VG Regensburg, Urteil v. 01.02.2022 – RN 9 K 21.1624
Titel:
Unzulässigkeit einer Klage mangels Angabe einer ladungsfähigen Anschrift
Normenkette:
ZPO § 117 Abs. 2 Nr. 1, § 130 Nr. 1
Leitsätze:
1. Zur Bezeichnung des Klägers gehört auch die Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift, unter der er, auch bei Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten, tatsächlich zu erreichen ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kommt der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine aktuelle Anschrift mitzuteilen, nicht nach, so ist sein Rechtsschutzgesuch grundsätzlich unzulässig, wenn nicht ausnahmsweise auf diese Angabe verzichtet werden kann, weil sie dem Kläger unmöglich oder unzumutbar ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
ladungsfähige Anschrift, Zulässigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Entscheidung vom 05.04.2022 – 19 C 22.457
Fundstelle:
BeckRS 2022, 8205
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
2
Der Kläger, kosovarischer Staatsangehöriger, beantragte am 23. Mai 2018 ein nationales Visum für eine Beschäftigung im Rahmen der Westbalkanregelung als Produktionshelfer (Geflügelzerlegung). Nach Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und Erteilung eines nationalen Visums (gültig vom 25.6.2018 bis zum 24.12.2018) reiste der Kläger erstmals am 27. Juni 2018 in das Bundesgebiet ein. Die Beschäftigung wurde am 29. Juni 2018 aufgenommen. Von der damals zuständigen Ausländerbehörde des Landratsamtes S. Bogen wurde dem Kläger am 12. Dezember 2018 eine bis 28. Juni 2019 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 3 AufenthG (a. F.) erteilt. Aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrages wurde die Aufenthaltserlaubnis von der zwischenzeitlich zuständig gewordenen Ausländerbehörde der Stadt S. bis zum 28. Juni 2020 verlängert.
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Am 13. November 2019 teilte die Polizeiinspektion F … mit, dass der Kläger bei einer Verkehrskontrolle am 26. Oktober 2019 im Bundesgebiet ohne Fahrerlaubnis gefahren sei. Zwar besitze der Kläger einen kosovarischen Führerschein, dieser müsse aber im Bundesgebiet von der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde umgeschrieben werden. In der Folge wurde ihm eine Weiterfahrt im Bundesgebiet untersagt. Das eingeleitete Strafverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Regensburg nach § 153 StPO eingestellt (Az. 126 Js 26490/19). Nach Mitteilung der Polizeiinspektion S … (Eingang am 18.11.2019) fuhr der Kläger am 31. Oktober 2019 im Bundesgebiet ohne erforderliche Fahrerlaubnis. Daraufhin wurde er durch Strafbefehl des Amtsgerichts Straubing (Az. Cs 135 Js 96048/19; rechtskräftig seit 21.12.2019) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG am 3. Dezember 2019 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 60,00 EUR verurteilt.
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Am 27. Januar 2020 beantragte der Kläger einen Arbeitgeberwechsel. Nach Vorlage des neuen Arbeitsarbeitsvertrages und Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit wurde ihm am 4. Februar 2020 ein neues Zusatzblatt mit der Beschäftigungserlaubnis als Helfer in der Landschaftspflege bei der Firma R … Landschaftspflege in A … ausgehändigt. Auf entsprechenden Antrag und aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrages wurde die Aufenthaltserlaubnis am 14. Mai 2020 bis 28. Juni 2021 verlängert.
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Am 26. Oktober 2020 beantragte der Kläger eine Umschreibung seines kosovarischen Führerscheins bei der Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten. Eine solche Umschreibung ist bislang nicht erfolgt.
