VG Ansbach, Urteil v. 21.12.2022 – AN 3 K 21.00560
Titel:
Erdrückende Wirkung einer Sichtschutzwand
Normenketten:
BayBO Art. 6
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Die bloße Tatsache, dass es sich um eine über die gesamte Grundstücksgrenze hinziehende Mauer handelt, führt alleine nicht zu einer erdrückenden Wirkung (vgl. VGH München BeckRS 2007, 26553). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einmauerungseffekt / Optisch erdrückende Wirkung einer 7 m hohen Sichtschutzmauer (Gabionenwand, verneint), Sichtschutzwand, erdrückende Wirkung, Gebot der Rücksichtnahme, Abstandsfläche
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.08.2023 – 9 ZB 23.451
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42430
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte oder die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Verlängerung einer bereits vorhandenen Sichtschutzwand auf den Grundstücken FlNrn. … und … der Gemarkung … (…) in … Die Beigeladene ist Eigentümerin der eingangs genannten Grundstücke. Die Beigeladene betreibt auf den Grundstücken und weiteren Grundstücken eine Anlage zur Herstellung von Baustoffen. Auf dem Grundstück FlNr. … existiert bereits eine als Schallschutz errichtete Mauer, welche in einem Abstand von ca. 6,7 m zur östlichen Grundstücksgrenze bis auf Höhe des nördlichen Drittels des Grundstücks der Kläger verläuft. Das Gelände der Beigeladenen ist in etwa auf Höhe der südlichen Grundstücksgrenze des klägerischen Grundstücks höhenversetzt, wodurch der nördliche Teil des Beigeladenengrundstücks um ca. 2,30 m höher liegt als der südliche Teil. Der sich ergebende Höhenversatz bedingt das Anfahren des nördlichen Teils des Beigeladenengrundstücks über eine Rampe von Süden her. Auf dem Beigeladenengrundstück verläuft innerhalb des „Grenzabstands“ zwischen bestehender Mauer und Grundstücksgrenze von 6,50 m nach Osten eine Stützmauer, welche den Höhenversatz des Geländes nach Osten abstützt. Auf Klägerseite verläuft an der korrespondierenden Grundstücksgrenze ebenfalls eine Mauer und ein nördlich anschließendes Nebengebäude. Dadurch wird zwischen Grundstücksgrenze der Kläger und der Stützwand vom Werksgelände der Beigeladenen aus betrachtet ein ca. 3 m breiter „Graben“ geformt. Ein Bebauungsplan existiert für den Bereich nicht.
2
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … (…) in …, welches unmittelbar östlich an das Grundstück der Beigeladenen FlNr. … angrenzt. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus mit westlich anschließendem Wintergarten bebaut. Der Abstand zwischen Wintergarten und geplanter Sichtschutzwand beträgt laut Lageplan des Bauantrags 12 m. Daneben stehen grenzständig zum Grundstück der Beigeladenen ein Nebengebäude sowie eine 2 m hohe Mauer.
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Die Beigeladene beabsichtigt die Fortführung der bestehenden Sichtschutzmauer nach Süden parallel zur östlichen Grundstücksgrenze. Auf Höhe der klägerischen Grundstücksgrenze weist die Mauer einen Höhenverlauf von Nord nach Süd von 8,50 m bis zu 7,20 m (über dem in den Plänen gewählten Nullpunkt) auf. Das natürliche Gelände auf dem klägerischen Grundstück liegt dabei auf 1,87 m und 1,54 m (über dem in den Plänen gewählten Nullpunkt), weshalb die wahrnehmbare Höhe der geplanten Mauer (inklusive Höhenversatz des Geländes) jedenfalls bei unter 7 m liegt.
