VGH München, Beschluss v. 15.02.2023 – 24 ZB 22.2088
Titel:
Jagdrechtliche Eignung - Eignungsgutachten nach § 6 Abs. 2 WaffG
Normenketten:
BJagdG § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
WaffG § 6 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2
AWaffV § 4 Abs. 5
Leitsätze:
1. Es widerspricht § 6 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 WaffG, Personen die waffenrechtliche Eignung deshalb abzusprechen, weil sie irgendwann in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung oder auch eine Alkoholabhängigkeit aufwiesen, unabhängig davon, wie lange diese Krankheitsbilder zurückliegen und/oder ob diese noch Medikamente nehmen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Waffenbehörde ist nicht verpflichtet, dem Antragsteller allein aufgrund der ihm durch den Gutachter attestierten waffenrechtlichen Eignung den Jagdschein zu erteilen, da es keinen Anerkennungsautomatismus hinsichtlich des Ergebnisses eines Gutachtens gibt. Letztlich hat die Waffenbehörde die rechtlich relevante und gerichtlich voll überprüfbare Entscheidung über das Vorliegen der Eignung zu treffen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Gutachten über die waffenrechtlichen Eignung ist nicht bereits deswegen widersprüchlich, weil der Gutachter einerseits den Antragsteller, der psychisch erkrankt war, wieder für waffenrechtlich geeignet hält und andererseits Ausführungen zur Rückfallprophylaxe macht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Liegen der Waffenbehörde nicht genügend Erkenntnisse vor, auf die die erforderliche Gefahrenprognose nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG gestützt werden kann, liegt keine Gefahr, sondern allenfalls eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor, der für die Annahme einer fehlenden waffenrechtlichen Eignung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG nicht genügt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Jagdrechtliche Eignung, Eignungsgutachten gem. § 6 Abs. 2 WaffG, Remittierte Psychose, Waffenrechtliche Eignung, Persönliche Eignung, Eignungsgutachten, Freiburger Persönlichkeitsinventar, psychische Erkrankung, Gefahrenprognose, Waffenbehörde
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 05.07.2022 – Au 8 K 22.342
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2792
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 8.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Beklagte wendet sich gegen die Verpflichtung, dem Kläger einen Jagdschein zu erteilen.
2
Mit Bescheid vom 19. November 2018 widerrief der Beklagte die dem Kläger am 20. März 2001 und am 22. April 2004 ausgestellten Waffenbesitzkarten sowie den am 9. April 2013 ausgestellten Jagdschein, zuletzt gültig bis zum 31. März 2020. Anlass hierfür war seine Unterbringung in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik wegen einer paranoiden Schizophrenie (F 20.0), in der er sich vom 26. Februar bis zum 23. März 2018 befand, wobei der Kläger bereits schon einmal – vom 12. bis zum 25. November 2015 – in einer psychiatrischen Klinik wegen einer akuten schizophrenieformen psychotischen Störung (F 23.2) und einer paranoiden Schizophrenie (F 20.0) untergebracht war.
3
Am 15. März 2021 beantragte der Kläger erneut die Erteilung eines Jagdscheines. Zusammen mit dem Antrag legte er ein Gutachten vom 5. Juli 2021 vor, in dem der psychologische Psychotherapeut L. ausführte, dass der Kläger die geistige und körperliche Eignung zur Ausübung der Jagd gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG besitze. Im Zeitpunkt der Untersuchung könne beim Kläger keine Nichteignung im Sinne des § 6 WaffG, § 4 AWaffV festgestellt werden.
4
Nachdem die Waffenbehörde dem Kläger mit Schreiben vom 19. August 2021 mitgeteilt hatte, sie beabsichtige dennoch, die Wiedererteilung des Jagdscheines abzulehnen, da in dem Gutachten ausgeführt werde, dass sich der Kläger in Stresssituationen in psychologische Beratung begeben und notfalls auch das Medikament Olanzapin einnehmen werde, dies jedoch zu einem Restrisiko führe, welches im Waffenrecht nicht hingenommen werden könne, legte der Kläger eine „Ergänzung zum Gutachten“ vom 26. August 2021 vor. Damit führt der Gutachter aus, dass bei dem Kläger seit seiner letzten Exazerbation am 26. Februar 2018 keine erneute Anflutung von Unruhe mehr erfolgt sei. Nur für den unwahrscheinlichen Fall des Wiederauftretens der Symptome habe er ein gutes Konzept der Abwendung eines floriden Geschehens entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens massiver Symptome sei durch die gute Prophylaxe mit der Wahrscheinlichkeit des Auftretens solcher Symptome in der Allgemeinbevölkerung vergleichbar. Für den unwahrscheinlichen Fall eines erneuten Auftretens werde der Kläger seine Waffen – auch ohne behördliches Eingreifen – auf Jagdkameraden übertragen.
