthaften Leseinteresse gerechnet werden kann, ermöglichen nämlich beide Beschaffungsarten, den Benutzern die Zeitschriften zur Verfügung zu stellen. Zum Kunden-/Adressatenkreis beider Parteien gehören auch öffentliche Bibliotheken, was sich darin äußert, dass die Beklagte solche bedient und der Kläger zumindest den Zeugen K…(Name) als Betreuer für solche Kunden einsetzt.
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2. Der Kläger kann etwaige Ansprüche allerdings aus rechtlichen Gründen nicht auf § 4 Nr. 4 UWG stützen.
16
a) Nach den jüngeren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 11. September 2008 - I ZR 74/06, BGHZ 178, 63 = NJW 2009, 1504, Rn. 27 „bundesligakarten.de“; BGH, Urt. v. 12. Januar 2017 - I ZR 253/14, GRUR 2017, 397, Rn. 68 „World of Warcraft II“; BGH, Urt. v. 30. April 2014 - I ZR 224/12, GRUR 2014, 785) verstößt zwar ein sog. Schleichbezug stets gegen § 4 Nr. 4 UWG, wenn er mittels einer Täuschung begangen wird; wird er dadurch begangen, dass sich der Abnehmer über AGB hinwegsetzt, ist er wettbewerbswidrig, wenn weitere Umstände hinzukommen, die das Verhalten unlauter erscheinen lassen.
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b) Nach dem Verständnis des Senats kann jedoch Ansprüche wegen einer gezielten Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) in solchen Fällen nur derjenige geltend machen, der das Vertriebs- oder Absatzsystem für sich etabliert hat. Nur aus dessen Sicht besitzt das Eindringen in die von ihm aufgebaute Struktur die Qualität einer gezielten Behinderung seiner Geschäftstätigkeit. Dementsprechend wird beim Schleichbezug der Schwerpunkt des Unlauterkeitsvorwurfs in der Behinderung eines Vertriebskonzepts gesehen, mit dem der Hersteller oder Dienstleistungserbringer legitime Absatzinteressen verfolgt (BGH, Urteil vom 11. September 2008 - I ZR 74/06, BGHZ 178, 63 = NJW 2009, 1504, Rn. 22 „bundesligakarten.de“ m.w.N.; Omsels, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 4. Aufl. 2016, UWG § 4 Abs. 4 Rn. 133 ff.).
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c) Demgegenüber stellt sich für alle Wettbewerber, die entsprechende Waren entweder gar nicht oder nur zu den vom Anbieter vorgegebenen Bedingungen beziehen können, das Verhalten des Eindringenden, Täuschenden etc. lediglich als ein marktimmanentes Streben nach einem eigenen Vorteil im Wettbewerb dar, welcher zwangsläufig entsprechende Nachteile für die Mitbewerber nach sich zieht. Unlauter ist eine Behinderung im Allgemeinen (nur) dann, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, Mitbewerber an ihrer Entfaltung zu hindern und sie dadurch zu verdrängen, oder wenn die Behinderung dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können. Dies setzt eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstiger Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit voraus (stRspr; vgl. BGH, Urt. v. 12. Januar 2017 - I ZR 253/14, GRUR 2017, 397, Rn. 49 „World of Warcraft II“). Solche Umstände sind vorliegend nicht erkennbar; allein die Tatsache, dass dem Kläger die Möglichkeit genommen wird, mit Bibliotheken „ins Geschäft zu kommen“, indem er Abonnements verkauft, genügt nicht, da sie den bloßen Reflex davon bedeutet, dass die Beklagte beliefert. Das Handeln der Beklagten ist auch nicht darauf ausgelegt oder geeignet, den Verkauf von Zeitschriftenabonnements überhaupt zum Erliegen zu bringen.
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Entgegen der Argumentation des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass und wodurch der Kläger einen mit einem geschlossenen Absatzsystem vergleichbaren Bereich aufgebaut hat. Es mag zwar sein, dass der Verkauf von Zeitschriften als Einzelexemplare oder in Abonnements nach der in Deutschland vorherrschenden Vertriebskonzeption der Verlage den Unternehmen des werbenden Buch- und Zeitschriftenhandels, dem das Unternehmen des Klägers zugehört, vorbehalten ist. Dies ist aber lediglich Folge des Vertriebskonzepts der Verlage und nicht Ergebnis einer eigenen organisatorischen oder wettbewerblichen Leistung des Klägers. Ihm kommt insoweit lediglich zugute, dass er zu bestimmten Konditionen mit Exemplaren zum Zwecke des Weiterverkaufs beliefert wird, und anderen Unternehmen wie z.B. Lesezirkelunternehmen ein Verkauf verwehrt ist. Dies kann der Schaffung eines geschlossenen Absatzsystems nicht gleichgestellt werden.
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d) Dieser Standpunkt wird dadurch bestätigt, das in den Fällen, in denen Ansprüche auf § 4 Nr. 4 UWG bzw. die Vorgängernormen gestützt wurden, jeweils diejenigen klagten, die ein entsprechendes Vertriebssystem, Geschäftsmodell etc. etabliert hatten (so im Urteil „Bundesligakarten“, BGH vom 11. September 2008 - I ZR 74/06, BGHZ 178, 63 = NJW 2009, 1504 ein Sportverein; im Fall der Automobil-Onlinebörse, BGH vom 22. Juni 2011 - I ZR 159/10, GRUR 2011, 1018 deren Betreiber, im Fall „Flugvermittlung“/„Screen Scraping“, BGH, Urt. v. 30. April 2014 - I ZR 224/12, GRUR 2014, 785 das Luftfahrtunternehmen und im Fall „World of Warcraft II“, BGH, Urt. v. 12. Januar 2017 - I ZR 253/14, GRUR 2017, 397 der Hersteller der Software). Entscheidungen oder Äußerungen, die unter diesem Gesichtspunkt auch Mitbewerbern Unterlassungsansprüche zuerkennen, sind demgegenüber nicht zu finden. Die vom Landgericht im Verfügungsverfahren zitierte Entscheidung (BGH, Urteil vom 21. November 1958 - I ZR 115/57, GRUR 1959, 244) stellt unspezifisch auf § 1 UWG a.F., ein wettbewerbswidriges Erschleichen von Vorteilen und einen Sittenverstoß ab.
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e) Auch die von den Parteien vorgelegten Entscheidungen, die vergleichbare Gestaltungen zum Gegenstand hatten, haben Ansprüche entweder nicht auf § 4 Nr. 4 UWG gestützt oder sich mit der beschriebenen Thematik nicht näher argumentativ befasst.
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3. Das vom Kläger beschriebene und bewiesene Verhalten der Beklagten stellt eine irreführende geschäftliche Handlung i.S.v. § 3 i.V.m. §§ 5, 5 a UWG dar, welche auch Mitbewerbern Unterlassungsansprüche eröffnet.
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a) Der Senat hat den vorgetragenen Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen.
24
Zwar wird der Streitgegenstand auch durch den Antrag der Klagepartei und ihr dabei zum Ausdruck kommendes Begehren begrenzt, so dass es dem Gericht verwehrt ist, etwas anderes zuzusprechen, als die Klagepartei will (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO). Das Verbot, Bibliotheken in bestimmter Weise zu beliefern, mag auch regelmäßig ein aliud gegenüber dem Verbot darstellen, sich Waren in bestimmter Weise zu beschaffen. Es dürfte daher grundsätzlich nicht ohne Weiteres möglich sein, eine ausdrücklich auf das Behinderungsverbot gestützte wettbewerbliche Klage unter dem Gesichtspunkt der Täuschung zuzusprechen.
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Dies gilt aber bereits generell dann nicht, wenn die Wettbewerbswidrigkeit im Kern darauf gestützt wird, dass beim Absatz ein anderes Geschäftsmodell verfolgt wird als das, welches eine verbindliche Grundlage der eigenen Belieferung bildet. Derartiges ist in Fällen des Schleichbezugs gem. § 4 Nr. 4 UWG naturgemäß gegeben. Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger sich bereits in der Klageschrift auch darauf berufen hat, das Verhalten der Beklagten verstoße gegen § 5 und § 3 UWG; er hat ausdrücklich auf eine entsprechende Kommentarfundstelle zu § 5 UWG Bezug genommen und die Norm in der Überschrift zu seinen Rechtsausführungen genannt. Ebenso hat der Kläger auf den entsprechenden Hinweis des Senats vom 11. Februar 2020 weder ausdrücklich noch indirekt zu erkennen gegeben, dass er einen auf das Irreführungsverbot gestützten Anspruch nicht geltend machen wolle und dies nicht als Verbescheidung seines Klagebegehrens (sondern als ein aliud) ansehe (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10. August 2012, 6 U 27/12, wrp 2013, 95, Rn. 14 ff.).
