VGH München, Beschluss v. 27.02.2023 – 20 CS 22.2652, 20 CS 22.2654
Titel:

Zur Einordnung von CBD-Öl als Funktionsarzneimittel 

Normenketten:
LFGB § 39 Abs. 2
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1, Abs. 2
Lebensmittel-Basis-VO Art. 2 Abs. 1, Abs. 3 lit. d
AMG § 2 Abs. 3a, § 21 Abs. 4, § 53 Abs. 2, § 69 Abs. 1
Gemeinschaftskodex Humanarzneimittel Art. 1 Nr. 2, Art. 128
Leitsätze:
1. Die Existenz eines neu zugelassenen wirkstoffgleichen Arzneimittels (Wirkstoff Cannabidiol), dessen Wirksamkeit in einem Zulassungsverfahren geprüft wurde, begründet zumindest die Vermutung dafür, dass derselbe Stoff in einem anderen Produkt ebenfalls (erheblich) pharmakologisch wund/oder metabolisch wirkt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher CBD-Produkte in erster Linie aus gesundheitlichen Gründen anwendet, also mit einer medizinischen Zweckbestimmung, da eine andere Verwendung von CBD als diejenige als Heilmittel nicht zu identifizieren und ein ernährungsphysiologischer Nutzen von CBD bisher nicht bekannt ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unzureichende Kenntnisse der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik können nicht dazu führen, einen potentiellen Arzneimittelstoff als Lebensmittel einzuordnen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Cannabidiol, CBD-Öl (5, 10, 15 und 30 Prozent), Lebensmittelrechtliche Anordnungen, Arzneimittel nach der Funktion, CBD-Öl, Kosmetika, Einnahmeempfehlungen, Arzneimittel, Lebensmittel, Zweckbestimmung, Mundöl, Funktionsarzneimittels, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittelüberwachungsbehörde, Verordnung über amtliche Kontrollen, VO (EG) Nr. 178/2002, RL 2001/83/EG
Vorinstanzen:
VG Würzburg, Beschluss vom 19.12.2022 – W 8 S 22.1676
VG Würzburg, Beschluss vom 19.12.2022 – W 8 S 22.1678
Fundstellen:
ZLR 2023, 405
BeckRS 2023, 4511
LSK 2023, 4511

Tenor

I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird vor der Verbindung auf jeweils 2.500,- EUR und nach der Verbindung auf insgesamt 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Die Antragsgegnerin dringt mit dem Vorbringen ihrer Beschwerde, an das der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren grundsätzlich gebunden ist, im Ergebnis nicht durch. Nach der im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 1 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklagen werden diese voraussichtlich Erfolg haben (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 80 Abs. 5 VwGO), da die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 39 Abs. 2 LFGB, Art. 138 Abs. 1, 2 VO (EU) 2017/625 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO) voraussichtlich nicht vorliegen. Bei den streitgegenständlichen Produkten handelt es sich voraussichtlich schon nicht um Lebensmittel im Sinne des Art. 2 Basis-VO, sondern um Arzneimittel.
2
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Der Verwaltungsgerichtshof hat – unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens, auf das sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) – bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, ist regelmäßig die aufschiebende Wirkung anzuordnen (BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – ZfB 2019, 202 = juris Rn. 25 m.w.N.).