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Die nunmehr geplante Mauer war aktenkundig zunächst Teil eines immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Vorhabens (Abbruch der bestehenden Hallen und Neubau einer Produktionshalle für Stahlbetonfertigteile). Dieses Vorhaben sollte im Wege einer Teilgenehmigung verwirklicht werden. Hierbei sollte die geplante Mauer die Funktion einer Schallschutzmauer haben. Die Ausführung war im Rahmen der damaligen Antragsunterlagen im obersten Meter mit Glas geplant. Das Teilgenehmigungsverfahren wurde aktenkundig bis auf Weiteres nicht weiterverfolgt, die Schallschutzwand sollte jedoch als Sichtschutzwand unabhängig von der immissionsschutzrechtlichen Teilgenehmigung baurechtlich genehmigt werden.
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Mit Bauantrag vom 19. August 2019 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Weiterführung der Mauer als Sichtschutzwand. Die Standortgemeinde erteilte mit Beschluss vom 19. September 2019 ihr Einvernehmen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26. Februar 2021 wurde das Vorhaben genehmigt. Auf den Bescheid wird insoweit Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 26. März 2021 - hier eingegangen am gleichen Tag - ließen die Kläger durch ihre Bevollmächtigte Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid erheben. Zur Begründung wurde mit gleichem Schriftsatz sowie mit Schriftsatz vom 28. September 2021 im Wesentlichen vorgetragen, dass die Einwendungen der Kläger im „Vorverfahren“ nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Die Kläger hätten im Schreiben vom 26. September 2016 an das Landratsamt Bedenken geäußert hinsichtlich der Höhe der geplanten Betonwände und der Ausgestaltung. Die Kläger sähen sich in ihren Rechten benachteiligt, da die Sicht beeinträchtigt werde, aber auch die Lichteinwirkung. Außerdem sei die Schutzwand insofern ungeeignet, als die Schutzwand jedenfalls nicht vor Lärm der Kranhupen und anderer Lärmimmissionen schütze. Die Beanstandung der Kläger sei nicht ausreichend berücksichtigt und die Kläger hierdurch in subjektiv-öffentlichen Rechten, insbesondere in ihren Eigentumsrechten beeinträchtigt. Das Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme gemäß § 34 Abs. 1 BauGB sei nicht beachtet worden. Die Auflagen seien im Hinblick auf den Nachbarschutz nicht ausreichend.
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Bei Durchsicht der Akte falle zunächst auf, dass aus den eingereichten Plänen hervorgehe, dass der Abstand der Sichtschutzwand zu den Nachbargrundstücken zwischen 6 m und 6,6 m betrage. Die Entfernung der Wohnhäuser bzw. Nebengebäude zur Sichtschutzwand betrage weniger als 10 m, nämlich genau 9,65 m zum Wintergarten des Wohnhauses. Die Kläger hätten insofern nachgemessen. Die Angabe eines Abstands von 15 m seitens des Beklagten sei also grob falsch.
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Die ursprüngliche Mauer sei als Schallschutzwand mit einer Plexiglasverglasung geplant, damit kein Einmauerungseffekt entstehe. Die Planung sei dann aktuell als Sichtschutzwand ohne weitere Begründung der Notwendigkeit geändert eingereicht worden. Aus der Akte ergebe sich, dass zunächst von der Beibehaltung der Ausführung in Plexiglas mit einer Höhe von 1 m ausgegangen worden sei. Dem Beklagten sei bewusst gewesen, dass es ansonsten zu einem Einmauerungseffekt kommen könne. Die Bauherrin verwehrte sich dagegen, da der Sinn der Sichtschutzwand durch Verglasung nicht erfüllt würde. Die Beklagte habe daraufhin die Genehmigung ohne Verglasung erteilt.
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Die aktenkundig erwähnte Entfernung der Sichtschutzwand zum Wohnhaus der Kläger von mindestens 15 m basiere auf einer Schätzung, welche unzutreffend sei. Hiermit sei jedoch der Wegfall der Verglasung begründet worden. Die Annahme des geringen Abstandes sei aber nicht zutreffend, wie bereits dargelegt. Der Beklagte selbst sei sehr wohl bei der Planung der Schallschutzwand von einem Einmauerungseffekt ausgegangen und setzte sich somit in Widerspruch zu seinen eigenen Feststellungen. Es trete ein Einmauerungseffekt auf, so dass die Kläger in ihren Rechten benachteiligt würden durch die Beeinträchtigung der Sicht und Reduzierung der Lichteinwirkung. Insbesondere solle die Mauer an der Südwestseite des klägerischen Grundstücks errichtet werden, so dass hier die nachmittägliche und Abendsonne reduziert werde.
