VG München, Urteil v. 25.01.2023 – M 19L DK 21.6305
Titel:

Entfernung eines Polizisten aus dem Beamtenverhältnis bei Steuerhinterziehung

Normenketten:
BayDG Art. 11, Art. 14 Abs. 2 S. 1
AO § 370
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 35 Abs. 1 S. 2, § 47 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Ein Polizeibeamter ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er im Rahmen einer nicht genehmigten und nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit als Fahrzeughändler Steuern in Höhe von knapp 1,5 Mio. Euro in einem Tatzeitraum von zwei bis drei Jahren durch 30 Einzeltaten in kontinuierlicher Tatbegehung hinterzieht. (Rn. 105, 111 und 113) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Steuerhinterziehung i.H.v. rund 1,5 Mio. € und nebentätigkeitsrechtliche Verstöße durch Polizeibeamten, Polizist, Steuerhinterziehung, Nebentätigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 29.01.2025 – 16a D 23.497
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1091

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Diesem werden als Polizeibeamten Steuerhinterziehung in siebenstelliger Höhe und nebentätigkeitsrechtliche Verstöße vorgeworfen.
2
1. Der am … … 1989 geborene Beklagte steht seit 1. September 2008 im Dienst der Bayerischen Polizei. Am 26. Januar 2011 bestand er die Qualifikationsprüfung Nr. 1/2011 für den Einstieg in der zweiten Qualifikationsebene (Platz 215 von 348 erfolgreichen Beamten). Mit Wirkung vom 1. Juli 2013 erfolgte die letzte Ernennung zum Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A8) unter gleichzeitiger Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Der Beklagte war vom 1. August 2012 bis zum Ausspruch des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) am 19. März 2015 beim Polizeipräsidium O. N., Polizeiinspektion Flughafen M., tätig. In der letzten periodischen Beurteilung 2014 erhielt er das Gesamtprädikat von 7 Punkten.
3
Der Beklagte ist ledig und hat keine Kinder. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
4
2. Das Landgericht Regensburg verurteilte ihn mit Urteil vom 16. Juni 2020 (7 KLs157 Js …), rechtskräftig seit 24. Juni 2020, wegen Steuerhinterziehung in 21 tatmehrheitlichen Fällen (§§ 369 Abs. 1 Nr. 1, 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 Abgabenordnung - AO -, § 53 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten und einer Gesamtgeldstrafe von 210 Tagessätzen zu je 30 €; die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
5
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde, der im Folgenden (mit redaktionellen Anpassungen) wiedergegeben wird:
6
Der Beklagte betrieb insbesondere im Zeitraum 2012 bis 2014 die Firma … & … GmbH im … 10 in … … … …, welche den An- und Verkauf, die Vermietung von Kraftfahrzeugen und die Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen zum Geschäftsgegenstand hatte. Er war seit Eintragung der … & … GmbH in das Handelsregister des Amtsgerichts Weiden i. d. Opf. unter HRB … am 11. September 2011 einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer und tätigte mit ihr umsatzsteuerpflichtige Umsätze.
7
Die … & … GmbH wurde beim zuständigen Finanzamt Weiden i. d. Opf. unter der Steuernummer … steuerlich erfasst.
8
Über das Vermögen der … & … GmbH wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Weiden i. d. Opf. vom 23. November 2015 im Verfahren IN …15 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 8. Februar 2017 wurde das Insolvenzverfahren nach Abhalten des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren und Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben.
9
Entgegen der dem Beklagten bekannten Verpflichtung zur rechtzeitigen Abgabe inhaltlich den tatsächlichen Verhältnissen entsprechender Umsatzsteuervoranmeldungen für die … & … GmbH veranlasste er jeweils in der Absicht, Steuern zu verkürzen, dass für die Veranlagungszeiträume Januar 2013 bis November 2013 Umsatzsteuervoranmeldungen für die … & … GmbH an das Finanzamt Weiden i. d. Opf. elektronisch übermittelt wurden. Zudem machte er in den Monaten Februar, September und November 2013 unberechtigte Vorsteuerbeträge geltend, wobei er es jedenfalls für möglich hielt, Steuern zu Gunsten der … & … GmbH zu verkürzen und dies billigend in Kauf nahm.
10
Das zuständige Finanzamt Weiden i. d. Opf. folgte den Falschangaben des Beklagten und setzte die Steuer antragsgemäß zu niedrig fest bzw. erkannte auf zu hohe Vorsteuererstattungen. Der Beklagte handelte hierbei jeweils in der Absicht, eine Steuerverkürzung auf Dauer zu bewirken und keine zutreffende Jahressteuererklärung abzugeben.
11
Der Beklagte unterließ es, Netto-Umsätze i.H.v. 2.006.077,42 € für die Anmeldezeiträume Januar bis November 2013 zu erklären. Zudem machte er in den Monaten Februar, September und November 2013 unberechtigte Vorsteuerbeträge i.H.v. 4.380,24 € geltend.
12
Die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:

Voranmeldungszeitraum

Eingang der Anmeldung am

Tatsächlich erzielte Umsätze (netto)

Verschwiegene Umsätze (netto)