5
Mit Bescheid vom 26. Januar 2022 lehnte der Beklagte den Antrag auf Neuerteilung des Jagdscheines ab. Die persönliche Eignung des Klägers zum Umgang und Besitz mit Waffen und Munition gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG sei nicht gegeben. Zwar bestätige das Gutachten vom 5. Juli 2021, dass der Kläger im Sinne des § 6 WaffG geeignet sei, mit Waffen und Munition umzugehen und dass er die geistige und körperliche Eignung zur Ausübung der Jagd besitze. Es werde dort jedoch auch festgestellt, dass sich der Kläger im Rahmen einer erarbeiteten Rückfallprophylaxe erforderlichenfalls in psychologische Beratung begeben und in diesem Fall erneut das für ihn gut verträgliche Medikament Olanzapin einnehmen werde. Damit werde die erforderliche Feststellung einer uneingeschränkten und eindeutigen waffenrechtlichen Eignung des Klägers nicht getroffen. Bei dem Kläger lägen Gesundheitsstörungen vor, die einen negativen Einfluss auf den Umgang mit Waffen haben könnten. Waffenmissbrauch begingen vor allem Personen, die in von Emotionen geprägten Situationen zu unbeherrschtem Verhalten und zu affektiven Handlungen neigen würden. Es bestünde beim Kläger beim Umgang mit Waffen und Munition eventuell eine konkrete Gefahr einer Eigen- und Fremdgefährdung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG.
6
Auf seine Klage hin verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Urteil vom 5. Juli 2022, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2022, dem Kläger den von ihm beantragten Dreijahresjagdschein zu erteilen. Der Kläger besitze zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des im Rahmen der Beantragung des Jagdscheins vorgelegten Gutachtens vom 5. Juli 2021 die persönliche Eignung gemäß § 6 WaffG bzw. die körperliche Eignung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BJagdG zur Erteilung eines Jagdscheins. Eine konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung liege ausweislich des genannten Gutachtens, das die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 AWaffV erfülle und entgegen der Ansicht des Beklagten nicht widersprüchlich oder in sich unstimmig sei, nicht vor.
7
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – beantragte am 12. September 2022 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei das Gutachten nicht geeignet, die Zweifel der Waffenbehörde an der persönlichen Eignung des Klägers auszuräumen. Soweit im Gutachten von einer stabilen Remission des Klägers ausgegangen werde, sei zu bedenken, dass „Remission“ das vorübergehende und dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen körperlicher bzw. psychischer Natur bedeute, also einen Stillstand der Erkrankung ohne Erreichen eines gesunden Zustandes. Beim Kläger lägen damit weiterhin Gesundheitsstörungen vor, die einen negativen Einfluss auf den Umgang mit Waffen haben könnten. In Ausübung der Grundsätze, dass es dem Kläger obliege, Bedenken gegen seine Eignung auszuräumen, habe die Waffenbehörde das Gutachten auf Schlüssigkeit geprüft und insbesondere aufgrund der Ausführungen zur Rückfallprophylaxe festgestellt, dass sich aus dem Gutachten kein eindeutiges Urteil zur Eignung des Klägers ergebe.
8
Der Kläger tritt dem Antrag entgegen und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Behördenakten Bezug genommen.
II.
10
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
11
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016,1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.).
