AG Nürnberg, Beschluss v. 07.07.2022 – 105 F 3284/17
Titel:
Keine Rückübertragung der elterlichen Sorge bei weiterhin bestehender Kindeswohlgefährdung
Normenkette:
BGB § 1666 Abs. 1, § 1666a, § 1696 Abs. 2
Leitsätze:
1. Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine Kindesmutter die Rückführung ihres ohnehin verhaltensauffälligen Kindes begehrt, wenn sie ihre eigenen psychischen Probleme bislang nicht angegangen ist. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rückübertragung der elterlichen Sorge steht am Ende eines erfolgreichen Prozesses und nicht am Beginn. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Bindungsabbruch zwischen Kind und leiblichen Eltern führt nicht ohne weiteres zu einer Kindeswohlgefährdung. Ohne günstige Bedingungen, welche gewährleisten, dass ein Kind Bindungsabbrüche ohne bleibende Schädigung übersteht, besteht aber trotzdem eine Gefahr. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ergänzungspflegschaft, Kindschaftsverfahren, Härtefallscheidung, Sachverständigengutachten, Kindeswohlgefährdung, Bindungsabbruch
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42797
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 26.04.2018, Az. 105 F 3284/17, wird aufrechterhalten.
2. Die Eltern tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten sind Eltern von vier Kindern. Das sind T.Y P., geb. am (105 F 1760/21), N. P, geb. am (105 F 1761/21), B. P., geb. am 12.06.2015 (105 F 1762/21) und C.P, geb. am (105 F 2918/19).
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1. Mit Beschluss des Amtsgerichtes Nürnberg vom 26.04.2018, Az. 105 F 3284/17, wurde den sorgeberechtigten Eltern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern zu beantragen, die Gesundheitsfürsorge, die Vertretung gegenüber Kindergärten, Schulen und Einrichtungen der Nachmittagsbetreuung sowie die Vertretung in Umgangsangelegenheiten für sämtliche Kinder entzogen und Ergänzungspflegschaft angeordnet. Diesem Verfahren sind zahlreiche Kindschaftsverfahren voraus gegangen, welche im Beschluss vom 26.04.2018 detailliert aufgelistet sind. Insoweit wird wegen weiterer Einzelheiten auf den Beschluss Bezug genommen. Im Rahmen des Verfahrens erstattete der Sachverständige, Dr.S., ein mündliches Gutachten und führte u.a. aus: „Die Eltern seien nicht in der Lage das Kind zu versorgen. Die Mutter kann keine Bindungen zu den Kindern aufbauen. Bereits zu den drei Kindern T., B. und N. konnten beide Eltern keine Bindungen aufbauen. Die Mutter sei nicht in der Lage auf die Bedürfnisse eines neugeborenen Kindes einzugehen. Der Sachverständige Dr. S. führte aus, dass er die drei älteren Kinder als extrem vernachlässigt kennengelernt habe. Sie seien sowohl körperlich, psychisch als auch emotional vernachlässigt. Die Mutter und der Vater hätten keine Bindung zu den Kindern. Die Mutter sei nach den Angaben des Sachverständigen ein emmotional schwer gestörter Mensch. Die Mutter kann das Kind aus Sicht des Sachverständigen keinesfalls betreuen und versorgen. Die Mutter wisse im Grunde nicht, was eine Bindung sei. Auch der Vater könne auf die Bedürfnisse der Kinder nicht eingehen. Er habe zu den älteren Kindern keine Bindung.“
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2. Die Kinder N., B. und C. befinden sich derzeit bei Pflegeeltern. Das älteste Kind T.Y befindet sich derzeit in einer Einrichtung in …, nachdem es wiederholt die Einrichtungen oder Pflegeeltern wechseln musste. Alle Kinder haben Entwicklungsverzögerungen, bis auf das jüngste Kind sind sämtliche Kinder verhaltensauffällig und weisen einen hohen, bis sehr hohen Fürsorgeaufwand auf. Das Kind C. benötigt eine adäquate Unterstützung in der Verhaltens- und Emotionsregulation und weist bei der Sprachentwicklung Verzögerungen auf. Die Kinder B., N. und T. haben ADHS. Die massivsten Verhaltensauffälligkeiten zeigt T.. Sie tretet, beißt, knurrt, hat Schreianfälle und bindet viel Aufmerksamkeit des Fachpersonals. Das Kind C. wurde nach der Geburt und B. mit zwei Jahren in Obhut genommen.