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Damit steht für den Senat fest, dass der Kläger von Anfang an sein Begehren auch auf den rechtlichen Aspekt der Täuschung stützen wollte, der in Konstellationen der vorliegenden Art ohnehin eng mit dem Behinderungsvorwurf gekoppelt ist.
27
b) Davon, dass die Beklagte u.a. die Bibliotheken H…(Ort), O…(Ort), L…(Ort), M…(Ort) und K…(Ort) mit bestimmten Zeitschriften beliefert, kann der Senat fest ausgehen. Die Zeuginnen und Zeugen haben dies bestätigt.
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Zugleich hat sich ergeben, dass die dort vorhandenen und in den OPACs dieser Bibliotheken aufgeführten kompletten Jahrgänge solcher Zeitschriften, wie sie von der Beklagten geliefert wurden, tatsächlich die von der Beklagten gelieferten Exemplare sind, und nicht später zugekaufte Bände. Auch die Beklagte hat ihr Bestreiten faktisch fallen lassen, da in ihrer zuletzt vorgebrachten Argumentation, es sei nie beanstandet worden und rechtlich unbedenklich, wenn die Beklagte die Zeitschriften über Monate bis Jahre in den Bibliotheken belässt, indirekt das Eingeständnis liegt, dass dies tatsächlich der Fall ist.
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c) Nach der Beweisaufnahme kann der Senat allerdings nicht davon ausgehen, dass die Beklagte derzeit oder in der Vergangenheit (was für eine Wiederholungsgefahr genügen würde) Bibliotheken mit Zeitschriftenexemplaren ohne Schutzumschläge beliefert bzw. beliefert hat.
30
c. aa) Der Senat hat die von der insoweit darlegung- und beweisbelasteten Klagepartei angebotenen Zeuginnen und Zeugen durch den Berichterstatter als beauftragten Richter vernommen. Die vier Bibliotheksmitarbeiterinnen W…(Name), B…(Name), H…(Name) und B…(Name) haben übereinstimmend erklärt, dass die Zeitschriften von der Beklagten in Schutzumschlägen geliefert werden. Anhaltspunkte, dass dies in der Vergangenheit anders gehandhabt wurde, sind trotz ausdrücklicher Nachfragen nicht zutage getreten. Gründe, weshalb die Zeuginnen, die nicht in besonderen Beziehungen zu den Parteien stehen und auch sonst keinen erkennbaren Grund haben könnten, wahrheitswidrige Angaben zu machen, als unglaubwürdig zu bewerten oder ihre Aussagen als unglaubhaft zu bewerten wären, sind nicht aufgezeigt oder sonst zutage getreten.
31
Zwar hat die Zeugin W…(Name) auf Nachfrage des Klägervertreters nicht bestätigen wollen, dass in der Vergangenheit an sämtlichen gelieferten Zeitschriften Schutzumschläge angebracht waren, dies aber damit erklärt, dass sie hierauf nicht geachtet habe, und ergänzt, dass im allgemeinen Schutzumschläge angebracht sind. Diese Einschränkung der Aussage würdigt der Senat dahin, dass die Zeugin lediglich mangels lückenloser Kontrolle und Erinnerung über einen mehrjährigen Zeitraum nicht (was völlig nachvollziehbar ist) guten Gewissens 100-prozentig bestätigen wollte, dass sämtliche von der Beklagten abgelieferten Exemplare Schutzumschläge aufgewiesen haben, ihr aber auch kein Fall bewusst ist, in der solche nicht angebracht gewesen seien.
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Auch die ergänzenden Angaben einiger der vernommenen Bibliotheksmitarbeiterinnen, sie seien zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit von der Beklagten angehalten worden, nicht mehr wie zuvor systematisch die Umschläge abzunehmen, spricht gerade dafür, dass bereits in der Vergangenheit im Moment der Belieferung solche Umschläge angebracht waren.
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c. bb) Der Zeuge K…(Name), der als selbstständiger Vertreter für den Kläger tätig ist, hat ausdrücklich bekundet, dass er bei seinen zurückliegenden Besuchen in den unterfränkischen Stadtbibliotheken Zeitschriften, die offensichtlich von der Beklagten geliefert wurden, durchgängig mit Schutzumschlägen oder jedenfalls Resten solcher angetroffen hat. Die Umschläge hätten ihm gerade ermöglicht, die Zeitschriften der Beklagten zuzuordnen. Festgestellt hat der Zeuge lediglich, dass bisweilen Schutzumschläge umgeklappt wurden oder (was für 10-20% zugetroffen habe) abgerissen waren; beides setzt aber wiederum logisch voraus, dass ursprünglich solche angebracht waren.
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Davon, dass er Zeitschriften vorgefunden habe, die einerseits weder einen Schutzumschlag noch Spuren eines solchen aufwiesen, andererseits von der Beklagten stammen mussten, hat der Zeuge nichts berichtet. Auch wenn der Senat nicht verkennt, dass es dem Zeugen nicht möglich wäre, Zeitschriften ohne Schutzumschläge als solche zu identifizieren, die von der Beklagten geliefert worden sind, und deshalb seine Bekundungen die Richtigkeit der Behauptung des Klägers nicht ausschließen, sind sie - worauf es wegen der Beweislastverteilung entscheidend ankommt - nicht geeignet, eine Überzeugung hiervon zu begründen.
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c. cc) Der Kläger hat zwar in seiner Anhörung erklärt, dass er die Fotos Anlage K 22 gefertigt habe und eines davon zeige, in welchem Zustand - nämlich ohne Schutzumschlag lediglich in einer Klarsichthülle - die Zeitschriften an die Bibliotheken geliefert würden. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass das Lichtbild den Zustand beim Ausliefern (und nicht beim Zurückholen) wiedergibt, sind aber nicht gegeben.
36
Der Senat kann den Angaben des Klägers vorliegend nicht mehr Glauben schenken als den Bekundungen der unabhängigen Zeuginnen. Der Kläger war offensichtlich bereit, sich unter Verletzung fremder Besitz- und Herrschaftsbereiche Erkenntnisse und Beweismittel zu verschaffen, ebenso, sich mehrfach unter einem Vorwand (z.B. den, ein Lesezirkelunternehmen eröffnen zu wollen) an Stellen zu wenden, um Informationen zu erlangen. All dies zeigt, dass er grundsätzlich bereit ist, zur Erlangung eines Prozesserfolgs die maßgeblichen Regeln zu brechen.
37
c. dd) Insgesamt kann der Senat daher nicht die dem Kläger günstige Überzeugung i.S.v. § 286 Abs. 1 ZPO gewinnen, dass die Beklagte die Bibliotheken mit Zeitschriften ohne Schutzumschlag beliefert hätten. Für einen entsprechenden Unterlassungsausspruch ist damit aus tatsächlichen Gründen kein Raum.
38
d) Ein wettbewerbsrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere eine Irreführung, kann nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte (was teils auch nur zu unterstellen wäre) zunächst unterlassen hat, die Bibliotheken anzuhalten, die angebrachten Schutzumschläge nicht zu entfernen.
39
d. aa) Die Beweisaufnahme hat zwar zweifelsfrei ergeben, dass in der Vergangenheit in Biblio theken, die von der Beklagten beliefert wurden, die Schutzumschläge systematisch entfernt worden sind und die Beklagte erst im Laufe der Zeit daraufhin wirkte, dass dies unterbleibt. Entsprechendes hat die Zeugin B…(Name) (für das Jahr 2018), die Zeugin H…(Name) (für das Jahr 2018) und die Zeugin B…(Name) (für einen möglicherweise wesentlich früheren Zeitpunkt) bestätigt.
