VGH München, Beschluss v. 12.01.2023 – 1 ZB 22.1764
Titel:
Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans
Normenkette:
BayBO Art. 76 S. 1
Leitsatz:
Geänderte Planungsabsichten der Stadt (ggf. auch eine notwendige Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gem. § 12 Abs. 6 S. 1 BauGB) führen vor ihrer rechtswirksamen Umsetzung in einem neuen Bebauungsplan nicht zur Unwirksamkeit des alten Bebauungsplans. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Lagerplatz, Entgegenstehende Festsetzungen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, Keine Funktionslosigkeit, Funktionslosigkeit, vorhabenbezogener Bebauungsplan
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.05.2022 – M 11 K 18.3789
Fundstelle:
BeckRS 2023, 236
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Beseitigungsanordnung für einen Lagerplatz.
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Bei den betroffenen Grundstücken handelt es sich um ein ehemaliges Kiesabbaugelände, der Kiesabbau war 2007 beendet und die Fläche wurde aufgefüllt. Rekultivierungsmaßnahmen fanden entgegen dem vorliegenden Genehmigungsbescheid nicht statt, sondern die Grundstücke wurden in großen Teilen als Umschlagplatz für Kies und für die Lagerung verschiedener Materialien, u.a. Bauschutt, genutzt. Am 16. Mai 2013 beschloss die Stadt Starnberg für das Gelände den vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 7306 „Solarpark H.“ als Satzung und machte ihn am 12. Juni 2013 bekannt. Der überwiegende Teil des Plangebiets ist als Sondergebiet Freiflächen-Photovoltaikanlage festgesetzt, im Osten wird eine Fläche für die Rekultivierung gemäß dem Baugenehmigungsbescheid bestimmt. Diese Planung wurde bisher nicht verwirklicht, sondern die Fläche weiter von der Klägerin als Lagerplatz genutzt.
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Mit Bescheid vom 6. Juli 2018 forderte das Landratsamt die Klägerin auf, den errichteten Lagerplatz bis zum 31. August 2018 restlos und auf Dauer zu beseitigen und verpflichtete die Eigentümer der Grundstücke, soweit nicht die Klägerin selbst Eigentümerin ist, diese Maßnahme zu dulden.
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Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Mai 2022 ab. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Lagerplatz sei weder genehmigt noch genehmigungsfähig, er widerspreche den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Das behördliche Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden, die Befugnis zum bauaufsichtlichen Einschreiten könne weder verjähren noch verwirkt werden.
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Mit dem Zulassungsantrag wird geltend gemacht, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass der Solarpark errichtet werde. Dies sei den Verantwortlichen der Stadt bewusst, ein Beschluss über die Änderung des Bebauungsplans sei in Kürze zu erwarten. Im Rahmen des Verfahrens werde die Stadt der Nutzung des Grundstücks, zumindest auf einen beschränkten Zeitraum von einigen Jahren, zustimmen. Es beständen damit ernstliche Zweifel an dem Urteil des Verwaltungsgerichts. Der Bebauungsplan sei überholt, er entspreche schon seit Jahren nicht mehr den Planungsabsichten der Stadt. Mit der Entscheidung der Stadt, den Bebauungsplan zu ändern, habe sich die Sach- und Rechtslage verändert.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen.
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Am 24. November 2022 hat der Bauausschuss den Beschluss gefasst, den Bebauungsplan Nr. 7306 zu ändern, um einen bestehenden Lagerplatz für Steine, Erden und weiteres Baumaterial sowie die erforderlichen Flächen für Eingrünung und Ausgleichsmaßnahmen planungsrechtlich zu sichern. Der Aufstellungsbeschluss wurde am 14. Dezember 2022 bekannt gemacht.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
9
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19 - juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist, insbesondere dem bestehenden Lagerplatz die Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 2 BauGB entgegenstehen.
