LArbG München, Urteil v. 17.02.2022 – 3 Sa 613/21
Titel:

Anrechnung von Dienstzeiten bei einem nicht tarifgebundenen Konzert- und Theaterorchester nach § 15 TVK

Normenketten:
Orchester-Tarifvertrag § 1, § 15 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 18 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 287 Abs. 1
BGB § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1, § 276, § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4
Leitsätze:
Für die Dienstzeit i. S. d. § 15 Abs. 1 TVK i. d. F. vom 01.10.2019 ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik nicht Voraussetzung, dass das Konzert- und Theaterorchester, in dem der Arbeitnehmer als Musiker Zeiten zurückgelegt hat, ein solches i. S. d. § 1 TVK i. d. F. vom 01.10.2019 ist.   (Rn. 43 – 45)
1. Zahlt ein Arbeitgeber die Arbeitsvergütung verspätet aus, obwohl er auf die Wirksamkeit einer von ihm ausgesprochenen Kündigung oder einer vereinbarten Befristung nicht vertrauen durfte, muss er dem Arbeitnehmer den hieraus entstandenen Steuerschaden ersetzen. Die Höhe des Schadens bestimmt sich aus einem Vergleich der steuerlichen Lage bei verspäteter Zahlung mit der bei rechtzeitiger Zahlung. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der durch den Schuldnerverzug des Arbeitgebers ausgelöste Schaden umfasst auch die Kosten für die Einschaltung eines Steuerberaters, wenn es sich insoweit um notwendige Rechtsverfolgungskosten handelt, weil sie bei der gegebenen Sachlage zur Schadensabwendung vernünftig und zweckmäßig waren. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dienstzeit, Tarifauslegung, Tarifvertrag, Anrechnung, Vordienstzeiten, Auslegung, Musiker, tarifgebundenes Konzert- und Theaterorchester, notwendige Rechtsverfolgungskosten, Steuerschaden
Vorinstanz:
ArbG München, Endurteil vom 04.08.2021 – 35 Ca 15754/20
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt, Urteil vom 16.03.2023 – 6 AZR 124/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 6889

Tenor

Die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 04.08.2021 - 35 Ca 15754/20 - werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Dienstzeiten der Klägerin und einen Steuerprogressionsschadensersatzanspruch.
2
Durch Arbeitsvertrag vom 10.07.2013 begründete die Klägerin zum 01.10.2013 ein bis zum 30.09.2014 befristetes Arbeitsverhältnis als Musikerin mit dem Z am Y des beklagten Landes (vgl. Anlage K1 = Bl. 30 f. d. A.). Ihr wurde die Tätigkeit einer X der 1. Violine übertragen. Nach § 4 des Arbeitsvertrags bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 31.10.2009 in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen. Der Tarifvertrag, der bei Dienstantritt der Klägerin galt, lautete auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Geltungsbereich
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Kulturorchestern innerhalb der F., deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.
(2) Kulturorchester sind Orchester, die regelmäßig Operndienst versehen oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielen.
§ 15 Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfasst die bei Kulturorchestern (§ 1 Abs. 2) als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten.“
3
Am 20.12.2013 legte die Klägerin ein Zertifikat über ihre Anstellung im W vom 30.09.2007 bis 21.12.2007 sowie vom 01.09.2008 bis 03.06.2009 als 1. Violine in Vollzeit (vgl. Anl. K14 = Bl. 287 d. A.) vor.
4
Dieser Tarifvertrag wurde zum 01.10.2019 durch den Tarifvertrag für Konzert- und Theaterorchester ersetzt, der auszugsweise lautete:
„§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern innerhalb der F., deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.
(…)
§ 15 Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfasst die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten.
(2) Zeiten einer Tätigkeit als Musiker in anderen als Konzert- und Theaterorchestern sowie Zeiten einer sonstigen musikalischkünstlerischen oder einer musikpädagogischen Tätigkeit können auf die Dienstzeit angerechnet werden.
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten Zeiten werden nicht angerechnet, wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grund beendet worden ist. Dies gilt nicht, wenn sich an das Arbeitsverhältnis unmittelbar ein anderes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber oder ein Arbeitsverhältnis mit dem rechtlichen Träger eines anderen Konzert- oder Theaterorchesters anschließt oder wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaus oder wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körperbeschädigung oder einer in Ausübung oder infolge seiner Arbeit erlittenen Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder wenn die Nichtanrechnung eine unbillige Härte wäre. Dies gilt ferner nicht, wenn der Musiker innerhalb einer Frist von einem Jahr, gerechnet vom Beginn seiner Elternzeit, das Arbeitsverhältnis nach § 19 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit zum Ende der Elternzeit kündigt.