40
Der Senat kann hieraus jedoch weder unter dem Gesichtspunkt des §§ 5, 5a UWG noch des § 3 UWG etwas Relevantes ableiten:
41
d. bb) Die Geschäftsbedingungen der Verlage bzw. Pressevertriebe enthalten als ausdrückliche Vorgabe lediglich, dass die Exemplare in entsprechenden Schutzumschlägen an die Nutzer auszuliefern und zu vermieten sind. Dass die Beklagte auch darauf hinzuwirken hat, dass die Mieter die Umschläge nicht entfernen, mag man hieraus bei Berücksichtigung der Interessenlage zwar ableiten können; ein solches Gebot ist den Bedingungen aber weder explizit noch sonst zwingend zu entnehmen. Da es sich offensichtlich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die von den Verlagen vorgegeben wurden, gingen Vollständigkeitsdefizite und Auslegungszweifel zu Lasten der Verlage als Verwender. Dementsprechend vermochte auch das OLG Karlsruhe nach Analyse der Bedingungen des DPV eine Pflicht zur Überwachung der Belieferten nicht erkennen (Urteil vom 10. Oktober 2018, 6 U 77/18, S. 11).
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d. cc) Selbst wenn man zugunsten des Klägers den Standpunkt einnimmt, dass sich aufgrund der Interessenlage ein entsprechendes Gebot für die Lesezirkelunternehmen ableiten lässt, führt dies jedoch nicht zur Verwirklichung des Irreführungstabestands der §§ 5, 5 a UWG:
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(1) Der Beklagten kann ein aktives Täuschen, auch durch konkludentes Tun, nicht vorgeworfen werden. Mangels ausdrücklicher Verankerung der Pflicht in den jeweiligen Vertragsbedingungen musste sie nicht erkennen, dass die Belassung der Umschläge durch die Mieter und ihre eigene Bereitschaft, hierfür Sorge zu tragen, für die sie beliefernden Verlage einen relevanten Umstand darstellt. Nur dann wäre aber das Verschweigen der Bereitschaft hierzu nach den gesamten Umständen, auf die nach § 5 a Abs. 1 UWG abzustellen ist, als irreführend und zur Beeinflussung geeignet anzusehen. Regelmäßig werden Pflichten, deren Erfüllung für eine Partei eines Austauschvertrages von essentieller Bedeutung für den Vertragsabschluss ist, in einem schriftlichen Vertrag ausdrücklich festgehalten. Ist nicht hinreichend deutlich erkennbar, dass den Unternehmer bestimmte Pflichten treffen sollen und deren Befolgung für den anderen von erheblicher Bedeutung ist, kann allein dadurch, dass er nicht uneingeschränkt bereit ist, diese zu erfüllen, eine Irreführung des anderen nicht angenommen werden.
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(2) Anders als das Ausliefern mit Schutzumschlägen und das Zurückholen nach überschaubarer Zeit (dazu sogleich) ist das Anweisen der Mieter, Umschläge nicht zu entfernen auch nicht von vornherein als zentrales Merkmal des Lesezirkel-Modells anzusehen. Insbesondere erlangt durch ein Entfernen beim Mieter der Vorgang nicht einen Charakter, der ihn grundlegend von einer Vermietung unterscheiden würde. Aus dem Akteninhalt ist auch nicht erkennbar, dass die Verlage/Vertriebsunternehmen in der Vergangenheit das Unterlassen der Beklagten unter diesem Aspekt beanstandet hätten.
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(3) Der aus Sicht der Vertriebe wohl wiederum bedeutsamen Vorgabe, dass auch bei der Nachfolgevermietung Umschläge vorhanden sind, kann das Lesezirkelunternehmen Rechnung tragen, in dem es solche wieder anbringt.
46
(4) Der Senat setzt sich mit diesen Überlegungen auch nicht im Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 6. Juni 2018 (3 W 1002/18), in der er die Beschwerde der Beklagten gegen die Verhängung eines Ordnungsmittels zurückgewiesen hat, welches darauf gestützt wurde, dass sie die Bibliotheken nicht auf die Verpflichtung nachdrücklich hingewiesen habe, die Lesezirkelumschläge an den Zeitschriften zu belassen, und dies nicht kontrolliert habe. Grundlage der Zwangsvollstreckung ist der Tenor der vorangegangenen Entscheidung. Nach allgemeinen Grundsätzen enthält ein Unterlassungstenor auch die Nebenpflicht, bestehende Zustände abzustellen und auf Dritte einzuwirken, wenn nur so künftige Störungen verhindert werden können. Das Landgericht hatte zudem angenommen, die Beklagte verletze Pflichten gegenüber dem Kläger auch dadurch, dass sie das Entfernen der Lesezirkelumschläge dulde. An diese Bewertung war der Senat somit im Verfahren über die Zwangsvollstreckungsbeschwerde gebunden. Er ist daher nicht gehindert, nunmehr zum Ergebnis zu kommen, dass sich eine entsprechende Pflicht, mag sie auch aus den Lesezirkelbedingungen folgen, im Hinblick auf das Verhältnis zu Mitbewerbern ohne Bedeutung ist.
47
d. dd) Auch unter dem Blickwinkel des § 3 Abs. 1 UWG kommt, was der Senat bereits an dieser Stelle ausführt, weder der faktischen Duldung des Entfernens als solcher noch einem möglichen Nichtoffenbaren der Absicht, gegen bekannt gewordene Entfernungshandlungen nicht vorzugehen, das nötige Gewicht und Unwerturteil zu, das den Vorgang als unlauter und wettbewerbswidrig erscheinen lassen könnte.
48
Bei § 1 UWG 1909 als der alten Generalklausel des Lauterkeitsrechts stand der Begriff der guten Sitten ganz im Zentrum der Betrachtung, so dass auf einen Widerspruch zum Anstandsgefühl der redlichen und verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden abgestellt wurde (MüKoUWG/Sosnitza, 3. Aufl. 2020, UWG § 3 Rn. 22). Mit der Neufassung war ein materiellrechtlicher Paradigmenwechsel grundsätzlich nicht verbunden (MüKoUWG/Sosnitza, 3. Aufl. 2020, UWG § 3 Rn. 27); jedoch ist der Grundkonsens über zu missbilligende Verhaltensweisen gerade bei wettbewerbsrechtlichen Grenzfällen wesentlich geringer, weshalb die Maßstäbe zur Konkretisierung der Unlauterkeit vorrangig den Schutzzwecken und anderen rechtlichen Vorgaben entnommen werden müssen (MüKoUWG/Sosnitza, 3. Aufl. 2020, UWG § 3 Rn. 62).
49
Ein unbewusster Verstoß gegen eigene vertragliche Pflichten, die nicht deutlich erkennbar sind, ist danach regelmäßig nicht als unlauter und wettbewerbswidrig anzusehen. Auch wenn der Senat nicht verkennt, dass Unterlassungsansprüche kein Verschulden voraussetzen, ist dies vorliegend insoweit relevant, als ein Verstoß gegen Vertragsbedingungen mit einem Dritten erst dann dem Mitbewerber gegenüber die besondere wettbewerbsrechtliche Qualität erlangt, wenn erkennbar ist bzw. wurde, dass der objektive Verstoß für den Vertragspartner von gewisser Bedeutung ist.
50
e) Dagegen ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte entgegen dem (auch klar erkennbaren) Regelungsgehalt der jeweiligen Lieferbedingungen der Verlage bzw. Vertriebsunternehmen die Zeitschriften an Bibliotheken in einer Weise überlässt, die nicht mehr als Vermietung, sondern als eine (unerlaubte) Veräußerung zu bewerten ist. Dies stellt, da sie diese vorgefasste Absicht und laufende Praxis nicht den Verlagen offengelegt hat, eine Irreführung beim Bezug von Waren i.S.v. § 5 Abs. 1 i.V.m § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar.
51
e. aa) Das Verbot, Lesezirkelexemplare nicht ohne Schutzumschläge auszuliefern, und das Verbot, diese nicht ohne zeitnahe Rückholung zu überlassen, stellen unterschiedliche Verhaltensweisen, Klageziele und damit verschiedene Streitgegenstände dar. Der Unlauterkeitsvorwurf ist jeweils ein anderer (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Oktober 2018, 6 U 77/18, S. 12). Der Kläger hat jedoch, wie der Senat bereits in seinem Hinweis herausgearbeitet hat, von Anfang an auch diesen Vorwurf erhoben und ihn lediglich nicht (insbesondere weil er den Standpunkt einnimmt, dieser Komplex sei mit dem dort enthaltenen Begriff „vermieten“ erfasst und abgedeckt) hinreichend in der Antragsfassung zum Ausdruck gebracht.
52
e. bb) Aus diesem Grund geht auch die zuletzt erhobene Verjährungseinrede der Beklagten ins Leere.