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Am 2. Februar 2021 teilte die Polizeiinspektion S … mit, dass der Kläger bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle am 8 Januar 2021 als Fahrer ohne Fahrerlaubnis festgestellt worden sei. Am 3. März 2021 wurde der Kläger deshalb durch Strafbefehl des Amtsgerichts Eggenfelden (Az. 1 Cs 409 Js 4083/21; rechtskräftig seit 27.3.2021) wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG zu 50 Tagessätzen zu je 50,00 EUR verurteilt.
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Am 29. April 2021 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Mit Schreiben vom 16. Juni 2021 wurde der Kläger zu den beabsichtigten Maßnahmen angehört. Hierzu äußerte sich die zwischenzeitlich Bevollmächtigte mit Schreiben vom 12. Juli 2021. Der Kläger sei bislang wegen keiner im Bundesgebiet begangenen Straftat rechtskräftig verurteilt worden. Vielmehr sei mangels Übersetzung des Strafbefehls noch nicht einmal die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt und dieser auch nicht wirksam zugestellt worden. Ferner sei die Frist für die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer inländischen Fahrerlaubnis mangels eines ordentlichen Wohnsitzes nicht in Lauf gesetzt worden. Ausweislich des an das Amtsgericht Straubing gerichteten Einspruchsschreiben vom 28. Juni 2021 beabsichtige der Kläger eine Rückkehr nach Kosovo, sobald er genügend Eigenkapital angespart habe, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Daher bestehe sein gewöhnlicher Aufenthalt dort und damit sein ordentlicher Wohnsitz im Sinn des EU-Rechts fort.
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Mit Bescheid vom 13. Juli 2021, der Bevollmächtigten zugegangen am 16. Juli 2021, lehnte die Stadt S. den Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis vom 29. April 2021 nach § 19c Abs. 1 AufenthG (n.F., Anm. d. G.) i.V.m. § 26 Abs. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) ab (Ziffer 1) und verpflichtete den Kläger, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Bescheids zu verlassen. Widrigenfalls wurde dem Kläger die Abschiebung in die Republik Kosovo oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 2). Für den Fall einer Abschiebung wurde gegen den Kläger ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 24 Monate beginnend mit der Ausreise befristet (Ziffer 3). Da die Voraussetzungen des § 19c Abs. 1 AufenthG und des § 26 Abs. 2 BeschV zweifelsfrei vorlägen, werde auf das Beschäftigungsverhältnis nicht weiter eingegangen. Ausgehend von § 18 Abs. 1 AufenthG müssten aufgrund der bereits zweifachen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis die Interessen der öffentlichen Sicherheit beachtet werden, was insbesondere in diesem Fall durch die Prüfung entgegenstehender Sicherheitsaspekte bzw. Ausweisungsinteressen im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgebildet werde. Vorliegend sei ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben, da ein schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vorliege. Der Kläger sei jeweils wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit Strafbefehl vom 3. Februar 2019 zu 40 Tagessätzen und mit Strafbefehl vom 3. März 2021 zu 50 Tagessätzen verurteilt worden. Bereits zuvor sei die erste festgestellte Fahrt ohne Fahrerlaubnis am 26. Oktober 2019 nach § 153 StPO eingestellt worden. Was die Angaben der Bevollmächtigten in der Anhörung vom 12. Juli 2021 betreffe, gehe die Ausländerbehörde der Stadt S. von wirksamen Verurteilungen aus. Aktuell sei der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet. Grundsätzlich gehe die Ausländerbehörde von einer rechtmäßigen Arbeit der Staatsanwaltschaften und Gerichte