(4) Der Musiker hat die anrechnungsfähigen Zeiten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Zeiten, für die der Nachweis nicht fristgemäß erbracht wird, werden nicht angerechnet. Kann der Nachweis aus einem vom Musiker nicht zu vertretenden Grund innerhalb der Ausschlussfrist nicht erbracht werden, ist die Frist auf einen vor Ablauf der Ausschlussfrist zu stellenden Antrag angemessen zu verlängern.
(…)
§ 18 Grundvergütung
(1) Die Grundvergütung wird nach der diesem Tarifvertrag anliegenden Vergütungsordnung unter Berücksichtigung der Dienstzeit des Musikers (§ 15) gezahlt. Die Grundvergütung steigt von zwei zu zwei Jahren bis zur vorletzten Stufe der jeweiligen Vergütungsgruppe. Die Steigerung von der vorletzten Stufe in die Endgrundvergütung erfolgt nach Ablauf von drei Jahren.
(2) Abweichend von Absatz 1 kann der Arbeitgeber einem Musiker ohne anrechnungsfähige Dienstzeit oder mit einer Dienstzeit von weniger als zwei Jahren bei der Einstellung anstelle der Grundvergütung der ersten die Grundvergütung der zweiten oder dritten Dienstaltersstufe und mit einer Dienstzeit von weniger als vier Jahren anstelle der Grundvergütung der zweiten Dienstaltersstufe die Grundvergütung der dritten Dienstaltersstufe zahlen. In diesen Fällen steigt die Grundvergütung aus der Dienstaltersstufe 2 nach vier Jahren in die Dienstaltersstufe 3, aus der Dienstaltersstufe 3 nach sechs Jahren in die Dienstaltersstufe 4. Dabei ist eine anrechnungsfähige Dienstzeit zu berücksichtigen.
(3) Die nächste Dienstaltersstufe wird vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem sie erreicht wird.
(…)
§ 61 Ausschlussfristen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Musiker oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs aus, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen.“
5
Durch Urteil vom 15.04.2015 stellte das Arbeitsgericht München (35 Ca 11866/14) fest, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede vom 10.07.2013 mit Ablauf des 30.09.2014 geendet hat. Die hiergegen eingelegte Berufung und Revision des Beklagten blieben erfolglos (vgl. LAG München, Urteil vom 22.10.2015 - 4 Sa 370/15 - und BAG, Urteil vom 25.10.2017 - 7 AZR 712/15 -). Daraufhin nahm die Klägerin ihre Tätigkeit zum 01.11.2017 wieder auf.
6
Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht München zum Aktenzeichen 16 Ca 13173/18 über die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für Oktober 2014 bis Oktober 2017 schlossen die Parteien am 08.10.2019 einen gerichtlichen Vergleich. Danach zahlte die Beklagte zur Abgeltung der streitgegenständlichen Vergütungsforderungen 130.000,00 € brutto sowie als Zinsen weitere 12.000,00 €. Die Zahlungen wurden mit dem Gehaltslauf Dezember 2019 fällig (vgl. Vergleichstext in Anlage K3 = Bl. 33 f. d. A.) und auch gezahlt. Die Klägerin machte zudem außergerichtlich Ersatz eines Steuerprogressionsschadens geltend, den sie mit Schreiben vom 31.08.2020 auf 27.147,00 € bezifferte. Am 08.03.2021 ging der Einkommensteuerbescheid für 2019 der Steuerberaterin der Klägerin zu (Anl. K12 = Bl. 241 d. A.).
7
Mit Schreiben vom 18.11.2020 wies die Klägerin auf den Neuabschluss des TVK zum 01.10.2019 hin und verlangte die Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim W in V (vgl. Anl. K13 = Bl. 256 d. A.), was die Beklagte ablehnte.
8
Die Klägerin verfolgt mit der hiesigen Klage die Ansprüche auf Ersatz eines Steuerprogressionsschadens und auf Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten weiter. Da der Beklagte mit den Vergütungszahlungen an die Klägerin für die Zeit von Oktober 2014 bis Oktober 2017 in Verzug geraten sei, habe er den durch die verspätete Zahlung entstandenen Steuerschaden gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Der Steuerschaden berechne sich auf 10.883,00 € zzgl. des Solidaritätszuschlags von 5,5%. Darüber hinaus schulde der Beklagte Erstattung der Kosten für die Steuerberaterin. Der Anspruch auf Anrechnung der Dienstzeiten bei dem W ergebe sich aus § 15 Abs. 1 TKV n. F. Danach seien auch Dienstzeiten, die die Musiker nicht bei Orchestern erbrächten, die ihren Sitz innerhalb der F. hätten und deren Arbeitgeberin ein Unternehmensmitglied des Deutschen Bühnenvereins sei, als Dienstzeiten anzuerkennen. Im Gegensatz zur früheren Fassung enthalte § 1 TVK n. F. keine Definition des Kulturorchesters, sondern regele allein den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. Sinn und Zweck der Anrechnung von Dienstzeiten sei die größere Erfahrung eines Musikers, die entsprechend honoriert werde. Eine andere Auslegung des TVK n. F. über die Anrechnung von Dienstzeiten würde zudem gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV verstoßen.