Verkürzte Umsatzsteuer 19%

Zu niedrig beantragte Vorsteuer

Zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuer

Gesamte Steuerhinterziehung

Jan. 2013

11.03.2013

70.720,79

62.041,79

11.787,94

6.780,47

5.007,47

Feb. 2013

10.04.2013

223.963,51

208.335,51

39.583,75

1.435,96

41.019,71

Mrz. 2013

08.05.2013

200.983,62

191.338,62

36.354,34

1.151,92

35.202,42

Apr. 2013

10.06.2013

248.849,57

236.591,57

44.952,40

15.507,38

29.455,02

Mai 2013

27.06.2013

109.839,88

96.414,88

18.318,83

4.654,55

13.664,28

Juni 2013

12.08.2013

32.850,85

16.920,85

3.214,96

2.858,64

356,32

Juli 2013

10.10.2013

96.138,24

84.120,24

15.982,85

714,01

15.268,84

Aug. 2013

10.10.2013

237.032,80

225.856,80

42.912,79

1.019,93

41.892,86

Sep. 2013

11.11.2013

401.676,89

389.158,89

73.940,19

1.579,43

75.519,62

Okt. 2013

09.12.2013

272.263,21

263.366,21

50.039,58

1.103,09

48.936,49

Nov. 2013

08.01.2014

243.210,06

231.932,06

44.067,09

1.364,85

45.431,94

Summe der Einzelbeträge

2.137.529,42

2.006.077,42

381.154,72

33.789,99

4.380,24

351.744,97

13
In der Absicht, Steuern zu verkürzen, unterließ der Beklagte es weiter, zum gesetzlichen Abgabetermin am 10. Februar 2014 die erforderliche Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2013 beim zuständigen Finanzamt Weiden i. d Opf. einzureichen. Dadurch erreichte er, dass Umsatzsteuer nicht rechtzeitig festgesetzt wurde, wobei er in der Absicht handelte, eine Steuerverkürzung auf Dauer zu bewirken und keine zutreffende Jahressteuererklärung abzugeben. Er unterließ es, Netto-Umsätze i.H.v. 169.112,76 € für den Anmeldezeitraum Dezember 2013 rechtzeitig zu erklären. I.H.v. 1.202,11 € beantragte er keine Vorsteuererstattung, obwohl er hierzu berechtigt gewesen wäre. Insgesamt hinterzog bzw. verkürzte er für den Anmeldezeitraum Dezember 2013 daher Umsatzsteuer i.H.v. 30.929,32 €.
14
Jeweils in der Absicht, Steuern zu verkürzen, unterließ es der Beklagte zum gesetzlichen Abgabetermin, die erforderlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für die Veranlagungszeiträume Januar bis September 2014 einzureichen.
15
Dadurch erreichte er, dass Umsatzsteuer nicht rechtzeitig festgesetzt wurde, wobei er in der Absicht handelte, eine Steuerverkürzung auf Dauer zu bewirken und keine zutreffende Jahressteuererklärung abzugeben.
16
Der Beklagte unterließ es, Netto-Umsätze i.H.v. insgesamt 3.126.638,49 € für die Anmeldezeiträume Januar bis September 2014 rechtzeitig zu erklären. I.H.v. 37.032,02 € beantragte er keine Vorsteuererstattung, obwohl er hierzu berechtigt gewesen wäre. Insgesamt hinterzog bzw. verkürzte er für die oben genannten Anmeldezeiträume daher Umsatzsteuer i.H.v. 557.029,29 €.
17
Die Umsatzsteuerhinterziehungen stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:

Anmeldezeitraum

Abgabetermin

Zutreffende Umsätze (netto)

Darauf entfallende Umsatzsteuer

Nicht beantragte Vorsteuer

Summe der verkürzten Umsatzsteuer

Jan. 2014

10.03.2014

173.180,24

32.904,25

4.999,89

27.904,38

Feb. 2014

10.04.2014

365.701,41

69.483,27

2.942,14

66.541,13

Mrz. 2014

10.05.2014

541.726,46

102.928,03

516,42

102.411,61

Apr. 2014

10.06.2014

475.856,80

90.412,79

9.802,40

80.610,39

Mai 2014

10.07.2014

402.927,89

76.556,30

5.359,01

71.197,29

Juni 2014

10.08.2014

264.194,90

50.197,03

1.039,88

49.157,15

Juli 2014

10.09.2014

269.756,91

51.253,81

4.423,75

46.830,06

Aug. 2014

10.10.2014

406.753,17

77.283,10

1.091,36

76.191,74

Sep. 2014

10.11.2014

226.540,71

43.042,73

6.857,17

36.185,56

Summe

3.126.638,49

594.061,31

37.032,02

557.029,29

18
Mit Datum 25.08.2015 und damit verspätet reichte der Beklagte für die Voranmeldungszeiträume Januar bis September 2014 dahingehend unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen ein, dass er zu hohe Vorsteuererstattungsbeträge geltend machte.
19
Diese unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:

Voranmeldungszeitraum

Eingang der Anmeldung am

Erklärte Erlöse

Zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuer

Jan. 2014

25.08.2015

173.180,00

20.045,80

Feb. 2014

25.08.2015

365.701,00

56.217,64

Mrz. 2014

25.08.2015

541.726,00

109.428,83

Apr. 2014

25.08.2015

475.856,00

44.266,80

Mai 2014

25.08.2015

402.927,00

52.417,65

Juni 2014

25.08.2015

264.194,00

21.134,71

Juli 2014

25.08.2015

269.756,00

46.466,98

Aug. 2014

25.08.2015

406.753,00

30.361,68

Sep. 2014

25.08.2015

226.540,00

132.456,06

Summe der Einzelbeträge

3.126.633,00

512.796,15

20
Die von dem Beklagten verkürzten Steuern bzw. erlangten ungerechtfertigten Steuervorteile belaufen sich auf insgesamt 382.674,29 € für das Jahr 2013 und 557.029.29 € (ohne Berücksichtigung unberechtigter Steuervorteile i.H.v. 512.796,15 €, siehe unten) für das Jahr 2014, folglich auf insgesamt 939.703,58 €.
21
I. H.v. insgesamt 67.054,77 € sind die Steueransprüche durch Gehaltspfändungen sowie Umbuchungen aus Guthaben getilgt worden (Stand 16.6.2020).
22
Der unberechtigten Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
23
Die … & … GmbH veräußerte größtenteils Neu-EUlmportfahrzeuge aus Tschechien und Polen, insbesondere der Marken KIA, Skoda und VW. Während der Beklagte mit seiner Firma von KIA die gesamte Modellpalette vertrieb, wurden von Skoda und VW bis auf einzelne Ausnahmen nur die Kleinwagen Fabia und Polo und die Kompaktklasse Golf verkauft. Der Beklagte veräußerte einen großen Teil seiner Neufahrzeuge an andere Kfz-Händler. Ein Teil der Fahrzeuge wurde auch an Privatpersonen als Endverbraucher verkauft. Die Erwerber erhielten jeweils eine Rechnung von der … & … GmbH mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer. Dabei erfolgte der jeweilige Fahrzeugerwerb durch den Beklagten in einer Vielzahl von Fällen im Rahmen von sog. Umsatzsteuerbetrugsketten.
24
Das Ziel der an solchen Umsatzsteuerbetrugsketten beteiligten Personen besteht darin, Ware aus dem EU-Ausland nach Deutschland zu bringen und dort verbilligt weiter zu veräußern. Der Täterkreis besteht mindestens aus zwei Unternehmern im Inland, wobei der erste Unternehmer die Ware bei einem im EU-Ausland ansässigen Unternehmer steuerfrei kauft, nach Deutschland importiert und sodann an einen anderen, zum Vorsteuerabzug berechtigten inländischen Unternehmer weiterveräußert. Der Einkauf der Ware im EU-Ausland ist regelmäßig umsatzsteuerfrei, sodass dort von vornherein keine Umsatzsteuer erhoben wird und der erste Unternehmer ohne Umsatzsteuerbelastung einkauft. Der zweite Unternehmer veräußert seine Waren an Endkunden, die in der Regel keine Kenntnis über den zuvor begangenen Umsatzsteuerbetrug haben. Der erste Unternehmer veräußert in der Regel seine Waren an den zweiten Unternehmer zu einem (Netto-) Verkaufspreis, der unter seinem eigenen (Netto-)Einkaufspreis im EU-Ausland liegt. Hierdurch würde der erste Unternehmer regelmäßig einen wirtschaftlichen Verlust erleiden. Diesen wirtschaftlichen Verlust kompensiert er (und wandelt ihn sogar in einen Ertrag), indem er die Umsatzsteuer, die er in seiner Rechnung gesondert ausweist und auch von seinem Abnehmer vereinnahmt, nicht erklärt und somit auch nicht an die Finanzverwaltung abführt. Da der erste Unternehmer gegenüber der Finanzverwaltung nicht in Erscheinung treten darf, der zweite Unternehmer aber weiterhin eine Rechnung für den Vorsteuerabzug benötigt, stellt der erste Unternehmer im Regelfall eine Rechnung unter einer falschen Identität aus, d. h., es wird dort ein Unternehmen aufgeführt, das diese Lieferungen tatsächlich gar nicht erbracht hat. Weiß der zweite Unternehmer, dass das in der Rechnung aufgeführte Unternehmen nicht das ist, von dem er tatsächlich die Lieferung bezogen hat, bzw. dass der erste Unternehmer die Umsatzsteuer nicht abgeführt hat, dürfte er die in dieser Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer steuermindernd geltend machen.
25
Im Rahmen dieser Umsatzsteuerbetrugsketten wurde von dem Beklagten aus zugrundeliegenden Rechnungen - jeweils mit offenem Ausweis von Umsatzsteuer - die Vorsteuer im oben genannten Umfang abgezogen, obwohl sein jeweiliger Vorlieferant, wie der Beklagte zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, den Umsatz weder erklärt noch die Umsatzsteuer auf diese Lieferungen an das Finanzamt abgeführt, sondern in seinen Gewinn eingerechnet hatte.
26
Für den Beklagten brachte die Teilnahme an diesen Systemen vor allem den wirtschaftlichen Vorteil, dass er - aufgrund des umsatzsteuerfreien Ankaufs sowie der Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer durch den Lieferanten - Zugang zu günstigen Fahrzeugen erhielt und trotzdem die von ihm gezahlte Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden als Vorsteuer geltend machen konnte.
27
Dabei gingen die an den Umsatzsteuerbetrugsketten unten genannten Beteiligten vorliegend wie folgt vor:
28
Begehungsweise Variante 1:
29
Der Vorlieferant erwarb unter Verwendung seiner eigenen Umsatzsteueridentifikationsnummer oder unter Verwendung der Umsatzsteueridentifikationsnummer eines erworbenen Firmenmantels die Fahrzeuge umsatzsteuerfrei bei einem Händler (hier hauptsächlich in Tschechien). Die in Deutschland fällige Erwerbsbesteuerung unterblieb. Trotzdem erstellte der Vorlieferant unter eigenem oder unter dem Namen einer GmbH bzw. Limited Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis an die … & … GmbH.
30
Begehungsweise Variante 2:
31
Der Vorlieferant erwarb unter Verwendung des Ausweises einer deutschen Privatperson einen Pkw bei einem Händler in Tschechien. Dieser Verkauf eines neuen Pkw unterliegt in Tschechien, der Slowakei und in Polen nicht der Umsatzsteuer. Die Fahrzeuge konnten netto eingekauft werden. Bei einem korrekten Ablauf (also tatsächlich privatem Erwerb des Pkw) wäre in Deutschland eine Fahrzeugeinzelbesteuerung gemäß § 1b UStG veranlasst gewesen. Diese wurde dadurch umgangen, dass bei der Zulassung der Endkunde eine Rechnung eines deutschen Autohändlers mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer vorlegen konnte.
32
Bei den Vorlieferanten handelte es sich um H. R. und J. B. („B.“) B. sowie R. S.
33
Die Rechnungen an die … & … GmbH erteilten H. R. und der zwischenzeitlich verstorbene J. B. B., die beide gewerblich im Kraftfahrzeughandel tätig waren, vorwiegend unter den Namen der steuerlich bereits seit 1. Juni 2012 gelöschten „R. Automobile Service Ltd.“, bei der A. W. als Strohmanngeschäftsführer fungierte. Weiter wurden im Auftrag des Herrn R. durch die Firma W. Rechnungen an die … & … GmbH erteilt. Bei dieser Firma W. handelte es sich um eine in die Umsatzsteuerbetrugskette zum Rechnungsschreiben eingebundene Firma. Im Gegenzug für die Rechnungsstellung an die … & … GmbH erhielt die Firma W. Eingangsrechnungen der R. Automobile Service Ltd. Der Fahrzeughandel wurde nahezu vollständig durch H. R. organisiert, der sich um den Ein- und Verkauf der Fahrzeuge sowie deren Transport kümmerte. M. W. fungierte nahezu ausschließlich als Rechnungsschreiber.