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3. Die verheirateten Eltern leben derzeit (auch räumlich) getrennt. Zumindest handelt es sich um den letztmaligen von den Beteiligten mitgeteilten Familienstatus. Die Kindsmutter hat im Laufe dieses Verfahrens und der voran gegangenen Verfahren den Familienstatus sowie die Intensität der Gewalteinwirkungen durch den Kindsvater unterschiedlich geschildert und zwar jeweils so, wie sie sich am meisten Erfolgsaussichten hiervon versprach. In hiesigen Verfahren gaben die Beteiligten gegenüber dem Sachverständigen zunächst an, wieder zusammen zu sein und bei Rückführung der Kinder anzustreben, dass der Kindsvater als Hausmann zu Hause bleibe, während die Kindsmutter berufstätig sei. Dies revidierte die Kindsmutter nach dem Gewaltausbruch des Kindsvaters (Ende Juli 2021 s.u.) gegenüber dem Sachverständigen und gab zu, dass es sich von Anfang an um eine Lüge gehandelt habe und man innerhalb der Ehewohnung getrennt gelebt und das Bild vom „Zusammensein“ nur zum Schein gezeichnet habe (S. 26/31 d. Gutachens B. betreffend).
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Dieses Verhalten setze die Kindsmutter zuletzt wie folgt fort: Mit Antrag vom 04.08.2021 – es handelt sich um den dritten Scheidungsantrag der Kindsmutter – beantragte die Kindsmutter eine Härtefallscheidung wegen gewalttätigen Übergriffs seitens des Vaters in den späten Abendstunden des 27.07.2021 und führte aus, dass der Kindsvater in das Schlafzimmer gekommen sei, wohl um die Nachrichten ihres Freundes auf ihrem Handy zu überprüfen. Daraufhin habe der Kindsvater sie mit dem Ladekabel ihres Handys von hinten gewürgt. Sodann habe er sie mit den Händen gewürgt und sie schließlich mit der Faust aufs Auge geschlagen. Am 28.7.2021 stellte die Kindsmutter Strafantrag und führte in ihrer Zeugenvernehmung bei der Polizei aus (Bl. 4 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Az. 258 Js 20625/21), der Kindsvater sei gegen 1:00 Uhr ins Schlafzimmer gekommen und nachdem sie sich geweigert habe, ihm ihr Handy zu geben, habe er sich über sie gebeugt und sie mit beiden Händen gewürgt, was nur wenige Sekunden gedauert und auch nicht so weh getan habe. Danach habe sie ihn weggedrückt und er habe ihr mit der rechten Faust auf das linke Auge geschlagen. Er täte ihr aber Leid und aus diesem Grund habe sie ihn nicht aus der Wohnung geworfen. Von einem Ladekabel ihres Handys sprach die Kindsmutter kein Wort. Am 16.09.2021 stellte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth das Verfahren mangels öffentlichen Interesses ein und verwies die Kindsmutter auf den Privatklageweg. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte Bezug genommen.
