VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 24.11.2022 – B 9 K 22.370
Titel:
Kein Anspruch auf Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 1, § 75
StAG § 30 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Das Vorliegen eines anerkennungswerten Interesses am behördlichen Tätigwerden ist eine verwaltungsverfahrensrechtliche Sachentscheidungsvoraussetzung, sodass die Behörde bei fehlendem Sachbescheidungsinteresse jedenfalls nicht zur Sache entscheiden muss. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch dem Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes muss grundsätzlich ein Sachbescheidungsinteresse zugrunde liegen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage, kein Anspruch auf Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit und Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, fehlendes Sachbescheidungsinteresse, Untätigkeitsklage, feststellender Verwaltungsakt, Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit, Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, Glaubhaftmachung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43503
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Feststellung des Bestehens seiner deutschen Staatsangehörigkeit und die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises.
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Am 31. Januar 2022 beantragte der Kläger beim Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) unter Verwendung des dafür vorgesehenen Formulars die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Mit E-Mail vom 25. Februar 2022 erkundigte er sich beim Landratsamt nach dem Stand der Bearbeitung und ergänzte, dass er und seine Frau die Staatsangehörigkeitsausweise benötigten, da sie eine Firma im Ausland gründen wollten. Darauf antwortete das Landratsamt mit E-Mail vom 28. Februar 2022, dass die Anträge zeitnah bearbeitet würden. Unter dem 17. März 2022 teilte der Kläger dem Landratsamt schriftlich mit, dass die Ausweise dringend benötigt würden.
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Mit Schreiben vom 25. März 2022 wies das Landratsamt den Kläger darauf hin, dass den Behörden in Deutschland für die Überprüfung des Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit im Regelfall die Vorlage eines gültigen Reisepasses oder Personalausweises genüge. Früher verbreitete besondere Verfahrensvorschriften, die ausdrücklich die Vorlage eines Staatsangehörigenausweises vorgesehen hätten, seien inzwischen weitgehend aufgehoben. Sollte eine deutsche Behörde die Staatsangehörigkeit des Klägers anzweifeln oder die Vorlage eines Staatsangehörigkeitsausweises verlangen, oder sollte ein sonstiges objektiv schutzwürdiges Sachbescheidungsinteresse bestehen, solle der Kläger ein entsprechendes Schreiben dieser Behörde bzw. eine eingehende Begründung mit Nachweisen vorlegen. Sollte der Kläger den Staatsangehörigenausweis zur Vorlage bei ausländischen Behörden benötigen, solle er den entsprechenden Nachweis gegebenenfalls mit deutscher Übersetzung vorlegen. Hierfür wurde ihm eine Frist gesetzt bis zum 25. April 2022. Unter dem 4. April 2022 übersandte der Kläger der zuständigen Sachbearbeiterin des Landratsamts 5 Euro in bar mit der Bitte, diese zu verrechnen und den Kläger zu informieren, welche Restsumme er bei Abholung zu zahlen hätte.
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Mit Schriftsatz vom 11. April 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 12. April 2022, hat der Kläger „Untätigkeitsklage gemäß Art. 73 GG“ erhoben mit dem Begehren, dass seine deutsche Staatsangehörigkeit festgestellt werde.
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Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt, den die zuständige Sachbearbeiterin jedoch nicht bearbeiten wolle und werde. Aufgrund dieser Weigerung sei die vorliegende Klage veranlasst.
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Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 29. April 2022,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klage wegen Untätigkeit sei noch innerhalb der vom Landratsamt gesetzten Frist erhoben worden. Eine unzulässige Unterlassung der Sachbearbeitung sei nicht erfolgt. Da der Kläger bis zum 25. April 2022 keine Unterlagen zur Glaubhaftmachung seines berechtigten Interesses vorgebracht habe, sei der Antrag zwischenzeitlich kostenpflichtig abgelehnt worden.
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Mit Bescheid vom 28. April 2022 lehnte das Landratsamt den Antrag des Klägers auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis) ab (Ziffer 1) und erhob Gebühren in Höhe von 18,75 Euro und Auslagen in Höhe von 4,11 Euro, also insgesamt 22,86 Euro (Ziffer 2). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe die nachgeforderten Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist beigebracht. Weshalb seine deutsche Staatsangehörigkeit zweifelhaft oder klärungsbedürftig sei, sei nicht ansatzweise ersichtlich. Der Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30. April 2022 zugestellt.
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Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 3. November 2022 zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2, § 84 Abs. 1 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Entscheidungsgründe
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I. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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II. Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet und daher abzuweisen.
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft.
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Ursprünglich hatte der Kläger bei sachdienlicher Auslegung seines Begehrens nach § 88 VwGO am 12. April 2022 eine Verpflichtungsklage als Untätigkeitsklage im Sinne des § 75 Satz 1 Alt. 2 VwGO erhoben, um zu erreichen, dass das Landratsamt verpflichtet wird, entsprechend seinem Antrag vom 31. Januar 2022 seine deutsche Staatsangehörigkeit festzustellen sowie einen Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen. Mit Bescheid vom 28. April 2022, also noch innerhalb der Sperrfrist nach § 75 Satz 2 VwGO, erließ das Landratsamt diesbezüglich jedoch eine ablehnende Entscheidung. Die vor Ablauf der Sperrfrist verfrüht erhobene Untätigkeitsklage kann in diesem Fall als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage fortgeführt werden (vgl. Porsch in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 75 Rn. 22 m.w.N.; Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 75 Rn. 78).
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit war rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 30 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) und daraus folgend keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises gemäß § 30 Abs. 3 Satz 1 StAG, denn er hat kein schutzwürdiges Interesse daran geltend gemacht.
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Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Die Feststellung ist in allen Angelegenheiten verbindlich, für die das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist (§ 30 Abs. 1 Satz 2 StAG). Wird das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag festgestellt, stellt die Staatsangehörigkeitsbehörde einen Staatsangehörigkeitsausweis aus (§ 30 Abs. 3 Satz 1 StAG).
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Auch wenn der Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG nur auf einen entsprechenden Antrag abstellt und weitere Voraussetzungen nicht normiert sind, so hat das nicht zur Folge, dass jedermann ohne Vorliegen eines Sachbescheidungsinteresses Anspruch darauf hat, auf seinen bloßen Antrag hin das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit feststellen zu lassen. Vielmehr geht die höchstrichterliche Rechtsprechung vom allgemeinen Grundsatz aus, dass „jede Verwaltungstätigkeit ein – wie auch immer geartetes – öffentliches oder privates Bedürfnis zu befriedigen hat und deshalb dann zumindest unterbleiben darf und in der Regel wohl auch unterbleiben muss, wenn sie ohne jeden erkennbaren Sinn ist“ (BVerwG, B.v. 12.11.1976 – VII B 21.76 – juris Rn. 3 m.w.N.). Das Vorliegen eines anerkennenswerten Interesses am behördlichen Tätigwerden ist eine verwaltungsverfahrensrechtliche Sachentscheidungsvoraussetzung, so dass die Behörde bei fehlendem Sachbescheidungsinteresse jedenfalls nicht zur Sache entscheiden muss (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1973 – IV C 49.71 – juris Rn. 14; U.v. 6.8.1996 – 9 C 169.95 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 30.6.2004 – 7 B 92.03 – juris Rn. 24).
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Es kann auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 30 StAG im Jahr 2007 (BGBl I S. 1970) jedermann einen Anspruch auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit und damit auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises bzw. einer Bescheinigung über das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 2 StAG) zuerkennen wollte, ohne dass dafür ein schutzwürdiges Interesse besteht. Da jedermann entweder deutscher Staatsbürger ist oder es nicht ist, wäre der Kreis der anspruchsberechtigten Personen ersichtlich zu weit (BayVGH, B.v. 8.8.2018 – 5 ZB 18.844 – juris Rn. 6). Mit der Neuregelung wurde nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 230 f.) die behördliche Entscheidung in einem Verfahren zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit als rechtsgestaltender Verwaltungsakt ausgestaltet, um die deutsche Staatsangehörigkeit verbindlich für alle Behörden festzustellen. Der bis dahin von einer deutschen Staatsangehörigkeitsbehörde auf Antrag ausgestellte Staatsangehörigkeitsausweis habe nur den Charakter einer widerleglichen Vermutung gehabt und sei nicht verbindlich gewesen. Zur Herstellung von Rechtssicherheit für den Betroffenen sei deshalb auch für den Nachweis der Staatsangehörigkeit eine Verbindlichkeitsregelung geboten. Die deutsche Staatsangehörigkeit sei insbesondere für das davon abhängende Wahlrecht und die Ausstellung von Personaldokumenten von hoher Bedeutung. Auch diese Gesetzesbegründung (Herstellung der Rechtssicherheit für die aus der Staatsangehörigkeit abzuleitenden Rechte) spricht dafür, dass ein Anspruch auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht anlasslos besteht.
21
Darüber hinaus ist grundsätzlich der Erlass eines Verwaltungsakts zur verbindlichen Feststellung einer Rechtslage nur erforderlich, wenn Zweifel bestehen, ob eine bestimmte Rechtslage gegeben ist, wenn also etwas zu klären ist. Liegen keine Zweifel vor, ist nichts zu klären. Insoweit muss auch dem Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts grundsätzlich ein Sachbescheidungsinteresse zu Grunde liegen. Ein solches kann hier aber auch dann gegeben sein, wenn ein schutzwürdiges Interesse an der Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises besteht (etwa wenn die Vorlage eines solchen Ausweises nach bestimmten Rechtsvorschriften erforderlich ist), weil die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises nach § 30 Abs. 3 Satz 1 StAG von der Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG abhängt (BayVGH, B.v. 8.8.2018 – 5 ZB 18.844 – juris Rn. 8).
22
Der Kläger hat ein Sachbescheidungsinteresse nicht dargelegt; es ist auch keines ersichtlich. Es besteht kein Zweifel daran, dass er deutscher Staatsangehöriger ist. Die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers wird von niemandem, insbesondere nicht von deutschen oder ausländischen Behörden, bestritten. Der Kläger wurde seinen eigenen Angaben zufolge im Jahr 1974 als Kind deutscher Eltern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geboren und war bei Antragstellung im Besitz eines gültigen deutschen Personalausweises. Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist weder vom Kläger vorgetragen noch besteht Grund zu der Annahme, dass ein solcher Verlust eingetreten sein könnte.
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Der Kläger hat auch kein schutzwürdiges Interesse an der Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises dargelegt. Zwar trug er mit E-Mail vom 25. Februar 2022 dem Landratsamt gegenüber vor, eine Firma im Ausland gründen zu wollen und hierfür einen deutschen Staatsangehörigkeitsausweis zu benötigen. Allerdings blieb dieser Vortrag trotz Nachfrage von Seiten des Landratsamts unsubstantiiert. Demzufolge ist nicht davon auszugehen, dass in der Person des Klägers aus konkretem Anlass die Notwendigkeit besteht, aktuell oder zumindest alsbald einen Staatsangehörigkeitsausweis vorlegen zu müssen. Ein bloß privates Interesse am Besitz eines Staatsangehörigkeitsausweises vermag insbesondere vor dem Hintergrund, dass das behördliche Feststellungsverfahren mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden ist, kein schützenswertes Sachbescheidungsinteresse zu begründen (VG Magdeburg, U.v. 9.9.2016 – 1 A 88/16 – juris Rn. 20).
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).