34
H. R., J. B. B. und M. W. erklärten entgegen ihrer steuerrechtlichen Verpflichtung die in den Rechnungen an die … & … GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge nicht gegenüber dem für sie zuständigen Finanzamt.
35
Ferner wurden von J. B. B. Rechnungen unter den Namen der nicht existenten Firma „EU Fahrzeuge … GmbH“ bzw. der Einzelfirma EU-Fahrzeuge … und unter dem Namen der steuerlich nicht geführten „… Services Ltd.“ erteilt. Inhaber der Einzelfirma EU-Fahrzeuge … war A. W. Dieser stellte unter seiner Einzelfirma EU-Fahrzeuge … Rechnungen über Fahrzeuglieferungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer aus, obwohl er wusste, dass die Fahrzeuge tatsächlich nicht von ihm geliefert wurden.
36
Gründungsgesellschafter der … Services Automobile Ltd. war A. V. Als Geschäftsführer wurden ursprünglich A. V. bzw. ab 3. Juli 2014 A. W. eingetragen. Bei der auf den Rechnungen aus dem Jahr 2014 verwendeten Geschäftsadresse „… Weg 19, …“ handelte es sich um die Wohnanschrift von A. W. Unter dieser Anschrift erfolgte zwar eine Gewerbeanmeldung, jedoch wurde die Ltd. steuerlich nicht erfasst.
37
Die Rechnungserteilungen durch H. R. und J. B. B. unter den zuvor genannten Firmen, für die auch keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben wurden, dienten - wie der Beschuldigte bei Ankauf der Fahrzeuge zumindest billigend in Kauf nahm - lediglich dazu, den tatsächlichen Lieferanten zu verschleiern und den inländischen Abnehmern - hier dem Beklagten - den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Tatsächlich nahm die von dem Beklagten geführte … & … GmbH die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer in den oben genannten Fällen als Vorsteuer in Anspruch.
38
Des Weiteren agierte als Vorlieferant des Beklagten R. S. Dieser erwarb keine Autos für den eigenen Lagerbestand, sondern kaufte die Fahrzeuge direkt auf Bestellung der … & … GmbH im EU-Ausland ein und verbrachte diese dann direkt zum Geschäftssitz der … & … GmbH. Der Zahlungsverkehr erfolgte regelmäßig in bar. Über die Fahrzeuglieferungen erteilte er an die … & … GmbH jeweils Abdeckrechnungen mit offenem Ausweis der Umsatzsteuer wie folgt:
39
„Die Rechnungen an die … & … GmbH erteilte R. S. im Zeitraum März 2013/April 2013 zunächst unter seinem Einzelunternehmen „… EU KFZ R. S.“. In dem Zeitraum April bis Dezember 2013 erteilte er Rechnungen mit offenem Ausweis der Umsatzsteuer für Fahrzeuglieferungen unter der zu diesem Zeitpunkt steuerlich noch nicht geführten R. GmbH. Alleiniger Gesellschafter war R. S. Als Geschäftsführer agierte V. S. Ab Juni 2013 erteilte R. S. an die … & … GmbH unter der Firma … Handels- und Dienstleistungs-GmbH Rechnungen für Fahrzeuglieferungen. Die Geschäftsanteile an diesem Unternehmen hatte R. S. über einen sogenannten Firmenbestatter erworben. Bei den Angaben zum Firmensitz handelte es sich um eine reine Briefkastenadresse.“
40
Die Rechnungserteilungen durch R. S. unter den zuvor genannten Firmennamen dienten - wie der Beklagte jedenfalls für möglich hielt und billigend in Kauf nahm - lediglich dazu, den tatsächlichen Lieferanten zu verschleiern und den inländischen Abnehmern den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Tatsächlich nahm die vom Beklagten geführte … & … GmbH die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer im oben genannten Umfang als Vorsteuer in Anspruch. R. S. erklärte hingegen - wie der Beklagte ebenfalls zumindest billigend in Kauf nahm - die in den Rechnungen an die Firma … & … GmbH ausgewiesen Umsatzsteuerbeträge nicht gegenüber dem für ihn zuständigen Finanzamt.
41
Anteilseigner und Geschäftsführer der Auto S. F. GmbH, von der der Beklagte ebenfalls Fahrzeuge bezog, ist dessen Bruder, S. S. Dieser war in den Jahren 2013 und 2014 ebenfalls Geschäftspartner von R. S. Auch er handelte mit Fahrzeugen aus einer Umsatzsteuerbetrugskette, was der Beklagte ebenfalls billigend in Kauf nahm.
42
In einer Vielzahl von Fällen wurden die gegenständlichen Fahrzeuge an die … & … GmbH billiger weiterverkauft als sie von dem jeweiligen Vorlieferanten eingekauft wurden. Dem Beklagten waren die jeweiligen Einkaufspreise im EU-Ausland größtenteils bekannt. Er nahm bei Ankauf der Fahrzeuge jeweils zumindest billigend in Kauf, dass er diese nur aufgrund des umsatzsteuerfreien Ankaufs sowie der Nichtabführung der vereinnahmten Umsatzsteuer derart günstig erwerben konnte.
43
Insgesamt tätigte der Beklagte für das Jahr 2013 von der Auto S. F. GmbH Einkäufe i.H.v. 17.173 € brutto, von der Firma R. Automobile Service Ltd. Einkäufe i.H.v. insgesamt 1.822.874,44 € brutto, von der Einzelfirma des R. S. (RS-EU-KFZ) Einkäufe i.H.v. 46.420 € brutto, von der SAG Handels- und Dienstleistungs GmbH Einkäufe von insgesamt 282.117,49 € brutto und von der Einzelfirma Weber Kfz Service Einkäufe i.H.v. 9.875 € brutto.
44
Von den bei diesen Einkaufsrechnungen nicht abzugsfähigen Vorsteuern i.H.v. insgesamt 323.463,16 € hat der Beklagte insgesamt 4.380,24 € zu Unrecht geltend gemacht.
45
Im Jahr 2014 tätigte er von der Firma R. Automobile Service Ltd. Einkäufe i.H.v. insgesamt 2.134.380,86 € brutto, von der Auto S. F. GmbH Einkäufe i.H.v. insgesamt 214.915,99 € brutto und von der Firma EU-Fahrzeuge W. Einkäufe i.H.v. insgesamt 349.630,24 € brutto.
46
Hinsichtlich des Vorwurfs der Steuerhinterziehung i.H.v. 512.796,15 € durch falsche nachträgliche Umsatzsteuervoranmeldungen für die Veranlagungszeiträume Januar bis September 2014 stellte die Staatsanwaltschaft Regensburg das Verfahren nach § 154 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) ein, ebenso hinsichtlich des Vorwurfs des Missbrauchs von Ausweispapieren und der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit Rechnungen der anderen Beteiligten.
47
Hinsichtlich der in der Anklage erhobenen Vorwürfe der Hinterziehung von Umsatzsteuer betreffend die Veranlagungszeiträume Januar bis Dezember 2012 stellte das Strafgericht das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO ein.
48
Hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate September 2013, Februar bis Mai 2014 und August 2014 geht das Strafgericht wegen Steuerverkürzung von jeweils mehr als 50.000 € vom Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AO - Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren - aus, im Übrigen vom Strafrahmen des § 370 Abs. 1 Satz 1 AO, der eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht.
49
Das Strafgericht hielt folgende Einzelstrafen für tat- und schuldangemessen:
50
Umsatzsteuervoranmeldung für
51
- Januar 2013: Geldstrafe von 40 Tagessätzen
52
- Februar 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
53
- März 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
54
- April 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
55
- Mai 2013: Geldstrafe von 80 Tagessätzen
56
- Juni 2013: Geldstrafe von 20 Tagessätzen
57
- Juli 2013: Geldstrafe von 80 Tagessätzen
58
- August 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