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4. Mit Antrag vom 12.09.2019 beantragte die Mutter die sorgerechtsentziehende Entscheidung vom 26.04.2018 aufzuheben und entzogene Rechte betreffend das Kind C. auf sie zurück zu übertragen. Die parallelen Verfahren bei den Amtsgerichten Neu-Ulm (Az. 3 F 482/19 betreffend T.Y), Fürth (Az. 205 F 812/19 betreffend N.) und Forchheim (Az. 2 F 505/19 betreffend B.) wurden sodann durch das Amtsgericht Nürnberg gem. § 4 FamFG übernommen, zunächst in einem Verfahren geführt und nach Beteiligung der Pflegeeltern die Verfahren mit Beschluss vom 21.05.2021 (B. 147/149 d.A.) abgetrennt und bestimmt, dass das Verfahren, Az. 105 F 2918/19, führt. Nach Zustimmung sämtlicher Beteiligter wurden die Verfahren in der Anhörung vom 05.05.2022 sowohl zur gemeinsamen Verhandlung, als auch Entscheidung verbunden. In der Anhörung vom 05.05.2022 wurde durch die Mutter zudem klargestellt, dass sie mit ihren Anträgen die Übertragung des jeweiligen Sorgerechts auf sich zur alleinigen Ausübung anstrebe. Mit Schriftsatz vom 14.03.2022 griff sie die Sachverständigengutachten an und konkretisierte ihre Rückführungspläne. Sie führte aus, dass „aktuell“ die Rückführung von C. und B. nicht geplant sei, ihr aber die elterliche Sorge aus rechtlichen Gründen dennoch zu übertragen sei, weil sie mit Verbleib dieser Kinder bei den jeweiligen Pflegeeltern einverstanden sei. Sie beschränke vielmehr „derzeit und bis auf weiteres“ die Rückführungsperspektive auf die Kinder T. und N.
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Das Gericht hat ein Sachverständigengutachten erholt, den Kindern einen Verfahrensbeistand bestellt und das Jugendamt angehört. Mit ausdrücklicher Zustimmung sämtlicher Beteiligter wurden die Eltern und sämtliche Pflegeeltern in einem Termin, am 05.05.2022, persönlich angehört.
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In der Anhörung vom 05.05.2022 beantragte der nicht anwaltlich vertretene Vater zunächst die Aufhebung der Entscheidung vom 26.04.2018 und die Übertragung des Sorgerechts auf sich zur alleinigen Ausübung, änderte jedoch im Laufe der Anhörung seinen Antrag ab und beantragte schließlich, die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge der Kindsmutter, welche aber im Gegenzug den Kontakt zu ihm bezüglich der Kinder aufrechterhalten muss.
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Die Verfahrensbeiständin und die Vertreterin des Jugendamtes der Stadt Nürnberg beantragen, den Beschluss im Ausgangsverfahren aufrechtzuerhalten. Auf die ausführlichen Berichte der Verfahrensbeiständin (Bl. 203/207 d. A. 105 F 2918/19, Bl. 75/79 d. A. 105 F 1760/21, Bl. 41/54 d. A. 105 F 1761/21 und Bl. 45/58 a. A. 105 F 1762/21) wird Bezug genommen. Die Pflegeeltern stellten inhaltsgleiche Anträge. Die Pflegeeltern C. und B. trugen zudem die Befürchtung vor, dass bei Rückübertragung der elterlichen Sorge ein kurzfristiger Widerruf durch die Kindsmutter drohe, welcher die stabile Entwicklung der Kinder bei den Pflegeeltern gefährde.
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Entgegen der Auffassung der Kindsmutter erfüllen die Sachverständigengutachten die höchstrichterlich aufgestellten Mindestanforderungen, beantworten die durch den Beweisbeschluss aufgeworfenen Fragen, und sind daher verwertbar. Der Kindsmutter stand es im Übrigen frei, ergänzenden Fragen an den Sachverständigen in der Anhörung vom 05.05.2022 zu stellen, wovon sie jedoch absah.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das jeweilige Sachverständigengutachten vom 13.12.2021, die Vermerke sowie Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
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Die Entscheidung vom 26.04.2018, Az. 105 F 3284/17, war aufrechtzuerhalten, weil die antragsgemäße, auch schrittweise Rückführung der Kinder zur Kindsmutter, zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde, §§ 1696 Abs. 2, 1666 Abs. 1 BGB.
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Nach § 1696 Abs. 2 BGB ist eine familiengerichtliche Maßnahme aufzuheben, wenn die Kindeswohlgefährdung nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist. Die Vorschrift normiert mithin eine Pflicht des Gerichts zur Aufhebung der Maßnahme, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Ein Ermessen des Gerichts besteht nicht.