aus und sei auch an diese Entscheidungen gebunden. Auch ein offensichtlicher Fehler könne nicht erkannt werden. Weiterhin sei eine Verurteilung nicht zwingend erforderlich; ausreichend sei vielmehr, dass der Ausländer einen Rechtsverstoß begangen habe. Sei der Rechtsverstoß eine Straftat, sei es also nicht notwendig, dass der Ausländer verurteilt worden sei, schon gar nicht, dass eine rechtskräftige Entscheidung des Strafgerichts vorliege. Ausreichend aber auch notwendig sei, dass die Begehung einer derartigen Tat objektiv feststehe. Durch die ausführliche Anzeigenerstattung der feststellenden Polizeibeamten stünden die Taten objektiv fest. In der Folge liege auch ein Ausweisungsinteresse ohne entsprechende Verurteilungen vor. Im Fall des Klägers werde auch eine anhaltende Gefährdung (spezialpräventives Ausweisungsinteresse) gesehen, da von ihm eine Wiederholungsgefahr ausgehe. Seit seiner Einreise im Juni 2018 habe der Kläger innerhalb kurzer Zeit insgesamt drei Verkehrsdelikte begangen. Bei genauer Betrachtung der einzelnen Taten falle auf, dass die ersten zwei Taten innerhalb von wenigen Tagen begangen worden seien. Den Kläger habe weder die Einleitung eines Strafverfahrens oder die Belehrung der Polizei bei der ersten Tat am 26. Oktober 2019 noch die strafgerichtliche Verurteilung für die Tat vom 31. Oktober 2019 bewogen, sein Verhalten zu ändern und sich an die deutsche Rechtsordnung zu halten. Trotz der Verurteilung mit Strafbefehl vom 3. Dezember 2019 für die zweite Tat sei der Kläger am 8. Januar 2021 wieder ohne deutsche Fahrerlaubnis gefahren. Dies zeige, dass dem Kläger die Regelungen im Straßenverkehr gleichgültig seien. Nach Auskunft der Führerscheinbehörde sei der Kläger zwar im Besitz einer kosovarischen Fahrerlaubnis und habe ab dem Einreisetag in das Bundesgebiet insgesamt für sechs Monate eine Berechtigung, von seinem ausländischen Führerschein Gebrauch zu machen. Bei einer Umschreibung habe er aber seine Befähigung in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachzuweisen (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung - FeV). Da die Straßenverkehrsregeln insbesondere der Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer dienten, handle es sich auch nicht um geringfügige Verstöße, zumal es auch nicht vereinzelt gewesen sei. Der Kläger habe die Umschreibung seines kosovarischen Führerscheins am 26. Oktober 2020 beantragt. Aufgrund seiner bereits zweimaligen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis könne der Führerschein jedoch auch nach den Prüfungen nach Auskunft der Führerscheinbehörde nicht problemlos umgeschrieben werden. Die Fahrerlaubnisbehörde zweifle erheblich an der charakterlichen Eignung des Klägers. Aufgrund dessen seien Aufklärungsmaßnahmen im Sinne von § 11 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV grundsätzlich veranlasst und auch gerechtfertigt, um die Frage zu klären, ob der Kläger weiterhin Straftaten begehen werde, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stünden und/oder er weiterhin gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Somit sei vor der Erteilung der Fahrerlaubnis eine medizinisch-psychologische Untersuchung notwendig. Solange ein positives Eignungsgutachten nicht vorgelegt worden und in der Folge eine Umschreibung nicht möglich sei, bestehe hier eine Wiederholungsgefahr. Weiterhin bestehe ein generalpräventives Ausweisungsinteresse. Solche könnten grundsätzlich auch alleine ein Ausweisungsinteresse begründen und gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen. Das Umschreiben des Führerscheins treffe auf die Gruppe aller Drittstaatsangehörigen zu. Insofern werde im Falle der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch von einer Signalwirkung für andere Ausländer ausgegangen. Die Maßnahme ziele auch maßgeblich darauf ab, verhaltenslenkend auf andere Ausländer einzuwirken, indem ihnen aufenthaltsrechtliche Nachteile im Falle eines pflichtwidrigen Verhaltens aufgezeigt würden. Sowohl das spezial- als auch das generalpräventive Ausweisungsinteresse sei noch aktuell, da gerade die letzte Tat noch keine sieben Monate her und der Kläger erst am 3. März 2021 mit einem Strafbefehl verurteilt worden sei. Vorliegend sei weder ein atypischer Geschehensverlauf erkennbar, noch seien besondere Umstände vorgetragen worden. Auch unionsrechtliche Wertentscheidungen widersprächen der Entscheidung nicht. Der Kläger habe im Bundesgebiet keine familiären oder ähnlichen sozialen Bindungen. Zwar gehe er bisher einer unqualifizierten Beschäftigung nach, habe aber bislang lediglich geringe deutsche Sprachkenntnisse erworben, besitze keine nachweisbare berufliche Qualifikation, sei bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und gelte folglich auch nicht als vollständig integriert. Insofern sei nach einem bisher erst dreijährigen Aufenthalt in Deutschland eine Rückkehr in sein Heimatland problemlos möglich und seien seine bisherigen Bindungen ausreichend berücksichtigt worden. Der Kläger habe zuletzt eine gültige Aufenthaltserlaubnis bis zum 28. Juni 2021 besessen. Da mit gegenständlichem Bescheid der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werde, sei er nunmehr ausreisepflichtig. Die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG aufgrund der Antragstellung vom 29. April 2021 entfalle mit Zustellung des Bescheids. Tatbestände für eine gesetzliche Befreiung von der Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels seien nicht erfüllt. Die gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen sei der bisherigen Aufenthaltsdauer angemessen. Durch die Covid-19-Pandemie lägen aktuell hinsichtlich der Republik Kosovo keine Einschränkungen bei der Ausreise mehr vor; sowohl auf dem Land- als auch auf dem Luftweg seien Ausreisen möglich. In der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Abschiebung könnten bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls strafrechtliche bzw. ordnungsrechtliche Verstöße einbezogen werden, auch wenn keine Ausweisungsverfügung wegen dieser Verstöße ergangen sei, weshalb bei der Fristbemessung berücksichtigt worden sei, dass der Kläger mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Die Befristung von 24 Monaten sei unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse erfolgt und werde als angemessen, aber auch ausreichend gesehen, um den mit der Abschiebung verfolgten Zweck zu erreichen.
9
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 13. August 2021 unter Beantragung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg gegen die Beklagte erheben; der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 27. September 2021 mangels Vorlage der entsprechenden Unterlagen abgelehnt. Zur Klagebegründung wurde vorgetragen, dass weder der am 3. Dezember 2019 noch der am 3. März 2021 erlassene Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in eine andere Sprache übersetzt worden sei. In Anbetracht dessen laufe hinsichtlich keines dieser Strafbefehle eine Frist für die Einlegung eines Einspruchs, weshalb ein solcher in beiden Fällen weiterhin zulässig sei. Des Weiteren habe sich der Kläger nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar gemacht. Die Verletzung der in § 29 FeV normierten Umtauschpflicht für ausländische Fahrerlaubnisse nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist sei deswegen nicht strafbar, weil eine solche Fahrerlaubnis auch nach dem Ablauf dieser Frist ihre Gültigkeit behalte.