53
e. cc) Sämtliche im Verlauf des Rechtsstreits vorgelegten Lieferbedingungen enthalten die Vorgabe, dass das Lesezirkelunternehmen die Zeitschriften „vermietet“. In den Lieferbedingungen des DPV wird dies damit ergänzt, dass eine Vermietung in Erst- und Folgemappen zu erfolgen hat und die Rückholung (vgl. die Präambel) grundsätzlich nach einer Vermietdauer von 7 Tagen geschehen muss. Die BMV sprechen ebenfalls von Erst- und Folgemappen; sie verbieten ferner ausdrücklich eine dauernde Überlassung an den Kunden. Auch die (insgesamt recht knapp gehaltenen) Vertragsbedingungen der O…G…(Firma) legen fest, dass die Belieferung ausschließlich als Lesezirkelexemplar zum Zwecke der Vermietung erfolgt und jede Veräußerung oder sonstige Weitergabe unzulässig ist.
54
e. dd) Unter „Vermietung“ ist sowohl nach den §§ 535 ff. BGB als auch nach dem landläufigen Verständnis des juristischen und ökonomischen Laien eine Gebrauchsüberlassung auf Zeit gegen Entgelt zu verstehen.
55
Der Mieter leistet ein Entgelt (die Miete) dafür, dass er für einen begrenzten Zeitraum die Sache nutzen darf. Wesensimmanent ist der Mieter einem Herausgabeanspruch des Vermieters ausgesetzt, sobald die Mietzeit endet. Das vereinbarte Entgelt gilt dabei die Möglichkeit der Nutzung für eine einzelne Periode ab. Für den Vermieter amortisiert sich die Investition der Anschaffung der Mietsache dadurch, dass er die Mietsache nacheinander an mehrere Mieter vermietet und/oder er die Mietsache über mehrere Nutzungsperioden, für die dann jeweils gesonderte Entgelte zeitdauerabhängig zu entrichten sind, demselben Mieter überlässt. Kennzeichnend für einen Mietvertrag ist damit, dass die einzelne Überlassungsperiode kürzer ist als die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer der Mietsache, weil nur so für den Vermieter die wirtschaftliche Notwendigkeit besteht, entweder an denselben Mieter oder einen anderen Mieter über mehrere Perioden hinweg die Mietsache gegen gesondertes Entgelt zu vermieten.
56
Demgegenüber entspricht es bereits generell nicht dem typischen Bild der Miete, dass die Sache für den gesamten Zeitraum, für den die Sache einen nennenswerten Nutzwert hat, an einen Mieter gegen ein einmaliges Entgelt überlassen wird. Eine derartige Gestaltung mag zwar angesichts der Privatautonomie, die auch weitgehende Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Konditionen beinhaltet, theoretisch als Mietvertrag denkbar sein, steht aber dem Leasing und damit dem Finanzierungsgeschäft näher als der klassischen Miete. Insoweit kann zumindest nicht davon ausgegangen werden, dass redliche Marktteilnehmer dann, wenn sie im Zusammenhang mit tendenziell kurzlebigen Wirtschaftsgütern wie Zeitschriften (die aufgrund schwindender Aktualität alsbald an Wert verlieren) den Begriff „Vermietung“ verwenden, auch solche atypischen Gestaltungen vor Augen haben.
57
Aus diesen Gründen sind auch regelmäßig Gestaltungen nicht anzutreffen, bei denen sich der Vermieter zwar einen Rückgabeanspruch einräumen lässt, er aber dem Mieter freistellt, wann er diesen erfüllen will bzw. wann die Mietzeit endet. Bei der gewöhnlichen Miete kann der Mieter zwar durch Kündigung das Mietverhältnis beenden, doch wird für jede bis dahin verstrichene Mietperiode ein gesondertes Entgelt fällig.
58
e. ee) Dafür, dass die Parteien der Lieferbedingungen für Lesezirkel dem Begriff der „Vermietung“ eine andere Bedeutung beimessen wollten als die zuvor dargestellte, ist nichts erkennbar.
59
Im Gegenteil lässt der Umstand, dass in diesen Bedingungen von einer Vermietung in Erst- und Folgemappen gesprochen wird, darauf schließen, dass die Verlage eine jeweils kurzzeitige Überlassung an mehrere Personen zeitlich hintereinander vor Augen hatten, also eine Vermietung an dieselbe Person über mehrere Perioden, auch wenn hierfür ein wiederholtes Entgelt fällig würde, ausschließen wollten. Nur dies ist auch mit dem Begriff der Erst- und Mehrfachvermietung, den z.B. die Bedingungen des BMV gebrauchen, zu vereinbaren.
60
e. ff) Die Praxis der Beklagten bei der Belieferung von Bibliotheken entspricht in zentralen Punkten nicht einer Vermietung in diesem Sinne.
61
(1) Nach den in der Beweisaufnahme zutage getretenen Umständen, die auch von der Beklagten nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werden, sorgt die Beklagte nicht dafür, dass nach Ablauf einer festgelegten, tendenziell kurzen Mietzeit (sofern eine solche überhaupt verbindlich vereinbart wird) eine Rückgabe der Zeitschriften an sich erfolgt.
62
Es mag zwar sein, dass die Mitarbeiter der Beklagten bei der wöchentlichen Auslieferung neuer Hefte zur Rücknahme früherer Auflagen bereit sind, doch kann keine Rede davon sein, dass (wie beklagtenseits auf den Hinweisbeschluss des Senats behauptet) dabei die Zeitschriften abgeholt würden, die unter Berücksichtigung der Erscheinungsperioden bereitgestellt werden. Vielmehr verbleiben die Zeitschriften für einen Zeitraum in den Bibliotheken, der einem Vielfachen des Erscheinungsrhythmus von einer Woche, einem Monat oder im Einzelfall drei Monaten entspricht. Die explizit behauptete Anweisung, die Auflagen regelmäßig (d.h. soweit sie nicht im Einzelfall noch entliehen sind) mitzunehmen, und sie spätestens beim nächsten Abholzyklus mitzunehmen, besteht daher entweder nicht oder wird nicht konsequent umgesetzt. Hierbei kann die Beklagte sich nicht auch damit entschuldigen, dass die Auslieferung zu Zeiten erfolgt, in denen das Bibliothekspersonal noch nicht präsent ist und man daher darauf angewiesen ist, dass Zeitschriften bereitgelegt werden; aufgrund der von den Zeuginnen beschriebenen Praxis kommt es nur in einem Bruchteil der Anlieferungen und Abholungsversuche dazu, dass tätsächlich Zeitschriften zurückgegeben und mitgenommen werden.
63
Diese Umstände ergeben sich ebenfalls klar aus den Bekundungen der Zeuginnen W…(Name), B…(Name), H…(Name) und B…(Name). Sie alle haben bekundet, dass sie oder ihre Kolleginnen die Zeitschriften zur Abholung bereit machen, wenn entweder das entsprechende Fach voll ist oder die Nachfrage der Nutzer weggefallen ist („ausgelesen sind“, „nicht mehr gebraucht werden“). Ein relevanter Umstand ist auch, wann sie bzw. die zuständige Kollegin Zeit dafür findet, die Zeitschriften zusammenzustellen und aus der EDV auszubuchen. Diese Zeiträume haben sie mit mehreren Monaten bis zu wenigen Jahren angegeben. Die Rückgabe erfolgt dabei gesammelt für längere Zeiträume. Dafür, dass Bemühungen unternommen würden, die Zeitschriften immer dann zurückzugeben, wenn die Folgeauflage erscheint oder eingetroffen ist, war nichts erkennbar. Hiermit wäre auch nicht zu vereinbaren, dass z.B. in M…(Name) die Nutzer die Zeitschrift über 4 Wochen ausleihen und diese Zeit nochmals verlängern können.