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Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, die bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. NJW 2005, 672, beck-online) und sich diese durch andere Maßnahmen im Sinne des § 1666a BGB nicht abwenden lässt.
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Vorliegend besteht die ursprüngliche Gefahrenlage für das Wohl der Kinder bei Rückführung in den Haushalt der Kindsmutter fort. Dieser kann auch nicht durch öffentliche Hilfen entgegengewirkt werden.
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1. Das Gericht erkennt den dringenden Wunsch der Mutter nach einer intakten Familie und einem engen Familienverbund. Dieser Wunsch ist getragen von den Versäumnissen, welche sie in der eigenen Kindheit erlebt hat. Die Kindsmutter wurde von der eigenen Mutter verstoßen, psychisch und physisch wiederholt über Jahre hinweg misshandelt. Grund hierfür war die Unfähigkeit der eigenen Mutter, Verantwortung für die Schwangerschaft zu übernehmen. Weil sie nicht in der Lage war einzusehen, dass ihr eigenes Verhalten zur Schwangerschaft führte, machte sie das Kind (Frau S.) dafür verantwortlich, dass es geboren wurde und ihr Leben aus diesem Grund eine andere Entwicklung genommen hat, als sie es ursprünglich plante. Der Vater von Frau S. konnte schon aufgrund seiner berufsbedingten Abwesenheit (Fernfahrer, der nur am Wochenende zuhause war) dieses massive Fehlverhalten nicht ausgleichen. Im Verfahren, Az. 105 F 3284/17, führte der Sachverständige Dr. S. hierzu im Anhörungstermin am 14.02.2018 aus, dass die Mutter im Grunde nicht wisse, was eine Bindung sei. Auch der Sachverständige Prof. Dr. S. im schriftlichen Gutachten vom 13.12.2021 aus, dass sich bei der Kindsmutter sehr deutlich eine unsichere Bindungsrepräsentation zeige (S. 47 d. Gutachtens Berat betreffend).
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2. Der Wunsch der Mutter nach einer intakten Familie geht jedoch an der Realität vorbei.
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2.1 Zwar geht die Kindsmutter nunmehr einer beruflichen Tätigkeit nach, trägt also fremdbestimmt berufliche Verantwortung und hat damit eine (teilweise) Stabilisierung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erreicht. Allerdings ist sie ihre psychischen Probleme nicht angegangen. Die persönliche Situation der Mutter hat sich im Vergleich zum Ausgangsverfahren, mithin seit der Inobhutnahme der Kinder, nicht verändert.
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Dass ein effektiver Rückgriff auf ihre Geschwister als weitere Ressource bei der Kinderbetreuung möglich wäre, bezweifelt das Gericht. Sämtliche Kinder haben einen hohen Fürsorgebedarf. An dem ältesten Kind, T., sind schon mehrere erfahrene Fachkräfte (Pflegeeltern und Einrichtungspersonal) gescheitert. Sie hat in der Nacht Schreianfälle, knurrt und hat beispielsweise ein Kind übel gebissen. Die Verfahrensbeiständin hat in der Anhörung vom 05.05.2022 ausgeführt, dass die Eltern bislang den Umgang mit T. nur begleitet geschafft haben. Das bedeutet, dass das Fachpersonal deeskalierend und steuernd eingreifen musste. Hierzu führte der Sachverständige (S. 106 d. Gutachtens betreffend T.) aus, dass aufgrund der bei T. festgestellten Entwicklungs- und Verhaltensmerkmalen sehr hohe Fürsorgeanforderungen resultieren, insbesondere im Hinblick auf ihre Einschränkungen in Emotionsregulation und Aufmerksamkeitssteuerung und ihre vorliegenden umfassenden Verhaltensprobleme bzw. ihre psychischen Probleme, die eigene psychotherapeutische Behandlung erfordern.