10
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger am 24.6.2019 erteilte Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
12
Unter dem 22. Juli 2021 sei durch die Staatsanwaltschaft Regensburg Zweigstelle Straubing mitgeteilt worden, dass im Verfahren 8 Cs 135 Js 96048/19 (Tatzeitpunkt: Fahrt am 31.10.2019) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden sei. Eine Mitteilung hinsichtlich des Verfahrens 1 Cs 409 Js 4083/21 (Tatzeitpunkt: Fahrt am 8.1.2021) sei nicht erfolgt. Im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sei allein maßgeblich, ob der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen habe. Demnach führten die Ausführungen der Bevollmächtigten nicht zur Rechtswidrigkeit der Ablehnung auf Verlängerung des Aufenthaltstitels. Eine Verurteilung oder sonstige Ahndung, insbesondere eine Bestrafung eines Rechtsverstoßes, sei nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht erforderlich. Ausreichend sei vielmehr, dass der Ausländer einen Rechtsverstoß begangen habe. Ausreichend aber auch notwendig sei, dass - im Fall einer Straftat - die Begehung einer derartigen Tat objektiv feststehe, notfalls nach eigenen Ermittlungen der Ausländerbehörde; ein bloßer Tatverdacht reiche für die Annahme eines Rechtsverstoßes nicht aus. Nach den jeweiligen Mitteilungen durch die Polizei und die Fahrerlaubnisbehörde stünde die Begehung der Taten am 26. Oktober 2019, am 31. Oktober 2019 sowie am 8. Januar 2021 objektiv fest. Der nunmehr insgesamt dreimal begangene Verstoß gegen die Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung stelle schon keinen vereinzelten Verstoß mehr dar. Auch seien diese Verstöße nicht geringfügig. Spätestens im Rahmen der dritten Fahrt am 8. Januar 2021 würde der Kläger habe wissen müssen, dass er zum Führen eines Pkw nicht berechtigt gewesen sei und eine theoretische und praktische Prüfung würde absolviert haben müssen. Dies habe er zum 8. Januar 2021 noch nicht getan und zu diesem Zeitpunkt folglich noch nicht nachweislich über die für eine Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen Kenntnisse verfügt. Dennoch habe er mit einem Pkw am Verkehr teilgenommen. Die bislang angeordneten Geldstrafen in Höhe von 40 bzw. 50 Tagessätzen lägen über der für Bagatelldelikte angenommenen Grenze von bis zu 30 Tagessätzen. Unerheblich sei hier, ob die Strafbefehle rechtskräftig seien, da es, wie bereits ausgeführt, hierauf nicht ankomme, während gleichzeitig die Wertung des Gerichts zu erkennen sei, welche eben nicht mehr von einem Bagatelldelikt ausgegangen sei.
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Hierzu äußerte sich die Bevollmächtigte am 18. September 2021. Es werde verkannt, dass sich der Kläger nicht strafbar gemacht habe. Ebenso wenig sei eine Ordnungswidrigkeit ersichtlich. In einem solchen Fall fehle es an einem Ausweisungsgrund im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Daher spiele es keine Rolle, ob sich der Kläger objektiv rechtswidrig verhalten habe.
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Mit weiterem Schreiben vom 28. September 2021 ergänzte die Bevollmächtigte, dass sich die angebliche Strafbarkeit des Klägers aus § 29 FeV und damit aus einer Verordnung ergebe. Jedoch dürfe sich aufgrund Art. 103 Abs. 2 GG die Strafbarkeit eines Verhaltens ausschließlich aus formellen Gesetzen und nicht aus Verordnungen ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2016 - 2 BvL 1/15, Rn. 47). Daher könne sich der Kläger durch einen Verstoß gegen § 29 FeV nicht strafbar gemacht haben.
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Am 8. Oktober 2021 teilte die Beklagte telefonisch mit, dass im Rahmen der Wiederaufnahme gegen den Strafbefehl vom 3. Dezember 2019 in der mündlichen Verhandlung vom 4. Oktober 2021 vom Amtsgericht Straubing (Az. Cs 135 Js 96048/19) die Verurteilung des Klägers zu 40 Tagessätzen aufrechterhalten und die Tagessatzhöhe nach Neuberechnung der wirtschaftlichen Verhältnisse von 60,00 EUR auf 45,00 EUR reduziert wurden.
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Am 10. Oktober 2021 ließ der Kläger unter Beantragung von Prozesskostenhilfe nebst Beiordnung seiner Bevollmächtigten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (RN 9 S 21.2021) stellen; dieser wurde ebenso wie der Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss ebenfalls vom 21. Oktober 2021 abgelehnt. Hiergegen legte die Bevollmächtigte am 2. November 2021 Beschwerde (BayVGH - 19 CS 21.2727) ein.