64
(2) Demgemäß verfolgt die Beklagte auch offensichtlich nicht das Ziel, die an Bibliotheken vermieteten Exemplare anschließend an andere Personen weiterzuvermieten. Da das Interesse an Zeitschriften wegen deren Aktualitätsbezug mit zunehmendem Zeitablauf schwindet, wäre dies auch weitgehend ausgeschlossen, wenn sie erst nach Monaten oder Jahren wieder in die Hände der Beklagten gelangen. Dies gilt jedenfalls deshalb, weil die Beklagte die Bibliotheken, wie sie selbst auf die Frage des Senats hin mitgeteilt hat, mit neu erschienen Exemplaren beliefert. Die damit gegebene Erstvermietung ist somit faktisch die einzige Vermietung. Auch sonst ist nicht erkennbar, welchen Wert die Zeitschriften nach einer jahrgangsweisen Rückgabe haben, die mehr als ein Jahr nach Erscheinen der einzelnen Hefte erfolgt. Die Beklagte selbst macht in anderem Zusammenhang geltend, dass die ihr obliegende Vernichtung mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Selbst wenn, wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, einzelne Stellen wie Bibliotheken oder Archive ein Interesse besitzen, komplette Zeitschriftenjahrgänge früherer Jahre anzumieten, stellt dies extreme Ausnahmefälle dar, so dass es bei der entscheidenden Bewertung bleibt, dass solche Zeitschriften keinen signifikanten Weitervermietungswert besitzen. Einer Folgevermietung in den Wochen nach dem Erscheinen, wie sie bei Lesezirkeln bekannt ist und den Lieferbedingungen offensichtlich zugrunde liegen sollte, können derartige Anschlussgeschäfte, mögen sie auch bisweilen getätigt werden können, nicht gleichgestellt werden. Sie wären auch nicht unter eine Vermietung in Folgemappen zu subsumieren.
65
(3) Dafür, dass das an die Beklagte von den Bibliotheken zu leistende Entgelt davon abhängen würde, wie lange diese die Zeitschriften bei sich belassen, ist nichts ersichtlich. Dies behauptet insbesondere die Beklagte nicht. Es wäre dann auch nicht zu erklären, dass die Bibliotheken die Zeitschriften zur Rückgabe fertig machen und bereitstellen, wenn die Mitarbeiterinnen Zeit haben; vielmehr wäre zu erwarten, dass sie sofort nach erkennbarem Wegfall der Nachfrage die Zeitschriften zurückgeben, um Kosten zu sparen.
66
Überdies würde aus den oben dargestellten Gründen eine Vermietung über mehrere Perioden hintereinander jedenfalls im Grundsatz der Vorstellung, die redliche Parteien bei der Verwendung der Begriffe „Lesezirkel“ und „Vermietung“ verbinden, widersprechen. Bei Bibliotheken mag die Multiplikatorfunktion zwar ebenfalls gegeben sein. Dafür, dass insoweit eine Sonderbehandlung vereinbart oder als interessenkonform zugrunde gelegt werden kann, ist aber - wie noch auszuführen sein wird - nichts erkennbar.
67
(4) Das Verhalten der Beklagten stellt damit objektiv keine „Vermietung“ dar, sondern eine faktische Veräußerung. Der Zeitpunkt der Rückgabe steht allein im Belieben der Bibliotheken und hat auch im Übrigen keine Auswirkungen auf die Vertragsbeziehung zwischen der Beklagten und ihnen. Für den Zeitraum, in denen sich ein Nutzwert ergibt, kommt den Bibliotheken daher eine eigentümerähnliche Position zu, da sie ein Herausgabeverlangen nicht gewärtigen müssen und auch nicht eine längere Besitzzeit durch erhöhtes Entgelt erkaufen müssen.
68
e. gg) Eine irreführende geschäftliche Handlung, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§§ 5, 5a UWG) kann wegen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, der diesen ausdrücklich nennt, auch im Zusammenhang mit dem Bezug von Waren gegeben sein (siehe nur MüKoUWG/Bähr, 3. Auflage 2020, § 2 Rn. 140). Dem steht nicht entgegen, dass die in § 5 Abs. 1 S. 2 UWG aufgeführten Fälle tendenziell die nachfolgende Marktstufe betreffen, da der Katalog nicht abschließend ist (siehe nur Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, UWG § 5 Rn. 234, 566). Insoweit ist der Schleichbezug als Fall der Täuschung grundsätzlich anerkannt (vgl. MüKoUWG/ Heermann, 3. Aufl. 2020, UWG § 5a Rn. 888; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 38. Aufl. 2020, UWG § 5a Rn. 7.97). Eine Täuschung mit dem Ziel, sich überhaupt bestimmte „knappe“ Waren gegen Konkurrenten zu verschaffen (siehe nur MüKoUWG/Bähr, 3. Auflage 2020, § 2 Rn. 140), ist mit dem Streben, sich Waren zu besonders günstigen Bezugspreisen zu verschaffen, die nur für bestimmte Geschäfts-/Absatzmodelle gewährt werden, in tatsächlicher und wertungsmäßiger Hinsicht vergleichbar.
69
Gegenstand der Irreführung ist vorliegend das (Nicht-)Vorhandensein der Absicht (und damit der subjektive Umstand), die Exemplare entsprechend den einbezogenen Lieferbedingungen zu vermieten (und nicht faktisch dauerhaft zu überlassen), und das entsprechende anschließende Verhalten, diese dort auf unbestimmte Dauer zu belassen und nicht für eine zeitnahe Rückgabe an sie zu sorgen, wie es auch grundsätzlich dem Geschäftsmodell eines Lesezirkels entspräche.
70
e. hh) Das zentrale Tatbestandsmerkmal des „Täuschens“ oder „Irreführens“ setzt zwar nicht nur ein Auseinanderfallen der objektiv übernommenen Verpflichtung einerseits und der Absicht und späteren Praxis andererseits voraus, sondern auch, dass die Bezugsquelle sich in einem für sie relevanten Irrtum hierüber befindet und dieser auf das Verhalten des Abnehmers zurückzuführen ist. Wie der Senat in seinem Hinweis vom 25. Februar 2020 ausgeführt hat, darf der Verwender von klar formulierten Vertragsbedingungen jedoch davon ausgehen, dass sein Vertragspartner, der diese Bedingungen kennt und akzeptiert, sich nicht vorbehält, diese zu missachten und ein in erkennbarem Widerspruch hierzu stehendes Verhalten zu unternehmen. Er darf zumindest erwarten, dass er darüber aufgeklärt wird, wenn der Abnehmer einen Umgang mit den Waren beabsichtigt, der weder bei juristischer noch laienhafter Betrachtung dem dort vorgesehenen entspricht. Daran, dass eine Geschäftspraxis wie die der Beklagten nicht als Vermietung qualifiziert werden kann, durfte für sie kein ernsthafter Zweifel bestehen. Auch wenn man, wie der Beklagtenvertreter mündlich ausgeführt hat, das Lesezirkel-Modell als Gesamtheit betrachten muss und dieses mehrere kennzeichnende Komponenten aufweist, ist die „kurzfristige Vermietung“ essenzieller und prägender Bestandteil. Insoweit sind Umstände in Gestalt des erkennbaren Pflichteninhalts, der Bedeutung der Pflicht und der berechtigten Erwartungshaltung der anderen Vertragspartei gegeben, die auch das Verschweigen der maßgeblichen Tatsache wegen deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung als irreführend und zur Beeinflussung der Entscheidung geeignet i.S.v. § 5 a Abs. 1 UWG erscheinen lassen.
71
In einem solchen Fall ist auch typischerweise zu unterstellen, dass der Verwender der Lieferbedingungen auf die Einhaltung der von ihm gesetzten Bedingungen Wert legt und von der Belieferung Abstand nehmen würde, wenn er wüsste, dass der Abnehmer eine grundlegend andere Verwendung beabsichtigt und pflegt. Dies gilt vorliegend bereits deshalb, weil Presseartikel in der Bundesrepublik Deutschland wegen § 30 GWB nur zu festen Preisen verkauft werden dürfen. Könnten die Abnehmer, denen naturgemäß keine Preisbindung für einen Weiterverkauf auferlegt wird, die Exemplare - rechtlich oder auch nur faktisch - verkaufen, würde das bestehende System unterlaufen, an dessen Einhaltung die Verlage interessiert sind.
72
e. ii) Hieraus ergibt sich in prozessualer Hinsicht, dass bei einem erkennbaren Auseinanderfallen von vertraglicher Vereinbarung und späterer Handhabung, die nur mit einer entsprechenden Absicht erklärt werden kann, der in Anspruch genommene Abnehmer darlegen und beweisen muss, dass seine Bezugsquelle entweder den tatsächlichen Sachverhalt kannte (d.h. kein Irrtum vorlag), bei dieser Kenntnis kein anderes Verhalten gegeben gewesen wäre (d.h. der Irrtum nicht kausal war) oder dies nicht auf einer Irreführung seinerseits beruhte.
73
Den Beweis, dass die Verlage/Vertriebsunternehmen den Sachverhalt kannten und dieser auch nicht irrelevant für sie war, hat die Beklagte nicht geführt.