9
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags erstinstanzlich geltend gemacht, dass die Klägerin die Höhe des behaupteten Steuerprogressionsschadens in keiner Weise schlüssig dargelegt habe. Eine Anrechnung der Vordienstzeiten scheide aus. Nach Auslegung des § 15 Abs. 1 TVK n.F. umfassten die dort genannten Konzert- und Theaterorchester allein solche innerhalb der F., deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins sei.
10
Das Arbeitsgericht München hat durch Urteil vom 04.08.2021 - 35 Ca 15754/20 - festgestellt, dass die von der Klägerin im W im Zeitraum vom 01.09.2007 bis 21.09.2007 sowie im Zeitraum vom 01.09.2008 bis zum 03.06.2009 zurückgelegten Dienstzeiten zu ihrer Dienstzeit gemäß § 15 Abs. 1 TVK i. d. F. vom 01.10.2019 gehörten, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Klageantrag zu 3. sei unzulässig. Im Übrigen sei die Klage nur teilweise begründet. Die Dienstzeiten, die die Klägerin im W erbracht habe, seien als Dienstzeiten im Sinne des § 15 TVK n. F. anzurechnen. Dies folge aus einer europarechtskonformen Auslegung der Tarifvorschrift. Die Anrechnung von Dienstzeiten in ausländischen Konzert- und Theaterorchestern gemäß § 15 Abs. 2 TVK n. F. als Kann-Bestimmung schränke die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 1 AEUV ungerechtfertigt ein. Jedoch habe die Klägerin nach § 280 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. §§ 286, 287 Satz 1 BGB keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz der steuerlichen Nachteile, die ihr dadurch entstanden sein könnten, dass der Beklagte den Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 01.10.2014 bis 31.10.2017 verspätet, nämlich erst im Dezember 2019, gezahlt habe. Die Klägerin habe die Höhe des Steuerschadens nicht schlüssig dargelegt. Hierzu hätte sie nachvollziehbar darlegen müssen, dass sie mehr Steuern habe entrichten, als sie Steuern hätte zahlen müssen, wenn der Beklagte den Annahmeverzugslohn fristgerecht bei Fälligkeit jeweils in den Jahren 2014 - 2017 und nicht erst insgesamt im Jahr 2019 gezahlt hätte. Es sei nämlich auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin aufgrund der ausgebliebenen Lohnzahlungen in diesen Jahren eine geringere Steuerbelastung gehabt hätte. Die steuerlichen Nachteile seien das spiegelbildliche Gegenstück für die Anrechnung von steuerlichen Vorteilen im Wege des Vorteilsausgleichs. Im Einzelnen hat das Arbeitsgericht ausgeführt: Es sei nicht plausibel, dass die Klägerin ihre tatsächlichen Einkünfte im Jahr 2014 nicht in ihre Berechnung einbezogen habe. Zudem habe die Klägerin ihrer Berechnung nicht die in 2014 - 2019 zu zahlenden Annahmeverzugsansprüche zugrunde gelegt, sondern die im Vergleich vom 08.10.2019 - 16 Ca 13173/18 - vereinbarten 130.000,00 € brutto anteilig auf die Jahre 2015 bis 2017 verteilt. Auch habe die Klägerin die steuerlichen Parameter, die für die Berechnung der Steuerlast erforderlich seien, widersprüchlich dargestellt. Während sie erläutert habe, dass sie von ihrem Einkommen in den Jahren 2015 - 2017 einen Betrag von 1.800,00 € in Abzug bringe, ziehe sie in 2015 entgegen diesem Vortrag und ohne weitere Erläuterung 4.093,00 € ab.
11
Gegen dieses, den Parteien jeweils am 11.08.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.09.2021 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11.11.2021 am 10.11.2021 begründet.
12
Die Klägerin hat ihre Berufung am Montag, den 13.09.2021 eingelegt und innerhalb der bis zum 11.11.2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 10.11.2021 begründet.