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Auf den Gerichtsbescheid vom 21. Oktober 2021 beantragte die Bevollmächtigte am 31. Oktober 2021 mündliche Verhandlung; auf den Inhalt des Schriftsatzes wird verwiesen.
18
Vor dem Hintergrund eines Schreibens der Beklagten an die Bevollmächtigte vom 28. Oktober 2021 über den Verbleib des Klägers (Bl. 81 d. Gerichtsakte) wurde der Bevollmächtigten mit gerichtlichem Schreiben vom 2. November 2021 gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgegeben, dem Gericht unter Beifügung geeigneter Nachweise (z.B. Meldebescheinigung, Bestätigung Ausländerbehörde) eine eigens vom Kläger handschriftlich geschriebene und unterzeichnete ladungsfähige Anschrift zu benennen, und hierfür gemäß § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Frist mit ausschließender Wirkung bis 9. November 2021 (Eingang bei Gericht) gesetzt. Mit Schreiben vom gleichen Tag äußerte die Bevollmächtigte, dass es sich hierbei mangels gesetzlicher Grundlage um eine rechtswidrige Aufforderung handle. Zudem habe sich die ladungsfähige Anschrift des Klägers nicht geändert; insofern wurde der Vermieter des Klägers als Zeuge benannt.
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Am 25. November 2021 teilte die Beklagte unter Beifügung einer Grenzübertrittsbescheinigung mit, dass der Kläger am 18. November 2021 das Bundesgebiet freiwillig verlassen habe. Beigefügt war weiterhin ein - nicht unterzeichnetes - Schreiben des Klägers an seine Bevollmächtigte vom 16. November 2021, wonach der anwaltliche Vertrag gekündigt und die Bevollmächtigte gebeten werde, sämtliche Anträge zurückzunehmen und solche, die mit dem Kläger in Verbindung stünden, zu beenden. Derzeit laufende Verfahren sollten „unvorzüglich“ beendet und dies den Gerichten mitgeteilt werden. Auch gestellte Anträge sollten zurückgenommen werden. Eine Anwältin werde nicht mehr benötigt, für die Arbeit werde gedankt.
20
Auf die gerichtliche Nachfrage vom 26. November 2021 zum Fortbestand des Mandatsverhältnisses und zur Aufrechterhaltung der Klage teilte die Bevollmächtigte mit Schreiben vom gleichen Tag mit, dass die Prozessvollmacht fortbestehe und durch die freiwillige Befolgung des Bescheids keine Erledigung eingetreten sei. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird verwiesen.
21
Angesichts des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2021 (19 CS 21.2727) im Eilverfahren des Klägers (RN 9 S 21.2021) wurde die Bevollmächtigte unter Fristsetzung um Mitteilung gebeten, ob am Antrag auf mündliche Verhandlung festgehalten werde oder ob Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 101 Abs. 1 VwGO bestehe. Hierzu äußerte sich die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 4. Januar 2022; auf dessen Inhalt sowie die beigefügte Strafanzeige gegen die Richterin am Amtsgericht S. wegen Verfolgung Unschuldiger wird verwiesen.
22
Mit Beschluss vom 14. Januar 2022 wurde der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
23
Mit gerichtlichem Schreiben vom 27. Januar 2022 wurde die Bevollmächtigte angesichts der Abmeldung des Klägers durch die Ausländerbehörde zum Tag der freiwilligen Ausreise am 18. November 2021 erneut unter Setzung einer Frist mit ausschließender Wirkung zur Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift des Klägers aufgefordert. Hierzu äußerte sich die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 27. Januar 2022; auf dessen Inhalt wird verwiesen. Eine ladungsfähige Anschrift wurde nicht mitgeteilt.