59
- September 2013: Freiheitsstrafe von sieben Monaten
60
- Oktober 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
61
- November 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
62
- Dezember 2013: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
63
- Januar 2014: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
64
- Februar 2014: Freiheitsstrafe von sechs Monaten
65
- März 2014: Freiheitsstrafe von acht Monaten
66
- April 2014: Freiheitsstrafe von sieben Monaten
67
- Mai 2014: Freiheitsstrafe von sieben Monaten
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- Juni 2014: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
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- Juli 2014: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
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- August 2014: Freiheitsstrafe von sieben Monaten
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- September 2014: Geldstrafe von 120 Tagessätzen
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3. Das Polizeipräsidium O. N. leitete mit Schreiben vom 19. März 2015 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein, zunächst wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Mordes am Ehemann seiner Lebensgefährtin, und setzte es bis zum rechtskräftigen Abschluss des insoweit geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus. Am selben Tag sprach es das bereits erwähnte Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gegen ihn aus. Mit Verfügung vom 15. Januar 2019 übernahm das Polizeipräsidium München das Verfahren als Disziplinarbehörde. Unter dem Datum des 16. Februar 2019 wurde ein Persönlichkeitsbild für den Beklagten erstellt. Mit Schreiben vom 16. April 2019 dehnte das Polizeipräsidium München das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf von Steuerstraftaten im Zeitraum Januar 2012 bis September 2014 aus und hörte den Beklagten zur beabsichtigten vorläufigen Dienstenthebung an. Mit Schreiben vom 25. Februar 2020 wurde er unter Einbehaltung von 50 v.H. der monatlichen Dienstbezüge und der jährlichen Sonderzahlung vorläufig des Dienstes enthoben. Mit Schreiben vom 27. April 2021 setzte das Polizeipräsidium München das Disziplinarverfahren fort, dehnte es auf nebentätigkeitsrechtliche Verstöße aus und verfolgte es hinsichtlich des Mordvorwurfs nicht weiter. Das Ergebnis der Ermittlungen teilte es dem Beklagten mit Schreiben vom 28. Juli 2021 mit.
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Dieser erhielt im behördlichen Disziplinarverfahren zu allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung, von der er nicht Gebrauch machte.
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4. Am 7. Dezember 2021 erhob das Polizeipräsidium München Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
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den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
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Zur Begründung wurden ihm zum einen die Sachverhalte aus dem Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juni 2020 und aus den Einstellungen nach § 154 Abs. 1 und Abs. 2 StPO (Vorwurf 1; vgl. die Darstellung unter 2.), zum anderen nebentätigkeitsrechtliche Verstöße (Vorwurf 2) vorgeworfen. Er habe mit Schreiben vom 12. September 2012 beim Polizeipräsidium Oberbayern Nord die Genehmigung seiner Nebentätigkeit als Geschäftsführender Gesellschafter der Firma … … & … GmbH beantragt und dabei lediglich angegeben, dass die Firma Kraftfahrzeuge an gewerbliche Kunden vermiete und Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen (Dialysefahrten) durchführe, nicht aber erwähnt, dass die Firma auch Handel mit Fahrzeugen betreibe. Das Polizeipräsidium Oberbayern Nord habe die angegebene Nebentätigkeit mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 genehmigt. Die Genehmigung habe nur für die beantragte Tätigkeit gegolten. Bereits 2009 sei eine Nebentätigkeitsgenehmigung für die Tätigkeit eines Geschäftsführenden Gesellschafters der Firma AutoS. A. GmbH vom Präsidium der Bereitschaftspolizei versagt worden. Vorwurf 1 stehe aufgrund der straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen zur Überzeugung des Klägers fest. Die in dem Strafurteil festgestellten Tatsachen seien der Entscheidung im Disziplinarverfahren nach Art. 25 Abs. 1 BayDG zu Grunde zu legen und bindend. Bezüglich der Einstellungen nach § 154 Abs. 1 und Abs. 2 StPO ergäben sich die Vorwürfe aus den strafrechtlichen Ermittlungen. Insbesondere die umfangreichen Ermittlungen und Auswertungen des sachverständigen Zeugen S. vom Finanzamt Regensburg im Strafverfahren bestätigten den dargestellten Sachverhalt. Eine Einstellung stehe einer Ahndung in disziplinarrechtlichen Verfahren nicht entgegen.
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Mit den unter Vorwurf 1 genannten Taten habe der Beklagte die Pflichten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG), zu vollem persönlichem Einsatz im Beruf (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) und die Gehorsamspflicht (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, Art. 81 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BayBG) verletzt; der vorgeworfene Sachverhalt erfülle außerdem den Straftatbestand der Steuerhinterziehung. Disziplinarrechtlich wirke sich dabei insbesondere aus, dass er sich durch das schwerwiegende Wirtschaftsdelikt unberechtigte Steuervorteile verschafft habe, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen habe und durch öffentliche Mittel alimentiert werde. Die disziplinarrechtliche Relevanz des außerdienstlichen Verhaltens ergebe sich aufgrund seiner Stellung als Polizeibeamter.
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Der unter Vorwurf 2 dargestellte Sachverhalt begründe einen Verstoß gegen die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) und die Gehorsamspflicht (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, Art. 81 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BayBG). Es handle sich um eine innerdienstliche Pflichtverletzung. Der Beklagte habe vorsätzlich gehandelt, weil er durch ein vorangegangenes Nebentätigkeitsgenehmigungsverfahren gewusst habe, dass der Handel mit Fahrzeugen nicht genehmigungsfähig sei. In der Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit während krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit könne auch ohne den konkreten Nachweis einer Verzögerung der Genesung ein Verstoß gegen die Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz im Beruf liegen.