13
Die Klägerin begründet ihre Berufung wie folgt: Es sei aufgrund der Einmalzahlung im Dezember 2019 ein Steuerprogressionsschaden in Höhe von 3.889,00 € zzgl. Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5% entstanden. Für dessen Berechnung sei zunächst monatlich die jeweilige Grundvergütung zzgl. Fußnotenzulage, Instrumentensowie Rohr-, Blatt- und Saitengeld gemäß den jeweils geltenden tariflichen Regelungen im Zeitraum vom 01.10.2014 - 31.10.2017 zu ermitteln (vgl. Schriftsatz vom 10.11.2021, Seite 5 - 11 = Bl. 418 - 424 d. A. und Seite 14 = Bl. 427 d. A.). Sodann sei ein Zwischenverdienst in Höhe von 14.441,02 € anzurechnen, der um die hierfür zu erbringenden Aufwendungen wie Fahrtkosten, Vorstellungskosten oder Materialkosten in Höhe von 1.331,32 € zu mindern sei. Um den Steuerschaden entsprechend den Anforderungen des erstinstanzlichen Urteils berechnen zu können, sei die Steuerbelastung der Jahre 2014 - 2019 bei regulärer Auszahlung des Lohnanspruchs (Szenario 1 = Fiktion) mit der Steuerbelastung der Jahre 2014 - 2019 bei Einmalzahlung im Jahr 2019 (Szenario 2 = Realität) verglichen und in der Tabelle auf Seite 16 des Schriftsatzes vom 10.11.2021 aufgelistet worden. Die fiktive Steuerbelastung sei auf Basis der Einkünfte N berechnet worden, für die der Lohnanspruch der jeweiligen Jahre zzgl. des Bruttolohns aus anderen Anstellungen laut Einkommensteuerbescheid abzgl. des Pauschalbetrags von 1.800,00 € als Werbungskosten (ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Werbungskosten der jeweiligen Jahre) ermittelt worden sei. Es seien Sonderausgaben, Steuerermäßigungen etc. laut der finalen Steuerbescheide berücksichtigt worden. Bei den Vorsorgeaufwendungen seien die fiktiven Sozialversicherungsbeiträge, die sich bei Auszahlung des Lohnanspruchs in den jeweiligen Jahren ergeben hätten, errechnet und auch entsprechend als Steuerausgaben berücksichtigt worden. Für die Berechnung hat die Klägerin Beweis durch Vorlage der Kopien der Einkommensteuerbescheide 2014 - 2015 gem Anl. K31 (= Bl. 472 ff. d. A.) und der Berechnungslisten 2014, 2015, 2016, 2017 und 2019 (nicht 2018) gemäß Anl. K32 (= Bl. 529 ff. d. A.) sowie durch Zeugeneinvernahme der Steuerberaterin angeboten. Die Berufung der Beklagten sei unbegründet, da die Vordienstzeiten der Klägerin beim W anzurechnen seien. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK n. F. umfasse die Dienstzeit die als Musiker bei Konzert- und Theaterorchestern zurückgelegten Zeiten, ohne dass es sich um Orchester handeln müsse, die dem betrieblichen Geltungsbereich des TVK unterfielen. Ein Verweis auf den in § 1 geregelten Geltungsbereich des TVK sei entfallen. Darüber hinaus enthalte § 1 TVK n. F. keine Definition des Orchesters mehr. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18.05.2006 - 6 AZR 422/05 -) zur früheren Fassung des TVK sei nicht anwendbar. Es sei Sinn und Zweck des § 15 Abs. 2 TVK n. F., die größere Erfahrung eines Musikers, die dieser auch an anderer Stelle erworben habe, entsprechend zu honorieren. Es sei dem TVK n. F. ersichtlich nicht auf die Verbandszugehörigkeit angekommen.
14
Die Klägerin beantragt,
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 04.08.2021 - Az. 35 Ca 15754/20, zugestellt am 12.08.2021, wird abgeändert und teilweise wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin und Berufungsklägerin 3.889,00 € zzgl. Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5% zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit.
2. Der Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin und Berufungsklägerin 371,20 € netto zu zahlen.
II. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
15
Der Beklagte beantragt,
1.