24
Mit Schreiben vom 30. Januar 2022 erklärte sich die Bevollmächtigte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden und beantragte, das Verfahren bis zum Abschluss der Strafverfahren gegen den Kläger auszusetzen; auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird verwiesen. Die Beklagte hatte bereits am 5. Oktober 2021 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 101 Abs. 2 VwGO erklärt.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Behördenakte im gegenständlichen Verfahren sowie im Verfahren RN 9 S 21.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entschieden wird, hat keinen Erfolg.
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1. Es stellt sich bereits die Frage, ob die Klage zulässig ist.
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Dem Gericht liegt ein Schreiben des Klägers vor, wonach dieser keinerlei Interesse mehr an rechtlichen Schritten hat und seine Bevollmächtigte bittet, bereits gestellte Anträge und Verfahren zurückzunehmen bzw. zu beenden. Zwar ist das Schreiben nicht unterzeichnet; gleichwohl drängt sich - wovon auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2021 (19 CS 21.2727) ersichtlich ausgeht - auf, dass es sich hierbei tatsächlich um ein Schreiben des Klägers handelt. Auf die damit verbundene Frage, ob hieraus ein Entfall des Rechtsschutzbedürfnisses abgeleitet werden kann, kommt es jedoch aus den nachfolgenden Gründen nicht an.
29
Die Klage erweist sich deshalb als unzulässig, weil der derzeitige Aufenthalt des Klägers bzw. dessen Anschrift unbekannt ist. Ausweislich der Grenzübertrittsbescheinigung vom 18. November 2021 hat der Kläger an diesem Tag freiwillig das Bundesgebiet verlassen. Die seitens der Bevollmächtigten zunächst vorgetragene Behauptung, dass die ladungsfähige Anschrift sich nicht geändert habe, kann damit keinen Bestand haben, zumal nichts dafür ersichtlich ist, dass der Kläger zwischenzeitlich wieder ins Bundesgebiet eingereist ist und an seiner bisherigen Meldeadresse Wohnsitz genommen hat. Im Gegenteil wurde der Kläger nach Mitteilung der Beklagten vom 27. Januar 2022 von dieser zum Tag seiner freiwilligen Ausreise am 18. November 2021 abgemeldet und bestätigt auch die Bevollmächtigte in ihrem Schreiben vom 27. Januar 2022 selbst, die aktuelle Anschrift des Klägers nicht zu kennen. Binnen der gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1, 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO gesetzten Frist und auch danach wurde seitens der Bevollmächtigten keine ladungsfähige Anschrift des Klägers mitgeteilt. Sofern sich die Bevollmächtigte auf jedenfalls „schwer zu beseitigende“ Schwierigkeiten beruft, die einer Mitteilungspflicht bezüglich der ladungsfähigen Anschrift entgegenstehen sollen, bleibt zunächst festzuhalten, dass es in die anwaltliche Vertretung fällt, den Mandanten über notwendige Formalitäten in Kenntnis zu setzen; aus Sicht der Bevollmächtigten besteht das Mandatsverhältnis zudem fort. Vor allem aber gehört zur Bezeichnung des Klägers auch die Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift (vgl. § 117 Abs. 2 Nr. 1 und § 130 Nr. 1 ZPO; BVerwG NJW 1999, 2608; BayVGH, BeckRS 2018, 30669; VGH Mannheim NVwZ-RR 2006, 151 (152)), unter der er tatsächlich zu erreichen ist (auch bei Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten, BayVGH, AuAS 2003, 164; BeckRS 2007, 30740; auch im Normenkontrollverfahren OVG Münster BauR 2009, 1572). Dadurch wird nicht nur seine Identität und Erreichbarkeit für gerichtliche Verfügungen und Entscheidungen (vgl. § 56 Abs. 1 VwGO) sichergestellt, der Kläger steht so auch für gerichtliche Nachfragen zu entscheidungserheblichen Tatsachen zur Verfügung. Zudem sichert diese Angabe seine Kostentragungspflicht und deren Durchsetzung ab (OVG Münster NVwZ-RR 1997, 390; aA VGH Kassel NJW 1990, 140). Kommt