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Die vorgeworfenen Ereignisse begründeten ein einheitliches Dienstvergehen. Das dem Beklagten entgegengebrachte Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit habe durch das Dienstvergehen irreparablen Schaden genommen, weshalb die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten sei. Die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme sei auszusprechen im Hinblick auf den Strafrahmen der Steuerhinterziehung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren, den dienstlichen Bezug aufgrund der Stellung des Beklagten als Polizeivollzugsbeamter, die siebenstellige Höhe des Hinterziehungsbetrags, die ausgesprochenen Einzelstrafen von Freiheitsstrafe weit über einem Jahr und den Zusammenhang der Steuerhinterziehung mit einer nicht genehmigten Nebentätigkeit. Der siebenstellige Hinterziehungsbetrag ergebe sich mit Blick auf die ungerechtfertigten Steuervorteile für das Jahr 2013 (382.674,29 €) und das Jahr 2014 (557.029,29 €), folglich insgesamt 939.703,58 €, den nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten Vorwurf (512.796,15 €) und auch die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Vorwürfe der Hinterziehung von Umsatzsteuer in den Veranlagungszeiträumen Januar bis Dezember 2012. Als neutral würden das Persönlichkeitsbild vom 16. Februar 2019 und die fehlende Vorbelastung des Beklagten bewertet. Zu seinen Lasten spreche, dass er bereits Anfang 2016 nach Tschechien gezogen sei.
80
In der Zusammenschau liege ein äußerst schwerwiegendes dienstliches Versagen im Bereich leicht einsehbarer Kernpflichten vor, durch das der Beklagte eine deutliche charakterliche Fehlhaltung offenbare und das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Amtsausübung in unheilbarer Weise zerstört sei.
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Der Beklagte beantragte,
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die Disziplinarklage abzuweisen,
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hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
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Er berief sich mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23. Januar 2023 auf bereits getilgte Steuerschulden i.H.v. inzwischen rund 74.000 €.
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In der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2023 stellte der Beklagte den Sachverhalt aus seiner Warte dar. Sein Bevollmächtigter führte aus, seines Erachtens seien die Umstände, hinsichtlich derer im Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juni 2020 eine Einstellung des Strafverfahrens nach § 154 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StPO ausgesprochen worden sei, mangels ausreichender Substantiierung nicht Gegenstand der Disziplinarklage. Zudem habe der Beklagte in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Strafgericht ein Geständnis gerade nicht für die Steuerhinterziehung für das Jahr 2012 abgegeben. Nach § 154 Abs. 1 StPO bestehe die Unschuldsvermutung. Ein finanzieller Vorteil für den Beklagten habe allenfalls darin gelegen, dass er Fahrzeuge günstiger habe erwerben können; seine Bereicherung sei damit weit niedriger gewesen als die für die Steuerhinterziehung genannten Nominalbeträge. Als Zweitunternehmer habe er im Hinblick auf den Erstunternehmer nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt.
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Der Klägervertreter trat dem entgegen. Auch die im Strafverfahren eingestellten Vorwürfe seien von der Disziplinarklage umfasst. Bei der Disziplinarmaßnahmebemessung sei auf die nominalen Hinterziehungsbeträge abzustellen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Disziplinarakten, der Personalakte und der Strafakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt (Art. 11 BayDG).
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche wurden vom Beklagten auch nicht geltend gemacht. Insbesondere erhielt er zu allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung.
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2. Das Gericht legt seiner Entscheidung die Vorwürfe aus dem Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juni 2020 zu Grunde, auch insoweit, als das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, außerdem die Verstöße gegen das Nebentätigkeitsrecht (2.1. - 2.3.). Im Übrigen wird das Verfahren nach Art. 54 Satz 1 BayDG beschränkt (2.4.).
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2.1. Soweit dem Beklagten für den Zeitraum Januar 2013 bis September 2014 Steuerhinterziehung i.H.v. insgesamt 939.703,58 € durch 21 Einzeltaten vorgeworfen wird, ergibt sich der Sachverhalt aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juni 2020 und besteht insoweit Bindungswirkung nach Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbs. 1 BayDG.
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Der im Strafurteil festgestellte Steuerhinterziehungsbetrag i.H.v. 939.703,58 € berechnet sich dabei wie folgt: Für die Anmeldezeiträume Januar bis November 2013 verschwieg der Beklagte Netto-Umsätze i.H.v. 2.006.077,42 €, wodurch es zu einer Umsatzsteuerverkürzung (19%) i.H.v. 381.154,72 € kam; unter Abzug zu niedrig beantragter Vorsteuer i.H.v. 33.789,99 € und unter Hinzurechnung zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuer i.H.v. 4.380,24 € ergibt sich für den vorgenannten Zeitraum eine Steuerhinterziehung i.H.v. 351.744,97 €. Für den Veranlagungszeitraum Dezember 2013 unterließ es der Beklagte, Netto-Umsätze i.H.v. 169.112,76 € zu erklären; damit ergibt sich unter Abzug einer ihm zustehenden Vorsteuererstattung i.H.v. 1.202,11 € eine Umsatzsteuerverkürzung i.H.v. 30.929,32 €. Für die Veranlagungszeiträume Januar bis September 2014 unterließ er es, die erforderlichen Umsatzsteuervoranmeldungen einzureichen. Im Hinblick auf Netto-Umsätze i.H.v. 3.126.638,49 € und nicht beantragte Vorsteuer i.H.v. 37.032,02 € ergibt sich für diese Zeiträume eine Umsatzsteuerhinterziehung i.H.v. 557.029,29 €.
93
Der Beklagte war im strafrechtlichen Verfahren zuletzt auch geständig; in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Strafgericht räumte er ein, dass er mit der Umsatzsteuerhinterziehung seiner Vorlieferanten gerechnet habe und ihm dies gleichgültig gewesen sei (vgl. Strafakte Protokolle).
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2.2. Das Gericht sieht es weiter als Gegenstand der Disziplinarklage und als erwiesen an, dass der Beklagte unter dem Datum des 25. August 2018 und damit verspätet für die Voranmeldungszeiträume Januar bis September 2014 unrichtige Umsatzsteuer-voranmeldungen einreichte, indem er zu hohe Vorsteuererstattungsbeträge geltend machte. Die zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuer beläuft sich auf 512.796,15 €.
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Die Disziplinarklage bezog diesen Tatkomplex hinreichend deutlich ein, indem auf Seite 11 f. die diesbezüglichen Beweismittel dargestellt und auf Seite 15 der auf diesen Zeitraum entfallende Betrag in den gesamten Hinterziehungsbetrag einberechnet wurde(n). Der Sachverhalt mit den Tatmodalitäten der Steuerbetrugskette und den auf die jeweiligen Monate entfallenden Einzelbeträgen ergibt sich im Detail aus dem Strafurteil. Die Staatsanwaltschaft Regensburg stellte das Verfahren insoweit nach § 154 Abs. 1 StPO vorläufig ein. Zwar mag nach dieser Vorschrift in strafrechtlicher Hinsicht die Unschuldsvermutung bestehen (vgl. BVerfG, B.v. 15.10.2004 - 2 BvR 1802/04 - juris Rn. 1). Dennoch ermöglicht es Art. 25 Abs. 2 i.V.m. Art. 55 Halbs. 1 BayDG, den im Strafverfahren ermittelten und hinreichend konkretisierten Vorwurf der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zu Grunde zu legen. Der Beklagte hat die danach bestehende Indizwirkung nicht entkräftet.