Das Urteil des Arbeitsgericht München vom 04. August 2021, Aktenzeichen 35 Ca 15754/20, wird teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
16
Die Klägerin habe den angeblichen Steuerschaden jedenfalls der Höhe nach nicht schlüssig dargelegt. Die auf Seite 15 und 16 der Berufungsbegründung abgebildeten Tabellen genügten keinem ordnungsgemäßen Sachvortrag. Die Klägerin lege damit nicht nachvollziehbar dar, wie sie auf ihre Berechnung der Steuern und des angeblichen Steuerschadens komme. Der monatliche Vergütungsanspruch für Oktober 2014 bis Oktober 2017 sei zudem fehlerhaft angesetzt worden. Die Grundvergütung sei in der Berechnung der Klägerin zu Unrecht seit dem 01.10.2015 auf Vergütungsstufe 4 erhöht worden. Da die Klägerin unstreitig mit Beginn des Arbeitsverhältnisses am 01.10.2013 gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 TVK sogleich mit Stufe 3 eingestellt worden sei, erhalte sie die nächsthöhere Vergütungsstufe 4 erst nach 6 Jahren. Die Beklagte schulde als Annahmeverzugsvergütung weder Instrumenten- noch Saitengeld, weil sich die Klägerin dieses mangels Arbeitsleistungen erspart habe, § 615 Satz 2 BGB. Die Kosten für die Einschaltung des Steuerberaters seien zur Schadensabwendung weder vernünftig noch zweckmäßig.
17
Die Anrechnung der Vordienstzeiten begründe sich nicht aus § 15 Abs. 1 TVK n. F. Diese Regelung ergebe, dass die Dienstzeiten bei dem in V ansässigen Orchester keine Dienstzeit im Sinne des § 15 Abs. 1 TVK n. F. sei. Die Tarifvertragsparteien hätten den Begriff „Kulturorchester“ durch „Konzert- und Theaterorchester“ ersetzt, ohne sonst eine inhaltliche Änderung vornehmen zu wollen. Systematisch baue § 15 Abs. 1 TVK n. F. und die Begrifflichkeit „Konzert- und Theaterorchester“ auf § 1 TVK n. F. auf. Damit könnten die Dienstzeiten des Musikers bei Konzert- und Theaterorchestern nach den Bestimmungen des Tarifvertrags nur dann angerechnet werden, wenn und soweit solche Dienstzeiten bei einem Konzert- und Theaterorchester geleistet worden seien, dass auch Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins e.V. sei. Der Geltungsbereich müsse erst einmal eröffnet sein, damit der TVK und seine Normen anwendbar seien. Auch setze § 15 Abs. 1 TVK n. F. und die dort genannte „Dienstzeit“ der Musiker bei „Konzert- und Theaterorchestern“ wegen der nochmaligen Verwendung dieser Begriffe die für die Eröffnung des Geltungsbereichs des Tarifvertrags vorgesehenen Regelungsinhalte voraus. Die Rechtsprechung des BAG vom 18.05.2006 - 6 AZR 422/05 - sei auf den Streitfall unverändert übertragbar. Ein Verstoß gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV liege nicht vor, so dass § 15 Abs. 1 TVK n. F. im Streitfall uneingeschränkt anwendbar sei.
18
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 10.11.2021 (Bl. 414 - 534 d. A.) und 10.01.2022 (Bl. 572 - 579 d. A.), die Schriftsätze der Beklagten vom 10.11.2021 (Bl. 544 - 551 d. A.), 10.01.2022 (Bl. 559 - 571 d. A.) und 10.02.2022 (Bl. 595 - 599 d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2022 (Bl. 600 - 603 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Die Berufungen der Parteien sind zulässig, aber unbegründet.
I.
20
1. Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG 1. V.m. §§ 519, 520 ZPO. Selbst wenn die Klägerin ihre Berufung auf neues Tatsachenvorbringen gestützt hätte, würde dies entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zur Unzulässigkeit der Berufung führen. Die Angriffsmittel könnten lediglich nach § 67 ArbGG nicht zuzulassen sein.
21
2. Auch die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig. Die Form und Fristvorschriften für die Einlegung und Begründung der Berufung sind eingehalten worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO. Bedenken hat die Klägerin auch nicht erhoben.
II.
22
Die Berufungen der Parteien sind jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz eines Steuerschadens sowie der Kosten für die Einschaltung eines Steuerberaters, wohl aber auf Anrechnung ihrer Dienstzeiten beim W, V.
23
1. Die Ansprüche auf Ersatz des Steuerschadens und der Kosten für die Einschaltung eines Steuerberaters sind unbegründet. Die Klägerin hat die Höhe des geltend gemachten Schadens nicht ausreichend dargelegt. Eine Schätzung durch das Gericht kam nicht in Betracht.
24
a) Zahlt ein Arbeitgeber die Arbeitsvergütung verspätet aus, obwohl er auf die Wirk samkeit einer von ihm ausgesprochenen Kündigung oder einer vereinbarten Befristung nicht vertrauen durfte, muss er dem Arbeitnehmer den hieraus entstandenen Steuerschaden ersetzen, §§ 280 Abs. 1, 276, 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB.