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Mit Schriftsatz vom 26. März 2021 beantragen die Kläger, den streitgegenständlichen Bescheid des Landratsamtes aufzuheben.
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Mit Schriftsatz vom 3. August 2021 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird mit diesem Schriftsatz sowie mit Schriftsatz vom 17. November 2021 im Wesentlichen vorgetragen, dass sich das Vorhaben im Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB befinde. Die Eigenart der näheren Umgebung sei als faktisches Gewerbegebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB und § 8 BauNVO einzustufen. Im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung sei nicht ersichtlich, dass sich durch diese Sichtschutzwand eine Nachbarrechtsverletzung ergebe.
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Die Sichtschutzwand sei ursprünglich als Schallschutzwand geplant gewesen. Die Notwendigkeit einer Schallschutzwand sei jedoch zwischenzeitlich nicht mehr gegeben, so dass sich die Beigeladene entschieden habe, trotzdem eine Mauer als Sichtschutzmauer zu errichten. Die insbesondere im immissionsschutzrechtlichen Verfahren geforderte Verglasung der Wand im oberen Bereich sowie eine Eingrünung vor der Mauer sei im Baugenehmigungsverfahren aufgrund fehlender Rechtsgrundlage nicht mehr gefordert worden. Der Bauherr habe jedoch zugesagt, eine Entsiegelung vorzunehmen und eine Eingrünung durchzuführen.
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Im Hinblick auf das Abstandsflächenrecht sei auszuführen, dass von der Sichtschutzwand gebäudegleiche Wirkungen ausgingen. Insofern sei das Abstandsflächenrecht auf die Sichtschutzwand anwendbar. Bei der Bestimmung der Wandhöhe sei die bereits vor einigen Jahrzehnten vorgenommene Aufschüttung des Betriebsgeländes mitberücksichtigt worden. Unabhängig von der Frage, ob die Tiefe der Abstandsfläche gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO nunmehr lediglich 0,4 H oder aufgrund der Lage der Mauer in einem faktischen Gewerbegebiet nur 0,2 H betrage, seien Lage und Höhe der Mauer so gestaltet worden, dass die Abstandsfläche der Sichtschutzwand samt bestehender Aufschüttung mit einer Tiefe von 1 H uneingeschränkt auf dem Baugrundstück zum Liegen komme. Die Abstandsflächen seien somit eingehalten.
16
Die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen indiziere auch, dass kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliege (unter Verweis auf Rechtsprechung). Ein Einmauerungseffekt oder Erdrückungseffekt liege hier konkret nicht vor. Das Wohnhaus der Kläger befinde sich nach deren Angaben in einer Entfernung von 9,54 m zur Sichtschutzwand. Von einer einmauernden Wirkung der streitgegenständlichen Wand könne nicht gesprochen werden. Auf der zu der geplanten Sichtschutzwand ausgerichteten westlichen Grenze des klägerischen Grundstücks befinde sich ein Nebengebäude und eine Mauer. Das Grundstück sei bereits selbst nach Westen „abgeriegelt“. Unabhängig davon werde der Blick vom klägerischen Anwesen von der geplanten Wand zweifelsohne teilweise versperrt. Der Blick nach Norden, Süden und Osten werde hiervon aber nicht tangiert. Von einer Einmauerung durch das streitgegenständliche Vorhaben könne daher nicht gesprochen werden.