74
(1) Nach dem Akteninhalt bezog bzw. bezieht die Beklagte von mehreren Unternehmen die sodann als Lesezirkelexemplare weitergegebenen Zeitschriften. Ihr Beweisangebot hinsichtlich der MVZ M…Z…GmbH & Co. KG, E…(Ort), hat sie zurückgezogen, ebenso die Angebote der Zeugen aus dem Hause des DPV. Hinsichtlich der BMV und der O…G…(Firma) hat sie Beweis nicht angetreten. Da der Unterlassungsantrag des Klägers und das erstgerichtliche Urteil erkennbar auf jegliche Verlage etc. bezogen sind, die entsprechende Lieferbedingungen stellen, und der DPV nur exemplarisch genannt wurde, würde es der Beklagten bereits nichts nützen, wenn die beim DPV Beschäftigten und zur Entscheidung befugten Personen den Sachverhalt gekannt hätten oder als unerheblich eingeschätzt hätten.
75
(2) Die Erklärung des Herrn ... Graffiti, einem der Geschäftsführer des DPV, vom 7. Dezember 2020 bestätigt überdies gerade die vom Senat aufgrund der abstrakten Gegebenheiten unterstellte Situation:
76
(a) Der Geschäftsführer legt ausdrücklich dar, dass der DPV von Lesezirkelunternehmen eine Belieferung und Abholung „grundsätzlich im Wochenturnus“ erwartet. Eine Praxis, bei der ganze Jahresbestände bei den Kunden verbleiben und/oder dieser eigenmächtig bestimmen kann, wie viele Ausgaben er länger behält und wann er diese zurückgibt (von ihm plastisch als „quasi wie ein Eigentümer“ beschrieben), werde vom DPV als Verstoß gegen seine Bedingungen gesehen.
77
(b) Der Geschäftsführer äußert zwar auch, dass er es nicht als überraschend oder ungewöhnlich ansieht und es auch der DPV in keiner Weise missbilligt, wenn „einzelne Zeitschriften-Ausgaben nicht unmittelbar nach bereits einer Woche Mietzeit“ abgeholt werden, insbesondere, weil diese von Bibliotheksnutzern ausgeliehen sind oder der Erscheinungsrhythmus der Zeitung länger ist. Ein Verbleib bis zum Erscheinen des Folgehefts und in begründeten, auf das Leserinteresse zurückgehenden Einzelfällen auch darüber hinaus wird danach nicht als unerwünscht angesehen.
78
(c) Eine Fallgestaltung der zuletzt beschriebenen Art liegt jedoch nicht vor. Wie dargestellt, bemüht sich die Beklagte nicht ansatzweise darum, im Grundsatz die Hefte nach Ablauf einer Woche oder zumindest des Zeitraums, der der Erscheinungsfrequenz entspricht, zurückzuerlangen. Vielmehr wartet sie mit der Abholung der Hefte generell zu, bis die Bibliotheken sie bereitstellen. Eine Situation, dass lediglich nach Ablaufe der Woche, des Monats oder ggf. des Quartals im Einzelfall ein Heft von der Bibliothek nicht zurückgegeben werden kann, weil es von Bibliotheksnutzern noch nicht an die Bibliothek zurückgegeben wurde, ist damit nicht das, was das Geschehen prägt. Die Beklagte unternimmt überhaupt nichts, um auf eine Rückgabe an sie hinzuwirken, sondern wartet, bis die Zeitschriften von der Bibliothek an sie zurückgegeben werden, und nimmt es dabei uneingeschränkt hin, dass dies jahrgangsweise und erst ganz erhebliche Zeit nach Erscheinen der einzelnen Exemplare erfolgt. Ein vom Geschäftsführer G…(Name) als erwünscht bezeichnetes, situatives Zuwarten aufgrund aktuellen Leserinteresses im Einzelfall liegt damit nicht vor, sondern die von ihm erkennbar missbilligte Überlassung auf unbestimmte Dauer, die dem Lesezirkel-Kunden eine eigentümerähnliche Stellung verleiht.
79
Das, was die Verlage als Ausnahme im Einzelfall akzeptieren, stellt bei der Beklagten die Regel dar.
80
(d) Der Senat kann diese schriftliche Erklärung, die keinen förmlichen Zeugenbeweis darstellt, verwerten, nachdem sich die Parteien hiermit einverstanden erklären haben. Der Senat hat auch keinen Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Ausführungen. Der dort dargestellte Standpunkt entspricht gerade dem, was sich nach der Begrifflichkeit des Gesetzes, dem allgemeinen Begriffsverständnis und dem pressekartellrechtlichen Hintergrund ergibt, nämlich, dass eine Überlassung, mag sie auch mit einer Rückgabepflicht verbunden sein, keine Vermietung darstellt, wenn der Zeitpunkt der Rückgabe vom Nutzer bestimmt wird und ganz erheblich über die Zeit hinausgeht, die der typischen Vermietung bei einem Lesezirkel entspricht.
81
(3) Nichts Gegenteiliges zu seinem Nachteil ergibt sich aus der vom Kläger in den Rechtsstreit eingeführten und als solche nicht in Abrede gestellten Korrespondenz des Klägers mit Herrn S…O…(Name). Herr O…(Name) führt darin zwar aus, dass von einem Lesezirkelunternehmen „selbstverständlich… keinem Leser ein Heft aus der Hand genommen [wird] und ein Heft… auch mal länger bei einem Kunden verbleiben [kann], wenn er dies wünscht oder dieses im Rahmen seines Betriebes oder Geschäftsmodells benötigt“; dasselbe gelte für Privatkunden, die ebenfalls „Hefte länger behalten [dürfen], wenn diese nicht für die direkte Folgevermietung benötigt werden“. Auch in diesen wenigen Zeilen kommt aber deutlich zum Ausdruck, dass von den Verlagen etc. zwar eine flexible und großzügige Handhabung der Mietdauer und Rückgabe akzeptiert wird, soweit dies mit Rücksicht auf den Einzelfall erfolgt und Gründe hat. Dies ergibt sich jedenfalls aus der zugrundeliegenden Frage des Klägers, die darauf abzielte, ob es „starre“ Fristen gebe; nur dies verneint der Verfasser O…(Name). Zudem betont der Verfasser O…(Name), dass die Folgevermietung einen wesentlichen Bestandteil des Prinzips Lesezirkel bildet. Wie dargestellt, nimmt die Beklagte bei der Vermietung von Zeitschriften an Bibliotheken die Exemplare grundsätzlich erst nach ganz erheblichen Zeiträumen zurück, wobei dies dann maßgeblich auf der Initiative der Entleiher beruht. Ein solches Vorgehen kann auch nicht damit verglichen werden, dass ein Leser ein Heft einmal länger lesen möchte und man dann nicht auf den Ablauf der regulären Nutzungszeit pocht; vielmehr kommt es - was bei der Vermietung an Bibliotheken vorprogrammiert sein mag - nahezu immer dazu, dass die Bibliotheksleitung ein fortwährendes Interesse ihrer Nutzer über Wochen und Monate annimmt.
82
(4) Das Argument der Beklagten, dass die Verlage keine strikten und konkreten zeitlichen Vorgaben für die Dauer der Vermietung bzw. den Zeitpunkt der Rückgabe machen, verhilft der Rechtsverteidigung daher nicht zum Erfolg. Der Senat sieht durchaus, dass solche Bestimmungen nicht getroffen sind (wenn auch die Präambel des DPV von einer „grundsätzlichen Vermietdauer von 7 Tagen“ spricht). Aus den gesamten Umständen muss er aber folgern, dass eine Überlassung für eine letztlich allein von den Entleihern bestimmte Dauer, die sämtliche überlassene Exemplare betrifft, nicht dem Interesse und den Vorstellungen der Verlage entspricht. Der Verzicht auf entsprechende klare Regelungen bedeutet mithin nicht, dass die Überlassungsdauer für sie ohne jegliche Bedeutung wäre und sie eine Nutzungszeit im Belieben des Entleihers nicht als „faktische Veräußerung“ empfinden.
83
(5) Ohne Erfolg wendet die Beklagte schließlich ein, es seien in der Vergangenheit keine Beanstandungen erfolgt. Dies beruht offenbar darauf, dass die Verlage/Vertriebsunternehmen bislang keine hinreichende Kenntnis von der Praxis der Beklagten und ggf. anderer Lesezirkelunternehmen hatten. Dass der DPV bei Kenntniserlangung so vorgehen würde, ergibt sich dagegen deutlich aus der Äußerung vom 7. Dezember 2020. Vortrag dazu, dass der DPV oder andere trotz umfassenden Wissens vom geschäftlichen Vorgehen der Beklagten keinerlei Schritte unternommen haben, hat die Beklagte nicht gehalten; nur dies wäre aber geeignet, einen kausalen Irrtum infrage zu stellen. Auch der Zeuge H…(Name) war aus diesen Gründen nicht zu hören, da beweiserhebliche Umstände nicht in sein Wissen gestellt wurden.
