ArbG Passau, Beschluss v. 03.01.2023 – 4 Ca 441/22
Titel:
Prozesskostenhilfe - Höhe der Einigungsgebühr für Mehrvergleich
Normenketten:
RVG § 48
RVGVV Nr. 1000 Abs. 1, Nr. 1003 Anm. 1
Leitsatz:
Wird Prozesskostenhilfe auch für einen Vergleich über nicht rechtshängige Ansprüche gewährt und der Anwalt beigeordnet, so fällt nur eine 1,0-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert an. (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erinnerung, Prozesskostenhilfe, Beiordnung, Vergleich, Vergleichsmehrwert, Mehrvergleich, Einigungsgebühr
Vorinstanz:
ArbG Passau, Beschluss vom 08.08.2022 – 4 Ca 441/22
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Beschluss vom 15.02.2023 – 11 Ta 28/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1897
Tenor
1. Die Erinnerung des Beteiligten zu 1 vom 08.11.2022 gegen den Beschluss vom 08.08.2022 wird zurückgewiesen.
2. Soweit nicht bereits kraft Gesetzes statthaft, wird die sofortige Beschwerde nicht gesondert zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Höhe der dem Beteiligten zu 1 aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung.
2
Der Beteiligte zu 1 erhob für die Klägerin mit Schriftsatz vom 27.06.2022 (Bl. 2/9 d. A.) Zahlungsklage zum Arbeitsgericht Passau erhoben. Mit Schriftsatz vom 12.07.2022 (PKH-Heft Bl. 1/2) beantragte der Beteiligte zu 1 für die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und seine Beiordnung. Der Antrag umfasst nach seinem Wortlaut eventuelle spätere Klageerweiterungen sowie einen eventuellen Vergleich nebst eventuellem Mehrvergleich.
3
Der Rechtsstreit endete mit einem im Gütetermin am 12.07.2022 geschlossenen Vergleich (Bl. 29/30 d.A.). Zu Protokoll des Gütetermins vom 12.07.2022 hat der Beteiligte zu 1 vor Abschluss des Vergleichs beantragt, die Prozesskostenhilfe auch für in einem Vergleich miterledigte Ansprüche unter seiner Beiordnung zu bewilligen.
4
Mit Beschluss vom 12.07.2022 (Bl. 30 d.A.) wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe für die I. Instanz unter Beiordnung des Beteiligten zu 1 bezogen auf die Klage vom 27.06.2022 und die im Vergleich vom 12.07.2022 miterledigten Ansprüche ab jeweiliger Antragstellung bewilligt. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wurde mit Beschluss vom 12.07.2022 (Bl. 30 d. A.) auf 6.310,77 € für das Verfahren und auf 9.140,77 € für den Vergleich festgesetzt.
5
Mit Schriftsatz vom 13.07.2022 (Kostenheft Bl. I/II) beantragte der Beteiligte zu 1 die Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung des beigeordneten Anwalts in Höhe von 1.637,44 € unter Einschluss einer Differenz-Einigungsgebühr von netto 202,50 € ausgehend von einer 1,5 Einigungsgebühr bezogen auf den Vergleichsmehrwert. Mit Beschluss vom 08.08.2022 (Kostenheft Bl. VIII/IX) wurde die dem Beteiligten zu 1 aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung unter Berücksichtigung einer 1,0 Vergleichsgebühr auf 1.435,74 € festgesetzt.
6
Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1 mit Schriftsatz vom 08.11.2022 Erinnerung eingelegt und unter Berufung auf die Entscheidung des OLG Bamberg vom 23.09.2022 – 2 WF 111/22beantragt, die ihm aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 1.637,44 € festzusetzen. Der Beteiligte zu 1 ist der Ansicht, zumindest aufgrund der zum 01.01.2021 geltenden Fassung der Anmerkung I zu Nr. 1003 VV-RVG bestehe ein Anspruch auf Erstattung einer Differenzgebühr unter Zugrundelegung einer 1,5 Vergleichsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert. Der Beteiligte zu 2 tritt dem, wie aus mehreren parallel laufenden Verfahren bekannt ist, unter Bezugnahme auf die fortgeführte Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts München (z.B. Beschluss vom 23.02.2022 – 6 Ta 20/22) entgegen.
7
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung des Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 10.11.2022 (Kostenheft Bl. XX) nicht abgeholfen und die Akte dem zuständigen Kammervorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt.
II.
8
Die nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG statthafte Erinnerung des Beteiligten zu 1 ist unbegründet.
9
Der Beteiligte zu 1 hat keinen Anspruch auf Erstattung einer Differenzgebühr unter Zugrundelegung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr bezogen auf den Vergleichsmehrwert nach Nr. 1000 VV-RVG aus der Staatskasse.
10
1. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zutreffend auf die ständige und fortgesetzte Rechtsprechung der für Kostensachen beim Landesarbeitsgericht München zuständigen 6. Kammer verwiesen.
