VGH München, Beschluss v. 19.06.2023 – 8 AS 23.40017
Titel:
Gemeinschaftliche Prozessführungsbefungnis von Ehegatten
Normenkette:
BGB §§ 1415 ff., § 1421, § 1450
Leitsätze:
1. Eheleute sind nach § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB nur gemeinschaftlich berechtigt, Rechtsstreitigkeiten zu führen, die sich auf das Gesamtgut beziehen. Ein Ehegatte ist als Gesamthandseigentümer nicht allein prozessführungsbefugt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Verwaltungsprozess ist die gewillkürte Prozessstandschaft in Verfahren unzulässig, die die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung voraussetzen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, vorzeitige Besitzeinweisung, fehlende Prozessführungsbefugnis, eheliche Gütergemeinschaft, Verwaltung des Gesamtguts durch beide Ehegatten, gewillkürte Prozessstandschaft
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15657
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung einer vorzeitigen Besitzeinweisung.
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Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 23. Januar 2023 beim Landratsamt die vorzeitige Besitzeinweisung in eine Teilfläche des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung T* … Dieses Grundstück wird landwirtschaftlich genutzt und steht im gütergemeinschaftlichen Eigentum der Antragstellerin und ihres Ehemannes. Der dem Besitzeinweisungsantrag zugrundeliegende Planfeststellungsbeschluss der Regierung der Oberpfalz vom 19. Dezember 2007 in Verbindung mit dem Planänderungs- und Ergänzungsbeschluss vom 15. Januar 2015 ist bestandkräftig.
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Die Enteignungsbehörde wies den Antragsgegner unter Anordnung des Sofortvollzugs mit Besitzeinweisungsbeschluss vom 19. April 2023 zum Zwecke des Baus der Staatsstraße 2165 „A.“ Ortsumgehung K. mit Wirkung zum 2. Mai 2023 vorzeitig in den Besitz einer etwa 1350 m² großen Teilfläche (973 m² als Erwerbsfläche und 377 m² als Fläche zur vorübergehenden Inanspruchnahme während der Bauphase) des Grundstücks FlNr. … ein (Nr. B.1., B.4., D. des Beschlusses). Mit Änderungsbescheid vom 25. April 2023 ersetzte die Enteignungsbehörde die dem Beschluss vom 19. April 2023 angefügte Rechtsbehelfsbelehrung.
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Am 25. Mai 2023 hat die Antragstellerin Klage gegen den Besitzeinweisungsbeschluss vom 19. April 2023 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 25. April 2023 erhoben und zugleich einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt mit dem Ziel,
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dass die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt wird.
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Der Antragsgegner beantragte,
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den Antrag abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg; er ist bereits unzulässig.
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1. Der Antragstellerin fehlt die Prozessführungsbefugnis. Sie kann das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht allein im eigenen Namen führen, da ihr das Eigentum an dem vom Besitzeinweisungsbeschluss betroffenen Grundstück nur gemeinsam mit ihrem Ehemann zusteht.
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a) Im Grundbuch des Amtsgerichts Amberg sind als Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung T* … die Antragstellerin und ihr Ehemann „in Gütergemeinschaft“ (vgl. §§ 1415 ff. BGB) eingetragen. Das Grundstück gehört damit zum gesamthänderisch gebundenen gemeinschaftlichen Vermögen beider Ehegatten (Gesamtgut, vgl. §§ 1416, 1419 BGB); dieses verwalten die Eheleute gemeinschaftlich, sofern der Ehevertrag keine anderslautende Bestimmung enthält (vgl. § 1421 Satz 2, § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch wenn die Antragstellerin nach eigener Aussage den landwirtschaftlichen Betrieb seit jeher mit Zustimmung ihres Ehemannes allein führt und bewirtschaftet, bedeutet dies nicht zugleich eine Übertragung der Verwaltung des Gesamtguts auf die Ehefrau im Sinne von § 1421 Satz 1 Alt. 1 BGB, zumal eine entsprechende vertragliche Vereinbarung nicht vorgelegt wurde. Die Eheleute sind daher nach § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB nur gemeinschaftlich berechtigt, Rechtsstreitigkeiten zu führen, die sich auf das Gesamtgut beziehen. Innerhalb der Klagefrist hat allerdings nur die Antragstellerin Klage erhoben und den Eilantrag gestellt. Ein Ehegatte ist als Gesamthandseigentümer jedoch nicht alleine prozessführungsbefugt (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2022 – 8 N 19.2040 – NVwZ-RR 2023, 19 = juris Rn. 27; B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2018, 596 = juris Rn. 11; U.v. 23.9.2014 – 13 A 13.1958 – FamRZ 2015, 924 = juris Rn. 7).