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2.3. Weiter sind dem Beklagten nebentätigkeitsrechtliche Verstöße anzulasten. Diese begannen damit, dass er im Antrag vom 12. September 2012 auf Erteilung einer Nebentätigkeitserlaubnis für seine Tätigkeit als Geschäftsführender Gesellschafter der Firma … … & … GmbH bewusst verschwiegen hat, dass diese neben den angegebenen Tätigkeiten auch den Handel mit Fahrzeugen betrieb. Weiter hat er die mit Bescheid des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord vom 11. Oktober 2012 nur im Umfang seines Antrags genehmigte Nebentätigkeit seither in darüber hinausgehendem Umfang ausgeübt. Daneben hat er die nicht genehmigte Nebentätigkeit trotz seiner seit 18. Januar 2014 bestehenden ununterbrochenen Dienstunfähigkeit fortgeführt, was sich bereits aus den auch in dieser Zeit begangenen Steuerhinterziehungstaten ergibt.
97
2.4. Soweit dem Beklagten in der Disziplinarklage weiter der Missbrauch von Ausweispapieren und Urkundenfälschung in Zusammenhang mit den Rechnungen der an der Umsatzsteuerbetrugskette beteiligten Firmen vorgeworfen werden, wird das Disziplinarverfahren wegen der fehlenden Konkretisierung dieser Vorwürfe durch das Strafgericht und auch in der Disziplinarklage nach Art. 54 Satz 1 BayDG beschränkt.
98
Gleiches gilt im Hinblick auf den Vorwurf, dass er für den Zeitraum Januar bis Dezember 2012 durch zwölf Einzeltaten eine weitere Steuerverkürzung vorgenommen haben soll. Nach dem Ermittlungsbericht des Finanzamts Regensburg vom 8. November 2017 (2. Nachtrag; Strafakte VI S. 141 ff.) hat er im Jahr 2012 Umsätze i.H.v. 272.517,20 € verschwiegen und damit Umsatzsteuer i.H.v. 51.778,28 € verkürzt, außerdem Vorsteuer i.H.v. 31.878,13 € zu Unrecht geltend gemacht, was eine Steuerhinterziehung i.H.v. insgesamt 81.637,68 € für 2012 ergibt. Insoweit hat das Strafgericht das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2020 nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt (vgl. Strafakte Protokolle). Wegen der insoweit im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand bestehenden Unsicherheiten und der fehlenden Substantiierung dieses Vorwurfs in der Disziplinarklage beschränkt das Gericht das Disziplinarverfahren auch im Hinblick auf diesen Sachverhalt. Die Beschränkungen konnten vorgenommen werden, weil die vorgenannten Vorwürfe für Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht ins Gewicht fallen.
99
3. Durch die zur Last gelegten Taten hat der Beklagte ein Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.
100
3.1. Durch sein unter 2.1. und 2.2. dargestelltes Verhalten hat er gegen die Pflicht, die Gesetze zu beachten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 AO) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen.
101
Die Steuerstraftaten hat der Beklagte außerdienstlich begangen, weil sie nicht in sein Amt und seine dienstlichen Pflichten eingebunden waren. Die außerdienstliche Pflichtverletzung stellt ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG dar. Zum einen sieht § 370 AO für Steuerhinterziehung einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (Abs. 1), in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren vor (Abs. 3), so dass das Fehlverhalten des Beklagten ein Mindestmaß an Relevanz überschreitet, was bei einer Strafandrohung von mindestens zweijähriger Freiheitsstrafe der Fall ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2020 - 2 C 12.19 - juris Rn. 16). Zum anderen weisen die außerdienstlich begangenen Verstöße einen hinreichenden Bezug zum Amt eines Polizeibeamten auf. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen und genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte - wie der Beklagte - selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 50.13 - juris Rn. 35 f.).
102
Dem Beklagten ist bei den Steuerstraftaten Vorsatz zur Last zu legen. Im Hinblick auf die mit Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juni 2020 geahndeten Taten ergibt sich dies aus der Bindungswirkung des Strafurteils, die auch den subjektiven Tatbestand umfasst (BayVGH, U.v. 20.9.2021 - 16a D 19.1302 - juris Rn. 23). Danach erfolgten die unterlassenen Erklärungen von Netto-Umsätzen jeweils in der Absicht, Steuern zu verkürzen, so dass insoweit dolos directus 1. Grades gegeben ist. Lediglich im Hinblick auf die Geltendmachung unberechtigter Vorsteuerbeträge hielt er eine Steuerverkürzung zu Gunsten der … … & … GmbH lediglich für möglich und nahm dies billigend in Kauf, handelte also insoweit mit dolos eventualis.
103
3.2. Mit den nebentätigkeitsrechtlichen Verstößen hat der Beklagte die Gehorsamspflicht (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt (vgl. Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2022, MatR/II Rn. 374). Der Pflichtverstoß ist ein innerdienstlicher, weil er untrennbar mit seiner Stellung als Polizeibeamter verbunden ist.
104
Der Beklagte handelte vorsätzlich, weil ihm aus dem Verfahren im Jahr 2009 bekannt war, dass die Erteilung einer Nebentätigkeitserlaubnis für eine geschäftsführende Tätigkeit in einer Firma, deren Tätigkeitsbereich maßgeblich den Handel mit Fahrzeugen umfasste, voraussichtlich nicht möglich war.
105
4. Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG. Es hat zur Folge, dass er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Deshalb ist nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme zu erkennen.
106
4.1. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 - 2 C 9.14 - juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 - 16a D 14.2285 - juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 - 16b D 13.993 - juris Rn. 36).
107
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gutzumachende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (BayVGH, U.v. 11.5.2016 - 16a D 13.1540 - juris Rn. 67).
108
Fallen einem Beamten - wie hier - mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 11.5.2016 - 16a D 13.1540 - juris Rn. 66). Diese liegt hier in dem strafrechtlich relevanten Verhalten der vielfachen Steuerhinterziehung.
109
4.2. Zur konkreten Bestimmung der Disziplinarmaßnahmebemessung ist in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, B.v. 5.7.2016 - 2 B 24.16 - juris Ls. und Rn. 15). Begeht ein Beamter außerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, B.v. 23.1.2014 - 2 B 52.13 - juris Rn. 8). Gleiches gilt für eine außerdienstliche Tat, die - wie hier beim Beklagten als Polizeibeamten - einen Bezug zu seinem Amt aufweist und für die ein gesetzlicher Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren besteht (BVerwG, B.v. 8.3.2018 - 2 B 48.17 - juris Rn. 13). Vorliegend ist damit ein Orientierungsrahmen bis zur disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme eröffnet.