3
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts erweisen sich im Ergebnis als richtig, denn die Bescheide sind voraussichtlich rechtswidrig. Zunächst dürfte die Annahme des Verwaltungsgerichts, es handele sich bei den streitgegenständlichen Produkten um kein Kosmetikum, zutreffend sein (1.). Bei summarischer Prüfung spricht allerdings entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Überwiegendes dafür, dass es sich bei den streitgegenständlichen Produkten, jedenfalls bei Beachtung der von der Antragstellerin angegebenen Einnahmeempfehlungen, um Arzneimittel im Sinne des Art. 2 Abs. 3 Buchst. d VO (EG) Nr. 178/2002 und damit nicht um Lebensmittel nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 handelt. Die angefochtenen Bescheide können damit nicht auf die Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 2 LFGB, Art. 138 Abs. 1, 2 Buchst. g VO (EU) 2017/625 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1, 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 178/2002 (Basis-VO) gestützt werden (2.). § 69 Abs. 1 AMG scheidet als Rechtsgrundlage ebenfalls aus, da nicht die Antragsgegnerin, sondern nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Arzneimittelüberwachungsbehörden und zum Vollzug des Samenspenderregistergesetzes sowie des Gendiagnostikgesetzes (Arzneimittelüberwachungszuständigkeitsverordnung – ZustVAMÜB, GVBl. 2013, 586) die Regierung von Oberfranken sachlich zuständig wäre (3.).
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1. Bei den streitgegenständlichen Ölen handelt es sich um keine Kosmetika. Unter kosmetischen Mitteln sind gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) 1223/2009 Stoffe oder Gemische zu verstehen, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen.
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Die Abgrenzung erfolgt anhand ihrer jeweiligen Zweckbestimmung. Diese wird anhand objektiver Kriterien ermittelt. Maßstab ist die Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsbetrachter darstellt. Diese Verkehrsanschauung wird regelmäßig durch eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und deren Anwendung geprägt. Sie hängt ihrerseits davon ab, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher auch durch die Auffassungen der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ferner durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Medikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verkehr allgemein entgegentritt (BGH, U.v. 7.12.2000 – I ZR 158/98 – juris; U.v. 11.7.2002 – I ZR 34/01 – juris). Nach der demnach anzustellenden Gesamtbetrachtung steht nach der Zweckbestimmung des Produktes insbesondere angesichts der beabsichtigten Einwirkdauer die Aufnahme der Bestandteile des Produktes in den menschlichen Körper im Vordergrund. Insoweit zutreffend stellt das Verwaltungsgericht fest, dass zwar das streitgegenständliche Öl mit 30% CBD-Gehalt im Rahmen der Anwendungsempfehlung auf Umverpackung und Seite des Etiketts des Fläschchens als „Mundöl“ bezeichnet wird und unterhalb dieser Anwendungsempfehlung „Zur Pflege des Mundraums“ aufgeführt wird. Hierin erschöpft sich jedoch jeglicher Bezug zu einem Verwendungszweck i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) 1223/2009. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden wird diesbezüglich auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen (S. 26 bis 28 d.U.). Im Übrigen verweist die Antragsgegnerin ebenso zutreffend darauf hin, dass es im Beitrag der Geschäftsführerin der Antragstellerin „Leben genießen: CBD-Anwendung im Alter“ (https://cannameleon.de/blogs/news/cbd-anwendung-im-alter; vgl. Anlage Screenshots zum Gutachten LGL vom 31.10.2022, S. 7; abrufbar unter: https://web.archive.org/web/20220927152156/https://cannameleon.de/blogs/news/cbd-anwendung-im-alter, Snapshot vom 27.9.2022) heißt: „CBD-Öl kann oral eingenommen werden. Die Tropfen werden unter die Zunge geträufelt und dort vor dem Schlucken für rund 30 Sekunden gehalten.“
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Die Tatsache, dass die Antragstellerin inzwischen diese Einträge von ihrer Website entfernt hat, ist hierbei nicht von Bedeutung. Zum einen lassen sich entsprechende nachwirkende Werbeaussagen nicht allein durch Entfernung von der Website aus dem Gedächtnis des Verbrauchers tilgen. Sollte man zum anderen unter Berücksichtigung aller Umstände nach eingehender Prüfung trotzdem zum Ergebnis kommen, dass die Produkte der Antragstellerin nunmehr zweifelsfrei als Kosmetika zu beurteilen seien, dann handelt es sich hierbei um andersartige Produkte, welche bereits nicht von der streitgegenständlichen Verbotsverfügung erfasst wären.