12
In Ansehung des Zulassungsvorbringens bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des vorgelegten Gutachtens vom 5. Juli 2021 die persönliche Eignung gemäß § 6 WaffG für die Erteilung eines Jagdscheines besitzt und eine konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung ausweislich des Gutachtens nicht vorliegt. Der Senat folgt daher den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
13
Rechtsgrundlage für eine Versagung des Jagdscheines ist § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 Bundesjagdgesetz (BJagdG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1976 (BGBl I S. 2849), zuletzt geändert durch Art. 291 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl I S. 1328), i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Waffengesetz (WaffG) vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl I S. 1328), wonach Personen der Jagdschein zu versagen ist, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die erforderliche Zuverlässigkeit oder körperliche Eignung nicht besitzen. Die erforderliche persönliche Eignung besitzen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 WaffG Personen nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie abhängig von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln, psychisch krank oder debil sind (Nr. 2) oder aufgrund in der Person liegender Umstände mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren können oder dass die konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung besteht (Nr. 3).
14
1. Soweit der Beklagte gegen den Waffenbesitz des Klägers einwendet, bei diesem lägen weiterhin Gesundheitsstörungen vor, die einen negativen Einfluss auf den Umgang mit Waffen haben könnten, dringt er nicht durch.
15
Der Beklagte weist zur Stützung dieser These darauf hin, dass Waffenmissbrauch vor allem von Personen begangen würde, die in von Emotionen geprägten Situationen zu unbeherrschten Verhalten und zu affektiven Handlungen neigen. Dass der Kläger zu affektiven Handlungen neige oder in emotionalen Situationen ein unbeherrschtes Verhalten an den Tag lege, wie vom Beklagten unterstellt, lässt sich dem Gutachten des Diplom-Psychologen aber in keiner Weise entnehmen. Die Testergebnisse, die auf dem sog. Freiburger-Persönlichkeits-Inventar beruhen, zeigen vielmehr insgesamt unauffällige Befunde, liegen also überwiegend im durchschnittlichen Bereich. So lag der sogenannte Stanine-Wert, der die Stellung des Einzelnen in der Gruppe angibt, bei dem Persönlichkeitsmerkmale der Erregbarkeit bei dem Kläger bei dem Wert vier, bei dem Persönlichkeitsmerkmale der Emotionalität bei sechs, wobei laut Gutachter der Durchschnittswert „nach Konvention als 4-6 eingegrenzt“ werden könne. Weiter führt der Gutachter aus, der Kläger sei gelassen, selbstbeherrscht und psychosomatisch eher wenig belastet. Auch der zusätzlich durchgeführte Befindlichkeitstest sei bei dem Kläger absolut unauffällig verlaufen. Die von der Waffenbehörde vorgetragenen Charaktermerkmale des Klägers – dessen erhöhte Emotionalität und Unbeherrschbarkeit – lassen sich damit nicht auf das Gutachten stützen.
16
Der Gutachter, der den Auftrag hatte festzustellen, ob der Kläger nach § 6 WaffG die erforderliche persönliche Eignung zum Umgang mit Waffen besitzt, kam vielmehr konträr zu der vorgetragenen Behauptung des Beklagten zu dem eindeutigen und uneingeschränkten Ergebnis, dass bei dem Kläger nunmehr ein gesunder Zustand eingetreten sei, in dem dieser über die charakterlichen, physischen und ethischen Voraussetzungen verfüge, wie sie für Führerschein, Jagdschein bzw. die Waffenbesitzkarte Voraussetzung seien. Es könne keine Nichteignung im Sinne der behandelten Fragestellung festgestellt werden, sodass dieser gemäß im Sinne des § 6 WaffG geeignet sei zum Umgang mit Waffen und Munition und folglich auch die geistige und körperliche Eignung zur Ausübung der Jagd gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG besitze.
17
Auch die Ausführungen in der Zulassungsbegründung, dass aufgrund der bisherigen Vorkommnisse nicht davon auszugehen sei, dass der Kläger, sollte er erneut in eine Stresssituation geraten, noch die Einsicht besitze, seine Waffen abzugeben zumal in akuten Phasen Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis des Patienten gestört seien und Wahnvorstellungen auftreten, überzeugen nicht. Woraus der Beklagte die Erkenntnis nimmt, wie sich der Kläger in Stresssituationen verhalten wird, ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. Jedenfalls ergibt sich ein solches Verhalten aus dem Gutachten gerade nicht. Der Gutachter führt in seinem Gutachten sowie in dessen Ergänzung hierzu vielmehr ausdrücklich aus, dass der Kläger über eine äußerst gute Rückfallprophylaxe verfüge, sodass keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür gegeben sei, dass er erneut in Stresssituationen kommen werde, und dass zudem auch keine konkrete Gefahr für eine Fremd- oder Selbstgefährdung bestehe.
