ArbG Bamberg, Endurteil v. 10.05.2022 – 4 Ca 612/21
Titel:

Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arzt, Abmahnung, Frist, Betriebsrat, Antragstellung, Arbeit, Auslegung, Zustimmung, betrug, Pflichtverletzung, Wiederholungsgefahr, Arbeitsplatz, wichtiger Grund, Nichteinhaltung der Frist, milderes Mittel

Schlagworte:
Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arzt, Abmahnung, Frist, Betriebsrat, Antragstellung, Arbeit, Auslegung, Zustimmung, betrug, Pflichtverletzung, Wiederholungsgefahr, Arbeitsplatz, wichtiger Grund, Nichteinhaltung der Frist, milderes Mittel
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 29.11.2022 – 1 Sa 250/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46679

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27.10.2021 nicht aufgelöst ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Betontechniker weiterzubeschäftigen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 14.480,00 Euro festgesetzt.
5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob die Kündigung der Beklagten vom 27.10.2021 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat und ob dem Kläger ein Weiterbeschäftigungsanspruch zusteht.
2
Der Kläger war bei der Beklagten als Beton-Technologe zuletzt mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 3620 € beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Der Kläger war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Mit Schreiben vom 27.10.2021, welches dem Kläger am 28.10.2021 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „außerordentlich aus wichtigem Grund fristlos“ (vergleiche Kündigungsschreiben vom 27.10.2021, Blatt der Akte 6).
3
Der Kläger war seit 01.11.2020 nahezu ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Lediglich im Zeitraum vom 16.03.2021 bis 23.03.2021 arbeitete er. Der Kläger litt an Wirbelsäulenschäden in erheblichem Maße und wurde im April 2021 an der linken Hand sowie im Juli 2021 an der rechten Schulter operiert. Die Heilbewährung für die Schulter betrug drei Monate.
4
Am 28.09.2021 und am 29.09.2021 verrichtete der Kläger – beobachtet von einem durch die Beklagte beauftragten Detektiv – im Garten seines Anwesens arbeiten, die im Einzelnen hinsichtlich ihres Zeitpunkts, ihrer Dauer und ihrer Art nach streitig sind. Zu den Arbeiten zählten jedenfalls auch das zweimalige Beladen einer Motorschubkarre sowie das Bedienen eines Zwei-Takt-Stampfers, wobei auch der Umfang dieser Tätigkeiten streitig blieb. Zum Zeitpunkt der Arbeiten war der Kläger aus der Entgeltfortzahlung heraus.
5
Das Inklusionsamt erteilte mit Schreiben vom 27.10.2021 auf Antrag der Beklagten vom 13.10.2021 die Zustimmung zum Ausspruch der verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
6
Auf den Inhalt eines an den Betriebsrat adressierten Schreibens mit dem Betreff „Anhörung zur beabsichtigten Kündigung gemäß § 102 BetrVG“ vom 19.10.2021 wird Bezug genommen (vergleiche Anl. B1, Blatt der Akte 47 ff.).
7
In einem Schreiben des Inklusionsamtes vom 07.03.2022, auf das die Beklagte Bezug nimmt, heißt es unter anderem: „Die Ärzte kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass, wenn und soweit sich der Vorgang zugetragen hat wie vom Arbeitgeber dargestellt, die durchgeführten Arbeiten in jedem Falle als genesungswidrig zu werten seien.“ Weiterhin heißt es dort: „Es ist ebenfalls unrichtig, dass diese Belastungserprobung in Absprache mit dem Arzt erfolgt ist, zumal dies auch offensichtlich entbehrlich gewesen wäre für eine etwaige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.“ Zu den weiteren Einzelheiten des Schreibens wird Bezug genommen auf Blatt der Akte 68 f.
8
Am 30.11.2020 hatte der Kläger, nachdem er an diesem Tag in der Firma war, eine Abmahnung folgenden Inhalts erhalten:
„Sie waren am 30.11. an ihrem Arbeitsplatz im Betonlabor in C-Stadt, obwohl Sie uns eine Krankmeldung bis einschließlich 30.11.2020 vorgelegt haben.
Sie haben per E-Mail eine ausdrückliche Anweisung von Herrn O. am 18.11.2020 erhalten.
…Auf Grundlage unserer Fürsorgepflicht untersagen wir Dir ausdrücklich, während einer Arbeitsunfähigkeit zur Arbeiten bzw. auf der Arbeit zu erscheinen.
Gegen diese Anweisung haben Sie vorsätzlich verstoßen.
Zeugen hierfür sind Herr H. und Herr O..
Sollten weitere Verstöße dieser Art folgen, sehen wir uns genötigt, das Arbeitsverhältnis mit Ihnen zu kündigen.
Eine Kopie dieser Abmahnung wird in ihre Personalakte aufgenommen.“
9
Der Kläger behauptet, es sei am 28. und 29.09.2021 arbeitsunfähig gewesen und entbindet seinen Hausarzt Dr., A-Stadt, von der Schweigepflicht. Am 28.09.2021 habe der Kläger keine Pflasterarbeiten ausgeführt. Der Schwiegersohn des Klägers, Herr A., habe auf dem Grundstück des Klägers eine Gartenmauer aus Beton gegossen und teilweise gemauert zum hinter dem klägerischen Grundstück liegenden Anwesen. Der Kläger habe an diesem Tag versucht, kleine Handlangertätigkeiten auszuführen. Er habe die eigene Motorschubkarre zweimal höchstens zur Hälfte beladen und lediglich ca. 20 Minuten den Zwei-Takt-Stampfer bedient. Er habe keine schweren Arbeiten ausgeführt, die genesungwidrig sein könnten. Da in seinem Wohngebiet absolut strenge Mittagsruhe herrsche, seien Arbeiten sicherlich erst ab 15:00 Uhr ausgeführt worden. am 29.09.2021 sei dann der Nachbar Herr W. da gewesen und habe dem Kläger geholfen. Dieser habe die Mauer weiter gemauert und der Kläger sei ihm allenfalls mal zur Hand gegangen bei leichten Tätigkeiten. Auch hier sei die Mittagsruhe einzuhalten gewesen, sodass Arbeiten allenfalls zwischen 15:00 und 17:00 Uhr stattgefunden hätten. Der Kläger behauptet weiter, er habe im privaten Umfeld in gesicherter Umgebung ohne Druck einen Versuch unternommen, die Belastungsfähigkeit seiner Schulter zu testen.
10
Der Kläger ist der Ansicht, es fehle an einem wichtigen Grund bzw. an der sozialen Rechtfertigung der Kündigung. Zudem macht er die Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend. Auch die Frist des § 174 Abs. 2 SGB IX sei nicht eingehalten worden. Zudem sei die Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Letztlich werde die Frage aufgeworfen, ob die Beklagte mit Videoaufnahmen durch die Detektei das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt habe.
11
Der Kläger stellt – nachdem er mit der Klage auch einen allgemeinen Feststellungsantrag (Klageantrag 2) und für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung einen hilfsweisen Zahlungsantrag wegen der Vergütung von Mehrarbeitsstunden (Klageantrag 4) rechtshängig gemacht hatte – zuletzt nur die Anträge 1 und 3 aus der Klageschrift vom 03.11.2021:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.10.2021 nicht beendet wird.
3. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und oder zu 2 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Betontechnologe weiterzubeschäftigen.
12
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
13
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe im Zeitraum vom 28.09.2021 bis 29.09.2021 während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit schwere körperliche Arbeiten verrichtet, die aufgrund seiner diagnostizierten Erkrankungen in dieser Form hätte nicht mehr ausüben können. Der Kläger habe sich durch dieses Verhalten gesundheitsschädlich verhalten. Der Kläger habe nach den bisherigen Erkenntnissen auch die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht.
14
Am 28.09.2021 habe der Kläger die Arbeiten gegen 13:00 Uhr begonnen und habe handwerkliche Tätigkeiten im Garten durchgeführt, die überwiegend in gebeugter und knieender Haltung erfolgt seien. Nach 15:30 Uhr habe der Kläger mehrfach versucht, einen Zweit-Takt-Stampfer zu starten. Er sei bei Schaufelarbeiten, dem Tragen von Material und der Bedienung eines Zwei-Takt-Stampfers in der Zeit von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr beobachtet worden, wobei der Kläger in dieser Zeit seine Arbeit im Garten ohne Unterbrechung und Pause durchgeführt habe. Beim Beladen der Motor-Schubkarre habe der Kläger insgesamt Lasten von 600-1000 Kilo bewegt. Den Zwei-TaktStampfer habe der Kläger von 15:45 bis 17:00 Uhr ohne Unterbrechung bedient.
15
Auch am 29.09.2021 seien ab 10:30 Uhr Baugeräusche aus dem Garten zu hören gewesen. Der Kläger habe auch an diesem Tag handwerkliche Tätigkeiten überwiegend in gebeugter Haltung durchgeführt. Gegenstände seien getragen sowie Schaufelarbeiten durchgeführt worden.
16
Die Beklagte behauptet weiter, der Kläger habe in dem genannten Zeitraum Pflastersteine verlegt.
17
Die Beklagte ist der Ansicht, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, auch die übrigen vom Kläger geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe griffen nicht. Der Kläger sei laut Feststellungen der Unfallversicherung und auch des Inklusionsamts aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, diese Arbeiten auszuführen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Aufgrund des vom Kläger selbst eingeräumten Verhaltens an den Tagen des 28.09. und 29.09.2021 sei nicht anzunehmen, dass der Kläger einsichtsfähig sein würde. So hätte er keine Bedenken gehabt, trotz seiner Arbeitsunfähigkeit und der gesundheitlichen Probleme, deren Ursache er einem Arbeitsunfall zuschreibe, körperliche Arbeiten zu verrichten, die er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses seiner Meinung nach nicht verrichten könne. Vielmehr habe der Kläger noch im Prozess erklärt, sich nicht genesungswidrig verhalten zu haben.
18
Zudem sei der Kläger wegen eines vergleichbaren Vorfalles auch bereits abgemahnt worden.
19
Zu dem weiteren Vorbringen der Parteien und seinen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, ihre Anlagen, die Sitzungsprotokolle und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet, soweit sie der Kammer zur Entscheidung anfällt. Dementsprechend ist dem Kündigungsschutzantrag und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattzugeben. Der Antrag auf Zahlung von Überstundenvergütung sowie der allgemeine Feststellungsantrag sind mangels Antragstellung als zurückgenommen anzusehen und fielen damit nicht zur Entscheidung an.
I.
21
Die Klage ist in den Anträgen, die der Kammer zur Entscheidung anfielen, vollumfänglich begründet. Dem Kündigungsschutzantrag war stattzugeben, da die Kündigung vom 27.10.2021 das Arbeitsverhältnis der Parteien weder fristlos noch fristgemäß aufgelöst hat. Dem Weiterbeschäftigungsantrag war stattzugeben, da dem Kläger ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch zusteht.
22
1) Die Kündigung gilt nicht nach § 7 KSchG als wirksam, da der Kläger die dreiwöchige Klageerhebungsfrist des § 4 S. 1 KSchG i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG, die mit Zugang der Kündigung am 28.10.2021 zu laufen begann, mit Zustellung der Klage am 09.11.2021 eingehalten hat.
23
2) Die Kündigung vom 27.10.2021 ist als außerordentliche Kündigung unwirksam, da ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB nicht vorlag.
24
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 –, Rn. 15, juris). Dabei ist zu beachten, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Kündigungsgrunds beim Arbeitgeber liegt. Der Arbeitgeber trägt deshalb im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Der gebotene Umfang der Darlegungen hängt davon ab, wie sich der Arbeitnehmer auf den anfänglichen Vortrag des Arbeitgebers einlässt (BAG, 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287, Rn.27).
25
a) Es kann offenbleiben, ob die Beklagte bereits deshalb keinen schlüssigen Vortrag zum Vorliegen eines wichtigen Grundes geleistet hat, weil ihre Behauptung, der Kläger habe sich während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit gesundheitsschädlich Verhalten, ihrer Behauptung, der Kläger habe seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht, widerspricht. Insofern kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die Kündigung in erster Linie auf genesungswidriges Verhalten und nur hilfsweise auf das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit stützt. Dies erscheint im Rahmen der Auslegung zudem naheliegend, da sich der Vortrag der Beklagten nahezu ausschließlich mit der erstgenannten Behauptung befasst.
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b) Ein wichtiger Grund aufgrund genesungswidrigen Verhaltens des Klägers liegt nicht vor, da allenfalls eine Abmahnung als milderes Mittel zu ergreifen gewesen wäre. Deshalb kann offenbleiben, ob der diesbezügliche Vortrag der Beklagten wegen eines Sachvortragsverwertungsverbotes aufgrund rechtwidrigen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ohnehin nicht berücksichtigt werden könnte.
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i) Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass ein „an sich“ als wichtiger Grund geeigneter Sachverhalt vorliegt.
28
Eine schwere, regelmäßig schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten iSv. § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks dienen, kann ein wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Dabei ergibt sich der konkrete Inhalt aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis (BAG, Urteil vom 2. März 2006 – 2 AZR 53/05 –, Rn. 21, juris). Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer muss sich demnach so verhalten, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Der erkrankte Arbeitnehmer hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich ua. aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen (BAG, Urteil vom 2. März 2006 – 2 AZR 53/05 –, Rn. 23, juris). Deshalb kann ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG, Urteil vom 02. März 2006 – 2 AZR 53/05 –, Rn. 24).
29
Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger in diesem Sinne seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten verletzt hat und die von der Beklagten geschilderten Tätigkeiten geeignet waren, die Heilung zu verzögern. Dies erscheint auch naheliegend, da sich der Kläger hinsichtlich der Operation an seiner Schulter noch in Heilungsbewährung befand und für den von ihm behaupteten Belastungsversuch keine ärztliche Empfehlung ausgesprochen wurde, zumal sich die Situation der Arbeiten am Garten hierfür grds. nicht eignen dürfte, da das Erreichen eines Ziels, nämlich der Fertigstellung einzelner Baufortschritte, mit dem Einhalten der Belastungsgrenze in Konkurrenz geraten können.
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ii) Jedenfalls kann aber in der zweiten Prüfungsstufe des wichtigen Grunds vorliegend nicht festgestellt werden, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – nicht zumutbar war.
31
Bei dieser Prüfung ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 –, BAGE 150, 109-116, Rn. 20). Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 –, BAGE 150, 109-116, Rn. 21).
32
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 –, BAGE 150, 109-116, Rn.22).
33
Bei dem von der Beklagten behaupteten Gartenbautätigkeiten des Klägers handelt es sich um steuerbares Verhalten. Der Kläger war weder einschlägig abgemahnt, noch war eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich.
34
iii) Eine Abmahnung scheidet nicht deshalb als milderes Mittel aus, weil der Kläger bereits die Abmahnung vom 30.11.2020 erhalten hat.
35
Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen. Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen. Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren (BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 –, Rn.31, juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Mit der Abmahnung vom 30.11.2020 wurde dem Kläger zum Vorwurf gemacht, er habe gegen eine Weisung verstoßen, während einer Arbeitsunfähigkeit auf der Arbeit zu erscheinen. Zwar ist dem Vorwurf mit dem kündigungsrelevanten Vorwurf gemein, dass die Nebenpflicht des Klägers betroffen ist, für eine zeitnahe Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu sorgen. Jedoch bezieht sich der abgemahnte Vorwurf auf ein gewerbliches Tätigwerden des Klägers in den Räumlichkeiten bei der Beklagten. Hiervon zu unterscheiden ist das von der Beklagten behauptete kündigungsrelevante Tätigwerden des Klägers, das nicht gewerblich, sondern lediglich im Privatinteresse erfolgte und nicht bei der Beklagten oder Dritten, sondern im häuslichen Bereich des Klägers stattfand. Dies macht die Vorwürfe von ihrer Gewichtigkeit aber auch von den Umständen der Begehung derart verschieden, dass der Kläger aufgrund der erteilten Abmahnung nicht mit einer unmittelbaren Kündigung aufgrund des kündigungsrelevanten Vorwurfs zu rechnen hatte.
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iv) Eine Abmahnung ist auch nicht als ausnahmsweise entbehrlich anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn man den Sachvortrag der Beklagten zum Verhalten des Klägers vollständig als wahr unterstellt.
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(1) Auch dann handelt es sich nicht um eine so schwere Pflichtverletzung, dass deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war.
38
Hierbei geht die Kammer davon aus, dass die geschilderten Schaufel- und Tragearbeiten sowie das behauptete unterbrochene Arbeiten zeitweise in gebeugter und kieender Haltung, teilweise mit einer Motorschubkarre und einem Zwei-Takt-Stampfer tatsächlich insbesondere mit der erst im Juli 2021 erfolgten Operation an der Schulter des Klägers schwer vereinbar erscheinen. Insbesondere das unterbrechungsfreie Bedienen des Stampfers über einen Zeitraum von einer Stunde und 15 Minuten erschiene aufgrund der hierbei auftretenden Erschütterungen problematisch. Es kann auch unterstellt werden, dass der Kläger ohne weiteres erkennen hätte können, dass solche Tätigkeiten die Möglichkeit einer Heilungsverzögerung mit sich bringen können. Dass die vom Kläger behauptete Belastungserprobung tatsächlich einer ärztlicher verordneten Maßgabe entsprochen hätte, hat selbst der Kläger nicht behauptet. Die von der Beklagten geschilderten Arbeiten erschienen als Belastungsprobe zudem objektiv nicht sonderlich geeignet, da die Fertigstellung des Werks auch im privaten Bereich zu einem gewissen Zielerreichungsdruck führen kann, durch den das Genesungsbewusstsein in den Hintergrund treten kann. All dies würde zu einer durchaus erheblichen Schwere der Pflichtverletzung beitragen.
39
Die erstmalige Hinnahme des Pflichtverstoßes wäre der Beklagten nach objektiven Maßstäben dennoch nicht unzumutbar gewesen. Zunächst wurde der Kläger lediglich privat auf seinem eigenen Grundstück und nicht etwa gewerblich oder bei Dritten tätig. Insofern unterlag der Kläger jedenfalls keinem Druck einer vertraglichen Bindung zur Vollendung der vorgenommenen Tätigkeit. Vielmehr hätte eine Unterbrechung oder Aufgabe der behaupteten Gartenbauarbeiten im Falle des Auftritts von Schmerzen erfolgen können. Der Zielerreichungsdruck, der auch im Privatbereich vorhanden sein kann, erscheint vorliegend jedenfalls nicht derart ausgeprägt wie es für gewerbliche Tätigkeiten oder Arbeiten bei Dritten typisch ist. Weiterhin erscheint der zeitliche Umfang der behaupteten Arbeiten mit einem Tätigwerden an zwei Tagen und insgesamt sechs Stunden noch überschaubar. Dass tatsächlich eine Verlängerung der attestierten Arbeitsunfähigkeit erfolgt wäre, ist nicht ersichtlich. Zudem war der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum bereits abgelaufen, sodass der Beklagten kein finanzieller Nachteil durch weitere Lohnfortzahlungsansprüche entstanden wäre.
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In der Gesamtschau ist die erforderliche Schwere der Pflichtverletzung damit nicht erreicht.
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(2) Es war auch nicht bereits ex ante erkennbar, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten stünde.
42
Soweit die Beklagte dies damit zu begründen sucht, dass der Kläger keine Bedenken gehabt habe, trotz seiner gesundheitlichen Probleme, körperliche Arbeiten zu verrichten, die er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses seiner Meinung nach nicht verrichten könne, erschöpft sich dieses Argument in einem reinen Zirkelschluss. Denn diese Beobachtung ist jedem Fall genesungswidrigen Verhaltens immanent. Der bloße Pflichtverstoß indiziert aber gerade nicht, dass eine Abmahnung entbehrlich ist. Auch der Umstand, dass der Kläger die Ursache seiner gesundheitlichen Probleme in einem Arbeitsunfall gesehen haben könnte, lässt keinen sicheren Rückschluss auf eine zukunftsbezogene Uneinsichtigkeit zu. Selbst wenn der Kläger die Beklagte in einer (Mit-) Verantwortung sehen mag, könnte daraus nicht mit zureichender Sicherheit geschlossen werden, dass er sich künftig auch nach Abmahnung genesungswidrig verhalten würde.
43
Zuzugeben ist der Beklagten allerdings, dass es bemerkenswert erscheint, dass der Kläger hinsichtlich der von ihm eingeräumten Tätigkeiten nicht selbst zu dem Schluss kommt, dass diese mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit schwerlich vereinbar erscheinen. Diesem prozessualen Verhalten kann allerdings nicht entnommen werden, dass ein künftiger störungsfreier Verlauf nicht durch eine Abmahnung sichergestellt werden könnte. Denn die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB für die Prüfung des Kündigungsgrundes maßgebend (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 –, BAGE 134, 349-367, Rn. 52). Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung nur insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Eine ursprünglich unbegründete Kündigung darf nicht durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts anderes (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 –, BAGE 134, 349-367, Rn. 53). Nicht ausreichend ist demnach, wenn der Arbeitnehmer im Prozess lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für ihn günstigen Standpunkt einnimmt (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 –, BAGE 134, 349-367, Rn. 55). Nichts anderes tut der Kläger, wenn er sein Verhalten im Hinblick auf einen vermeintlich gerechtfertigten Belastungsversuch als nicht genesungswidrig einstuft. Daraus kann nicht abgeleitet werden, er werde sich künftig auch nach Abmahnung in gleicher Weise verhalten.
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c) Die Beklagte kann sich im Prozess auch nicht erfolgreich auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB wegen des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit berufen. Jedenfalls fehlt es an einer Anhörung des Betriebsrats zu diesem Vorwurf.
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Im Kündigungsschutzprozess kann sich der Arbeitgeber nur auf solche Kündigungsgründe stützen, die er dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung mitgeteilt hat (BAG, Urteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 –, BAGE 49, 39-57).
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Vorliegend hat die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat ausweislich der schriftlichen Anhörung vom 19.10.21 ausdrücklich nur den Vorwurf genesungswidrigen Verhaltens erhoben. Dort heißt es „Begründung: ‚schwere körperliche Arbeit trotz Arbeitsunfähigkeit‘. ‚Genesungswidriges Verhalten bei Arbeitsunfähigkeit‘“. Vortrag zu den Inhalten einer etwaigen mündlichen Anhörung am 18.10.2021 hat die Beklagte nicht gehalten. Selbst aber wenn die Beklagte ein (vermutetes) Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit am 18.10.2021 erwähnt hätte, hätte sie die Anhörung durch Übergabe des schriftlichen Anhörungsbogens wieder auf den dort ausschließlich aufgeführten Grund des genesungswidrigen Verhaltens beschränkt. Aus dem Anhörungsbogen wird nämlich nicht ersichtlich, dass sich der Betriebsrat auch mit anderen Kündigungsgründen auseinandersetzen solle.
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d) Ob die außerordentliche Kündigung auch aus anderen Gründen als § 626 I BGB unwirksam wäre, kann für die Entscheidung dahinstehen.
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3) Die Kündigung vom 27.10.2021 ist nicht in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umzudeuten, da sie auch als ordentliche Kündigung jedenfalls gemäß § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam wäre.
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a) Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, nachdem im Beschäftigungsbetrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG) und der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate beschäftigt war, § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG.
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b) Eine Kündigung ist gem. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine Vertragspflichten erheblich – in der Regel schuldhaft – verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die – fristgemäße – Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Versetzung und Abmahnung in Betracht. Ein in diesem Sinne kündigungsrelevantes Verhalten liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen (vgl. BAG, 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287, Rn. 19). Gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.
51
Vorliegend war eine Abmahnung nicht ausnahmsweise entbehrlich und damit auch gegenüber der ordentlichen Kündigung ein vorrangiges milderes Mittel. Insoweit wird auf die Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung Bezug genommen.
52
c) Ob eine ordentliche Kündigung auch aus anderen Gründen unwirksam wäre kann dahinstehen.
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4) Aufgrund des Obsiegens mit seinem Kündigungsschutzantrag hat der Kläger Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
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Ein gekündigter Arbeitnehmer hat einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses zwar ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzu kommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG 27.02.1985, GS 1/84, Beckonline).
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Nachdem die Beklagte keine zusätzlichen Umstände in diesem Sinne vorgebracht hat, war dem Weiterbeschäftigungsantrag im Hinblick auf das Obsiegen mit der Kündigungsschutzklage in erster Instanz zu entsprechen.
II.
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Der Antrag auf Zahlung von Überstundenvergütung sowie der allgemeine Feststellungsantrag sind mangels Antragstellung als zurückgenommen anzusehen. Der Zahlungsantrag wäre ohnehin der Kammer mangels Bedingungseintritts nicht zur Entscheidung angefallen.
III.
57
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG. Der Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags kommt aufgrund seiner Funktion als Schleppnetzantrag im Hinblick auf § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 495 ZPO keine eigenständige Bedeutung zu. Der gleichfalls zurückgenommene Antrag auf Überstundenvergütung wäre der Kammer ohnehin nicht zur Entscheidung angefallen.
IV.
58
Der Streitwert wurde in Ansehung des Kündigungsschutzantrags gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 GVG in Höhe des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts festgesetzt. Der Weiterbeschäftigungsantrag erhöht den Streitwert um ein Bruttomonatsgehalt.
V.
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Anlass dafür, die Berufung nach § 64 Abs. 2a ArbGG zuzulassen bestand nicht, weil keiner der in § 64 Abs. 3 ArbGG geregelten Berufung Zulassungsgründe vorlag.