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In diesem Zusammenhang muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass mit dem Arznei- und Betäubungsmittel THC/CBD Sativex® Spray zur Anwendung in der Mundhöhle ein CBDhaltiges Produkt auf dem Markt existiert, welches im Wesentlichen über die Mundschleimhaut aufgenommen wird. Die in Sativex enthaltenen Cannabinoide werden schnell über die Mundschleimhaut aufgenommen. Nach vier Sprühstößen sind sowohl THC als auch CBD innerhalb von 15 Minuten im Plasma nachweisbar (https://www.pharmazeutische-zeitung.de/arzneistoffe/daten/2011/tetrahydrocann-abinol-und-cannabid…11/#:~:text=Die%20in%20Sativex%20enthaltenen%20Cannabinoide,die%20optimale%20Dosis%20zu%20ermitteln.). Die Mundschleimhaut hat ein dünnes Epithel und ist reich an Gefäßen, was die Resorption begünstigt. Ein Arzneimittel etwa, das zwischen Zahnfleisch und Backen geschoben (bukkale Verabreichung) oder unter die Zunge gegeben wird (sublinguale Verabreichung), verweilt länger, was die Resorption erhöht (https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/klinische-pharmakologie/pharmakokinetik/resorption-des-arzneimittels#:~:
text=Die%20Mundschleimhaut%20hat%20ein%20d%C3%BCnnes,l%C3%A4nger%2C%20was%20die%20Resorption%20erh%C3%B6ht).
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2. Die von der Antragstellerin vertriebenen CBD-Öle haben bei Anlegung des im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfungsmaßstabs aller Voraussicht nach die Eigenschaften eines Funktionsarzneimittels im Sinne des Art. 2 Abs. 3 Buchst. d der Basis-VO in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RL 2001/83/EG in der Fassung der Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 (ABl L 198 S. 241).
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a. Die gesetzliche Definition des Funktionsarzneimittels ergibt sich gemäß Art. 128 Satz 2 der RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes Humanarzneimittel (ABl. L 311 v. 28.11.2001, S. 67) aus deren Art. 1 Nr. 2 Buchst. b in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 (ABl Nr. L 136 S. 34) (vgl. EuGH, U.v. 3.10.2013 – C 109/12 – juris; BVerwG; U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170, Rn. 12.; OVG Lüneburg, U.v. 29.9.2021 – 13 LB 31/14 – BeckRS 2021, 30597 Rn. 42). Arzneimittel nach der Funktion sind nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der RL 2001/83/EG in der Fassung der RL 2004/27/EG alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet werden oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat die zuständige Behörde die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der RL 2001/83/EG fällt, von Fall zu Fall zu treffen und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen –, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (vgl. EuGH, U.v. 3.10.2013 – C-109/12 – MPR 2013, 199 Rn. 42; EuGH, U.v. 15.1.2009 – C 140/7 – PharmR 2009, 122 Rn. 31ff.; BVerwG, U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170 Rn. 17, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
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b. Cannabidiol (CBD) ist ein quantitativ bedeutender Wirkstoff aus Cannabis. Es handelt sich um eine stark lipophile Substanz, die ins Gehirn penetriert. CBD besitzt keine psychoaktive Wirkung, hat aber eine nachgewiesen antikonvulsive und antiepileptische Wirkung. Weiter soll CBD u. a. auch antiinflammatorische, antioxidative, muskelrelaxierende, anxiolytische, neuroprotektive und antipsychotische Wirkungen aufweisen (Müller, Fortschritte in der Cannabis-Forschung aus pharmazeutisch-chemischer Sicht m. N., Bundesgesundheitsblatt 2019, 818, 822; https://doi.org/10.1007/s00103-019-02964-4). Cannabidiol (CBD) ist seit dem 1. Oktober 2016 der Verschreibungspflicht (Arzneimittelverschreibungsverordnung vom 2005 (BGBl. I S. 3632), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 27. September 2016 geändert worden ist, unterstellt. Dem lag eine Einschätzung des Sachverständigen-Ausschusses (SVA) für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG vom 19. Januar 2016 zugrunde, in der die pharmakologische Wirkung umschrieben wurde (vgl. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Verschreibungspflicht/75Sitzung/anlage2.pdf? blob=publicationFile). Diese Beurteilung wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach wie vor vertreten und seiner Entscheidungspraxis nach § 21 Abs. 4 AMG zugrunde gelegt sowie vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geteilt (https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/04_AntragstellerUnternehmen/13_FAQ/FAQ_Hanf_THC_CBD/FAQ_Cannabidiol_node.html). Auch bei der Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V des Betäubungsmittels THC/CBD Sativex® Spray (zur Anwendung in der Mundhöhle) durch den gemeinsamen Bundesausschuss wird davon ausgegangen, dass CBD verschiedene pharmakologische Wirkungen aufweise. Sie reichen von antipsychotrop, analgetisch, antikonvulsiv und anxiolytisch bis hin zu neuroprotektiv. CBD habe somit hochattraktive therapeutische Eigenschaften, z.B. für die Behandlung von Spastik und neuropathischen Schmerzen bei Multipler Sklerose (MS) (https://www.g-ba.de/downloads/92-975-2401/2018-04-24_Modul2_THC_CBD.pdf). Weiter hat sich der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) am 25. Juli 2019 für die Zulassung von Cannabidiol (CBD) ausgesprochen. Konkret soll das CBDhaltige Arzneimittel zur Behandlung von epileptischen Anfällen im Rahmen des Dravet-Syndroms (DS) und des Lennox-Gastaut-Syndroms (LGS) bei Kindern ab zwei Jahren eingesetzt werden (https://www.ema.europa.eu/en/documents/smop-initial/chmp-summary-positive-opinion-epidyolex_en.pdf).
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c. Weiter sind nach einem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Köln (U.v. 22.3.2022 – 7 K 954/20 – juris) CBD-Öle sowohl in der Stärke 4% als auch der Stärke 10% Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG und bedürfen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung. Dem Urteil lagen zwei Bescheide des BfArM zugrunde, die nach § 21 Abs. 4 AMG feststellten, dass es sich bei beiden Produkten um zulassungspflichtige Funktions- und Präsentationsarzneimittel handele. Für eine Einstufung als Funktionsarzneimittel streitet demnach bereits die Tatsache, dass seit 2019 mit dem Arzneimittel „Epidyolex 100 mg/ml Lösung zum Einnehmen“ ein Arzneimittel mit dem alleinigen Wirkstoff Cannabidiol zur Behandlung bestimmter Krampfanfälle in der EU zentral zugelassen ist. Die Existenz eines neu zugelassenen wirkstoffgleichen Arzneimittels, dessen Wirksamkeit in einem Zulassungsverfahren geprüft wurde, begründet zumindest die Vermutung dafür, dass derselbe Stoff in einem anderen Produkt ebenfalls pharmakologisch wirkt und diese Wirkung auch erheblich ist. Die Existenz wirkstoffgleicher zugelassener Arzneimittel mag zwar nicht allein und in jedem Fall zum Beleg der Eigenschaft als Funktionsarzneimittel herangezogen werden. Allerdings berechtigt eine im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren nachgewiesene therapeutische Wirksamkeit des Stoffs im Wege des Erst-Recht-Schlusses zu der Annahme einer (erheblichen) pharmakologischen und/oder metabolischen Wirkung (VG Köln, U.v. 22.3.2022 – 7 K 954/20 – juris, unter Hinweis auf OVG NRW, U.v. 26.9.2019 – 13 A 3290/17 – und – 13 A 3292/17 –, B.v. 27.1.2015 – 13 A 1872/14 – B.v. 27.1.2015 – 13 A 1872/14 – juris; BVerwG, U.v. 26.5.2009 – 3 C 5.09 – juris; U.v. 25.7.2007 – 3 C 21.06 – juris).