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Das Dienstvergehen wiegt auch bei einer konkreten Betrachtung der vorgeworfenen Taten schwer. Bereits mit Blick nur auf den mit Strafurteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juni 2020 abgeurteilten Sachverhalt hat der Beklagte im Zeitraum von März 2013 bis Oktober 2014 21 Einzeltaten begangen und einen Steuerschaden i.H.v. 939.703,58 € verursacht. Dabei ist der Großteil dieses Steuerschadens auf die unterlassene Geltendmachung von Netto-Umsätzen zurückzuführen, die vorsätzlich und klar in der Absicht der Steuerverkürzung erfolgt ist. Auch wenn der Beklagte kein erfahrener Geschäftsmann war, worauf er in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, musste ihm ohne Weiteres einleuchten, dass er zur korrekten Angabe sämtlicher Umsätze verpflichtet war, weil nur dann die Steuerschuld des Unternehmens zutreffend ermittelt werden konnte. Zu diesen Taten kommt, dass die am 25. August 2015 bei der Steuerverwaltung eingegangenen Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum Januar bis September 2014 zu hohe Vorsteuererstattungsbeträge auswiesen und so ein weiterer Steuerschaden i.H.v. 512.796,15 € entstanden ist. Insoweit handelte der Beklagte mit dolos eventualis. Er nahm billigend in Kauf, dass er möglicherweise Glied einer Umsatzsteuerbetrugskette war, bei der der Erstunternehmer aufgrund des Bezugs des Fahrzeugs aus dem Ausland keine Umsatzsteuer abgeführt hatte, diese aber dennoch als Vorsteuer gegenüber dem Finanzamt geltend machte und ihm das Fahrzeug nur aufgrund dieser illegalen Abrechnungspraxis so günstig verkaufen konnte. Soweit der Beklagte vorträgt, er habe jedenfalls einige Fahrzeuge nicht unter dem marktüblichen Preis erhalten, mag dies im Einzelfall, aber nicht für die Mehrzahl der erworbenen Fahrzeuge zutreffen. Außerdem darf gerade bei außerdeutschen Geschäften nicht gezahlte Vorsteuer nicht in Abzug gebracht werden und musste dieses Grundprinzip des deutschen Steuerrechts auch dem Beklagten als Unternehmer mit mehrjähriger Geschäftserfahrung jedenfalls im Ansatz geläufig sein.
111
Insgesamt ergibt sich für den Fiskus ein Gesamtschaden i.H.v. knapp 1,5 Mio. € in einem Tatzeitraum von zwei bis drei Jahren durch 30 (21+9) Einzeltaten in kontinuierlicher Tatbegehung. Bei einem siebenstelligen Hinterziehungsbetrag erscheint die Höchstmaßnahme angemessen und erforderlich (BVerwG, U.v. 28.7.2011 - 2 C 16.10 - juris Rn. 34). Anders als der Bevollmächtigte des Beklagten vorträgt, stellt die Rechtsprechung insoweit auf die Höhe des Hinterziehungsbetrags ab, nicht auf die Höhe der beim Steuerschuldner eingetretenen Bereicherung.
112
4.3. Die Ausschöpfung des Orientierungsrahmens gebietet sich hier auch deshalb, weil erschwerende Umstände vorliegen.
113
Zu Lasten des Beklagten sprechen seine Verstöße gegen das Nebentätigkeitsrecht. Für die Ahndung ungenehmigter Nebentätigkeiten steht wegen der Vielfalt der möglichen Pflichtverstöße grundsätzlich der gesamte disziplinarrechtliche Maßnahmenkatalog zur Verfügung. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Nebentätigkeiten an. Erschwerend wirkt sich aus, wenn ein Beamter ungenehmigte Nebentätigkeiten in Zeiten der Krankschreibung wahrnimmt (BVerwG, U.v. 11.1.2007 - 1 D 16.05 - juris Rn. 59), was hier der Fall war. Zudem war die angeschuldigte Nebentätigkeit nach Art und Umfang offensichtlich nicht genehmigungsfähig, worüber sich der Beklagte im Klaren war. Er hat die ungenehmigte Nebentätigkeit während einer Dauer von knapp drei Jahren ausgeübt. Allein für diesen Sachverhaltskomplex würde sich bei isolierter Betrachtung die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge in mindestens mittlerer Höhe ergeben.
114
Zu seinen Lasten spricht weiter, dass die außerdienstlich begangene Steuerhinterziehung einen hinreichenden Bezug zu seinem Amt als Polizeibeamter aufweist und seine besondere Vertrauens- und Garantenstellung erschwerend zu berücksichtigen ist (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 50.13 - juris Rn. 35).
115
4.4. Milderungsgründe liegen nicht vor.
116
Die Geständigkeit des Beklagten im Strafverfahren erfolgte erst am letzten Tag der Hauptverhandlung und damit zu einem sehr späten Zeitpunkt; sie war zudem durch die Absicht motiviert, eine Vereinbarung zustande zu bringen.
117
Auch die teilweise Begleichung der Steuerschulden durch Gehaltspfändungen und Umbuchungen, zu der mit Schriftsatz vom 23. Januar 2023 weiter vorgetragen wurde, spricht nicht entscheidend zu seinen Gunsten; sie erfolgte aufgrund gesetzlicher Verpflichtung als Steuerschuldner (BVerwG, U.v. 8.9.2004 - 1 D 18.03 - juris Rn. 48).
118
Auch die lange Verfahrensdauer seit der Einleitung des Disziplinarverfahrens am 19. März 2015 und damit vor nahezu acht Jahren kann nicht zum Absehen von der Höchstmaßnahme führen. Dies ließe sich nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Das von dem Beamten zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung schwerwiegender Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden (BVerwG, B.v. 22.10.2018 - 2 B 30.18 - juris Rn. 8).
119
5. Sämtliche Taten sind trotz des langen Zeitablaufs zum jetzigen Zeitpunkt noch verwertbar. Für die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gibt es kein Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs (vgl. Art. 16 BayDG).
120
6. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist unter Abwägung des Gewichts des Dienstvergehens sowie des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens und der mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehenden Belastung auch nicht unverhältnismäßig. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarische Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung die Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe das Vertrauen zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde seine Dienstaufgaben künftig pflichtgemäß erfüllen, ist die Entfernung aus dem Dienst die angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Entfernung aus dem Dienst beruht dann auf einer schuldhaften schwerwiegenden Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen. Die in der Entfernung vom Dienst liegende Härte für den Beamten - insbesondere hinsichtlich des Verlustes seiner Dienstbezüge bzw. künftigen Ruhegehalts - ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten des für sein Handeln verantwortlichen Beklagten, der sich bewusst gewesen sein muss, dass er hiermit seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt (BayVGH, U.v. 20.9.2021 - 16b F 19.1302 - juris Rn. 67).
121
6. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Der Beklagte, gegen den im Disziplinarverfahren auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt die Kosten des Verfahrens.