VG Ansbach, Beschluss v. 24.02.2023 – AN 8 P 21.00534
Titel:

Ungültigkeit des Verselbständigungsbeschlusses der Integrierten Leitstelle des Bayerischen Roten Kreuzes 

Normenkette:
BayPVG Art. 6 Abs. 3, Art. 85 Abs. 2
Leitsatz:
Für das Bayerische Rote Kreuz gilt, dass nur durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständige Nebenstellen und Teile der Dienststellen als selbstständige Dienststellen iSd Art. 6 Abs. 3 iVm Art. 85 Abs. 2  BayPVG gelten können. Die sechs Bayerischen Leitstellen haben sowohl organisatorisch als auch vom Aufgabenbereich her zur Landesgeschäftsstelle und haben insoweit keinen eigenständigen Bereich. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ungültigkeit eines Verselbständigungsbeschlusses (bejaht), Sonderregelung für das Bayerische Rote Kreuz, Verselbständigungsbeschluss, Personalrat, Integrierte Leitstelle, Nebenstelle, Mehrheitsbeschluss, Bayerisches Rotes Kreuz, Personalvertretungsrecht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5020

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Verselbständigungsbeschluss der Integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes vom 17./18. März 2021 ungültig ist.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Tatbestand

1
Die Verfahrensbeteiligten streiten über Gültigkeit des Verselbständigungsbeschlusses der Integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes (KdöR) vom 17./18. März 2021.
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Der Antragsteller ist Dienststellenleiter der Landesgeschäftsstelle des Bayerischen Roten Kreuzes (im Folgenden: BRK), der organisatorisch die Integrierte Leitstelle (im Folgenden: ILS) … zugeordnet ist. Am 19. März 2021 wurde ihm von deren stellvertretenden Leiter mitgeteilt, dass sich die Mitarbeiter der ILS … am 17. März 2021 im Rahmen einer geheimen Abstimmung zur Verselbständigung des Personalrates entschieden hätten. Von den 58 wahlberechtigten Beschäftigten der ILS hätten 40 Mitarbeiter ihre Stimme abgegeben. Die Auszählung der Stimmen am 18. März 2021 habe ergeben, dass für die Verselbständigung 38 Mitarbeiter, dagegen zwei Mitarbeiter gestimmt hätten. Auf Nachfrage des Antragstellers gab der stellvertretende Leiter der ILS an, es sei lediglich eine von den Mitarbeitern selbst vorgenommene Abstimmung unter den Beschäftigten der Dienststelle ILS … durchgeführt worden. Es habe ein Anschreiben mit Erklärung der Verselbständigung und einen Wahlschein gegeben, auf dem man mit JA der Verselbständigung zustimmen und mit NEIN gegen diese stimmen habe können.
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Mit am 25. März 2021 bei Gericht mit der Überschrift „Wahlanfechtung“ eingegangenen Schreiben hat der Antragsteller ein Beschlussverfahren bei der Fachkammer für Personalvertretungsrecht eingeleitet. Er macht geltend, es sei unklar und werde bereits bestritten, ob die Formalien der ordnungsgemäßen Abstimmung im Rahmen einer geheimen Wahl eingehalten worden seien. Im Übrigen habe sich die ILS nicht wirksam verselbstständigen können, was die Abstimmung unwirksam mache. Beim BRK handele es sich um eine „sonstige Körperschaft“ i.S.d. Art. 85 BayPVG. Daraus folge dem Grundsatz nach, dass das gesamte BRK an sich eine einheitliche Dienststelle darstelle. Seit dem 1. Januar 2020 gelte jedoch gemäß Art. 85 BayPVG, dass die Kreisverbände, Bezirksverbände und die Landesgeschäftsstelle jeweils eine selbständige Dienststelle darstellten mit jeweils eigenen Personalvertretungen. Dies stelle eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayPVG dar. Zwar seien Verselbständigungsbeschlüsse nicht per se ausgeschlossen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die ILS … eine durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständige Nebenstelle oder Teil der Dienststelle sei, was nicht der Fall sei. Hintergrund der Möglichkeit von Verselbständigungen innerhalb einer Dienststelle beim BRK seien vielmehr große Alten- und Pflegeheime gewesen, die nach der internen Struktur des BRK weitgehend eigenständige Aufgaben, Befugnisse und eine in sich abgeschlossene eigene Organisation darstellten. Die ILS bestehe dagegen deshalb, weil das BRK gemäß Art. 4 ILSG als Betreiber der Leitstelle durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vom Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung beauftragt worden sei. Dieser Vertrag sei mit der Landesgeschäftsstelle geschlossen worden. Das BRK regele in der Aufgabenerfüllung seine Angelegenheiten selbst (Art. 1 Satz 2 BRK-Gesetz) und müsse dies organisatorisch zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Vertrages auch tun. Es organisiere in einer eigenen gesonderten Abteilung innerhalb der Landesgeschäftsstelle die Angelegenheiten der ihr