VGH München, Beschluss v. 19.06.2023 – 14 ZB 23.30376
Titel:
Einlegung der Berufungszulassung bei beA-Defekt
Normenketten:
VwGO § 55d
ZPO § 227 Abs. 1
Leitsatz:
Zur fristwahrenden Telefaxeinreichung eines Berufungszulassungsantrags unter anwaltlicher Versicherung der technisch bedingten Unmöglichkeit einer Übermittlung als elektronisches Dokument. (Rn. 2)
Schlagworte:
beA-Defekt, anwaltliche Versicherung, Darlegungsanforderungen bei Gehörsrüge wegen verzögerten Verhandlungsbeginns
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 20.04.2023 – AN 10 K 19.30283
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15608
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg – zwar ist er nicht verfristet (siehe 1.); jedoch sind Zulassungsgründe i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG, soweit sie ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt (siehe 2. bis 4.).
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1. Der Antragsschriftsatz vom 25. Mai 2023, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 30. Mai 2023, wahrt die Monatsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG, die durch die Zustellung des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils am 28. April 2023 an die Klagepartei ausgelöst wurde und am Dienstag, den 30 Mai 2023, 24:00 Uhr (Montag, der 29.5.2023 war ein Feiertag) ablief. Zwar wurde dieser Schriftsatz nicht per beA, sondern per Telefax (am 30.5.2023) an das Verwaltungsgericht gesandt, also nicht in der von § 55d Satz 1 VwGO geforderten elektronischen Form. Jedoch hat der Klägerbevollmächtigte auf dem Antragsschriftsatz anwaltlich versichert, beA funktioniere nicht und er warte auf eine neue Karte der Bundesnotarkammer. Angesichts der Bezugnahme auf die anwaltlichen Standespflichten ist damit hinreichend glaubhaft gemacht i.S.v. § 55d Satz 4 i.V.m. § 173 VwGO i.V.m. § 294 ZPO, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen nicht möglich war (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2022 – 6 ZB 22.30401 – NJW 2022, 3239 Rn. 7 m.w.N.; siehe zur anwaltlichen Versicherung BGH, B.v. 5.7.2017 – XII ZB 463/16 – NJW-RR 2017, 1266 Rn. 14 m.w.N.; siehe zur Rechtzeitigkeit auch BGH, B.v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22 – BB 2023, 469). Deshalb war die Übermittlung des Zulassungsantrags per Telefax vorliegend ersatzweise gemäß § 55d Satz 3 VwGO zulässig und wahrte die Antragsfrist.
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2. Die Berufung ist nicht wegen eines Gehörsverstoßes gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen, im Hinblick auf die Rüge, der Rechtsstreit sei erst nach über zweieinhalbstündiger Wartezeit aufgerufen und ein daher vom damaligen Klägerbevollmächtigten gestellter Verlegungsantrag aus unerfindlichen Gründen abgelehnt worden, wobei sich die Kläger nach langer Autofahrt, langer Wartezeit und nur geringem Schlaf nicht mehr hinreichend auf die Verhandlung hätten konzentrieren können und den Eindruck gewonnen hätten, dass alle Prozessbeteiligten und der Dolmetscher nach der vorherigen mehrstündigen Verhandlung müde und unkonzentriert gewesen seien – insoweit genügt die Antragsbegründung nicht den Darlegungsanforderungen.