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Ebenfalls werde auch der Lichteinfall nicht unzumutbar beeinträchtigt. Das Gebot der Rücksichtnahme gebe den Nachbarn kein Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse und Verschlechterung der Sichtachsen verschont zu bleiben (unter Verweis auf Rechtsprechung). Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung sei insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze daher in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen. In der Rechtsprechung sei im Hinblick auf die Lichtverhältnisse zudem anerkannt, dass die Einhaltung eines Lichteinfallswinkels von 45 Grad in Höhe der Fensterbrüstung von Fenstern von Aufenthaltsräumen grundsätzlich eine ausreichende Belichtung sicherstelle (unter Verweis auf Rechtsprechung). Einer beiliegenden Skizze sei zu entnehmen, dass der Lichteinfallswinkel von 45 Grad auf die Nebengebäude bzw. die Mauer auf der Westgrenze des klägerischen Grundstücks falle. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung könne daher nicht gesprochen werden. Für die Durchsetzung der von Seiten des Landratsamts zunächst thematisierten Teilverglasung (Plexiglasaufbau) der Wand bestehe daher auch keine Rechtsgrundlage. Eine freiwillige Verglasung wurde von der Beigeladenen abgelehnt.
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Mit Schriftsatz vom 12. November 2021 beantragt die Beigeladene,
die Klage abzuweisen.
19
Zur Begründung teilt die Beigeladene mit, dass sie sich vollumfänglich den Ausführungen des Beklagten anschließt.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 21. Dezember 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Kläger insofern nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO zu erteilen ist, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Einem Kläger kommt im Rahmen einer Drittanfechtungsklage gegen eine an einen Dritten gerichtete Baugenehmigung mithin kein Vollüberprüfungsanspruch zu. Vielmehr kann der Kläger als Nachbar nur solche Rechtsverletzungen ins Feld führen, die auf Normen beruhen, die in qualifizierter und individualisierter Weise gerade auch dem Schutz des Klägers dienen (BVerwG, U. v. 6.10.1989 - 4 C 14/87 - juris Rn. 9 = BVerwGE 82, 343; BayVGH, B. v. 26.5.2020 - 15 ZB 19.2231 - juris Rn. 8).
23
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhabers verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B. v. 23.4.1998 - 4 B 40/98 - juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
24
Drittschützende Normen, deren Verletzung der Klage zum Erfolg verhelfen könnten ergeben sich hier nur aus dem Abstandsflächenrecht (1.) oder dem Gebot der Rücksichtnahme (2.).
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1. Die Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO sind für den Eigentümer des Nachbargrundstücks drittschützend (BayVGH, U. v. 21.7.2020 - 15 B 19.832 - juris Rn. 22 = NVwZ-RR 2020, 1004). Der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts besteht für den Nachbarn gerade darin, Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie ggf. einen ausreichenden Sozialabstand zu gewährleisten (BayVGH, a.a.O.).
26
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor Außenwänden von Gebäuden im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BayBO Abstandsflächen einzuhalten. Gleiches gilt nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO für Anlagen von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, wie etwa Mauern und Einfriedungen bei ausreichender Höhe und Breite (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 - 15 CS 16.1883 - juris Rn. 24 = BayVBl 2018, 526).
27
Nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO bemisst sich die Abstandsfläche nach der Wandhöhe. Gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO wird die Wandhöhe ab der Geländeoberfläche bis zum Abschluss der Dachhaut gemessen. Unterer Bezugspunkt für die Bemessung ist nach gefestigter Rechtsprechung die natürliche Geländeoberfläche ohne Berücksichtigung von bereits erfolgten oder beabsichtigten Aufschüttungen oder Abgrabungen (BayVGH, B.v. 27.7.2021 - 1 CS 21.1294 - juris Rn. 9 m.w.N., B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 98 f. m.w.N.).
28
Ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht ist vorliegend ausgeschlossen. Das Gericht kann es dahingestellt lassen, wo die natürliche Geländeoberfläche im konkreten Fall zu bestimmen ist, da der Abstandsflächenplan das Höhenniveau auf dem klägerischen Grundstück als Geländeoberfläche herangezogen hat. Einen tiefer liegenden Punkt gibt es nicht. Die sich hiernach - und unter Anwendung der eigentlich zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung schon nicht mehr anwendbaren Abstandsflächentiefe von 1 H - ergebende Abstandsfläche hat eine absolute Tiefe zwischen 6,53 m und 6,03 m und liegt vollständig auf dem Grundstück der Beigeladenen. Eine Rechtsverletzung kommt daher nicht in Betracht.