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Bei der gerade bei der Abgrenzung zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln in den Blick zu nehmenden Modalitäten des Gebrauchs eines Stoffes, des Umfangs seiner Verbreitung und seiner Bekanntheit bei Verbrauchern fällt zudem auf, dass eine andere Verwendung von CBD als diejenige als Heilmittel nicht zu identifizieren ist (VG Köln, U.v. 22.3.2022 – 7 K 954/20 – juris). Da ein ernährungsphysiologischer Nutzen von CBD bisher nicht bekannt ist oder – soweit erkennbar – diskutiert wird, muss davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher CBD-Produkte in erster Linie aus gesundheitlichen Gründen anwendet, also mit einer medizinischen Zweckbestimmung (vgl. Kraft/Schmidt, Ist Cannabidiol ein Lebensmittel, ZPT – Zeitschrift für Phytotherapie 2021; S. 82- 94; https://www.thieme-connect.com/products/ejournals
/abstract/10.1055/a-1336-6273).
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Soweit das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in seiner von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahme vom 24. Oktober 2022 zum Schluss kommt, dass die aktuell verfügbaren Daten nicht genügten, um eine pharmakologische Wirkung von CBD im Sinne des AMG und damit eine Einstufung als Funktionsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG haltbar zu stützen, so ist diese „sachverständige“ Äußerung nur wenig belastbar. Ist sie doch im streitgegenständlichen Verfahren nicht wiederholt worden. Vielmehr hat das LGL mit Schreiben vom 9. Februar 2023 ausgeführt, dass aus fachlicher Sicht nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft gegen die pharmakologische Wirkung von CBD keine stichhaltigen Einwände vorgebracht werden könnten. Nach Auffassung des LGL spreche somit aus fachlicher Sicht nichts dagegen, der Einschätzung des VG Köln und des BfArM zu folgen, dass es sich bei Produkten mit einer Dosierung >18 mg CBD pro Tagesdosis um Arzneimittel handele. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass das LGL nach § 1 Abs. 1 Satz 3 ZustVAMÜB als amtliche Arzneimitteluntersuchungsstelle (§ 64 Abs. 3 AMG) zuständig ist für die Untersuchung und Begutachtung amtlich entnommener Proben. Die Entscheidungsbefugnis für die Frage, ob es sich bei den Produkten um Arzneimittel handelt, liegt jedoch bei der bisher nicht beteiligten Arzneimittelüberwachungsbehörde (§ 2 Abs. 1 ZustVAMÜB) und damit hier bei der Regierung von Oberfranken.
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Der Umstand, dass bislang unklar ist, ab welcher Menge bei CBD von pharmakologischen Effekten auszugehen ist, führt nicht dazu, dass im Zweifel (lediglich) von einem Lebensmittel auszugehen ist. Zum einen sind die Arzneimittelbehörden verpflichtet, im Einzelfall eine klare Einordnung zu treffen, ob ein CBDhaltiges Produkt dem Regime des Arzneimittelrechts unterstellt wird oder nicht. Deshalb wäre es gerade hier im Hinblick auf die zumindest dem LGL bekannte Praxis der Bundesoberbehörden unerlässlich gewesen, dass sich zunächst die zuständige Arzneimittelbehörde mit den streitgegenständlichen Produkten befasst, eine vorläufige Entscheidung trifft und, soweit erforderlich, eine Entscheidung des BfArM nach § 21 Abs. 4 AMG herbeiführt. Zum anderen weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass im Online-Shop der Antragstellerin auf etwaige Dosiserhöhungen im eigenen Ermessen des Verbrauchers hingewiesen wurde (vgl. Screenshots zum Gutachten LGL vom 31.10.2022, S. 2), so dass hier ohnehin (auch) von hochdosierten Anwendungen auszugehen ist. Hinzu kommt, dass die orale Bioverfügbarkeit von CBD schlecht ist, sie beträgt nur ca. 6%. Moderne galenische Formulierungen (z. B. mittels Lipiden und Mikronisierung) verbessern die Bioverfügbarkeit jedoch erheblich und ermöglichen damit pharmakologische Effekte auch bei deutlich geringeren Dosen (vgl. Kraft/Schmidt, Ist Cannabidiol ein Lebensmittel, ZPT – Zeitschrift für Phytotherapie 2021; S. 90; https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1336-6273 unter Hinweis auf Grotenhermen F. Pharmakokinetik der Cannabinoide. In: Müller-Vahl KR, Grotenhermen F, Hrsg. Cannabis und Cannabinoid ein der Medizin. Berlin: Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2020: 75 -83). Letztendlich können unzureichende Kenntnisse der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik nicht dazu führen, einen potentiellen Arzneimittelstoff als Lebensmittel einzuordnen.
