LArbG München, Beschluss v. 15.02.2023 – 11 Ta 28/23
Titel:

Prozesskostenhilfe - Einigungsgebühr für Mehrvergleich

Normenketten:
RVG § 45, § 48
RVG-VV vom 01.01.2021 Nr. 1000 Abs. 1, Nr. 1003 Anm. 1
Leitsatz:
Wird Prozesskostenhilfe auch für einen Vergleich gewährt und der Anwalt beigeordnet, so fällt jedenfalls seit der Neufassung der Anm. 1 zu Nr. 1003 VV-RVG mit Geltung vom 1.1.2021 eine 1,5-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert an. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Beiordnung, Vergleich, Vergleichsmehrwert, Mehrvergleich, Einigungsgebühr
Vorinstanzen:
ArbG Passau, Beschluss vom 03.01.2023 – 4 Ca 441/22
ArbG Passau, Beschluss vom 08.08.2022 – 4 Ca 441/22
Fundstellen:
AnwBl 2023, 241
LSK 2023, 1881
BeckRS 2023, 1881
NZA-RR 2023, 210

Tenor

1. Die Beschlüsse des Arbeitsgerichtes Passau vom 08.08.2022 und vom 03.01.2023, Az. 4 Ca 441/22, werden aufgehoben.
2. Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wird auf Euro 1637,44 festgesetzt