29
2. Das Gebot der Rücksichtnahme ist kein generelles Rechtsprinzip des öffentlichen Baurechts und verkörpert auch keine allgemeine Härteregelung, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht. Es ist vielmehr Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts (BVerwG, U.v. 30.9.1983 - 4 C 74.78 - BVerwGE 68, 58, 60) und als solches in den Tatbestandsmerkmalen der §§ 30 bis 35 BauGB und des § 15 Abs. 1 BauNVO enthalten (BVerwG, U.v. 30.9.1983 a.a.O.). Es ist gegenüber anderen (ausdrücklich und von vornherein) nachbarschützenden Vorschriften subsidiär (BVerwG, U.v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 - juris Rn. 10).
30
Im unbeplanten Innenbereich ergibt sich das Gebot der Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (im Falle eines sog. „faktischen Baugebiets“) oder über den Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB (im Falle einer sog. „Gemengelage“) (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 25).
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Nach gefestigter Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BayVGH, B.v. 30.7.2021 - 1 CS 21.1506 - juris Rn. 10). Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 22.1.2020 - 15 ZB 18.2547 - juris Rn. 11).
32
Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer vom Baukörper ausgehenden „abriegelnden“ oder „erdrückenden“ Wirkung kann ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - DVBl. 1981, 928 = juris Rn. 32 ff.: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalb geschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - DVBl. 1986, 1271 = juris Rn. 15: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkende Siloanlage bei einem 7 m breiten Nachbargrundstück). Es besteht diesbezüglich kein Recht des Nachbarn, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben (BayVGH, B.v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 12, B.v.13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 21). Insbesondere besteht für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes grundsätzlich dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes oder wenn die Gebäude so weit voneinander entfernt liegen, dass eine solche Wirkung ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 30; B.v. 8.2.2017 - 15 NE 16.2226 - juris Rn. 22; B.v. 23.8.2018 - 1 NE 18.1123 - juris Rn. 24; VGH BW, U.v. 15.9.2015 - 3 S 975/14 - BauR 2015, 1984 = juris Rn. 29). Auch wenn aus einer Nichteinhaltung bauordnungsrechtlich geforderter Abstandsflächen nicht automatisch auf eine unzumutbare Beeinträchtigung und damit auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 10 m.w.N.), scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots regelmäßig aus tatsächlichen Gründen aus, wenn die Vorgaben des Art. 6 BayBO eingehalten sind (zu dieser Indizwirkung vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 - 15 CS 11.1101 - juris Rn. 17; B.v. 3.6.2016 - 1 CS 16.747 - juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 15.2.2019 - 9 CS 18.2638 - juris Rn. 23 m.w.N.). Dies gilt auch nach der zum 1. Februar 2021 erfolgten Verkürzung der Abstandsflächentiefe auf 0,4 H (BayVGH, B.v. 24.11.2021 - 2 CS 21.2600 - juris Rn. 8). Das Rücksichtnahmegebot kann allerdings auch dann verletzt sein, wenn die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind. Da das Abstandsflächenrecht im Hinblick auf die Belichtung, Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken aber zumindest indizielle Bedeutung auch für die Einhaltung des Rücksichtnahmegebots hat, kommen für seine Verletzung nur seltene Ausnahmefälle in Betracht. Ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme unter dem Aspekt der „Einmauerung“ setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort ein Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine „Gefängnishofsituation“ hervorruft (vgl. BayVGH, U.v. 11.4.2011 - 9 N 10.1373 - juris Rn. 56; B.v. 22.8.2012 - 14 CS 12.1031 - juris Rn. 13; OVG RhPf, B.v. 27.4.2015 - 8 B 10304/15 - juris Rn. 6; OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.2.2012 - OVG 10 S 39.11 - juris Rn. 4).