zugeordneten integrierten Leitstellen. Diese Abteilung werde derzeit sogar noch weiter ausgebaut. Ein personalvertretungsrechtlicher Aufgabenbereich und eine eigene Organisation würden nicht bestehen. Der Leiter der ILS habe insbesondere keine eigene Regelungskompetenz im personellen und sachlichen Bereich. Da er keine Entscheidungs- und Handlungsspielräume in organisatorischen, personellen und sozialen Angelegenheiten habe, führe er auch keine Verhandlungen mit externen Partnern, sondern organisiere lediglich den Dienstbetrieb nach den Vorgaben der Landesgeschäftsstelle im rechtlichen Rahmen der Haustarifverträge des BRK-Gesetzes und des ILSG. Somit verbleibe außer der reinen Weiterleitung an die Landesgeschäftsstelle dem Leiter der ILS keine Möglichkeit, mitbestimmungsrelevante Themen mit dem verselbstständigten Personalrat der ILS auszutauschen. Demnach bestehe keine Eigenständigkeit. Dabei müsse auch berücksichtigt bleiben, dass im BRK von vornherein nur aufgrund einer gesetzlichen Fiktion die Landesgeschäftsstelle als solche eine eigene Dienststelle darstelle. Das Regel-Ausnahme-Prinzip des BayRKG sei insofern nicht vergleichbar mit demjenigen der klassischen Behörden. Zudem sei der Rot-Kreuz-Grundsatz der Einheit zu berücksichtigen sowie die Tatsache, dass das BRK mit den Integrierten Leitstellen im Bereich der Notfallrettung im staatlichen Auftrag tätig sei, bei der eine Zerklüftung der Personalratszuständigkeiten in Abgrenzung zu den Zuständigkeiten des Personalrats der Landesgeschäftsstelle lediglich zu unnötigem Streit beitrage. Eine weitere personalvertretungsrechtliche Zersplitterung beim BRK sei nach Art. 6 Abs. 5 BayPVG nicht gewollt. Es sei eine andere Betrachtung als bei anderen Behördenorganisationen des Freistaats geboten.
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Zudem sei zum Zeitpunkt des Verselbständigungsbeschlusses bereits für die am 22. Juni 2021 stattfindenden Personalratswahlen der Landesgeschäftsstelle seit dem 26. Februar 2021 ein Wahlvorbereitungsausschuss gebildet worden. Dies sei zum Zeitpunkt der Abstimmung in der ILS … bekannt gewesen. Demnach liege ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 BayPVG vor, nach dem man weder ein formales Recht missbräuchlich ausüben noch unverhältnismäßig hohe Kosten (erneute Bestellung von Wahlvorständen, erneute Rundschreiben, Aushänge und Bekanntmachungen etc.) und an sich vermeidbare Verunsicherungen der Wähler verursachen dürfe. Genau dies löse der Verselbständigungsbeschluss jedoch aus, da er die Struktur der Personalratswahl bei der Landesgeschäftsstelle nicht unwesentlich verändere.
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Der Antragsteller beantragt,
den Verselbständigungsbeschluss der integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes vom 17./18. März 2021 für ungültig zu erklären.
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Der Beteiligte hat keinen Antrag gestellt. Er gibt an, Grund für die Verselbständigung sei gewesen, dass die ILS … mehr Mitspracherecht gewollt habe. Man habe einen Ansprechpartner vor Ort haben wollen und nicht einen, der 300 km entfernt sitze. Auch die Gewerkschaft ver.di habe sie dahingehend beraten, dass eine Verselbständigung sinnvoll wäre. Der Personalratsvorsitzende der Landesgeschäftsstelle BRK … habe ihnen ebenfalls diesen Schritt empfohlen, damit sie mehr vor Ort entscheiden könnten und die Dienstwege kürzer würden.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und der gewechselten Schriftsätze wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
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II. Der zulässige Antrag ist begründet. Der Antragsteller hat gegenüber dem Beteiligten einen Anspruch auf Feststellung, dass der Verselbständigungsbeschluss der Integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes vom 17./18. März 2021 ungültig ist.
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1. Das Rubrum der Personalvertretungsstreitsache, das bisher als Beteiligten in der Annahme, dass im Rahmen der Personalratswahl am 22. Juni 2021 für die Integrierte Leitstelle des Bayerischen Roten Kreuzes … die Wahl eines örtlichen Personalrats stattgefunden hat, diesen, vertreten durch den/die Vorsitzende/n, als Beteiligten benannt wurde, ist vorliegend von Amts wegen dahingehend zu berichtigen, dass der in der öffentlichen Anhörung auch auftretende kommissarische Dienststellenleiter hier Beteiligter des Verfahrens ist, weil, wie die öffentliche Anhörung ergeben hat, entgegen dieser Annahme in der Integrierten Leitstelle des Bayerischen Roten Kreuzes … wegen des anhängigen Rechtsstreits tatsächlich keine örtliche Personalratswahl stattgefunden hat und somit kein gewählter örtlicher Personalrat existent ist.