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d. Für die Einbeziehung der streitgegenständlichen CBD-Öle in das Regime des Arzneimittelrechts streiten zudem die geltend gemachten gesundheitlichen Risiken von CBD, die es gerade wegen der potentiell gesundheitsschädlichen Wirkungen rechtfertigen können, die Marktfreigabe für diesen Stoff nur dann zu erteilen, wenn im Rahmen der Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit im Zulassungsverfahren aufgrund einer Abwägung entschieden wird, unter welchen Voraussetzungen die Gesundheitsrisiken (im Sinne arzneilicher Nebenwirkungen) angesichts eines therapeutischen Nutzens der Substanz für bestimmte Krankheitsbilder hingenommen werden können. Nach den Angaben der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA liegen keine ausreichenden Daten über die Wirkungen von CBD auf die Leber, den Magen-Darm-Trakt, das endokrine System, das Nervensystem und das psychische Wohlbefinden der Menschen vor. Tierversuche zeigten zudem signifikante schädliche Wirkungen, insbesondere in Bezug auf die Fortpflanzung. Damit sei es wichtig festzustellen, ob diese Wirkungen auch beim Menschen zu beobachten sind (https://www.efsa.europa.eu/de /news/cannabidiol-novel-food-evaluations-hold-pending-new-data). In dieser Situation, in der vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines pharmakologisch wirksamen Erzeugnisses bestehen, ist es deshalb gerechtfertigt, es dem arzneimittelrechtlichen Regelungsregime zu unterwerfen (BVerwG, U.v. 7.11.2019 – 3 C 19.18 – LMuR 2020, 170 – Rn. 33; zum unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz, der Schutzmaßnahmen auch gegen potentielle Gesundheitsgefahren ermöglicht vgl. EuGH, U.v. 3.12.2015 – C-82/15 P – BeckRS 2015, 81898 Rn. 21).
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e. Letztlich muss in die Beurteilung auch die Grenzfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG einbezogen werden, wonach Arzneimittel auch Erzeugnisse sind, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung eines Arzneimittels fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Lebensmittels fallen können. Denn aufgrund ihres CBD-Gehalts bestehen an der Arzneimitteleigenschaft der streitgegenständlichen Produkte nach dem Vorgesagten keine durchgreifenden Zweifel.
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3. § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG als Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Anordnungen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin für den Erlass einer solchen arzneimittelrechtlichen Anordnung sachlich nicht zuständig wäre. Nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Arzneimittelüberwachungsbehörden und zum Vollzug des Samenspenderregistergesetzes sowie des Gendiagnostikgesetzes (Arzneimittelüberwachungszuständigkeitsverordnung – ZustVAMÜB, GVBl. 2013, 586) sind für Anordnungen in Vollzug des Arzneimittelgesetzes grundsätzlich die Regierungen von Oberbayern und Oberfranken sachlich zuständig. Ein Fall des § 2 Abs. 2 ff. ZustVAMÜB liegt hier nicht vor.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Für die Festsetzung eines vom Auffangstreitwert abweichenden Streitwertes ergeben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte. Der Streitwert der Hauptsache war nach § 52 Abs. 2 GKG für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.