18
Soweit der Beklage allgemein argumentiert, die dem Kläger attestierte stabile Remission bedeute nur einen Stillstand der Erkrankung ohne Erreichen eines gesunden Zustandes, weshalb die Krankheit weiterhin einen negativen Einfluss auf den Umgang des Klägers mit Waffen haben könne, überzeugt seine Argumentation nicht. Denn mit dieser Argumentation spricht der Beklagte letztlich all jenen Personen die waffenrechtliche Eignung ab, die irgendwann in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung oder auch eine Alkoholabhängigkeit aufwiesen, unabhängig davon, wie lange diese Krankheitsbilder zurückliegen und/oder ob diese noch Medikamente nehmen. Denn den meisten der psychischen Krankheiten ist gemein, dass bei diesen nie eine vollständige Heilung eintritt, sondern maximal der Zustand der Remission erreicht werden kann. All jenen Personen generell die waffenrechtliche Eignung abzusprechen, lässt sich nach Auffassung des erkennenden Senats dem § 6 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 WaffG jedoch nicht entnehmen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 WaffG. Diese Bestimmung regelt, dass dann, wenn Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die persönliche Eignung nach Absatz 1 begründen, die zuständige Behörde der betroffenen Person auf Kosten der betroffenen Person die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige oder körperliche Eignung aufzugeben hat. Absatz 2 verweist insofern umfassend auf „Bedenken gegen die persönliche Eignung nach Absatz 1“, nimmt also insbesondere die in § 6 Abs. 1 Nr. 2 WaffG genannten körperlichen Beeinträchtigungen nicht aus. Wie der Beklagte aber ausführt, ist bei psychischen Krankheiten ebenso wie bei einer Abhängigkeit von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln eine Heilung im engeren Sinne nicht möglich. Dennoch hat der Gesetzgeber diesen Personen nicht generell die waffenrechtliche Eignung abgesprochen, sondern hat in diesen Fällen die Vorlage eines Attestes gem. § 6 Abs. 2 WaffG angeordnet.
19
2. Den Einwand des Beklagten, das verfahrensgegenständliche Gutachten sei nicht geeignet, die Zweifel der Waffenbehörde an der waffenrechtlichen Eignung des Klägers auszuräumen, da es widersprüchlich sei, hat das Verwaltungsgericht nach Ansicht des erkennenden Senates zutreffend verneint.
20
2.1. Das Gutachten entspricht den Voraussetzungen des § 4 Allgemeine WaffG-Verordnung (AWaffV) vom 27. Oktober 2003 (BGBl I S. 2123), zuletzt geändert durch Art. 1 Waffenrechtsänderungsverordnung vom 1.9.2020 (BGBl I S. 1977), und genügt nach Ansicht des erkennenden Senats den anerkannten Mindeststandards für Gutachten. Auch die Waffenbehörde hat im verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 26. Januar 2022 weder die Fachkunde des Gutachters noch die angewandten Methoden oder die Testverfahren in Abrede gestellt.
21
Der Gutachter hat vorliegend die bei der Erstellung des Gutachtens angewandte Methode – das Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-A), das zu den am häufigsten eingesetzten Testverfahren zählt – angegeben, führt die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Daten (Exploration) auf und zieht Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der verwendeten Testverfahren, aus dem Gesundheitszustand und den relevanten Vorerkrankungen des Klägers, dessen sozialen Umfeld und dem psychologischen Entwicklungsstand und gibt zusammenfassend im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AWaffV darüber Auskunft, dass der Kläger nach Ansicht des Gutachters persönlich geeignet ist, mit Waffen und Munition umzugehen. Durch die Aufzeigung der Untersuchungsmethode (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AWaffV) wurde der zuständigen Waffenbehörde allgemeinverständlich und in groben Zügen das gutachterliche Vorgehen offengelegt. Die Begutachtung ist nachvollziehbar und transparent. Der Gutachter hat die Anknüpfungs- und Befundtatsachen klar und vollständig dargestellt, seine Untersuchungsmethoden erläutert und seine Hypothesen offengelegt (BGH, U.v. 30.7.1999 – 1 StR 618798 – BGHSt 45,164 – juris Rn. 47 f.). Auf dieser Grundlage hat er eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige Legalverhalten des Klägers getroffen, wodurch die Waffenbehörde in die Lage versetzt wurde, die Rechtsfrage der waffenrechtlichen Eignung eigenverantwortlich zu beantworten (vgl. BVerfG, B.v. 14.1.2005 – 2 BvR 983/04 – juris Rn. 16; Boetticher/Kröber/Müller-Isberner/Böhm/Müller-Metz/Wolf, Mindestanforderungen für Prognosegutachten, NStZ 2006, 537 ff.).