25
Die Höhe des Schadens bestimmt sich aus einem Vergleich der steuerlichen Lage bei verspäteter Zahlung mit der bei rechtzeitiger Zahlung (vgl. BAG, Urteil vom 20.06.2002 - 8 AZR 488/01 - unter II. 1. d) der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.04.2018 - 6 Sa 449/17 - Rn. 32; ausdrücklich für den Verzugsschaden bei unwirksamer Befristung eines Arbeitsverhältnisses - BAG, Urteil vom 24.06.2021 - 5 AZR 385/20 -).
26
Darüber hinaus erfasst der durch den Schuldnerverzug ausgelöste Schaden auch die Kosten für die Einschaltung eines Steuerberaters, wenn es sich insoweit um notwendige Rechtsverfolgungskosten handelt, weil sie bei der gegebenen Sachlage zur Schadensabwendung vernünftig und zweckmäßig waren (vgl. BAG, Urteil vom 20.06.2002 - 8 AZR 488/01 - unter II. 1. e) der Gründe).
27
Für die Höhe des eingetretenen Steuerschadens ist die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet (vgl. Hessisches LAG, Urteil vom 05.11.2010 - 3 Sa 602/10 - unter II. 2. b) der Gründe).
28
b) Nach diesen Grundsätzen, denen sich die erkennende Kammer anschließt, hat die Klägerin die Höhe des geltend gemachten Steuerschadens nicht ausreichend bzw. fehlerhaft vorgetragen.
29
aa) Die in den Tabellen auf Seite 15 und 16 der Berufungsbegründung aufgelisteten fiktiven Jahresbeträge der Einkommensteuer für die Jahre 2014 - 2019 sind schriftsätzlich entgegen § 130 Nr. 3 ZPO nicht dargelegt worden. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht auf die Anlage K32 verwiesen hat, genügt dies nicht. Beigefügte Anlagen können den schriftsätzlichen Vortrag nicht ersetzen, sondern lediglich erläutern oder belegen. Sie verpflichten das Gericht aber nicht, sich die erforderlichen Angaben selbst zusammen zu suchen (vgl. BAG, Urteil vom 21.12.2016 - 5 AZR 363/16 - Rn. 10). Dabei ist die beigefügte Anlage K32 im Schriftbild fast unlesbar.
30
bb) Für die Berechnung der fiktiven Jahresbeträge der Einkommensteuer für die Jahre 2014 - 2019 bzw. der Feststellung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit sind - soweit lesbar - in der Anlage K32 hinsichtlich der abzuziehenden Werbungskosten jeweils 1.800,00 € angesetzt worden, wie auch die Klägerin schriftsätzlich angibt. Tatsächlich sind in diesen Jahren Werbungskosten in anderer Höhe angefallen und in den Steuerbescheiden berücksichtigt worden, nämlich 2014 in Höhe von 1.768,00 €, 2015 in Höhe von 2.293,00 €, 2017 in Höhe von 1.000,00 €, 2018 in Höhe von 6.986,00 € und 2019 in Höhe von 7.007,00 €.
31
Darüber hinaus ist der Anlage K32 zu entnehmen, dass die Berechnungen der fiktiven Steuern auch aus anderen Gründen teilweise nicht auf den Daten der eingereichten Steuerbescheide basieren. Während für die Berechnung der fiktiven Einkommensteuer 2016 1.504,00 € ausländische Steuern von der tariflichen Einkommensteuer in Abzug gebracht werden, sind dies im Einkommensteuerbescheid 2016 lediglich 935,00 €. Gleiches gilt für die Berechnung der fiktiven Einkommensteuer 2015, bei der 368,00 € für ausländische Steuern in Abzug gebracht wurden, während es im Einkommensteuerbescheid 2015 lediglich 164,00 € ausländische Steuern waren.
32
cc) Die Klägerin hat nicht ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass ihr ab 01.10.2015 monatlich eine Grundvergütung gemäß Vergütungsgruppe A, Stufe 4 zugestanden hat.
33
Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass die Klägerin mit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses am 01.10.2013 nach Vergütungsgruppe A, Stufe 3, gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 TVK eingruppiert worden sei. Dies hat die Klägerin nicht bestritten. Aus ihrem Vortrag in der Berufungsbegründung, Seite 8, ergibt sich dies zudem inzident, weil sie eine Anpassung der Grundvergütung auf die nächsthöhere Stufe (Stufe 4) mit dem 01.10.2015 aus § 18 Abs. 1 TVK ableitet, der eine Steigerung von zwei zu zwei Jahren bis zur vorletzten Stufe der jeweiligen Vergütungsgruppe vorsieht.
34
Die höhere Grundvergütung hätte eine höhere fiktive Lohnsteuerschuld zur Folge.
35
c) Der Klägerin war hinsichtlich ihrer Vortragslast kein gerichtlicher Hinweis zu geben.
