FG München, Urteil v. 21.11.2022 – 7 K 423/21
Titel:
Gewerbesteuerpflicht einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Normenketten:
SGB V § 24f S. 2, § 111c,§ 134 a
GewStG § 2 Abs. 2 S. 1§ 3 Nr. 20 Buchst. d
AO § 67
KHEntG § 1 Abs. 1§ 7,
KHG § 2 Nr. 1
SGB XI § 14 Abs. 1 S. 3, § 71 Abs. 1 u. 2
Leitsatz:
Der Begriff des Krankenhauses in § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG, der wiederum auf § 67 AO verweist, lässt sich nicht den Steuergesetzen, sondern dem Sozialrecht entnehmen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbesteuerpflicht einer Hebammen-GmbH, Gewerbesteuer
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
StEd 2023, 72
EFG 2023, 415
DStRE 2023, 657
LSK 2022, 40895
BeckRS 2022, 40895
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
I.
1
Streitig ist, ob die Klägerin der Gewerbesteuerpflicht unterliegt.
2
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und wurde mit notariellem Vertrag vom 17. September 2012 gegründet. Geschäftsführerin und alleinige Anteilseignerin ist H, eine ausgebildete Hebamme. Die Klägerin betreibt ein Geburtshaus in A und bietet die Möglichkeit zur ambulanten oder stationären Geburt an. Überwiegend, erfolgt eine stationäre Aufnahme der Entbindenden. Außerdem übernimmt die Klägerin Wochenbettbetreuung sowie Nachsorge und führt Vorbereitungskurse und Kurse nach der Geburt durch.
3
In den Räumlichkeiten der Klägerin ist ein Operationssaal (OP) vorhanden. Außerdem stehen mehrere Zimmer mit Übernachtungsmöglichkeiten für die Entbindenden, die neugeborenen Kinder und begleitenden Partner zur Verfügung. Die Zimmer sind jeweils mit eigenem Bad ausgestattet. Außerdem gibt es eine Küche und Gemeinschaftsräume. Das Personal der Klägerin bestand im Streitjahr aus zwei freiberuflichen Hebammen, einer angestellten Hebamme, einer Krankenschwester, einer Kinderkrankenschwester sowie drei angelernten Mitarbeitern.
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Die Kostenabrechnungen der Klägerin erfolgten auf der Grundlage der Hebammengebühren-Verordnung und des Geburtshausvertrags sowie eines Ergänzungsvertrags nach § 134 a des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen. Für jede Geburt wurde eine Betriebskostenpauschale i.H.v. 707 € sowie Überwachungskosten während des Aufenthalts im Geburtshaus zur Abrechnung gebracht. Die Abrechnung wurde als Gesamtrechnung erstellt. Eine Aufteilung der Erlöse in der Buchführung für gewerbesteuerliche Zwecke erfolgte nicht.
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Neben der mit den Krankenkassen abgerechneten Vergütung veranschlagte die Klägerin von den Entbindenden im Streitjahr 2015 außerdem eine Rufbereitschaftspauschale in Höhe von 250 € bei der Anmeldung zur Entbindung im Geburtshaus. Diese Pauschale wurde von der überwiegenden Anzahl der gesetzlichen Krankenkassen den Versicherten als Zusatzleistung auf Kulanzbasis erstattet. Die Rufbereitschaftspauschale beinhaltet die persönliche Betreuung von H in einem Zeitraum von 4 Wochen vor und der Wochen nach dem errechneten Geburtstermin. Im Jahr 2015 vereinnahmte die Klägerin aus Rufbereitschaftspauschalen insgesamt 28.500 €.
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Seit November 2015 erhebt die Klägerin außerdem einen sogenannten Unkostenbeitrag in Höhe von 170 € pro Tag für „Aufenthalt, Pflege, Überwachung und Betreuung“, mit dem das besondere Ambiente im Geburtshaus und der Aufenthalt der Frauen über den Tag der Entbindung hinaus abgedeckt werden soll. Dieser Unkostenbeitrag wird von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Im Streitjahr 2015 vereinnahmte die Klägerin Unkostenbeiträge in Gesamthöhe von 2.510 €.
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Im Jahr 2015 betreute die Klägerin insgesamt 226 Geburten, davon 6 ambulante und 3 Hausgeburten, so dass im Geburtshaus insgesamt 217 Geburten erfolgten. Von den insgesamt 536 Belegungstage entfielen 494 auf gesetzlich Versicherte und 42 auf Privatversicherte.
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Mit Gewerbesteuermessbescheid 2012 vom 5. September 2014 lehnte das Finanzamt den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Gewerbesteuer nach § 3 Nr. 20 Buchst. d Gewerbesteuergesetz (GewStG) als Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen ab. Dagegen sowie gegen die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für die Jahre 2013 und 2014 legte die Klägerin Einspruch ein.
9
Für das Streitjahr 2015 erklärte die Klägerin einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 237.486 €. Im Gewerbesteuermessbescheid vom 24. April 2017, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, berücksichtigte das Finanzamt einen Gewerbeertrag i.H.v. 237.400 € und setzte den Gewerbesteuermessbetrag 2015 auf 8.309 € fest. Mit dem dagegen gerichteten Einspruch beantragte die Klägerin wiederum die Befreiung von der Gewerbesteuer.