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Zwar kann die pflichtwidrige Ablehnung eines Vertagungsantrags das rechtliche Gehör verletzen (vgl. BVerwG, B.v. 28.12.1998 – 4 B 119.98 – NJW 1999, 2131). Jedoch hat ein Vertagungsantrag, der gestellt wird, weil die mündliche Verhandlung später beginnt, nur Erfolg, wenn „erhebliche Gründe“ zur Begründung des Vertagungsantrags vorgetragen werden (§ 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 28.12.1998 a.a.O.). Hierzu müssen zumindest in der Verhandlung anwaltlich vertretene Kläger, wie die Kläger, darlegen, weshalb ihnen – über eine Verärgerung hinaus – ein weiteres Warten nicht möglich oder zumutbar sei, was zwar im Regelfall naheliegt, wenn der Prozessbevollmächtigte sich auf anderweitige Terminsverpflichtungen stützt (BVerwG, B.v. 28.12.1998 a.a.O. m.w.N.), wobei jedoch auch zu sehen ist, dass allgemein bekannt ist, dass eine Terminsrolle auch bei sorgfältiger Planung nicht immer minutiös eingehalten werden kann (BVerwG, B.v. 28.12.1998 a.a.O.). Vor diesem Hintergrund befasst sich die Antragsbegründung entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht näher mit der seinerzeitigen Begründung des anwaltlichen Verlegungsantrags. Der besagte Verlegungsantrag war gegenüber dem Verwaltungsgericht weder mit der in der Begründung des Berufungszulassungsantrags genannten Kritik (siehe oben) noch mit anderweitigen Terminverpflichtungen des damaligen Klägerbevollmächtigten begründet worden, sondern vielmehr damit, dass die Kläger unter Berücksichtigung des Erfordernisses, nach der Verhandlung zu essen, angesichts der mindestens dreieinhalbstündigen Rückreise zu ihrem Wohnort nicht vor 21:30 Uhr zuhause sein würden, jedoch in einer Bäckerei arbeiteten und um 01:30 Uhr aufstehen müssten. Auf diese seinerzeitige Begründung, die – anders als die Begründung des Berufungszulassungsantrags, die Aspekte „während“ der Verhandlung selbst betrifft – auf erst „nach“ der Verhandlung auftretende Aspekte abstellte, und die Frage, ob darin entgegen der Ablehnungsentscheidung des Verwaltungsgerichts eine Unzumutbarkeit und damit ein erheblicher Grund im Sinne der Terminverlegungsvorschriften begründet war, geht die Antragsbegründung nicht näher ein.
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Hinsichtlich der Frage eines Gehörsverstoßes wegen verzögerungsbedingter Unaufmerksamkeit der Kläger und der an der Verhandlung teilnehmenden Personen als solcher wird entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht dargelegt, dass diese Unaufmerksamkeiten bereits erstinstanzlich überhaupt vorgebracht worden wären. Unabhängig davon wird nicht dargelegt, hinsichtlich welcher Aspekte genau durch besagte Unaufmerksamkeiten rechtliches Gehör versagt worden sein soll.
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3. Nicht zur Berufungszulassung wegen eines Verfahrensfehlers (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) führt auch die Rüge, die verwaltungsgerichtlichen Urteilsgründe nähmen bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nicht Stellung zur politischen Entwicklung im Iran, insbesondere nach dem September 2022, obwohl dies vonnöten gewesen wäre, wobei auf die Nichteinhaltung der islamischen Kleiderregeln durch die Klägerin zu 2 hingewiesen wird.
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Ein Gehörsverstoß (§ 138 Nr. 3 VwGO) ist insoweit nicht hinreichend dargelegt, weil sich die Antragsbegründung nicht damit befasst, inwieweit erstinstanzlich klägerseits zur Entwicklung ab September 2022 vorgetragen worden wäre, sodass aus der Antragsbegründung auch nicht erkennbar ist, inwieweit aus klägerischer Sicht derartiger erstinstanzlicher Vortrag vom Verwaltungsgericht gehörsrelevant übergangen worden sein soll (vgl. dazu BVerwG, U.v. 25.6.1992 – 3 C 16.90 – juris Rn. 37; B.v. 1.10.1993 – 6 P 7.91 – NVwZ-RR 1994, 298 m.w.N.).
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Soweit mit der besagten Kritik sinngemäß ein Verfahrensfehler i.S.v. § 138 Nr. 6 VwGO (i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) gerügt wird, setzt sich die Antragsbegründung entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht mit den umfangreichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA ab S. 14 vierter Absatz) zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG – mit Verweis auf den Bundesamtsbescheid gemäß § 77 Abs. 3 AsylG – auseinander.
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Weil § 78 Abs. 3 AsylG keinen § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Berufungszulassungsgrund eröffnet, ist die Berufung auch nicht zuzulassen, soweit mit der besagten Rüge sinngemäß die inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils insoweit in Zweifel gezogen wird.
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4. Schließlich ist die Berufung auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, soweit die Antragsbegründung die aktuelle politische Lage im Iran und die Nichteinhaltung der staatlichen Kleiderregeln durch die Klägerin zu 2 betont. Insoweit wird schon keine hinreichend deutliche Frage explizit oder implizit formuliert und wird – unabhängig davon – auch kein einziges Erkenntnismittel benannt, um damit die Klärungsbedürftigkeit der in der Antragsbegründung beschriebene Lage im Iran aus klägerischer Sicht zu belegen (vgl. zu diesen Darlegungsanforderungen BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 2).
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5. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens tragen die Kläger, die dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt haben (§ 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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6. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.