der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine aktuelle Anschrift mitzuteilen, nicht nach, so ist sein Rechtsschutzgesuch grundsätzlich unzulässig (OVG Münster NVwZ-RR 1994, 124). Nur ausnahmsweise kann auf diese Angabe verzichtet werden, wenn sie dem Kläger unmöglich (zu Obdachlosen Gusy JuS 1992, 28 ff.) oder unzumutbar ist (BVerfG NJW 1996, 1272). Die Angabe eines Postfachs genügt nicht, weil es so an einer unmittelbaren Erreichbarkeit fehlt (BVerwG NJW 1999, 2608). Wird die Wohnungsanschrift des Klägers im Verlaufe des Berufungsverfahrens unbekannt, so ist seine Berufung wegen Unzulässigkeit zu verwerfen (OVG Hamburg NJW 2006, 3082; BayVGH, BeckRS 2007, 30740; BeckOK VwGO/Peters, 59. Ed. 1.10.2021, VwGO § 82 Rn. 3). In diesem Sinne ist vorliegend weder eine Unzumutbarkeit noch eine Unmöglichkeit gegeben. Durch die Ausreise des Klägers in seinen Heimatstaat bleibt eine Aufrechterhaltung des Kontakts mit seiner anwaltlichen Vertretung mittels moderner Kommunikationsmittel ohne weiteres möglich. Dass es vorliegend an weiterem Kontakt fehlt, lässt nicht auf schwer zu beseitigende Schwierigkeiten schließen, sondern vielmehr darauf, dass seitens des Klägers kein Interesse an einer Rechtsverfolgung sowie an der Aufrechterhaltung des Mandatsverhältnisses mit seiner Bevollmächtigten mehr besteht.
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2. Unabhängig davon ist die Klage jedenfalls unbegründet.
31
Der Bescheid der Stadt S. vom 13. Juli 2021 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da diesem kein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV zukommt (§ 113 Abs. 5 VwGO) und sich die angeordneten Maßnahmen auch im Übrigen als rechtmäßig erweisen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insofern wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung im Gerichtsbescheid vom 21. Oktober 2021 verwiesen (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
32
Der Vortrag der Bevollmächtigten im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens hat keine neuen Erkenntnisse erbracht, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden. Insbesondere vermag die zwischenzeitlich von der Bevollmächtigten gestellte Strafanzeige gegen die das Strafverfahren gegen den Kläger führende Richterin am Amtsgericht S. zum vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. z.B. Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 113 Rn. 57) keine andere Entscheidung zu begründen. Insofern erscheint schon äußerst zweifelhaft, ob dem Kläger die Strafanzeige der Bevollmächtigten gegenüber der Richterin am Amtsgericht S. überhaupt bekannt ist und sie seinem Willen entspricht. Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten bleiben der Ausgang der Strafanzeige gegen die Richterin am Amtsgericht S. sowie der von der Bevollmächtigten angesprochene Abschluss der Strafverfahren gegen den Kläger für vorliegendes Verfahren schon deshalb ohne Belang, weil der Kläger - unabhängig von einer Strafbarkeit seines Verhaltens - durch sein Verhalten als solches objektiv gegen die Rechtsordnung in Form von §§ 29 und 31 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) verstoßen hat und damit ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Hierzu wurde bereits im Gerichtsbescheid ausführlich ausgeführt. Ergänzend bleibt festzustellen, dass der Kläger durch seine freiwillige Ausreise die sich mit einer Abschiebung aus Ziffer 2) des streitgegenständlichen Bescheids verbundene Folge eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gerade vermieden hat. Aus welchen Motiven der Kläger, der nach Angaben seiner Bevollmächtigten ohnehin in sein Heimatland zurückkehren wollte, freiwillig ausgereist ist, bleibt letztlich ohne Belang.
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Danach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.