84
e. jj) Die Beklagte traf dementsprechend auch nach § 5 a Abs. 1 UWG die Pflicht, die Verlage/Vertriebsunternehmen auch ungefragt auf ihre Absichten und Praxis hinzuweisen. Wie bereits mehrfach ausgeführt, konnte kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass der Begriff der „Vermietung“, allein und in Kombination mit den anderen Regelungen und Formulierungen, jedenfalls nicht die Handhabung durch die Beklagte abdeckte, sondern diese im eklatanten Widerspruch hierzu steht. Es hätte daher der Beklagten oblegen, bei den Verlagen anzufragen, ob die „Vermietung auf eine im Ermessen des Mieters stehende Dauer“ akzeptiert würde, oder sie sonst in Kenntnis hiervon zu setzen. Aufgrund der (auch für den Laien erkennbar) klaren Abweichung von der vertraglichen Vorgabe liegt die Situation anders als bei der Frage, ob das Lesezirkelunternehmen verpflichtet ist, gegen die Entfernung der Umschläge einzuschreiten.
85
e. kk) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten kann gerade der Kläger als Mitbewerber Ansprüche aus § 5 Abs. 1 S. 1 UWG geltend machen, nicht lediglich die getäuschte/irregeführte Bezugsquelle. Dies folgt positivrechtlich aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, der dem Mitbewerber einen Unterlassungsanspruch gibt, sobald ein objektiv unlauteres Verhalten i.S.v. § 3 UWG gegeben ist, was wiederum bei Verwirklichung des § 5 UWG der Fall ist. Dies ist auch folgerichtig, weil die Irreführung nicht nur zu Nachteilen für den Getäuschten führt, sondern sich der Täuschende einen Vorteil gegenüber anderen Wettbewerbern verschafft, der nach der Bewertung der Rechtsordnung zu missbilligen ist, und ein Mitbewerber es nicht hinnehmen muss, dass andere ihre Marktstellung durch derartige, den zentralen Sitten- und Gerechtigkeitsvorstellungen zuwiderlaufende Machenschaften zu verbessern suchen. Dementsprechend wird der Schutzzweck des § 5 UWG im Schutz (zumindest auch) der Mitbewerber gesehen (Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 5 Rn. 0.8 ff.)
86
e. ll) Die für den Unterlassungsanspruch gem § 8 Abs. 1 S. 1 UWG erforderliche Wiederholungsgefahr besteht fort.
87
Zwar wurde der bisher durch den DPV unternommene Vertrieb der Zeitschriften aus dem Verlag G… und Jahr zum 1. Februar 2021 durch die B…V…KG übernommen. Ob deren Bedingungen, wie die Beklagte pauschal vorträgt, sich grundsätzlich von denen des DPV unterscheiden, kann vorliegend jedoch dahinstehen.
88
Wie bereits ausgeführt, war der DPV bereits nicht der einzige Verlag/das einzige Vertriebsunternehmen, von dem die beklagte Zeitschriften zu lesezirkelspezifischen Konditionen, die eine „Vermietung“ vorsehen, bezogen hat.
89
Zum anderen stellt auch die Beklagte nicht in Abrede, dass sie von der B…V…KG die Zeitschriften zu Konditionen erhält, die speziell für Lesezirkelunternehmen gelten; nach der Lebenserfahrung, die den pressekartellrechtlichen Rahmen berücksichtigt, ist auszuschließen, das dort auf das Erfordernis einer Vermietung entsprechend einem typischen Lesezirkel verzichtet wird.
90
Zum Dritten gilt, dass auch eine Beendigung des rechtswidrigen Verhaltens grundsätzlich eine einmal begründete Wiederholungsgefahr nicht entfallen lässt, solange nicht ausgeschlossen ist, dass erneut eine entsprechende Situation auftritt und das Verhalten wieder aufgenommen wird. Dafür, dass in Zukunft vergleichbare Konditionen nicht gestellt würden, und daher die Beklagte nicht in die Situation kommen könnte, die bisherige Praxis bei der Belieferung von Bibliotheken trotz Bindung an Vertragsbedingungen, die lediglich eine Vermietung gestatten, fortzusetzen, ist nichts ersichtlich.
91
f) Darüber hinaus neigt der Senat dem Standpunkt zu, dass das Verhalten der Beklagten auch gegen die wettbewerbsrechtliche Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG verstößt und somit ein Unterlassungsanspruch unmittelbar aufgrund dieser Bestimmung gegeben ist.
92
f. aa) Der BGH hat in einer früheren Entscheidung zu § 1 UWG 1909 (Urteil vom 10. Dezember 1957, I ZR 208/55, NJW 1958, 591) es als Verstoß gegen das Anstandsgefühl eines verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden bezeichnet, sich über eingegangene Vertragsverpflichtungen, die die Verwendung der Ware betrafen, hinwegzusetzen. Wie dargestellt, ist jedoch eine Sittenwidrigkeit bzw. nach heutiger Terminologie Unlauterkeit nach der Generalklausel regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn dies den Wertungen entspricht, die im Übrigen im Lauterkeitsrecht zum Ausdruck gekommen sind. Zudem haben die Anschauungen in den vergangenen Jahrzehnten eine erhebliche Veränderung erfahren.
93
f. bb) Ob ein Verhalten nach der Generalklausel unlauter ist, ist daher, soweit sich Anhaltspunkte nicht aus den übrigen Normen des Gesetzes oder der überkommenen Rechtsprechung destillieren lassen, anhand einer Abwägung der (vgl. § 1 UWG) schützenswerten, marktorientierten Partikularinteressen und dem Allgemeininteresse am Schutz des unverfälschten Wettbewerbs zu bestimmen (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Podszun, 4. Aufl. 2016, UWG § 3 Rn. 144; MüKoUWG/Sosnitza, 3. Aufl. 2020, UWG § 3 Rn. 68).
94
f. cc) Dementsprechend reicht nach dem gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Literatur das bloße Sich-Hinwegsetzen über Vertragsbedingungen für die Bewertung einer geschäftlichen Handlung als wettbewerbswidrig regelmäßig nicht aus. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die das Wettbewerbsverhalten als unlauter erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 12. Januar 2017 - I ZR 253/14, GRUR 2017, 397, Rn. 68 „World of Warcraft II“; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 39. Aufl. 2021, UWG § 4 Rn. 4.63, 4.63a). Solche besonderen Umstände wurden u.a. angenommen, wenn das pflichtwidrige Verhalten der einen Vertragspartei ein durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgestaltetes Geschäftsmodell der anderen Vertragspartei beeinträchtigt und damit in unlauterer Weise auf das von der anderen Vertragspartei angebotene Produkt einwirkt. Hierfür genügt eine mittelbare Einwirkung und reicht auch aus, dass Schutzvorkehrungen unterlaufen wurden, die eine solche Einwirkung verhindern sollen. Die bloße Verletzung von AGB begründet daher für sich genommen auch noch nicht einen Schleichbezug (vgl. BGH, Urt. v. 12. Januar 2017 - I ZR 253/14, GRUR 2017, 397, Rn. 68 „World of Warcraft II“; Wirtz, in: Götting/Nordemann, UWG, 3. Auflage 2016, Rn. 4.71).
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f. dd) Vorliegend sind besondere Umstände zu erkennen, die auch dann, wenn man strenge Maßstäbe anlegt, eine Bewertung als unlauter gebieten. Die Verpflichtung, zum Zwecke eines Lesezirkels überlassene Zeitschriftenexemplare nur in dem entsprechenden Geschäftsmodell, für welches eine „Vermietung“ prägend ist, an Endbenutzer weiterzugeben, stellt nicht lediglich eine untergeordnete Vertragsbedingung dar, sondern prägt den Beschaffungsvorgang bei Zeitschriften. Beim Absatz von Zeitschriften stellen der Einzelverkauf, die Abonnements und das Lesezirkelgeschäft drei grundsätzlich getrennte und von Besonderheiten geprägte Säulen dar. Dies beruht zum einen auf den Besonderheiten des Pressevertriebs einschließlich der kartellrechtlichen Sonderregelung. Der Schutz rechtlich zulässiger Vertriebsbindungssysteme hat lauterkeitsrechtlich seit jeher hohes Gewicht (vgl. Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, UWG § 3 Rn. 56 ff.). Zum anderen erreichen Lesezirkelexemplare deshalb, weil sie aufgrund der Mehrfachvermietung an eine wesentlich größere Zahl von Adressaten gelangen, eine höhere Lese- und Werbewirkung. Dies ermöglicht eine Abgabe zu günstigeren Konditionen, die allerdings daran geknüpft ist, dass nur eine kurzzeitige Überlassung erfolgt.