22
2.2. Insbesondere kann auch eine Widersprüchlichkeit des Gutachtens, die es rechtfertigen würde, weiterhin Zweifel an der waffenrechtlichen Eignung des Klägers zu begründen, in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht nicht gesehen werden.
23
Zwar ist die Waffenbehörde nicht verpflichtet, dem Kläger allein aufgrund der ihm durch den Gutachter attestierten waffenrechtlichen Eignung den Jagdschein zu erteilen, da es keinen Anerkennungsautomatismus hinsichtlich des Ergebnisses eines Gutachtens gibt. Letztlich hat also weiterhin die Waffenbehörde die rechtlich relevante und gerichtlich voll überprüfbare Entscheidung über das Vorliegen der Eignung zu treffen (vgl. Begründung des Bundesministeriums des Innern zu AWaffV, BR-Drs. 415/03 S. 40). Im vorliegenden Fall ist aber entgegen der Ansicht des Beklagten das Gutachten nicht bereits deswegen widersprüchlich, weil der Gutachter einerseits den Kläger für waffenrechtlich geeignet hält und andererseits Ausführungen zur Rückfallprophylaxe macht.
24
Die Waffenbehörde führt in dem Bescheid aus, dass dem Gutachten deswegen kein eindeutiges Urteil hinsichtlich der Eignung oder Nichteignung zu entnehmen sei, da im Gutachten zwar bestätigt werde, dass der Kläger im Sinne des § 6 WaffG geeignet sei, jedoch gleichzeitig festgestellt werde, dass er im Rahmen einer erarbeiteten Rückfallprophylaxe sich erforderlichenfalls in psychologische Beratung begeben und dann erneut das für ihn gut verträgliche Medikament Olanzapin einnehmen werde. Damit werde die erforderliche Feststellung einer uneingeschränkten und eindeutigen waffenrechtlichen Eignung des Antragstellers nicht getroffen.
25
Diese Argumentation überzeugt nicht. Der sachverständige Gutachter hat auf ausdrückliche Nachfrage des Klägers in seiner „Ergänzung zum Gutachten“ vom 26. August 2021 zu der Problematik der Widersprüchlichkeit hinsichtlich der aufgezeigten Rückfallprophylaxe dezidiert Stellung genommen. Auf Vorhalt der Zweideutigkeit seines Ergebnisses bleibt der Gutachter bei seiner sich aus den Testverfahren ergebenden Schlussfolgerung, dass er den Kläger zum Führen von Jagdwaffen für uneingeschränkt geeignet halte. Zur Begründung dieser Auffassung führte er überzeugend aus, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens massiver Symptome bei dem Kläger durch die gute Prophylaxe mit der Wahrscheinlichkeit des Auftretens solcher Symptome in der Allgemeinbevölkerung vergleichbar erscheine. Insbesondere sei seit Februar 2018 keine Anflutung von Unruhe mehr erfolgt, er sei ohne Zuhilfenahme von Medikamenten folglich seit mehr als drei Jahren ohne die beschriebenen Symptome. Das Verwaltungsgericht kommt daher zutreffend zu dem Ergebnis, dass der Gutachter in der Gesamtschau nachvollziehbar dargestellt und umfangreich erläutert hat, weshalb er den Kläger für uneingeschränkt geeignet zum Führen von Jagdwaffen hält und, dass nichts dagegenspreche, dem Kläger den uneingeschränkten Zugriff auf seine Waffen wieder zu ermöglichen. Die geäußerten Zweifel der Behörde an den in dem Gutachten getroffenen Schlussfolgerungen wurden damit in dem ergänzenden Gutachten uneingeschränkt ausgeräumt. Widersprüche können hierin nicht gesehen werden.