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Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung baulicher Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die Vereinbarkeit der Anlage mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften beurteilt sich dabei grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 11.8.1992 - 4 B 161.92 - NVwZ 1993, 476; offen gelassen für rechtserhebliche Änderungen nach Erlass der Beseitigungsanordnung in BVerwG, U.v. 12.12.2013 - 4 C 15.12 - NVwZ 2014, 454). Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der vorhabenbezogene Bebauungsplan materiell überholt sei, ist der Bebauungsplan durch die Nichtverwirklichung des Solarparks weder zum Zeitpunkt des Erlasses der Beseitigungsanordnung funktionslos gewesen noch hat sich die Sachlage mit der geltend gemachten Bereitschaft der Stadt zur Änderung des Bebauungsplans und letztlich dem Aufstellungsbeschluss vom 24. November 2022 entscheidend geändert. Die Frage der Berücksichtigung von rechtserheblichen Änderungen nach Erlass der Beseitigungsanordnung braucht daher ebenso wenig entschieden werden wie die Frage, ob der Aufstellungsbeschluss nach dem Ablauf der Begründungsfrist als neue Tatsache oder als Vertiefung des rechtzeitigen Vorbringens noch berücksichtigt werden kann.
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Ein Bebauungsplan kann funktionslos werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich so verändert hat, dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint. Bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit eines Plans führen nicht zur seiner Funktionslosigkeit; er tritt nur außer Kraft, wenn offenkundig ist, dass er als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr tauglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 - 4 B 22.10 - BauR 2010, 2060; U.v. 18.11.2004 - 4 CN 11.03 - BVerwGE 122, 207). Bebauungspläne können nur in äußerst seltenen Fällen funktionslos sein (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1998 - 4 CN 3.97 - BVerwGE 108, 71). Die bloße Änderung der Planungsabsichten - darunter fällt auch die Abkehr von einer planerischen Grundkonzeption - kann nicht schon zur Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans führen. Ursächlich für das Außerkrafttreten eines Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit kann nur ein in der tatsächlichen Entwicklung eingetretener Zustand sein, der es auf unabsehbare Zeit ausschließt, die planerische Gesamtkonzeption oder das mit einer Festsetzung verfolgte Planungsziel zu verwirklichen. Allein die Änderung oder Aufgabe planerischer Absichten erfüllt diese im Wandel der tatsächlichen Verhältnisse liegende Voraussetzung noch nicht (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.1997 - 4 B 6.97 - NVwZ-RR 1997, 513; U.v. 17.6.1993 - 4 C 7.91 - NVwZ 1994, 281).
13
Mit dem Zulassungsantrag werden keine Umstände dargelegt, die einer Planverwirklichung objektiv entgegenstehen. Vorliegend handelt es sich um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan, der voraussetzt, dass ein Vorhabenträger auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist verpflichtet (vgl. § 12 BauGB). Der pauschale Vortrag, dass spätestens zwei Jahre nach dem Erlass des vorhabenbezogenen Bebauungsplans - auch nach Übernahme des Projekts durch einen anderen Investor - festgestanden habe, dass der Bebauungsplan überholt sei, kann daher nicht nachvollzogen werden. Geänderte Planungsabsichten der Stadt (ggf. auch eine notwendige Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gemäß § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB) führen vor ihrer rechtswirksamen Umsetzung in einem neuen Bebauungsplan nicht zur Unwirksamkeit des alten Bebauungsplans.
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Soweit die Klägerin mit der geänderten Sachlage auch geltend machen will, dass eine Genehmigungsfähigkeit des Lagerplatzes nach den aktuellen Planungsabsichten der Stadt in Betracht kommt, hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass von einer Planreife gemäß § 33 BauGB mit dem Aufstellungsbeschluss nicht die Rede sein kann. Im Übrigen dürften der geplanten Änderung des Bebauungsplans gewichtige öffentliche Belange entgegenstehen. Auch kommt das in der Bekanntmachung genannte beschleunigte Verfahren gemäß § 13b BauGB, dass nur für Wohnnutzungen zulässig ist und einen Anschluss des Plangebiets an im Zusammenhang bebaute Ortsteile voraussetzt, nicht in Betracht.
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Weiter begründet der Vortrag, dass die Stadt im Rahmen der Bebauungsplanänderung der Nutzung des Grundstücks als Lagerplatz, zumindest auf einen beschränkten Zeitraum von einigen Jahren, zustimmen werde, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Auf eine möglicherweise bestehende „Duldungsabsicht“ der Stadt kommt es nicht an, die Bauaufsicht erfolgt durch das Landratsamt.
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Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).