33
Eine sich nach diesen Grundsätzen bemessende Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aufgrund einer optisch erdrückenden Wirkung oder einem Einmauerungseffekt liegt nicht vor. Für die klägerische Annahme einer solchen Wirkung spricht in der Sache ausschließlich, dass sich die zu beurteilende Sichtschutzmauer über die gesamte Grundstücksgrenze nach Westen ziehen wird und insofern an dieser Grundstücksgrenze - und insofern „atypisch“ - keine wirkliche Auflockerung mehr möglich ist. Die bloße Tatsache, dass es sich um eine über die gesamte Grundstücksgrenze hinziehende Mauer handelt, führt jedoch alleine nicht zu einer erdrückenden Wirkung (vgl. BayVGH, U.v. 10.9.2007 - 22 B 06.2707 - juris Rn. 40).
34
Es bleibt festzuhalten, dass die wahrnehmbare Höhe der Gabionenwand (inklusive ihres „Unterbaus“) deutlich unter 7 m liegen wird. Aus den von der Klägerseite zuletzt mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2021 übersandten Fotos ergibt sich zugleich, dass die zu errichtende Mauer auch wohl kaum erheblich höher als das von den Klägern bewohnte Haus ist, was eine regelmäßige Voraussetzung für eine erdrückende Wirkung ist (s.o.). Vielmehr dürften beide Baukörper in etwa gleich hoch sein. Aus dem Lageplan der Bauvorlagen lässt sich ermitteln, dass der Abstand zwischen Mauer und Wintergarten der Kläger mindestens 12 m betragen wird, ohne dass es überhaupt auf diese Zahl ankommt, denn selbst bei einem Abstand von 7,5 m wurden bereits entsprechende Mauern für nicht erdrückend eingestuft (BayVGH, U.v. 10.9.2007 - 22 B 06.2707 - juris Rn. 40). Indiziell ist auch zu berücksichtigen, dass die Abstandsflächen selbst nach strengerer, alter Rechtslage eingehalten sind. Darüber hinaus ist dem Landratsamt beizupflichten, dass die Mauer „nur“ die Westgrenze des klägerischen Grundstücks betrifft und im Übrigen nach Osten, Norden und Süden keine Riegelwirkung festzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v.13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 17). Schließlich hat das Landratsamt zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kläger selbst an der Westgrenze ihres Grundstücks durch eine 2 m hohe Mauer und entsprechende Grenzbebauung bereits begonnen haben, eine gewisse Riegelwirkung herbeizuführen und insofern eine vorbelastete Situation vorliegt. Auch hier wird durch die mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2021 übersandten Bilder nochmals deutlich, dass der klägerische Blick nach Westen ohnehin durch die dort vorhandenen Anlagen der Beigeladenen bereits vorbelastet ist. Die durch die streitgegenständliche Mauer sicherlich zusätzlich eintretende Verschattung und Abschirmung nach Westen hin stellt keine unzumutbare Verschlechterung hierzu mehr dar. Auf die wohl zur Auflockerung der Maueroptik östlich der Mauer zu pflanzenden Hecken („Renaturierungsstreifen“) kommt es danach schon nicht mehr entscheidend an.
35
Soweit das Thema Lichteinfall von der Klägerseite überhaupt angesprochen wurde, hat das Landratsamt zu Recht auf eine zumindest indizielle Wirkung der DIN 5034-1 und dem hieraus zu entnehmenden Lichteinfallswinkel von 45° hingewiesen (BayVGH, B.v. 15.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 22; B.v. 24.11.2021 - 2 CS 21.2600 - juris Rn. 7 ff.; B.v. 22.1.2020 - 15 ZB 18.2547 - juris Rn. 40 m.w.N., B.v. 29.7.2014 - 9 CS 14.709 - juris Rn. 19). Entsprechender Lichteinfall trifft den Fuß der von den Klägern selbst errichteten Grenzmauer und liegt dementsprechend weit von jeglichen Aufenthaltsräumen der Kläger entfernt. Ein weiter substantiierter Gegenvortrag der Kläger hierzu ist nie erfolgt, weshalb auch nicht ersichtlich ist, wieso hieraus eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme folgen soll.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO. Das sich die Beigeladene durch Stellung eines Sachantrags auf Klageabweisung selber einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihr einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.