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Aus Sicht des Gerichts ist es daher nicht nachvollziehbar, warum die Kindsmutter die Rückführung des Kindes anstrebt, welches den höchsten Fürsorgeaufwand hat und welches sie selbst in den Vorverfahren, als „ihr Problemkind“ bezeichnete. Zumal sie ihre eigenen psychischen Probleme bislang nicht angegangen ist und beispielsweise auch keine fachliche Beratung in Ansprch genommen hat, um sich auf die Rückführung des Kindes vorzubereiten. Dass das Bestreben der Kindsmutter sich mehr an ihrer Wunschvorstellung als an der Realität, d. h. den Bedürfnissen ihrer Kinder, orientiert, zeigt sich auch an ihrem Plan, die Kinder T. und N. gemeinsam in ihren Haushalt zurückzuholen. Dass sie diesen Plan in der Anhörung vom 05.05.2022 relativierte und ausführen ließ, dass die Rückführungsperspektive Tauanas mit der Maßgabe erarbeitet werden solle, dass eine Rückführung doch nicht klappt, zeigt einmal mehr, wie wenig durchdacht ihr Bestreben ist.
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Das Kind N. hat nach Äußerung der Kindsmutter während eines Umganges, sie werde N. zu sich nach Hause holen, auffällig verhalten. Die Verfahrensbeiständin berichtete (Bl. 41/54 d. A. 105 F 1761/21), dass N. völlig durcheinander gewesen sei, eingenässt, phasenweise stets vor der Toilette uriniert und mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe. In der Kindesanhörung äußerte die damals 7-Jährige nicht zurück zu den Eltern gehen, sondern bei ihren Pflegeeltern bleiben zu wollen. Der Sachverständige und der Psychotherapeut, bei dem sich N. seit über neun Monaten in Behandlung befindet, haben eine Bindungsstörung diagnostiziert. Das Kind hat ADHS und einen hohen Fürsorgeaufwand. Erschwerend kommt hinzu, dass zwischen den Kindern N. und T. eine erhebliche Rivalität besteht (Bericht der Verfahrensbeiständin Bl. 41/54 d. A. 105 F 1761/21).
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2.2 Dass die Kindsmutter diesen sehr hohen Anforderungen mit Unterstützung des Jugendamtes gerecht werden könnte, bezweifelt das Gericht. Die Kooperation mit dem Jugendamt hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Insoweit wird auf die Ausführungen im Ausgangsverfahren Bezug genommen. Zwar trifft es zu, dass die Zusammenarbeit der Kindsmutter mit dem Jugendamt seit der Inobhutnahme der Kinder reibungslos verlaufe und die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes – zu Recht – lobende Worte an die Kindsmutter in der Anhörung vom 05.05.2022 richtete. Dies hat jedoch keine Aussagekraft, weil an die Kindsmutter keine Anforderungen in Bezug auf die Kinder mehr gestellt werden. Es besteht kein Konfliktpotential. Anders formuliert: Sie muss nicht mehr liefern, sie konsumiert nur Informationen.
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Seit der Inobhutnahme der Kinder legt die Kindsmutter ein passives Verhalten an den Tag. Sie nimmt an Hilfeplangesprächen teil, welche ihr mitgeteilt werden. Sie nimmt Informationen des Jugendamtes, der Einrichtungen und der Pflegeeltern zur Kenntnis. Aktiv nach Informationen fragen, bespielsweise hinsichtlich der Diagnostik und Behandlung der Kinder (Therapien oder Medikamente), tut sie nicht. Auch ihre Ausführungen in dem Schriftsatz vom 14.03.2022, wonach sie das Recht der Mitwirkung im Hilfeplanverfahren habe und auf „Augenhöhe“ an der Hilfeplanung mitwirken und ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen könne, wenn sie sämtliche elterlichen Rechte wieder hätte, deuten in die gleiche Richtung. Die Kindsmutter zäumt das Pferd von hinten auf: Diese Rechte hat sie bereits. Sie hatte von Anbeginn die Möglichkeit, auf Augenhöhe an den Hilfeplangesprächen mitzuwirken, Wünsche zu äußern oder Vorstellungen anzubringen. Das hat sie aber nicht getan. Anders formuliert: Die Rückübertragung der elterlichen Sorge steht am Ende eines erfolgreichen Prozesses. Es ist nicht der Beginn.