36
Der Beklagte hat auf den nach seiner Auffassung weiterhin unsubstanziierten Klagevortrag zur Schadenshöhe in seiner Berufungsantwort vom 10.01.2022 hingewiesen und geltend gemacht, dass die Klägerin seit dem 01.10.2015 eine zu hohe Grundvergütung bei der Berechnung ihres Steuerschadens zugrunde lege. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht München am 17.02.2022 verblieb der Klägerin mehr als ein Monat Zeit, um ihren Vortrag zu ergänzen bzw. zu korrigieren.
37
d) Die Schätzung des Schadens durch das Gericht, § 287 Abs. 1 ZPO, kam nicht in Betracht. § 287 Abs. 1 ZPO soll die normalen Darlegungs- und Beweislastanforderungen im Falle der Entstehung und Höhe eines Schadens abschwächen und so verhindern, dass materiell berechtigte Ansprüche an prozessualen Anforderungen scheitern. Die Norm soll in erster Linie den Geschädigten entlasten, das Gericht nur bedingt. Für eine Schätzung ist deshalb dann kein Raum, wenn das Fachgericht den Schaden ohne Schwierigkeiten exakt berechnen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2009 - 1 BvR 3041/06 - Rn. 13).
38
Bei Darlegung der zutreffenden Vergütungshöhe, tatsächlich entstandenen oder bei einer Beschäftigung entstehenden Werbungskosten und der Berücksichtigung sonstiger Daten gemäß den Steuerbescheiden wäre eine Steuerschadensberechnung möglich gewesen. Es ist daher nicht zulässig, die Versäumnisse der Klägerin in ihrem Vortrag durch gerichtliche Schätzung aufzufangen.
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e) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erstattung für die Einschaltung ihrer Steuerberaterin. Deren Berechnung war im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen nicht vernünftig und zweckmäßig.
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2. Die Klägerin hat Anspruch auf Anrechnung ihrer beim W geleisteten Beschäfti gungszeiten als Dienstzeiten nach § 15 Abs. 1 TVK n. F. Dies folgt aus der Auslegung der Tarifnorm.
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a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. etwa BAG, Urteil vom 11.11.2020 - 4 AZR 210/20 - Rn. 20 m. w. Nachw.).
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b) Danach ergibt die Auslegung des § 15 Abs. 1 TVK n. F. die Anrechnung der streit gegenständlichen Zeiten als Dienstzeiten.
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Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK n. F. umfasst die Dienstzeit die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten Zeiten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten. Ein Verweis auf andere Tarifbestimmungen findet sich dort im Gegensatz zur Vorgängerregelung nicht. Diese hatte im Klammerzusatz § 1 Abs. 2 TVK a. F. genannt und solchermaßen auf die dortige Definition der Kulturorchester und weiter auf § 1 Abs. 1 TVK a. F. Bezug genommen. Der Umstand, dass der Wortlaut des geltenden § 15 Abs. 1 TVK die Bezugnahme auf § 1 TVK n. F. nicht mehr enthält, lässt den Schluss zu, dass sich die Begriffe des Konzert- und Theaterorchesters in § 1 und § 15 Abs. 1 TVK n. F. unterscheiden. Entgegen der Auffassung der Beklagten verwendet § 15 Abs. 1 TVK n. F. auch nicht nochmals den Begriff des Konzert- und Theaterorchesters im Sinne des § 1 TVK. § 1 TVK n. F. bestimmt den Geltungsbereich des Tarifvertrags für Musiker „in Konzert- und Theaterorchestern innerhalb der F., deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist“. In § 15 Abs. 1 TVK n. F. werden diese Einschränkungen nicht wiederholt.