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b) Ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand für die alleinige Klage- und Antragserhebung durch die Antragstellerin liegt nicht vor.
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Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass sich eine solche Befugnis aus der Zustimmung ihres Ehegatten ergebe, den landwirtschaftlichen Betrieb allein als selbständiges Erwerbsgeschäft zu führen, beruft sie sich sinngemäß auf eine alleinige Prozessführungsbefugnis aus § 1456 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach ist eine Zustimmung zu solchen Rechtsstreitigkeiten, die der Geschäftsbetrieb eines Erwerbsgeschäfts mit sich bringt, nicht erforderlich, wenn ein Ehegatte darin eingewilligt hat, dass der andere dieses selbständig betreibt. Auch wenn man annimmt, dass die Antragstellerin im Sinne einer Arbeitsteilung in der Ehe für die Führung des landwirtschaftlichen Betriebs eigenverantwortlich zuständig und dieser als Erwerbsgeschäft zu erachten ist, greift die genannte Vorschrift nicht ein. Denn bei der Anfechtung des streitgegenständlichen Besitzeinweisungsbeschlusses handelt es sich nicht um eine Rechtsstreitigkeit, die der Geschäftsbetrieb im Sinne einer auf Dauer angelegten Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen mit sich bringt (vgl. BayVGH, U.v. 23.9.2014 – 13 A 13.1958 – FamRZ 2015, 924 = juris Rn 9).
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Es ist auch weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen, dass die Voraussetzungen des § 1454 Satz 2 BGB oder § 1455 Nr. 10 BGB erfüllt sein könnten.
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c) Eine Alleinprozessführung der Antragstellerin gemäß den Grundsätzen der gewillkürten Prozessstandschaft kommt ebenfalls nicht in Betracht.
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Bei der gewillkürten Prozessstandschaft handelt es sich um die Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf einen anderen als den Rechtsinhaber (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.1981 – 6 P 20.80 – BVerwGE 61, 334 = juris Rn. 22; BGH, U.v. 21.3.1985 – VII ZR 148/83 – BGHZ 94, 117 = juris Rn. 18). Im Verwaltungsprozess wird sie zumindest in solchen Verfahren als unzulässig erachtet, die die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung voraussetzen (vgl. Czybulka/Siegel in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 21; Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, Vorbemerkungen zu §§ 40 bis 53, Rn. 37). Einer gewillkürten Prozessstandschaft steht bei der dem Eilantrag zugrundeliegenden Anfechtungsklage somit § 42 Abs. 2 VwGO entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.1995 – 3 C 27.94 – NVwZ-RR 1996, 537 = juris Rn. 19).
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Darüber hinaus könnte eine Prozessstandschaft nur dann angenommen werden, wenn die Antragstellerin diese samt entsprechender Ermächtigung ihres Ehemannes innerhalb der Klagefrist offengelegt hätte (vgl. BayVGH, U. v. 23.9.2014 – 13 A 13.1958 – FamRZ 2015, 924 = juris Rn. 10; B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2018, 596 = juris Rn. 17). Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. In der am 25. Mai 2023 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Klage- und Antragsschrift fehlt jeder Hinweis auf eine mögliche Vertretung des Ehemannes. Vielmehr wurde die Klage ausdrücklich nur im Namen der Antragstellerin erhoben. Die Antragstellerin hat ohne Vorlage entsprechender schriftlicher Nachweise nur hinsichtlich des landwirtschaftlichen Betriebes ausgeführt, dass sie diesen seit jeher mit Zustimmung ihres Ehemannes alleine bewirtschafte. Auch wenn der gemeinschaftlich mitberechtigte Ehemann die Prozessführung noch nach Fristablauf genehmigen würde, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn eine Genehmigung wirkt nicht auf den Zeitpunkt der Antragserhebung zurück (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2022 – 8 N 19.2040 – NVwZ-RR 2023, 19 = juris Rn. 36).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Der Streitwert bemisst sich nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 48.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach beträgt der Streitwert im Fall einer vorzeitigen Besitzeinweisung 30% des aktuellen Verkehrswerts des betroffenen Grundstücks.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).