Gründe

I.
1
Die Parteien des Ausgangsrechtsstreits stritten über verschiedentliche Zahlungsansprüche. Mit Schriftsatz vom 12.07.2022 beantragte der Beschwerdeführer für die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Der Antrag umfasst nach seinem Wortlaut eventuelle spätere Klageerweiterungen sowie einen eventuellen Vergleich nebst eventuellem Mehrvergleich. Auch im Rahmen der Sitzung vom 12.07.2022 hat der Beschwerdeführer beantragt, die Prozesskostenhilfe auch für in einem Vergleich miterledigte Ansprüche zu bewilligen. In der Sitzung wurde danach ein verfahrensbeendender Vergleich geschlossen und anschließend Prozesskostenhilfe bewilligt bezogen auf die Klage und die im Vergleich mit erledigten Ansprüche unter Beiordnung des Beschwerdeführers. Der Gegenstandswert wurde für das Verfahren auf Euro 6310,77 und für den Vergleich auf Euro 9140, 77 festgesetzt.
2
Mit Schriftsatz vom 13.07.2022 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung in Höhe eines Gesamtbetrages von Euro 1637,44 unter Einschluss einer Differenzeinigungsgebühr von netto 202,50 € ausgehend von einer 1,5 Einigungsgebühr bezogen auf den Vergleichsmehrwert. Mit Beschluss vom 08.08.2022 wurde die Vergütung auf einen Betrag von Euro 1435,74 unter Berücksichtigung lediglich eine 1 Vergleichsgebühr festgesetzt. Hiergegen hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 08.11.2022 Erinnerung eingelegt. Die Erinnerung wurde mit Beschluss vom 03.01.2023 zurückgewiesen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 6. Kammer des LAG München.
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Hiergegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt mit Schriftsatz vom 23.01.2023 unter Hinweis auf die Neufassung der Anmerkung Abs. 1 S. 1 2. HS zur Nr. 1003 VV RVG.
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Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen.
5
II.
6
Die statthafte Beschwerde ist begründet.
7
Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf die begehrte PKH-Vergütung, wie von ihm beantragt. Der Anspruch ergibt sich aufgrund von SS 45ff. RVG i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 VV-RVG. An der bisherigen Ansicht des LAG München zur Höhe der Einigungsgebühr bezüglich des Mehrwerts eines Vergleichs wird nicht mehr festgehalten.
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a) Nach Nr. 1000 Abs. 1 VV-RVG entsteht grundsätzlich eine 1,5 Einigungsgebühr. Nach Nr. 1003 VV-RVG beträgt diese Gebühr allerdings nur 1 wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach der Anmerkung in Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1003 VV RVG gilt die niedrigere Gebühr auch, wenn ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe anhängig ist, allerdings nach dem 2. HS zur Nr. 1003 VV-RVG gilt dies jedoch dann nicht, wenn sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt (S. 48 Abs. 1 und 3 RVG).
9
b) Die nunmehr entscheidende Kammer schließt sich unter Aufgabe der von der 6. Kammer des LAG München bisher vertretenen Ansicht der Auffassung an, dass mit der zum 01.01.2021 in Kraft getretenen neuen Rechtslage die Rückausnahme in Anmerkung (1), S. 1, HS.2 zu Nr. 1003 bereits dann eingreift, wenn die Beiordnung sich auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt, was im vorliegenden Rechtsstreit der Fall war, da das Arbeitsgericht ausdrücklich mit Beschluss vom 12.07.2022 Prozesskostenhilfe bewilligte unter Beiordnung des Beschwerdeführers, wobei sich die Bewilligung ausdrücklich auch auf einen etwaigen Vergleichsmehrwert erstreckte. Damit war die Beiordnung bezogen auf einen Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG. Auch wenn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung das gesamte Verfahren erfasst, liegt jedenfalls auch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG vor (ebenso LAG Nürnberg v. 26.07.2021 – 3 -ra 68/21; v. 29.12.2022 – 5 Ta 24/22; LAG Rheinland-Pfalz 08.01.2020 – 7 Ta 182/19; LAG Baden-Württemberg 27.04.2016 – 5 Ta 118/15). Dies zeigt insbesondere auch die Verknüpfung zwischen der Anmerkung (1) S.1 2.HS zu Nr. 1003 VV RVG und S. 48 Abs.l RVG. Insbesondere ist dem Wortlaut der Rückausnahme nicht zu entnehmen, dass die erhöhte Gebühr nur dann anfällt, wenn das angerufene Gericht letztlich nicht in Anspruch genommen wird und gewissermaßen als reines „Beurkundungsorgan“ fungiert. Die Honorierung der anwaltlichen Bemühungen, möglichst eine vergleichsweise Regelung herbeizuführen, mit der höheren Gebühr, was ebenfalls ein Zweck der höheren Gebühr ist (vgl. LAG Düsseldorf 13.1.2014 – 13 Ta 342/14) führt bei Vergleichsschluss auch bei Mitwirkung des Gerichtes zu einer erheblichen Arbeitsersparnis (vgl. Gerold/Schmidt RVG 1003, 1004 W Rnr.46a).
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c) Dies steht letzten Endes auch im Einklang damit, dass in S. 48 Abs. 1 RVG vorgesehen ist, dass, soweit sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses erstreckt, der Anspruch alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen, die durch die Tätigkeit entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind, umfasst. In der dortigen Regelung ist neben der Erstreckung der Beiordnung auch die Beschränkung der Beiordnung oder der Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 angesprochen. Daher hätte es nahegelegen, im Rahmen der Rückausnahme in Anmerkung I S. 1 2. HS VV-RVG, soweit eine reine Beschränkung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 gewollt gewesen wäre, dies ausdrücklich, wie in S. 48 Abs. 1 S. 2 RVG klarzustellen. Nachdem dies dort aber nicht erfolgt ist, sondern rein auf die Erstreckung der Beiordnung abgestellt wird, lässt sich eine Begrenzung auf eine Einigungsgebühr von 1 nicht entnehmen. Vielmehr bezieht sich das Wort „lediglich“ nur auf die Antragstellung bezüglich eines selbständigen Beweisverfahrens oder die Protokollierung eines Vergleichs (so auch LAG Düsseldorf 5 Ta 243/14 – 25.09.2014; LAG Rheinland-Pfalz a.a.O.).
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d) Infolgedessen hat der Beschwerdeführer die Vergütungsansprüche, wie er sie beantragt hatte. Die angegriffenen Beschlüsse waren daher aufzuheben.
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Die Entscheidung ergeht kostenfrei (S. 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (SS 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).