VG Augsburg, Urteil v. 13.10.2022 – Au 2 K 21.643
Titel:

Keine Ernennung als Beamtin auf Probe wegen Verschweigens eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Normenketten:
BayBG Art. 23 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 2
BeamtStG § 9, § 12 Abs. 1 Nr. 1
BZRG § 51, § 53 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Das Verschweigen eines laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens oder gerichtlichen Strafverfahrens, auch wenn es dann eingestellt wird, ist als charakterliche Ungeeignetheit zu werten mit der Folge, dass eine Ernennung ins Beamtenverhältnis auf Probe abgelehnt werden kann. (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamtenverhältnis auf Probe, charakterliche Ungeeignetheit, staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, Strafverfahren, Lehrerberuf, Untersuchungshaft, arglistige Täuschung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.03.2023 – 3 ZB 22.2390
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44699

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Übernahme ins Beamtenverhältnis auf Probe.
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Die am ... 1976 geborene Klägerin befand sich vom 3. bis 4. Januar 2012 und vom 13. Februar bis 30. April 2012 in Untersuchungshaft. Gegen sie wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche geführt (.../11) und mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 4. Juni 2012 eingestellt, ein Ermittlungsverfahren wegen schweren Raubs wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 31. Juli 2012 (.../12) eingestellt.
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Mit Formblatt vom 10. April 2013 beantragte sie bei der Regierung von A die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für Lehrer unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf. Sie erklärte mit ihrer Unterschrift, dass gegen sie kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder gerichtliches Strafverfahren anhängig sei oder gewesen sei. Mit Wirkung vom 11. September 2013 wurde sie durch die Regierung von A in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen und absolvierte in der Folge den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Mittelschulen. Auf eine vertrauliche Mitteilung der zuständigen Seminarleiterin hin wurde im November 2014 bekannt, dass gegen die Klägerin strafrechtliche Ermittlungsverfahren anhängig gewesen sind. Mit Bescheid der Regierung von A vom 21. November 2014 wurde ihr die Führung der Dienstgeschäfte verboten und die Klägerin mit Bescheid vom 1. Dezember 2014 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen. Das beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängige Verfahren betreffend das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wurde mit Beschluss vom 15. Dezember 2014 eingestellt (Au 2 S 14.1738). Der Klägerin wurde aufgrund des dem Einstellungsbeschluss zugrundeliegenden Vergleichs erlaubt, den Vorbereitungsdienst in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis zu beenden. Mit Zeugnis vom 10. August 2015 über die Staatsprüfungen für das Lehramt an Mittelschulen in Bayern erhielt die Klägerin die Befähigung für das Lehramt an Mittelschulen mit der Gesamtprüfungsnote 2,45.
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Mit Antrag vom 3. August 2018 bewarb sich die Klägerin auf eine Planstelle im Bayerischen Schuldienst bei der Regierung von B. Sie erklärte, dass sie nicht gerichtlich vorbestraft sei und dass gegen sie derzeit kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder gerichtliches Strafverfahren anhängig sei. Das Staatsministerium C teilte mit Schreiben vom 13. Juli 2018 mit, dass die Klägerin zur Ernennung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit Wirkung vom 10. September 2018 vorgesehen sei. Mit Anhörungsschreiben vom 19. Juli 2018 der Regierung von B wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie die charakterlichen Voraussetzungen für eine Tätigkeit im Staatsdienst nicht erfülle und deshalb weder in das Beamtenverhältnis auf Probe noch als Lehrkraft auf Arbeitsvertrag in den Schuldienst des Freistaats Bayern übernommen werden könne.
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Mit Bescheid der Regierung von B vom 8. August 2018 wurde der Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe abgelehnt. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von B vom 22. Mai 2019 zurückgewiesen. Die Klägerin habe im Einstellungsverfahren bei der Regierung von A falsche Angaben gemacht. Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe, auf die grundsätzlich kein Rechtsanspruch bestehe, sei nur bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Voraussetzungen möglich, zu denen insbesondere die für das Beamtenverhältnis erforderliche fachliche, gesundheitliche und persönliche Eignung zähle. Bei der Klägerin bestünden Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung, die ein Unterfall der persönlichen Eignung sei. Es handle sich um eine prognostische Einschätzung des Dienstherrn. Dieser sei dabei auf vollständige und wahrheitsgemäße Angaben angewiesen, soweit diese das Anforderungsprofil der Laufbahn beträfen. Aus der medienwirksamen Vorgeschichte sei eine Informations- und Auskunftspflicht erwachsen. Die Auskunftspflicht bestehe trotz des Schweigerechts nach § 53 BZRG. Die Wahrheitspflicht sei eine beamtenrechtliche Kernpflicht insbesondere mit Blick auf die Funktion des Lehrerberufs. Lehrer hätten auch eine Vorbildfunktion und ihnen käme eine besondere Integrität zu. Die Klägerin hätte zwingend erkennen müssen, dass das strafrechtliche (Ermittlungs-) Verfahren für die Einstellungsbehörde von sehr hoher Bedeutung seien. Dass sie versehentlich hierzu keine Angaben gemacht habe, sei unglaubhaft. Bei Zweifeln hätte sie sich mit der Einstellungsbehörde in Verbindung setzen können.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18. Juni 2019 hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben. Sie beantragt,
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Der Bescheid der Regierung von B vom 8. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von B vom 22. Mai 2019 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen.
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Hilfsweise: Der Beklagte wird verpflichtet, erneut über den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
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Die Klägerin habe im Oktober 2014 ihrer Seminarrektorin und ihrem Schulleiter mitgeteilt, dass sie im November 2014 in einer Strafsache aussagen müsse. Sie habe dann auch mit Schreiben vom 20. November 2014 gegenüber der Regierung von A umfassend zu dem Sachverhalt Stellung genommen. Daher habe sie keine Mitwirkungspflichten verletzt. Aus den im Formular gemachten Angaben könne nicht auf ihre charakterliche Nichteignung geschlossen werden, da es sich um unzulässige Fragen gehandelt habe. Bei abgeschlossenen Ermittlungsverfahren könne kein Bezug mehr zur Einstellung erkannt werden. Wenn kein Eintrag im Bundeszentralregister vorliege, dürfe sich der Beamte als nicht vorbestraft bezeichnen. Die nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte Einstellung sei das Äquivalent zum Freispruch in einer Hauptverhandlung. Die von der Regierung ins Feld geführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sei dahingehend zu relativieren, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren keinen Anlass zu Zweifeln begründeten, wenn der gemachte Vorwurf offensichtlich unbegründet sei. Der einzige Vorwurf, der der Klägerin gemacht werden könne, sei, dass sie sich in ihrem Freund getäuscht und dessen wahres Gesicht nicht erkannt habe. Letztlich sei auch die Erklärung der Regierung von A intransparent gewesen. So habe die Regierung von B nur eine Erklärung zu laufenden Verfahren verlangt. Die Klägerin habe auch nichts verschwiegen, sondern nach ihrer Untersuchungshaft im Jahr 2012 ihren Schulleiter unverzüglich informiert. Die Regierung von A sei nicht berechtigt gewesen, derart vorformulierte Fragen zu stellen, weil dadurch die Entscheidungsfreiheit des Bewerbers beschränkt werde. Vorliegend habe die Klägerin sämtliche Angaben korrekt gemacht, ihr Verhalten sei stets tadellos gewesen. Schließlich liege die Erklärung, auf die sich die Regierung von B berufe, mehr als sieben Jahre zurück.
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Mit Schreiben vom 22. August 2019 wendete sich die Regierung von B gegen das Klagebegehren und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.
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Mit Beschluss vom 11. Januar 2021 wurde das gerichtliche Verfahren an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen.
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Am 28. April 2022 fand mündliche Verhandlung statt. Die Sache wurde mit den Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Die Parteien wiederholten sodann die schriftsätzlich angekündigten Klageanträge und erklärten den Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung.
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Mit Schreiben vom 4. Mai 2022 lehnte das Staatsministerium C die am 25. April 2022 beantragte Ausnahme von der Altersgrenze ab, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Dies bedürfe des Einvernehmens des Staatsministeriums D, das nur erteilt werde, wenn an der Gewinnung eines Bewerbers ein dringendes öffentliches Interesse bestehe. Ein solcher Einzelfall liege bei Lehrkräften jedoch generell nicht vor. Diese könnten auch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt werden. In einer solchen Konstellation habe das Staatsministerium D sein Einvernehmen noch nie erteilt.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 4. Juli 2022, dass die Überschreitung der Altersgrenze nur aus der Dauer des Klageverfahrens resultiere.
Deshalb sei eine Ausnahme für die Klägerin vonnöten.
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Daraufhin teilte das Staatsministerium C mit Schreiben vom 7. Juli 2022 mit, dass für eine Ausnahmeentscheidung kein Raum sei. Allerdings sei die Klägerin im Wege der Folgenbeseitigung so zu stellen, als ob sie die Altersgrenze nicht überschritten habe, wenn das Gericht zu der Auffassung gelänge, dass die Ablehnung der Einstellung rechtswidrig gewesen sei.
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Dem schloss sich der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Juli 2022 an.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 28. April 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Parteien hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Der Bescheid der Regierung von B vom 8. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 22. Mai 2019, mit dem der Antrag der Klägerin, sie zur Beamtin auf Probe zur ernennen, abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat (auch) keinen Anspruch auf Neuverbescheidung ihres Einstellungsbegehrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
22
Der klägerische Hauptantrag, den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen, kann schon nicht zum Erfolg führen, weil es sich bei der Entscheidung des Beklagten um eine Ermessensentscheidung handelt.
Eine Ermessensreduzierung auf null ist nicht ersichtlich. Auch mit ihrem Hilfsantrag vermag sie nicht durchzudringen.
23
1. Die Klägerin kann nicht beanspruchen, dass über ihren Antrag, in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen zu werden, neu entschieden wird, weil sie die Höchstaltersgrenze nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 BayBG überschritten hat. Demnach darf nicht in das Beamtenverhältnis berufen werden, wer bereits das 45. Lebensjahr vollendet hat. Ausnahmen kann nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayBG die oberste Dienstbehörde zulassen (Halbsatz 1). Hierfür ist nach Halbsatz 2 bei Beamten des Staats das Einvernehmen des Staatsministeriums D erforderlich. Das ist zudem auch in Art. 48 der Haushaltsordnung des Freistaats Bayern (BayHO) geregelt, wonach Einstellungen und Versetzungen von Beamten in den Staatsdienst der Einwilligung des für ... zuständigen Staatsministeriums bedürfen, wenn der Bewerber bereits das 45., bei Hochschullehrern das 52. Lebensjahr vollendet hat. Die Ausnahmeentscheidungen, also die der jeweils zuständigen obersten Dienstbehörde und die Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens des Bayerischen Staatsministeriums D, haben jeweils nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu ergehen (zur Vereinbarkeit der Regelung mit höherrangigem Recht vgl. VG Augsburg, U.v. 16.12.2021 – Au 2 K 20.1068 – Rn. 24; BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 3 ZB 22.358 – juris LS). Ein besonderes dienstliches bzw. dringendes öffentliches Interesse liegt etwa vor, wenn durch die Einstellung hochqualifizierter Bewerber die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ermöglicht wird (BayVGH, B.v. 30.11.2021 – 3 ZB 21.2189 – juris Rn. 22).
24
Da die am ... 1976 geborene Klägerin inzwischen das 46. Lebensjahr vollendet hat, hat sie die Höchstaltersgrenze überschritten. Die Gewährung einer Ausnahme nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayBG hat das Staatsministerium C mit Schreiben vom 4. Mai 2022 ermessensfehlerfrei abgelehnt.
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2. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die Entscheidung der Regierung von B, die Klägerin nicht in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der fehlenden charakterlichen Eignung zu beanstanden ist.
26
a) Rechtsgrundlage für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe sind Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 BeamtStG. Nach dieser Vorschrift sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnischer Herkunft, Behinderung, Religion, Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vorzunehmen. Die von der Klägerin begehrte Einstellung setzt daher unter anderem die Eignung voraus, wozu auch die charakterliche Eignung als Unterfall der persönlichen Eignung gehört (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 2 B 18.16 – juris Rn. 26). Hierfür ist eine prognostische Einschätzung zu treffen, inwieweit der Bewerber der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird (vgl. Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Mai 2022, § 9 BeamtStG Rn. 39). Das erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Einstellungsbewerbers, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale geben können. Zur Ablehnung der Einstellung genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn daran, ob der Beamte die charakterliche Eignung besitzt (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 2 B 18.16 – juris Rn. 25 f.). Der Dienstherr trifft die Entscheidung über die charakterliche Eignung im Rahmen seines ihm zustehenden Beurteilungsspielraums, sodass diese Eignungseinschätzung nur einer beschränkten verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterworfen ist. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BVerwG, U.v. 25.1.2001 – 2 C 43.99 – juris Rn. 23; U.v. 30.1.2003 – 2 A 1.02 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 23.10.2017 – 6 ZB 17.941 – juris Rn. 13; VG München, U.v. 24.4.2018 – M 5 K 16.5799 – juris Rn. 13).
27
b) Nach diesen Maßgaben ist die Entscheidung des Beklagten, die Einstellung der Klägerin in ein Beamtenverhältnis auf Probe abzulehnen, rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die von der Beklagtenseite angeführten Umstände tragen die Ablehnungsentscheidung aufgrund charakterlicher Ungeeignetheit.
28
Vorliegend hat die Klägerin Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung begründet, weil sie arglistig über Tatsachen getäuscht hat. Eine arglistige Täuschung i.S.d. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG, die zu einer Rücknahme der Ernennung führen würde, liegt vor, wenn der zu Ernennende durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, jedoch in Kauf nahm, oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorrief, dass dieser zu einer günstigen Entscheidung führt (SächsOVG, B.v. 20.7.2011 – 2 B 45/11 – juris Rn. 7). Dieser Maßstab muss auch für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe gelten.
29
Mit Formblatt der Regierung von A vom 10. April 2013 bestätigte die Klägerin, dass gegen sie kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder gerichtliches Strafverfahren anhängig sei oder gewesen sei, obwohl gegen sie zwei Ermittlungsverfahren geführt worden waren (wegen Geldwäsche und wegen schweren Raubs). Dass beide Verfahren eingestellt wurden, ist unerheblich, weil die Frage im Formblatt ausdrücklich auch auf vergangene Verfahren gerichtet war. Es kann auch nicht unterstellt werden, dass die Klägerin keine Kenntnis von diesen Verfahren hatte, weil es sich bei der damit einhergehenden Inhaftierung um eine gravierende Erfahrung im Leben handelt. Zudem wurde sie sogar zweimal in Untersuchungshaft genommen.
30
Die Klägerin war auch nicht berechtigt, die gegen sie geführten Ermittlungsverfahren zu verschweigen, weil zulässigerweise danach gefragt wurde. Das Verschweigen von Tatsachen ist eine Täuschung, wenn die Ernennungsbehörde nach Tatsachen gefragt hat oder die bzw. der Ernannte auch ohne Befragung weiß oder in Kauf nimmt, dass die verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung erheblich sind oder sein können (stRspr, z.B. BVerwG, U.v. 20.1.2004 – 1 D 33.02 – NVwZ 2005, 93; BVerwG, U.v. 24.10.1996 – 2 C 23.96 – juris). Dies setzt sachliche Gründe von erheblichem Gewicht voraus und lässt sich nur im Einzelfall für das jeweils angestrebte Beamtenverhältnis und dessen konkrete Anforderungen festlegen (VGH BW, B.v. 27.11.2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 7; Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Mai 2022, § 12 BeamtStG Rn. 7a). Unrichtige Tatsachen stellen stets eine Täuschung dar, unabhängig davon, ob die Ernennungsbehörde danach gefragt hat oder nicht (SächsOVG, B.v. 20.7.2011 – 2 B 45/11 – juris Rn. 7). Um die charakterliche Eignung beurteilen zu können, muss sich der Dienstherr ein Bild machen, ob gegen den Bewerber ein Ermittlungsverfahren geführt und was diesem zur Last gelegt wurde. Daraufhin kann er im Rahmen seines prognostischen Entscheidungsspielraums abschätzen, ob die im Raum stehenden Ermittlungsverfahren dem Ansehen des (hier) Lehrerberufs und der Vermittlung von Werten widersprechen.
31
Gemessen an diesen Vorgaben handelt es sich bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren um für den Lehrerberuf erhebliche Tatsachen. Mit einer Lehrtätigkeit im öffentlichen Schuldienst und der damit verbundenen Vorbildfunktion sind strafrechtliche Verfahren von gewissem Gewicht nicht vereinbar. Lehrer stehen im öffentlichen Fokus insbesondere auch der Schülereltern. Die Öffentlichkeit hat erfahrungsgemäß kein Verständnis für die Begehung von Straftaten durch Lehrer, die u.a. mit der Erziehung ihrer Kinder zu gesetzeskonformem Verhalten betraut sind. Auch die mögliche Erpressbarkeit der Lehrkraft muss berücksichtigt werden (vgl. von Roetteken in von Roetteken /Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand Oktober 2021, § 9 Rn. 105). Die Frage nach vergangenen Ermittlungsverfahren ist somit zulässig (so auch VGH BW, B.v. 27.11.2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 7, OVG MV, B.v. 12.9.2007 – 2 M 159/07 – juris LS). Das Verschweigen auch von eingestellten Ermittlungsverfahren ist für sich genommen geeignet, die charakterliche Integrität des Bewerbers in Frage zu stellen (HessVGH, B.v. 23.8.2021 – 1 B 924/21 – juris Rn. 38; OVG NW, B.v. 19.11.2014 – 6 A 1896/13 – NJOZ 2015, 264). Hinzu kommt, dass die Klägerin bereits in der Bewerbungsphase falsche Angaben machte. Falschangaben noch vor der Einstellung sind im Hinblick auf die bestehende Konkurrenzsituation besonders gravierend. Eingedenk der Selbstbegünstigungstendenz ist daher für den Dienstherrn der Schluss gerechtfertigt, dass der Bewerber die Bedeutung der Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben gegenüber seinem Dienstherrn gemessen an den eigenen Interessen verkannt hat. Daraus resultiert die Befürchtung, dass auch zukünftig mit einem entsprechenden Fehlverhalten des Bewerbers zu rechnen ist (OVG NW, B.v. 15.1.2020 – 1 A 1937/18 – juris Rn. 10).
32
Die Angaben der Klägerin durften vom Beklagten auch verwendet werden. Aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG ergibt sich nichts Anderes. Das Verwertungsverbot des § 51 BZRG und das Verschweigerecht des § 53 BZRG greifen bei eingestellten Verfahren nicht ein, so dass der Dienstherr einen Einstellungsbewerber zulässigerweise auch nach solchen Verfahren fragen kann (OVG NW, B.v. 31.3.2021 – 1 A 1506/20 – juris Rn. 11; HessVGH, B.v. 23.8.2021 – 1 B 924/21 – juris LS). Beide Regelungen setzen nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine „Verurteilung“ voraus. Es verbietet sich eine erweiternde Auslegung dieser Vorschriften auf Fälle, in denen eine Verurteilung nicht erfolgt ist (VGH BW, B.v. 27.11.2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 11). Auch eine Analogie der Vorschriften scheidet mangels planwidriger Regelungslücke und vergleichbarer Interessenlage aus (HessVGH, B.v. 23.8.2021 – 1 B 924/21 – juris Rn. 48; wohl OVG NW, B.v. 31.3.2021 – 1 A 1506/20 – juris Rn. 35; VGH BW, B.v. 27.11.2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 11).
33
Auch wenn der Klägerin zuzugeben ist, dass Umstände aus dem Jahr 2012 inzwischen länger, nämlich zehn Jahre, zurückliegen, so waren die eingestellten Ermittlungsverfahren im Zeitpunkt, in dem die Klägerin über sie täuschte, gerade einmal ein Jahr zurückliegend; bei der Bewerbung bei der Regierung von B sechs Jahre. Bei der Entscheidung, einen Beamten in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen, erfolgt die im Hinblick auf die charakterliche Eignung gebotene Abwägung auf der Grundlage des Gesamtbildes zum Entscheidungszeitpunkt; zurückliegende Umstände haben dabei ein schon durch den Zeitablauf vermindertes Gewicht, wohingegen den jüngeren Umständen ein entsprechend höheres Gewicht zukommt (BVerwG, U.v. 9.6.1983 – 2 C 45.80 – juris Rn. 28, 29). Welches Gewicht die Einstellungsbehörde diesem Vorgang beimisst, fällt jedoch in den weiten Beurteilungsspielraum, der einer gerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Die prognostische Bewertung der charakterlichen Eignung der Klägerin durch den Beklagten ist aufgrund ihrer Verhaltensweisen nicht zu beanstanden.
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3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
36
Gründe, die Berufung zuzulassen (§ 124, § 124a VwGO), liegen nicht vor.