11
Nach dieser ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa zuletzt Beschluss vom 23.02.2022, 6 Ta 20/22 m.w.N.) beträgt die Einigungsgebühr nach §§ 13, 49 RVG gemäß Nr. 1000 i.V.m. Nr. 1003 VV-RVG n.F. 1,0, wenn über den Gegenstand des Vergleichs ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Gemäß Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG n.F. gilt dies auch, wenn „… ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1, Abs. 3 RVG).“ Hat eine Partei zur gerichtlichen Durchsetzung ihres Anspruchs Prozesskostenhilfe beantragt, ist eine Anhängigkeit gemäß Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG zu bejahen. Eine 1,5-Einigungsgebühr kommt dann nicht mehr in Betracht, sofern keiner der normierten Ausnahmefälle eingreift.
12
a) Der in Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1, 2. Var. VV-RVG n.F. normierte Ausnahmefall, dass lediglich die gerichtliche Protokollierung eines Vergleichs beantragt wird, ist nicht gegeben. Die 2. Variante in Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG erfasst nur Fallgestaltungen, in denen das Gericht lediglich für die Protokollierung eines bereits vollständig ausgehandelten Vergleichs in Anspruch genommen wird. Sie greift schon dann nicht ein, wenn sich das Gericht inhaltlich mit den nicht rechtshängigen Gegenständen befassen und die hinreichende Erfolgsaussicht und die fehlende Mutwilligkeit für diese Gegenstände nach § 114 Satz 1 ZPO beurteilen muss. In diesem Fall liegt eine Befassung des Gerichts mit den Gegenständen vor, die es rechtfertigt, lediglich die 1,0-fache Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV-RVG entstehen zu lassen (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.09.2010, 5 Ta 132/10). Bei einer mit der Klageerhebung beantragten und entsprechend gewährten Prozesskostenhilfe handelt es sich nicht um eine Prozesskostenhilfebewilligung zur Protokollierung eines Vergleichs. Die Prozesskostenhilfe ist für das gesamte Verfahren beantragt und bewilligt worden, auch wenn die Entscheidung erst nach Abschluss des Vergleichs erfolgte.
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b) Eine Beiordnung des Beteiligten zu 1 ist nicht allein zum Abschluss eines Vertrags nach Nr. 1000 VV-RVG i.S.v. Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1, 3. Var. VV-RVG n.F erfolgt.
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Selbst wenn ein bei Gericht eingeleitetes Verfahren lediglich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsmehrwert betrifft, der Vergleich aber noch nicht abgesprochen war, das Gericht also noch an seinem Zustandekommen und seiner Formulierung mitwirken muss, beschränkt sich die Gewährung der Prozesskostenhilfe nicht auf den Abschluss eines Vertrages. (vgl. im Einzelnen hierzu LAG München, Beschluss vom 23.02.2022, 6 Ta 20/22 m.w.N.).
15
Der protokollierte Vergleich vom 12.07.2022 ist unter Mitwirkung des Gerichts nach Erörterung der Sach- und Rechtslage zustande gekommen. Zudem war eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag und dessen Erstreckung auf den Mehrvergleich zu treffen. Aus diesem Grund war gerade keine Beiordnung zum Abschluss eines Vertrags nach Nr. 1000 VV-RVG erfolgt, sondern für das gesamte gerichtliche Verfahren.
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c) Entgegen der vom Beteiligten zu 1 angeführten Entscheidung des OLG Bamberg vom 23.09.2022 – 2 WF 111/22 führen weder der Gesetzeszweck der Nr. 1000 VV-RVG, die Beilegung von Streitigkeiten ohne Anrufung des Gerichts zu fördern und zu belohnen, noch die Formulierung in § 48 RVG n.F. zu einem Anspruch auf Festsetzung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG.
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aa) Bereits durch das Verfahren über die (Erstreckung) der Prozesskostenhilfe erfolgt eine Anrufung des Gerichts, weshalb dieses nicht mehr als bloßes „Beurkundungsorgan“ tätig wird. Der Gesetzeszweck gebietet daher nicht die Festsetzung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG (vgl. im Einzelnen LAG München, Beschluss vom 23.02.2022, 6 Ta 20/22 m.w.N.).
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bb) Auch nach der Neufassung des § 48 RVG ist Nr. 1003 VV-RVG weiter als Voraussetzung der gesetzlichen Gebührenhöhe zu beachten, die hier – da eine Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich noch geboten war – eine Gebühr von lediglich 1,0 vorsieht (vgl. im Einzelnen LAG München, Beschluss vom 23.02.2022, 6 Ta 20/22 m.w.N.).
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2. Das Verfahren über die Erinnerung ist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
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3. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Erinnerung wird nicht gesondert zugelassen, da der zur Entscheidung stehenden Frage im Hinblick auf die gefestigte und ständige Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts München keine grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG).