FG Nürnberg, Urteil v. 24.03.2022 – 7 K 1005/21
Titel:

Kindergeldberechtigung eines amerikanischen Staatsangehörigen

Normenketten:
EStG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1
FGO § 79a Abs. 3, Abs. 4, § 90 Abs. 2
Leitsatz:
Gemäß § 62 Abs. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er im Besitz einer der in dieser Vorschrift angeführten Aufenthaltstitel ist. Die Vorschrift schränkt den Grundsatz des § 62 Abs. 1 EStG, die Bewilligung von Kindergeld knüpfe an das Territorialitätsprinzip an, für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erheblich ein (Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 20). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abfallentsorgungsgebühr, Abwasser, Aufenthaltsgenehmigung, Aufenthaltsrecht, Aufenthaltstitel, Eigenheim, Eingliederung, Einspruchsverfahren, Melderegister, NATO-Truppenstatut, Wohnsitz, Kindergeldberechtigung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 7833

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Kindergeldberechtigung eines im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut im Inland beschäftigten amerikanischen Staatsangehörigen nach dem Ableben seines deutschen Ehegatten.
2
Der Kläger ist amerikanischer Staatsangehöriger und hält sich seit 1995 im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut im Inland auf. Er war in B und ab Mai 2021 in C eingesetzt. In der Zeit von XX.07.1996 bis XX.10.2020 war er mit der deutschen Staatsangehörigen D verheiratet. Aus der Ehe ging der gemeinsame Sohn E hervor; dieser besitzt sowohl die deutsche als auch die amerikanische Staatsangehörigkeit. Der Sohn nahm nach Ablegung des Abiturs zum Sommersemester 2019 ein Studium an der Universität auf, welches er voraussichtlich Ende 2023 beenden wird.
3
Der Kläger und seine verstorbene Ehegattin sind Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in F. Im Kalenderjahr 2020 belief sich dort der Verbrauch an Erdgas auf 983,70 €, an Wasser und Abwasser auf 707,52 €, an Strom auf 1.356,25 € und an Abfallentsorgungsgebühren auf 132 €. Für das Kalenderjahr 2021 waren für den Verbrauch an Wasser und Abwasser 279,55 €, an Strom 290,90 € und an Abfallentsorgungsgebühren 144 € zu entrichten. Für den Kläger ist im Melderegister ein Wegzug zum 01.01.2018 erfasst. Eine Freundin der verstorbenen Ehefrau, G, bestätigte schriftlich, dass der Kläger den Familienwohnsitz in F ohne Unterbrechung bewohne und den Wohnsitz tatsächlich nicht zum Zeitpunkt der Abmeldung am 01.01.2018 verlassen habe.
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Bis zu ihrem Tod im Oktober 2020 bezog die Mutter des Kindes, D, das Kindergeld für E. Der Kläger erhielt aus seiner Tätigkeit im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung.
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Die beklagte Familienkasse lehnte den Antrag des Klägers auf Kindergeld vom 28.03.2021 (Eingang 07.04.2021) mit Bescheid über Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) vom 13.04.2021 für die Monate ab November 2020 ab. Das dagegen geführte Einspruchsverfahren verlief erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 13.07.2021).
6
Der Kläger verfolgt sein Begehren auf Kindergeld für seinen Sohn E im Klageverfahren weiter und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
7
Er habe gemäß § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG Anspruch auf Zahlung von Kindergeld. Er habe seinen Wohnsitz rechtmäßig in Deutschland. Die Abmeldung zum 01.01.2018 laut vorgelegten Meldedaten habe seine verstorbene Ehefrau D ausschließlich aus formalen Gründen - wegen seines Führerscheins - veranlasst. Er sei seit langem fest entschlossen, auch nach Beendigung seines Dienstes wie bisher in Deutschland, nämlich im Eigenheim in F, zu leben. Er habe seit 1995 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland. Sein einziger Sohn E habe ebenfalls seit Geburt seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland. Dies werde auch von den vorgelegten Meldedaten bestätigt.
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Er beziehe ausschließlich Einnahmen aus seiner Beschäftigung im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut. Weitere inländische Einkünfte beziehe er nicht.
9
Er sei nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 08.08.2013 III R 22/12, BStBl. II 2014, 838) aufgrund analoger Anwendung von § 62 Abs. 2 EStG kindergeldberechtigt. Sein Aufenthaltsstatus richte sich nach dem NATO-Truppenstatut. Darüber hinaus sei er aufgrund seiner Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufenthaltsberechtigt.
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Der Kläger beantragt,
- den Ablehnungsbescheid vom 13.04.2021 sowie die Einspruchsentscheidung vom 13.07.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld ab 01.11.2020 zu gewähren.
11
Die Familienkasse beantragt,
- die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie unter Verweis auf die Einspruchsentscheidung im Wesentlichen vor:
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Dem Kläger könne unabhängig davon, ob er einen Wohnsitz in Deutschland habe oder nicht, kein Kindergeld gewährt werden.
14
Denn er sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 62 Absatz 2 EStG. Er sei auch nicht aufgrund einer analogen Anwendung des § 62 Absatz 2 EStG kindergeldberechtigt. Soweit er auf das Urteil des BFH vom 08.08.2013 III R 22/12 (BStBl. II 2014, 838) verweise, unterscheide sich der dort zugrunde gelegte Sachverhalt dadurch, dass der dortige Kläger nicht selbst Mitglied der NATO-Truppe oder des zivilen Gefolges, sondern mit einer Angehörigen des zivilen Gefolges der NATO-Truppen verheiratet gewesen sei. Mitglieder der NATO-Truppe oder des zivilen Gefolges könnten laut dem Urteil des BFH vom 08.08.2013 III R 22/12 nicht Ausländern gleichgestellt werden, die im Besitz eines Aufenthaltstitels gemäß 62 Absatz 2 EStG seien.
15
Dem Gericht liegen 1 Band Kindergeldakten vor; auf deren Inhalt wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.
17
Der Ablehnungsbescheid vom 13.04.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.07.2021 ist rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt; die beklagte Familienkasse war nicht zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) für seinen Sohn E ab November 2020 zu bewilligen bzw. den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 1 FGO). Der Kläger erfüllt als amerikanischer Staatsangehöriger, welcher im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut im Inland beschäftigt ist, nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift im konkreten Einzelfall kommt nicht in Betracht.
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1. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG.
19
Gemäß § 62 Abs. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er im Besitz einer der in dieser Vorschrift angeführten Aufenthaltstitel ist. Die Vorschrift schränkt den Grundsatz des § 62 Abs. 1 EStG, die Bewilligung von Kindergeld knüpfe an das Territorialitätsprinzip an, für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erheblich ein (Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 20).
20
Ausländer ist gemäß § 2 Abs. 1 AufenthG jeder, der nicht Deutscher iSd. Art. 116 Abs. 1 GG ist. Im Streitfall ist der Kläger aufgrund seiner ausschließlich amerikanischen Staatsbürgerschaft Ausländer.
21
Der Kläger ist als Angehöriger des zivilen Gefolges der US-Streitkräfte gemäß Art. III Abs. 1 NATOTrStat vom Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit. Ob ein Ausländer freizügigkeitsberechtigt i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG ist, richtet sich jedoch nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU, BGBl. I 2004, 1950) und nach Abkommensrecht (Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 21). US-Amerikaner werden nicht vom EU-Recht geschützt und sind daher nicht freizügigkeitsberechtigt; nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 EStG besteht kein Anspruch auf Kindergeld für im Inland Beschäftigte im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut, da das sich aus dem NATO-Truppenstatut ergebende Aufenthaltsrecht in Deutschland in dieser Vorschrift nicht erwähnt ist (Siebenhüter, EStB 2013, 456; vgl. auch Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 01.02.2007 13 K 2402/06, juris).
22
2. Eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG im konkreten Einzelfall ist nicht geboten.
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Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 08.08.2013 III R 22/12, BStBl. II 2014, 838; vgl. A 4.1 Abs. 5 DA-KG 2021) kann aus einer analogen Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG eine Kindergeldberechtigung existieren, wenn ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Aufenthaltstitel verliert, weil sich sein Aufenthaltsstatus aufgrund seiner Eheschließung mit einer Angehörigen des zivilen Gefolges der NATO-Truppen nunmehr nach dem NATO-Truppenstatut richtet. Zwar bedarf es regelmäßig nicht lediglich eines möglichen Anspruchs, sondern vielmehr des tatsächlichen „Innehabens“ eines der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitel (BFH-Urteil vom 28.04.2010 III R 1/08, BStBl. II 2010, 980). Von diesem Grundsatz machte der BFH im konkreten Einzelfall eine Ausnahme für den Fall, dass ein Ausländer nur deshalb einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Aufenthaltstitel verlor, weil er nach seiner Eheschließung nicht mehr dem Ausländerrecht, sondern dem NATO-Truppenstatut unterlag. Für eine - ausnahmsweise - analoge Anwendung der Vorschrift wird zudem als erforderlich erachtet, dass Ausländer ohne Aufenthaltstitel hinsichtlich der Sozialversicherungssowie der Einkommensteuerpflicht als ständig ansässig behandelt worden sind (BFH-Urteil vom 25.07.2007 III R 55/02, BStBl. II 2008, 758; Selder, jurisPR-SteuerR 50/2013, Anm. 3; Siebenhüter, EStB 2013, 456).
24
Im Streitfall entspricht die vom BFH in dem Verfahren III R 22/12 entschiedene Fallkonstellation nicht der hier streitgegenständlichen Sachverhaltslage. Zum einen war in dem dortigen Verfahren die Kindergeldberechtigung des anderen Ehegatten zu klären, während in dem hier streitigen Verfahren die Kindergeldberechtigung des im zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nach dem NATO-Truppenstatut Beschäftigten in Frage steht. Zum anderen war der Kläger dieses Verfahrens zu keinem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG gewesen, welche er zugunsten eines Aufenthaltsrechts nach dem NATO-Truppenstatut hätte aufgeben können bzw. müssen. Art. III Abs. 1 NATOTrStat vermittelt ausdrücklich keinerlei Recht auf ständigen Aufenthalt oder Wohnsitz in dem Staat der Stationierung; das durch das NATO-Truppenstatut vermittelte Aufenthaltsrecht des Klägers stellt sich damit als nur vorübergehend dar. Gesetzgeberisches Ziel jedoch ist, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben (Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 23). Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zum Erfordernis des „Innehabens“ eines Aufenthaltstitels i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG genügt ein bloßer Verweis des Klägers auf seine Möglichkeit der zukünftigen Erlangung eines Titels gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG demnach nicht. Ob ein solcher Anspruch nach dem Tod des deutschen Ehegatten fortbestand, erscheint überdies mehr als zweifelhaft (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 27.10.2021 5 B 1756/21, juris). Darüber hinaus war für den Kläger, der lediglich Einnahmen aus der Beschäftigung bei den US-Streitkräften erzielte, eine Eingliederung in das inländische Sozial- und Steuersystem nicht erkennbar; der Kläger legte trotz ausdrücklicher Aufforderungen keine Veranlagungen zur Einkommensteuer vor. Zwar sind gemäß Art. 10 Abs. 1 NATOTrStat Mitglieder des zivilen Gefolges im Aufnahmestaat von jeder Steuer auf Bezüge und Einkünfte befreit, die ihnen in ihrer Eigenschaft als derartige Mitglieder vom Entsendestaat gezahlt werden. Insoweit erfüllte der Kläger jedoch die vom BFH in dem Urteil III R 55/02 aufgestellten Kriterien gerade nicht.
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Nach alldem war die Klage abzuweisen.
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3. Mangels Entscheidungserheblichkeit kann damit offen bleiben, ob der Kläger für den Fall, dass für ihn ein inländischer Wohnsitz i.S.d. § 8 AO trotz Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat zu bejahen sein sollte, gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG anspruchsberechtigt gewesen wäre.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung (§§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 FGO).