OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 11.01.2022 – 8 U 2909/21
Titel:

Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
VAG § 155 Abs. 3 S. 2
BGB § 306, § 307 Abs. 1, Abs. 2
MB/KK 2009 § 8b Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Eine etwaige Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt. Die Regelung in § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 verstößt bei ihrem isolierten Bestehenbleiben auch nicht gegen die in § 155 Abs. 3 S. 2 VAG, § 203 Abs. 2 VVG vorgesehene Voraussetzung einer nicht nur vorübergehenden Veränderung (s. auch BGH BeckRS 2022, 18282). (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, blue-pencil-test
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 30.06.2021 – 31 O 2452/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46511

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 30.06.2021, Az. 31 O 2452/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten über die Unwirksamkeit mehrerer Prämienanpassungen im Rahmen einer zwischen ihnen seit 1989 bestehenden privaten Krankenversicherung sowie über hieraus folgende bereicherungsrechtliche Erstattungsansprüche. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (Anlage B 1) zugrunde, die die Musterbedingungen MB/KK 2009 umfassen.
2
Mit der Klage wurde in erster Instanz die Unwirksamkeit der jeweils zum 1. April der Jahre 2013, 2014, 2016, 2017 und 2019 vorgenommenen Beitragsanpassungen geltend gemacht sowie die Rückzahlung von 7.373,19 € und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.154,20 € begehrt.
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Das Landgericht hat diese Klage vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass Ansprüche wegen der für die Beitragsjahre 2013 bis 2016 erfolgten Erhöhungen verjährt seien. Die zum 01.04.2017 und 01.04.2019 erfolgte Beitragsanpassung sei formell und materiell wirksam. Insbesondere sei die maßgebliche Klausel in § 8b Abs. 1 MB/KK wirksam.
4
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er im Wesentlichen seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt und nunmehr Rückzahlung von 7.398,84 € fordert.
II.
5
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
6
Zu Recht und mit weitgehend überzeugender Begründung hat das Landgericht die Feststellungsklage und die Leistungsklage vollständig abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
1. Verjährung
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Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021 – IV ZR 113/20, juris Rn. 39 ff.) und der den Parteivertretern aus Parallelverfahren bekannten Ansicht des Senats hat die Vorinstanz entschieden, dass etwaige Ansprüche des Klägers wegen der bis einschließlich Dezember 2016 geleisteten Prämienzahlungen verjährt sind (LGU 6-8). Demgemäß besteht auch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellung der Unwirksamkeit der jeweils zum 1. April 2013 und 2014 erfolgten Beitragsanpassungen.
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Die weitschweifigen Ausführungen in der Berufungsbegründung wurden zur Kenntnis genommen und geprüft, jedoch für nicht durchgreifend erachtet. Weitere Erörterungen der Verjährungsfrage erscheinen daher gegenwärtig nicht veranlasst.
2. Prämienzahlungen Januar bis März 2017
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Rechtsgrundlage der in den ersten drei Monaten des Jahres 2017 erfolgten Prämienzahlungen des Klägers war die zum 01.04.2016 erfolgte Beitragsanpassung. Diese hat das Landgericht – insofern rechtsfehlerhaft – keiner näheren Prüfung unterzogen.
10
Mit undatiertem Schreiben aus Februar 2016 und beigefügtem Nachtrag zum Versicherungsschein hatte die Beklagte mit Wirkung zum 01.04.2016 eine Erhöhung der Prämie im Tarif „AM2“ um monatlich 79,90 € erklärt (Anlagenkonvolut B 4). Hierdurch erhöhte sich auch der gemäß § 149 VAG erhobene Prämienzuschlag, der hier als „R10“ bezeichnet wird, aber keinen eigenständigen Tarif darstellt.
11
a) Die inhaltlichen Anforderungen an die gemäß § 203 Abs. 5 VVG erforderliche Begründung der Beitragserhöhung sind inzwischen weitgehend höchstrichterlich geklärt (vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, NJW 2021, 378 und vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20, NJW-RR 2021, 1260). Danach ist die Angabe der Rechnungsgrundlage erforderlich, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Anzugeben ist auch, dass die Veränderung den maßgeblichen Schwellenwert überschritten hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben.
12
Insgesamt ist es nicht Zweck der Begründung, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen.
13
b) Das vorbenannte Anschreiben erwähnt als Gründe der Prämienanpassung namentlich gestiegene Gesundheitskosten und verweist im Übrigen auf die Beilage „Medizinischer Fortschritt – Ein Praxisbeispiel der DKV“. Dort wird zum einen das Verfahren der jährlichen Beitragsprüfung ausführlich erläutert und es werden darüber die Gründe für die Beitragsanpassung verdeutlicht, die sowohl in einer gestiegenen Lebenserwartung als auch in gestiegenen Leistungsausgaben liegen. Damit war die Begründung der Beitragserhöhung zum 01.04.2016 für einen Empfänger ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse klar und verständlich.
14
Ob eine frühere Prämienerhöhung womöglich fehlerhaft war, ist für die Wirksamkeit der Neufestsetzung und der daraus folgenden erhöhten Beitragspflicht des Versicherungsnehmers ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, NJW 2021, 378 Rn. 55). Denn die spätere Prämienanpassung stellt eine vollständige Neufestsetzung für den neu kalkulierten Zeitraum dar und bildet fortan die Rechtsgrundlage für den Prämienanspruch in seiner Gesamthöhe.
3. Prämienanpassung zum 01.04.2017
15
Mit undatiertem Schreiben aus Februar 2017 und beigefügtem Nachtrag zum Versicherungsschein hatte die Beklagte mit Wirkung zum 01.04.2017 eine Erhöhung der Prämie im Tarif „AM2“ um monatlich 21,99 € und im Tarif „ZM3“ um monatlich 4,66 € erklärt (Anlagenkonvolut B 4).
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Das Schreiben selbst erwähnt wiederum gestiegene Gesundheitskosten und verweist im Übrigen auf die Beilage „Ein Praxisbeispiel der DKV“. In diesem beigefügten Informationsblatt werden die gesetzlichen Grundlagen und das Verfahren der jährlichen Beitragsprüfung anschaulich erläutert. Es werden darüber hinaus eine gestiegene Lebenserwartung und gestiegenen Leistungsausgaben in verständlicher Weise als maßgebliche Gründe aufgeführt.
17
Dies ist in formeller Hinsicht ausreichend.
4. Prämienanpassung zum 01.04.2019
18
Mit undatiertem Schreiben aus Februar 2019 und beigefügtem Nachtrag zum Versicherungsschein hatte die Beklagte mit Wirkung zum 01.04.2019 eine Erhöhung der Prämie im Tarif „KM“ um monatlich 1,71 € erklärt (Anlagenkonvolut B 4).
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Zur Begründung ist in dem vorbenannten Schreiben die steigende Lebenserwartung angeführt worden. Im Übrigen wird der Versicherungsnehmer auf die Zusammenstellung auf den folgenden Seiten verwiesen. Unter der Überschrift „Maßgebliche Gründe für die Beitragsanpassung“ werden das Verfahren der jährlichen Beitragsprüfung sowie die in Betracht kommenden Einflussfaktoren klar und verständlich beschrieben. Im konkreten Fall handelt es sich um gestiegene Leistungsausgaben und eine erhöhte Lebenserwartung. Auch diese vermochte ein verständiger Versicherungsnehmer den Informationen ohne Schwierigkeiten zu entnehmen.
5. Wirksamkeit des § 8b Nr. 1 MB/KK
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Die Beitragsanpassungen erweisen sich entgegen der Ansicht der Berufung auch nicht aus materiellen Gründen als unwirksam. Die Beklagte durfte auf der Grundlage von § 8b MB/KK Beitragsneufestsetzungen vornehmen, die durch eine Schwellenwertabweichung bei der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen ausgelöst wurden, die nicht über dem gesetzlich festgelegten Wert von 10% liegen. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Regelung in § 8b Nr. 1 MB/KK nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam wäre.
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Es kann insoweit dahinstehen, ob die Regelung in § 8b Nr. 2 MB/KK unwirksam ist, nach der von einer Beitragsanpassung abgesehen werden kann, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist. Selbst wenn dies anzunehmen wäre, würde dies nicht dazu führen, dass auch die Bestimmung in § 8b Nr. 1 MB/KK unwirksam wäre, die eine Anpassung auch bei einer Abweichung von mehr als dem tariflich festgelegten Vomhundertsatz ermöglicht.
22
Nach § 306 Abs. 1 BGB bleibt der Vertrag dann, wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen teilweise unwirksam sind, im Übrigen rechtsbeständig. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur wenn der als wirksam anzusehende Teil im Gesamtgefüge des Vertrags nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel. Die inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel und damit ihre Zerlegung in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil ist immer dann gegeben, wenn der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet (sog. „blue-pencil-test“). Ob beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, ist dabei unerheblich (vgl. etwa BGH, Urteile vom 31.03.2021 – IV ZR 221/19, juris Rn. 64 und vom 13.02.2020 – IX ZR 140/19, juris Rn. 26).
23
Hiervon ausgehend, kann die Regelung in § 8b Nr. 1 MB/KK ohne Weiteres Bestand haben, auch wenn § 8 Nr. 2 MB/KK gestrichen wird. Der Sinn von Nr. 1 leidet nicht darunter, die Regelung in Nr. 1 verstößt bei ihrem isolierten Bestehenbleiben auch nicht gegen die in § 155 Abs. 3, Satz 2 VAG, § 203 Abs. 2 VVG vorgesehene Voraussetzung einer nicht nur vorübergehenden Veränderung. Betrachtet man § 8b Nr. 1 MB/KK isoliert und ohne die Regelung in Nr. 2 ergibt sich bereits kein Hinweis auf die Voraussetzung einer nicht nur vorübergehenden Veränderung. Ein solcher Schluss lässt sich allenfalls mit Blick auf Nr. 2 ziehen. § 8b Nr. 1 MB/KK ist – für sich betrachtet – kein Hinweis auf das Erfordernis einer Dauerhaftigkeit zu entnehmen.
24
Durch die weiterhin geltenden gesetzlichen Regelungen ist überdies gesichert, dass nur bei einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlagen die Beiträge angepasst werden dürfen. Das Verständnis von § 8b Nr. 1 MB/KK ergibt sich mithin unter Berücksichtigung der zwingenden Gesetzesvorschriften, von denen ersichtlich eine Abweichung nicht vorgenommen werden soll. Eine Wiederholung sämtlicher Voraussetzungen für eine Beitragsanpassung in den MB/KK ist – auch mit Blick auf den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer – nicht erforderlich.
25
6. Mangels Hauptforderung schuldet die Beklagte schließlich keine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
III.
26
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).