BayObLG, Beschluss v. 19.01.2023 – 207 StRR 2/23
Titel:

Voraussetzungen der sicheren Übermittlung über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach; Anforderungen an Wiedereinsetzung

Normenkette:
StPO § 32a Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die sichere Übermittlung über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach gemäß § 32a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 StPO muss das Dokument über das Postfach desjenigen Verteidigers oder Rechtsanwalts übertragen werden, dessen Name als Signatur in der Schrift als verantwortende Person aufgeführt ist. (Rn. 2) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Es ist im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrages ausnahmsweise ausreichend, wenn der Verteidiger nur für seine eigene Person (und nicht auch für den Angeklagten) eine Verhinderung zur form- und mithin fristgerechten Begründung des Rechtsmittels dartut, wenn das Fristversäumnis allein auf der rechtlichen Unwissenheit und damit auf einem Verschulden des Verteidigers beruhte. (Rn. 3) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
sichere Übermittlung, elektronisches Anwaltspostfach, verantwortende Person, Wiedereinsetzung, Verschulden des Verteidigers
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 21.09.2022 – 16 Ns 273 Js 107675/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 232

Tenor

I. Der Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21. September 2022 gewährt.
II. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21. September 2022 wird als unbegründet verworfen.
III. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und der Wiedereinsetzung zu tragen.

Gründe

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1. Der Angeklagten ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, da die Angeklagte nach dem glaubhaften Vorbingen ihres Verteidigers kein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision trifft (§§ 44, 45 StPO), sie sich das Verschulden des Verteidigers nicht zurechnen lassen muss (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 44 Rdn. 18) und die versäumte Handlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt wurde (§ 45 Abs. 2 S. 3 StPO).
2
a) Die vom (Pflicht-)Verteidiger unterzeichnete Revisionsbegründungsschrift vom 7. November 2022 ist aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach eines nicht am Verfahren beteiligten anderen Rechtsanwalts (des gemäß § 53 Abs. 3 S. 1 BRAO bestellten Vertreters des Verteidigers) übersandt und durch diesen qualifiziert elektronisch signiert worden. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 341 Abs. 1, § 32d Satz 2, § 32a Abs. 3 StPO, da das elektronische Dokument weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des den Schriftsatz verantwortenden Verteidigers versehen noch von diesem auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurde. Für die sichere Übermittlung über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach gemäß § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO muss das Dokument über das Postfach desjenigen Verteidigers oder Rechtsanwalts übertragen werden, dessen Name als Signatur in der Schrift als verantwortende Person aufgeführt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18.10.2022, 3 StR 262/22, zitiert nach juris, m. w. N.). Die vorübergehende Unmöglichkeit aus technischen Gründen wurde entgegen § 32d Satz 4 Halbsatz 1 StPO weder bei der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht, so dass die Ausnahmevorschrift des § 32d Satz 3 StPO nicht greift.
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b) Der Senat nimmt jedoch das Vorbringen des Verteidigers im Schriftsatz vom 29. Dezember 2022 zum Anlass, der Angeklagten nach § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Mit diesem hat der Verteidiger die Glaubhaftmachung nach § 32d Satz 4 Halbsatz 1 StPO (vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung per beA aus technischen Gründen) nach dem entsprechenden Hinweis auf das Fristversäumnis in der ihm am 28. Dezember 2022 zugestellten Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft nachgeholt. Der Verteidiger hat damit zwar nur für seine eigene Person eine Verhinderung zur form- und mithin fristgerechten Begründung des Rechtsmittels dargetan. Auf den Kenntnisstand der Angeklagten kam es vorliegend ausnahmsweise nicht an, weil das Fristversäumnis allein auf der rechtlichen Unwissenheit und damit auf einem Verschulden des Verteidigers beruhte. Dieses ist der Angeklagten nicht zuzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 02.11.2022, 6 StR 413/22).
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2. Die Nachprüfung des Berufungsurteils aufgrund der allein auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützten Revision hat keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 21. Dezember 2022 Bezug genommen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 StPO.