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2.3 Aus Sicht des Gerichts besteht bei Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Kindsmutter zudem die Gefahr der Einflussnahme durch den Kindsvater. Der Kindsvater ist impulsiv und aggressiv. Gegenüber dem Sachverständigen gab er zudem an (S. 35 d. Gutachtens betreffend C.), an Depressionen zu leiden. Der Kindsvater leugnet nach wie vor, die Kinder jemals geschlagen zu haben, obschon dies im Ausgangsverfahren nicht zuletzt durch Gutachten vom 27.09.2017 des Prof. Dr. B. der Rechtsmedizin und die Aussagen T. belegt wurde. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 26.04.2018, Az. 105 F 3284/17, Bezug genommen. Auch für die letztmaligen Gewaltausbrüche des Vaters gegenüber der Mutter Ende Juli 2021 übernimmt der Vater keine Verantwortung. Vielmehr führt er ihr (Fehl-)Verhalten als Begründung für seine psychischen Probleme an und sieht daher keine Notwendigkeit, an seinen Problemen zu arbeiten. Hierzu passt auch die Aussage des Vaters in der Anhörung vom 05.05.2022, wonach er sich seit der Trennung von der Mutter in keine Behandlung mehr begeben habe – weder wegen seiner psychischen Probleme, noch wegen seiner Aggression. In der Anhörung vom 05.05.2022 brachte er weiterhin zum Ausdruck, dass das Jugendamt die Hauptschuld für die Inobhutnahme der Kinder trage, weil es der Kindsmutter nicht beigebracht habe, wie man mit Kindern richtig umgehen müsse. Dass er selbst nicht bzw. mangelhaft mit dem Jugendamt kooperiert habe, scheint er vollkommen zu verkennen. Der ihm schon lange dringend von Seiten des Jugendamtes empfohlene Sprachkurs (keines der Kinder spricht Türkisch), das Anti-Aggressionstraining bzw. eine Therapie hat er nicht absolviert, bzw. nur wenige Termine wahrgenommen. Gegenüber dem Sachverständigen gab er zum Ziel der (wenigen) wahrgenommenen Psychotherapie-Termine an (S. 18 d. Gutachtens betreffend C.), wegen der Gestik und Tonlage dort gewesen zu sein und brachte erneut zum Ausdruck, nicht aggressiv zu sein. Bezeichnend für sein leugnendes Verhalten war auch die Frage des Kindsvaters an den Sachverständigen in der Anhörung vom 05.05.2022, was die Eltern als der Sicht des Sachverständigen nun tun können. Hierauf antwortete der Sachverständige: „Wenn sie als Eltern etwas tun wollen, wenden sie sich an das kompetente Jugendamt. Dies kann sie über alle möglichen Instrumentarien aufklären. Ein AntiAggressionstraining kann ich dem Vater auch empfehlen.“ Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob der Kindsvater die Einschätzung des hoch qualifizierten und objektiven Sachverständigen annimmt und seine massiven Probleme endlich angeht. Die Instrumente hierfür hat ihm das kompetente Jugendamt schon vor Jahren mitgeteilt.
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Zwar hat die Kindsmutter in der Anhörung vom 05.05.2022 zunächst auf Frage des Gerichts mitgeteilt, dass sie aktuell keinen Kontakt zum Kindsvater habe. Dies jedoch in dem nächsten Satz relativiert und mitgeteilt, dass sie sich lediglich per SMS und Mail austauschten. Dies wohl wissend, dass sie den Kindsvater zuvor angerufen und ihm mitgeteilt hat, dass sie sich zum Anhörungstermin verspäten wird, was der Kindsvater dem Gericht auch unverzüglich erläuterte. Auf Vorhalt des Gerichts konnte die Kindsmutter auch keine plausible Erklärung dafür nennen, warum sie den Kindsvater und nicht ihren Anwalt oder das Gericht anrief, um mitzuteilen, dass sie sich verspäte. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Kindseltern weiterhin in Verbindung stehen. Dass die Kindsmutter sich dem Einfluss und Druck des Kindsvaters in der Vergangenheit wiederholt gebeugt hat, wird hinreichend in dem Ausgangsverfahren deutlich, auf welches Bezug genommen wird. Dass der Kindsvater bei Rückübertragung der elterlichen Sorge versuchen wird, Einfluss auf die Kindsmutter auszuüben, hat er durch seine Antragstellung in der Anhörung vom 05.05.2022 ebenfalls zum Ausdruck gebracht.