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g) Die Klage erweist sich daher als begründet, soweit der Kläger die Unterlassung begehrt, Lesezirkelexemplare von Zeitschriften faktisch dauerhaft zu überlassen, wie es einer Vermietung nicht entspricht. Sie ist dagegen unbegründet, soweit es um eine Auslieferung ohne Schutzumschläge geht. Da beides sachlich abgrenzbare Vorwürfe darstellen - die eine Handlung kann unabhängig von der anderen unternommen werden - liegen gesonderte Streitgegenstände vor.
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h) Der Senat fasst den Tenor in Anlehnung an die Anträge der Klagepartei und den erstinstanzlichen Ausspruch, auch wenn er den Unterlassungsanspruch auf die Irreführung und nicht eine Behinderung stützt. Das Unwerturteil beruht zwar zentral auf der Irreführung bei der Beschaffung. Diese wirkt sich allerdings erst dann zum Nachteil der Bezugsquellen, der Mitbewerber und der Allgemeinwohlbelange (vgl. § 30 GWB) aus, wenn die so erlangten Exemplare durch eine Überlassung, deren Länge im Belieben der Nutzer steht, faktisch an die Bibliotheken veräußert werden. Zudem ist im Moment der Beschaffung noch nicht feststellbar, wofür die einzelnen Exemplare verwendet werden; davon, dass die Beklagte die überwiegende Zahl der beschafften Exemplare in einer mit den Lesezirkelkonditionen übereinstimmenden Weise z.B. in Rechtsanwaltskanzleien, Läden, Friseurgeschäften oder Privathaushalten verwendet, muss der Senat ausgehen. Aufgrund dieser Besonderheiten wären andere Formulierungen nicht mit hinreichender Bestimmtheit und Vollstreckungsfähigkeit möglich.
98
Der Senat knüpft, wie auch der Hilfsantrag des Klägers, an den Erscheinungsrhythmus der jeweiligen Zeitschriften an, auch wenn die Verlage eine entsprechend starre Vorgabe nicht aufgestellt haben mögen. Der Erscheinungsrhythmus einer Zeitschrift ist von ausschlaggebender Bedeutung dafür, wann ein Heft als „neu“ bzw. „alt“ angesehen wird, und damit auch, ob es sich für eine Erst- oder nur für eine Folgevermietung eignet, wie sie Bestandteil des Lesezirkelkonzepts sind. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass bei entsprechenden Umständen im Einzelfall Hefte auch über diesen Zeitraum hinaus bei den Nutzern verbleiben dürfen, schränkt der Senat diese Vorgabe entsprechend ein; eine konkretere oder bestimmte Fassung ist aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fälle nicht möglich.
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Der Senat hält insoweit fest, dass die charakteristische Verletzungsform, die die Beklagte begangen und künftig zu unterlassen hat, darin liegt, bei vertragsgemäß zur Vermietung bestimmten Lesezirkel-Exemplaren den Zeitpunkt der Rückgabe der Hefte an sie grundsätzlich in das Belieben der Bibliotheken zu stellen, auch wenn dadurch der tatsächliche Vermietungszeitraum den Erscheinungsrhythmus der jeweiligen Zeitschrift erheblich übersteigt, insbesondere, indem zugelassen wird, dass mehrere Hefte einer Zeitschrift gesammelt zurückgegeben werden.
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4. Der Senat hat keinen Anlass, auf die von der Klägerseite aufgeworfene Grundsatzfrage einzugehen, ob eine Anmietung von Zeitschriften bei Lesezirkelunternehmen überhaupt für Bibliotheken zulässig ist und/oder sich für sie eignet. Weder ist ein derartiges generelles Verbot Gegenstand der Klageanträge noch stellt sich diese Frage mittelbar. Es wird sich erweisen müssen, ob Bibliotheken unter den Voraussetzungen, die nach Auffassung des Senats von Lesezirkel-Unternehmen aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen zu beachten sind, weiter eine Anmietung unternehmen oder diese Bedingungen mit den praktischen Anforderungen, die sich für öffentliche Bibliotheken ergeben, nicht vereint werden können.
101
5. Im Hinblick auf die Nebenentscheidungen gilt Folgendes:
102
a) Der Senat sieht, wie mit den Parteien erörtert, die Aspekte „Schutzumschläge“ und „Vermietungsdauer“ als selbstständige wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte und Streitgegenstände an. Insbesondere ist ohne weiteres denkbar, dass ein Lesezirkelunternehmen lediglich das eine Verhalten unternimmt und das andere nicht. Auf den Streitwert von insgesamt 50.000,00 €, gegen welchen die Parteien keine Einwände erhoben haben, entfallen hiervon 20.000,00 € auf den Aspekt „Schutzumschläge“ und 30.000,00 € auf den Aspekt „Vermietungsdauer“. Hierbei berücksichtigt der Senat, dass - wie der Kläger zuletzt selbst hat ausführen lassen - das Klagebegehren im Kern darauf abzielt, eine weitere Belieferung von Bibliotheken durch die Beklagte zu verhindern. Wie der Umstand, dass die im vorliegenden Verfahren vier konkret erwähnten Bibliotheken trotz der Lieferung in Schutzumschlägen und der Auflage, diese nicht zu entfernen, die Vertragsbeziehung mit der Beklagten nicht beendet haben, zeigt, stellt ein entsprechendes Gebot/Verbot für die Beklagte offensichtlich kein signifikantes Hindernis dar. Anders dürfte der Fall liegen, wenn die Bibliotheken - wie vom Senat angenommen - die Zeitschriften zeitnah zurückgeben müssen und nicht jahrgangsweise aufbewahren dürfen. Entsprechend dem höheren Interesse des Klägers am Verbot hinsichtlich der „erheblichen Vermietungsdauer“ kommt der Senat daher zu dieser Gewichtung. Eine noch stärkere Verschiebung würde allerdings nicht den Umstand berücksichtigen, dass das Anbringen und Belassen der Schutzumschläge wesentlich leichter äußerlich erkennbar und zu überwachen ist und daher das Interesse des Klägers an einer entsprechenden Titulierung nicht geringer anzusetzen ist.
103
b) Für den Kostenausspruch war weiter zu berücksichtigen, dass der Kläger auch hinsichtlich des Aspekts „Vermietungsdauer“ zur teilweise durchgedrungen ist, da eine Abholung nicht strikt nach Erscheinen der Folgeauflage auch von den Verlagen und Vertriebsunternehmen nicht gefordert wird. Der Senat setzt dieses Unterliegen mit 1/3 an, wobei er wieder berücksichtigt, dass die Einschränkung eine Vollstreckung nicht unerheblich erschweren dürfte.
104
c) Die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung des Klägers sind dementsprechend nur zu 40% erstattungsfähig. Insoweit wendet der Senat die Grundsätze, die für teilweise berechtigte Abmahnungen gelten (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2009 - I ZR 149/07, juris-Rn. 52 - Sondernewsletter; BGH, Urteil vom 14.1.2016 - I ZR 61/14, GRUR 2016, 516 „Wir helfen im Trauerfall“, Rn. 45), auch auf das Abschlussschreiben an. Die Höhe der angefallenen Kosten, welche auch das Landgericht als nachvollziehbar angesehen hat, ergibt sich aufgrund der Bestimmungen des RVG bei einem als angemessen angesetzten Streitwert von 10.000,00 €.
105
d) Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich demgemäß aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
106
Die Zulassung der Revision war nicht geboten, weil die Entscheidung maßgeblich auf den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den getroffenen Feststellungen, beruht. Die erörterten Rechtsfragen, ob in der vorliegenden Konstellation auf § 4 Nr. 4 UWG zurückgegriffen werden könnte und/oder ein Fall des §§ 5, 5 a oder § 3 Abs. 1 UWG vorliegt, sind nicht entscheidungserheblich.