26
Auch soweit der Beklagte in der Zulassungsbegründung ausführt, das Verwaltungsgericht verkenne, dass die vom Kläger erarbeiteten Strategien zur Vermeidung eines Rückfalles eine Einsicht in die Krankheit voraussetzen würden, die Patienten, die an Schizophrenie leiden, gerade fehle, geht der Einwand ins Leere. Denn der Gutachter spricht gerade davon, dass bei dem Kläger ein gesunder Zustand eingetreten sei, dieser also gerade nicht mehr an Schizophrenie leide und der Kläger insbesondere auch eine Einsicht in seine Krankheit in dem Sinne habe, dass er aufgrund seiner verhaltenstherapeutischen Behandlung eine erhöhte Sensibilität im Hinblick auf erste Anzeichen einer möglichen gesundheitlichen Verschlechterung besitze. Gerade aufgrund der dargestellten stabilen Rückfallprophylaxe bestehe daher nach Ansicht des Gutachters keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut in eine fluide Phase der Schizophrenie kommen werde. Ausführungen des Beklagten dahingehend, ob Patienten allgemein, die an Schizophrenie leiden, eine Einsicht in die Krankheit besitzen, gehen daher fehl.
27
Zusammenfassend ist daher nach Auffassung des Senats das vorgelegte Gutachten geeignet, die Zweifel der Waffenbehörde an der persönlichen Eignung des Klägers nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG und an der körperlichen Eignung nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 BJagdG auszuräumen
28
2. Die Argumentation der Waffenbehörde, bei dem Kläger lägen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG vor, da bei diesem beim Umgang mit Waffen und Munition eine konkrete Gefahr einer Eigenund Fremdgefährdung bestehe, verfängt nicht.
29
Nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WaffG besitzen Personen die erforderliche persönliche Eignung unter anderem dann nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass aufgrund in der Person liegender Umstände die konkrete Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung besteht. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.
30
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine konkrete Gefahr gegeben, wenn irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 11 ZB 22.157 – juris Rn. 11). Erforderlich ist eine Prognose, die an für die Vergangenheit festgestellte Tatsachen anknüpft (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 37.09 – BVerwGE 138, 21 – juris Rn 28). Es müssen hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen (BVerwG, B.v. 18.12.2002 – 6 CN 1.02 – juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 7.4.2004 – 24 CS 04.53 – juris Rn. 21 m.w.N.). Der Gesetzgeber, der allein befugt ist unter Abwägung der widerstreitenden Interessen die Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe zu schaffen, mit denen Risiken vermindert werden sollen, hat vorliegend also die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts als Tatbestandsvoraussetzungen genannt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
31
Denn in dem Gutachten kommt der Diplom-Psychologe zu dem Ergebnis, dass der Kläger zum Untersuchungszeitpunkt frei von selbst- oder fremdgefährdenden Impulsen sei und nichts dagegenspreche, dem Kläger den uneingeschränkten Zugang zu seinen Waffen zu ermöglichen. Es wird ausgeführt, das Krankheitsbild des Klägers sei soweit abgeklungen, dass keine unmittelbare Gefahr mehr für ihnund andere bestehe. Legt man diese Erkenntnisse zugrunde, sind keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts vorhanden. Hiervon geht offensichtlich auch die Waffenbehörde nicht aus, nachdem sie in dem verfahrensgegenständlichen Bescheid bereits zurückhaltend formulierte, dass „eventuell“ eine konkrete Gefahr der Fremd- und Eigengefährdung bestehe. Aus der Wortwahl wird vielmehr deutlich, dass auch die Waffenbehörde davon ausgeht, dass nicht genügend Erkenntnisse vorliegen, auf die die erforderliche Gefahrenprognose nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG gestützt werden kann. Liegen der Waffenbehörde aber nicht genügend Erkenntnisse vor, auf die die erforderliche Gefahrenprognose gestützt werden kann, liegt keine Gefahr, sondern – allenfalls – eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor, der für die Annahme einer fehlenden waffenrechtlichen Eignung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG nicht genügt (BVerwG, U.v. 10.10.2002 – 6 C 1.02 – juris Rn. 40).