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Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch der Sinn und Zweck des § 15 TVK n. F. Sowohl § 15 Abs. 1 TVK n. F. als auch § 15 Abs. 2 TVK n. F. führen zur Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten aus früheren Tätigkeiten als Musiker unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen bei der Dienstzeit und tragen so der größeren Erfahrung der Arbeitnehmer als Musiker Rechnung. Dem entspricht, dass nach § 18 Abs. 1 TVK n. F. die Grundvergütung nach der tariflichen Vergütungsordnung unter Berücksichtigung der Dienstzeit des Musikers gezahlt wird. Zu Recht hat das LAG Nürnberg darin den Gedanken erkannt, dass die Dienstleistung eines Musikers mit steigender Dienstzeit aufgrund der in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen für den Arbeitgeber wertvoller wird und damit eine längere Dienstzeit regelmäßig auch eine höhere Vergütung rechtfertige (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 14.10.2021 - 5 Sa 162/21 - n. v. unter II. 1. c) der Gründe). Demgegenüber benennt der Beklagte für seine Auffassung, die Anrechnung von Dienstzeiten in § 15 Abs. 1 TVK n. F. diene dem Zweck, die Treue zu verbandsangehörigen Theater- und Konzertorchestern zu sichern, keine Tarifnorm, in der dies Niederschlag gefunden hat. Nach den Auslegungsregeln kann der „Treuegedanke“ deshalb für den Begriff der Dienstzeit i. S. d. § 15 Abs. 1 TVK n. F. nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen sprechen die Regelungen in § 15 Abs. 3 TVK n. F. gegen einen solchen Regelungszweck. § 15 Abs. 3 Satz 1 TVK n. F. bestimmt, dass die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten Zeiten nicht angerechnet werden, wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grund beendet worden ist. Hiervon werden in den nachfolgenden Sätzen wiederum Ausnahmen gemacht, u. a wenn sich ein Arbeitsverhältnis mit dem rechtlichen Träger eines anderen Konzert- oder Theaterorchesters anschließt. Der Zweck, die Treue zu verbandsangehörigen Theater- und Konzertorchestern zu sichern, würde danach erst im Rahmen des § 15 Abs. 3 TVK n. F. zum Tragen kommen und hätte keine Bedeutung für den Begriff des Theater- und Konzertorchesters in § 15 Abs. 1 TVK n. F.
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Auch unterstützt die Systematik des TVK das gefundene Auslegungsergebnis. In § 1 TVK n. F. wird nunmehr lediglich der Geltungsbereich des Tarifvertrags geregelt. Auf eine begriffliche Definition des Konzert- und Theaterorchesters wurde verzichtet. § 15 TVK n. F. enthält keine Bezugnahme mehr auf § 1 TVK (vgl. insoweit auch LAG Nürnberg, Urteil vom 14.10.2021 - 5 Sa 162/21 - unter II. 1. d) der Gründe).
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Entgegen der Auffassung der Beklagten muss die Tarifgeschichte des § 15 Abs. 1 TVK n. F. nicht ermittelt werden. Auf die Tarifgeschichte kommt es nur an, wenn nach der Auslegung einer Tarifnorm nach Wortlaut, Zweck und tariflichem Gesamtzusammenhang Zweifel an deren Inhalt und dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien bleiben (vgl. BAG, Urteil vom 24.03.2021 - 10 AZR 169/19 - Rn. 36). Solche Zweifel bestehen hier nicht (vgl. auch LAG Nürnberg, Urteil vom 14.10.2021 - 5 Sa 162/21 -) und wurden auch seitens der Beklagten nicht behauptet.
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Schließlich steht diesem Auslegungsergebnis nicht die Auslegung des §§ 1 und 51 TVK a. F. durch das BAG entgegen (vgl. Urteil vom 18.05.2006 - 6 AZR 422/05 -). Seit dieser Entscheidung hat sich der Wortlaut der §§ 1 und 15 TVK geändert. Die Entscheidung erging zudem zu § 51 Abs. 1 S. 1 TVK a. F.; eine Auslegung des § 15 TVK a. F. durch das BAG ist nicht erfolgt.
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c) Durch das am 03.12.2013 vorgelegte Zertifikat hat die Klägerin innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 TVK n. F. ihre Beschäftigungszeiten als 1. Violine bei dem W nachgewiesen. Bei diesem Orchester handelt es sich um ein Konzert- und Theaterorchester im Sinne des § 15 Abs. 1 TVK n. F., das 1765 gegründet wurde und eine lange Tradition in der Interpretation zeitgenössischer klassischer Musik hat, so z. B. durch die V Erstaufführung Beethovens zweiter Sinfonie in W, noch bevor sie in Berlin aufgeführt wurde. Darüber hinaus wirkt das Orchester auch bei Opernaufführungen der W Nasjonale Opera mit (nach Wikipedia, W). Die Beklagte hat zudem schriftsätzlich nicht bestritten, dass es sich bei diesem Orchester um ein Konzert- und Theaterorchester im Sinne des § 15 Abs. 1 TVK n. F. handelt. Ebenso wenig hat sich die Beklagte auf die Nichtanrechenbarkeit der Zeiten gemäß § 15 Abs. 3 TVK n. F. berufen, der Gegenstand auch der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht München war.
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Auf die weiteren, zwischen den Parteien streitigen Fragen (Art. 45 AEUV) kam es nicht mehr an. III.
50
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
IV.
51
Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die streitige Rechtsfrage, welche Tätigkeitszeiten von Musikern als bei „Konzert- und Theaterorchestern“ zurückgelegt im Sinne des § 15 Abs. 1 TVK n.F. gelten, hat wegen der bundesweiten Geltung des TVK grundsätzliche Bedeutung.