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2. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist unabhängig von der Tatsache, dass in der Integrierten Leitstelle des Bayerischen Roten Kreuzes … wegen des anhängigen Rechtsstreits am 22. Juni 2022 keine örtliche Personalratswahl stattgefunden hat und somit dort kein gewählter örtlicher Personalrat existent ist, ein Rechtsschutzbedürfnis für den Feststellungsantrag gegeben, weil im Hinblick auf die rechtlichen Differenzen hinsichtlich der Gültigkeit des Verselbständigungsbeschlusses der Integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes vom 17./18. März 2021 davon auszugehen ist, dass bei einer nicht erfolgenden gerichtlichen Feststellung zur Klärung dieser Frage bei der nächsten Personalratswahl eine Wahl eines örtlichen Personalrats für die Integrierte Leitstelle des Bayerischen Roten Kreuzes … durchgeführt wird und damit – die Unwirksamkeit des Verselbständigungsbeschlusses vorausgesetzt – unnötigerweise erheblicher Kosten- und Arbeitsaufwand entstehen könnte (vgl. Ballerstedt/Schleicher/Faber/Hebeler, BayPVG, Stand Oktober 2022, Art. 85 Rn. 2f).
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Auch im Übrigen bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags keine rechtlichen Bedenken.
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3. Der Antrag ist begründet, da der Verselbständigungsbeschluss der Integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes vom 17./18. März 2021 ungültig ist.
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Für die Frage der wirksamen Verselbständigung von Teildienststellen gilt nach dem Bayerischen Personalvertretungsrecht grundsätzlich die Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 BayPVG, wonach es maßgeblich auf den entsprechenden Mehrheitsbeschluss der Beschäftigten der Nebenstelle ankommt, soweit eine ausreichend räumliche Entfernung gegeben ist.
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Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass durch die Entscheidung des Gesetzgebers für das Bayerische Rote Kreuz mit der Regelung des Art. 85 Abs. 2 BayPVG mit Wirkung zum 1. Januar 2020 eine Sonderbestimmung (vgl. Ballerstedt/Schleicher/Faber/Hebeler, BayPVG, Art. 85 Rn. 4) geschaffen wurde, wonach für diese Anstalt des öffentlichen Rechts die Kreis- und Bezirksverbände sowie die Landesgeschäftsstelle jeweils als eigene Dienststellen gelten, für die dort ein jeweils ein örtlicher Personalrat zu wählen ist (vgl. Satz 1 der Bestimmung). Danach gilt Art. 6 Abs. 3 BayPVG mit der Maßgabe, dass nur durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständige Nebenstellen und Teile der Dienststellen als selbständige Dienststellen gelten können (vgl. Satz 2 der Bestimmung; vgl. auch Bay LT Drs 18/3922 S. 35; Ballerstedt/Schleicher/Faber/Hebeler a.a.O Rn. 15). Hintergrund dieser gesetzgeberischen Entscheidung ist, dass dadurch klargestellt werden sollte, dass die Regelung des Art. 1 Satz 2 BRK-Gesetzes unberührt bleibt, wonach das Bayerische Rote Kreuz im Rahmen der Gesetze seine Angelegenheiten selbst verwaltet (vgl. Art. 85 Abs. 2 Satz 4 BayPVG; Bay LT Drs 18/3922 S. 35).
15
Danach ist der Verselbständigungsbeschluss der Integrierten Leitstelle … des Bayerischen Roten Kreuzes vom 17./18. März 2021 ungültig, weil die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 2 Satz 2 BayPVG nicht vorliegen. Wie auch in der öffentlichen Anhörung zwischen den Beteiligten unstreitig war, gehören die sechs Bayerischen Leitstellen sowohl organisatorisch als auf vom Aufgabenbereich her zur Landesgeschäftsstelle und haben insoweit keinen eigenständigen Bereich. Es gibt keine Anhaltspunkte, die – etwa im Gegensatz zu vom BRK betriebenen großen Alten- oder Pflegeheimen – dafür sprechen könnten, dass insoweit eine durch den Aufgabenbereich oder die Organisation eigenständige Nebenstelle bestehen könnte.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass es in Bayern tatsächlich zwei verselbständigte Leitstellen gibt, da diese, wie sich auch aus der öffentlichen Anhörung unstreitig ergeben hat, bereits vor Inkrafttreten der Bestimmung des Art. 85 Abs. 2 Satz 2 BayPVG gebildet wurden.
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4. Eine Kostenentscheidung kommt nicht in Betracht (Art. 81 Abs. 2 BayPVG; § 80 Abs. 1 ArbGG und § 2 Absatz 2 GKG).