32
3. Der Beklagte wendet schließlich gegen das Gutachten ein, es sei ungewiss, ob der Kläger die Gewähr dafür bietet, dass er nach dem Maßstab des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 WaffG „jederzeit und in jeder Hinsicht“ mit Waffen und Munition vorsichtig und sachgemäß umgehen wird, da der Gutachter ausgeführt habe, die in dem Gutachten gemachten Aussagen bezögen sich „ausschließlich auf den Tag der Begutachtung bzw. den Zeitraum vor der Untersuchung“. Auch mit dieser Argumentation vermag der Beklagte nicht die Schlussfolgerungen des Gutachtens – die Geeignetheit des Klägers – in Frage zu stellen.
33
Ausgehend von dem Gesetzestext der §§ 6 Abs. 2 WaffG und 4 Abs. 5 AWaffV hat der Gutachter die zu untersuchende Fragestellung wie folgt formuliert: „Liegt zum Zeitpunkt der Begutachtung nachweislich eine Nichteignung seitens des Klienten in Bezug auf den Umgang mit (großkalibrigen) Schusswaffen und Munition im Sinne des Waffengesetzes vor? Besteht im vorliegenden Fall insbesondere die Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdgefährdung?“. In Umsetzung der Fragestellung führt er weiter aus, dass ausschließlich untersucht werde, ob zum Zeitpunkt der Untersuchung eine nachweisliche Nichteignung im Sinne des § 6 WaffG und § 4 AWaffV vorliegt.
34
Diese dem Gutachten zugrunde gelegte Fragestellung hat die Waffenbehörde zum einen nie beanstandet. Zum anderen handelt es sich, soweit die persönliche Eignung des Klägers im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 WaffG zu klären ist, namentlich ob der Kläger psychisch krank ist, bereits nicht um eine zu treffende Prognoseentscheidung. Nach dieser Vorschrift ist ausschließlich zu prüfen, ob im Zeitpunkt der Erteilung des beantragten Waffenscheines die in dieser Vorschrift beschriebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen. Ist dies der Fall, so erübrigt sich eine Prognoseentscheidung in Bezug auf den Aspekt einer ordnungsgemäßen Ausübung der Jagd. Vielmehr geht der Gesetzgeber in diesem Fall davon aus, dass dann zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren beim Umgang mit Waffen und Munition eine Waffenbesitzkarte oder Jagdscheines nicht erteilt werden kann. Wie oben dargelegt liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 WaffG bei dem Kläger bereits nicht vor.
35
Anders ist dies bei § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG. Diese Vorschrift verlangt eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen also – im Zeitpunkt der Begutachtung – hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den – in der Zukunft – drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Der Gutachter hat hier also auf Grundlage der durchgeführten Testverfahren eine Einschätzung des zukünftigen Verhaltens des Klägers, insbesondere hinsichtlich der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Fremd- oder Eigengefährdung und der Wahrscheinlichkeit des sachgemäßen Umgangs mit Waffen, zu treffen (vgl. zur Prognoseentscheidung Lorz/Metzger, Jagdrecht/Fischereirecht, 5. Aufl. 2022, § 17 BJagdG, Rn. 9 ff.; Kröber/Brettel/Rettenberger/Stübner, Empfehlungen für Prognosegutachten, NStZ 2019, 574 ff.). Vorliegend kam der Gutachter im maßgeblichen Zeitpunkt der Begutachtung zu dem Ergebnis, dass der Kläger sowohl frei von selbst- oder fremdgefährdenden Impulsen sei und das Krankheitsbild des Klägers auch soweit abgeklungen sei, dass – insoweit trifft der Gutachter eine Prognoseentscheidung – keine unmittelbare Gefahr für sich und andere bestehe, also keine hinreichende Gefahr einer zukünftigen nicht sachgemäßen Verwendung von Waffen bestehe.
36
4. Der Streitwert folgt aus § 47 Abs. 3 und Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 20.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
37
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).