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2.3 Bei den Kindern B. und C. kommt hinzu, dass C. nach Feststellung des Sachverständigen keine und Berat sehr wahrscheinlich keine Bindung zu den Eltern haben.
27
C. ist vier Jahre alt und befindet sich seit ihrer Geburt bei der Pflegefamilie. Sie ist das einzige Kind, dass nach Ansicht des Sachverständigen keine Bindungsstörung hat. Allerdings wurde im Rahmen der Begutachtung deutlich (S. 98 d. Gutachtens betreffend C.), dass sie eine adäquate Unterstützung in der Verhaltens- und Emotionsregulation benötigt und bei der Sprachentwicklung Verzögerungen aufweist, welche deutlich in der Kindesanhörung erkennbar waren und denen derzeit durch eine logopädische Förderung begegnet wird. Der Sachverständige führte hierzu aus: „Dabei stellt sie (C.) auch bei den Pflegeeltern hohe Ansprüche und benötigt einen hohen Fürsorgeaufwand, der von den leiblichen Eltern nicht zuverlässig gewährleistet werden kann. Bei der fehlenden Bindung C. zu den leiblichen Eltern müssten sie eine Bindung erst aufbauen, gleichzeitig den Verlust der Pflegeeltern als Bezugsperson verarbeiten.“ Zwar führe seiner Ansicht nach ein Bindungsabbruch nicht ohne weiteres zu einer Kindeswohlgefährdung. Es fehle jedoch vorliegend an günstigen Bedingungen, welche gewährleisten, dass das Kind Bindungsabbrüche ohne bleibende Schädigung übersteht. U.a. deswegen, weil die neuen Bezugspersonen – die Eltern des Kindes – wenig feinfühlig sind und bei den Eltern Einschränkungen in der Fähigkeit bestehen, C. zu regulieren, zu steuern und zu fördern. Auf die weiteren Ausführungen des Sachverständigen hierzu (S. 99 d. Gutachtens betreffend C.) wird Bezug genommen.
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Bei der Inobhutnahme war B. zwei Jahre alt. Nunmehr ist er sieben Jahre alt und hat die meiste Zeit seines Lebens bei den Pflegeeltern verbracht, zu welchen er ebenso wie C., eine sichere Bindung aufgebaut hat. Die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes sind bei der Kindesanhörung massiv zu Tage getreten – das Kind ignorierte die Verfahrensbeiständin und die zuständige Richterin demonstrativ und beharrlich. B. hat ADHS und ist medikamentös eingestellt. Auch er hat hohe Fürsorgeanforderungen, denen die Kindsmutter nicht begegnen kann (Bl. 103/105 d. Gutachtens B. betreffend).
29
Dass die Kindsmutter mit dem Verbleib der Kinder B. und C. in den Pflegefamilien einverstanden ist, glaubt das Gericht nicht. Zu oft hat die Mutter Behörden angelogen, um ihrem Ziel näher zu kommen. Das schließt das Jugendamt, beide Sachverständigen, die Staatsanwaltschaft und das Gericht mit ein. Das Gericht wird sich nicht (mehr) durch ihr Wort blenden lassen. In den vergangenen Jahren hatte sie Zeit genug, die Ernsthaftigkeit ihrer Bestrebungen durch Taten zu belegen. Dies hat sie jedoch unterlassen.
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Der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 26.04.2018, Az. 105 F 3284/17, war daher aufrechterhalten und die Anträge der Eltern zurückzuweisen.
III.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Den Eltern waren die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner aufzuerlegen, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen sind.