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Im Rahmen einer betriebsnahen Veranlagung für die Jahre 2012 bis 2014 kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass auch der Gewerbeertrag für das Streitjahr 2015 - aus vorliegenden nicht streitigen Gründen - um 6.928 € auf 244.400 € zu erhöhen sei. Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2018, der Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde, setzte das Finanzamt den Gewerbesteuermessbetrag 2015 auf Grundlage des korrigierten Gewerbeertrags auf 8.554 € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
11
Im Rahmen einer für die Jahre 2012 bis 2016 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat die Prüferin des Finanzamts die Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine (teilweise) Gewerbesteuerbefreiung nicht erfüllt seien. Aufgrund weiterer, im vorliegenden Verfahren nicht streitiger Feststellungen ermittelte sie einen steuerpflichtigen Gewerbeertrag i.H.v. 251.120 € (vgl. Tz. 1.1 BP-Bericht vom 1. März 2019). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht der Betriebsprüfung vom 1. März 2019 verwiesen.
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Den Feststellungen der Betriebsprüfung folgend erließ das Finanzamt am 1. April 2019 einen Änderungsbescheid und setzte den Gewerbesteuermessbetrag 2015 auf 8.788 € fest. Außerdem wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Der Bescheid wurde Gegenstand des anhängigen Einspruchsverfahrens.
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Mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 beantragte die Klägerin, nur über das Einspruchsverfahren für das Jahr 2015 im Sinne eines Musterverfahrens zu entscheiden und die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2012 bis 2014 sowie 2016 bis 2019 ruhen zu lassen. Mit Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 2021 wies das Finanzamt den Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2015 als unbegründet zurück.
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Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Der Anteil der stationären Aufnahmen betrage 95%. Im Gegensatz zu anderen Geburtshäusern sei das Pflegeniveau im Streitfall mit dem einer geburtshilflichen Abteilung eines Krankenhauses vergleichbar. Im Geburtshaus könnten sämtliche auftretenden Komplikationen anlässlich einer Geburt behandelt und begleitet werden. Ein Anästhesist sowie Gynäkologen seien jederzeit präsent bzw. erreichbar oder abrufbar. Aufgrund der Zusammenarbeit mit der gynäkologischen Praxis, die im selben Gebäude im ersten Stock betrieben werde, werde die ärztliche Versorgung gewährleistet. Außerdem stehe ein Kinderarzt zur Verfügung. Schicht- und Einsatzpläne würden in einem großen Kalender aufgezeichnet.
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Bei ca. 40% der Geburten komme es im Verlauf der Geburt bzw. des Wochenbetts zu medizinischen Komplikationen. Massive Geburtsverletzungen würden direkt im eigenen OP versorgt. Auch soweit ausnahmsweise ein Kaiserschnitt erforderlich sei, könne die Patientin aufgrund des vorhandenen Hubschrauberlandeplatzes notfallgerecht in die nächste gynäkologische Klinik gebracht werde. In der Regel erfolge bereits nach rund 12 Stunden wieder eine Rückverlegung ins Geburtshaus. Die Familienzimmer würden für die Überwachung nach der Geburt bei auftretenden Komplikationen vorgehalten.
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Zu Unrecht stütze das Finanzamt seine Rechtsauffassung auf eine formale Betrachtungsweise und verneine eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG aufgrund des Umstands, dass eine fehlende fachlich-medizinische ständige ärztliche Leitung eine Anwendung der Norm ausschließe. Es verkenne dabei, dass ein Facharzt für Gynäkologie im gleichen Haus, ein Facharzt für Allgemeinmedizin in unmittelbarer Praxisnachbarschaft und ein Kinderarzt seit der Gründung der GmbH in ständiger Rufbereitschaft stünden und bei Bedarf sofort hinzugezogen werden könnten. Eine ärztliche Leitung des Geburtshauses sei steuerrechtlich nicht zwingend erforderlich.
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Die Klägerin erfülle auch die Voraussetzungen des § 67 Abgabenordnung (AO). Sie betreibe eine von Hebammen geleitete Einrichtung. Wegen des auf ambulante und (überwiegend) stationäre Betreuung der Patientinnen vor und nach der Niederkunft ausgerichteten Leistungsangebots sei steuerrechtlich von einer krankenhausähnlichen Einrichtung auszugehen.
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Zu Unrecht stelle sich das Finanzamt auf den Standpunkt, dass die Klägerin Leistungen abrechne, die über § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) hinausgingen, da die Patientinnen seit dem Kalenderjahr 2015 zusätzlich zu den mit den Krankenkassen abgerechneten Vergütungen sogenannte Unkostenbeiträge und Rufbereitschaftspauschalen leisteten, und damit die Voraussetzungen des § 67 AO nicht erfüllt seien. Aus der abstrakten Vergleichszusammenstellung in Anlage 8 zur Klagebegründung vom 31. Mai 2021 ergebe sich, dass in allen Geburtsfällen des Geburtshauses die Kostengrenze des § 7 KHEntG nicht erreicht werde. Die Entbindung im Geburtshaus sei günstiger als in einem Krankenhaus.
19
Nach den gesetzlichen Vorgaben des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) sowie des KHEntG würden allgemeine Krankenhausleistungen, zu denen auch die Leistungen in einer Geburtshilfestation eines allgemeinen Krankenhauses zählten, in der Regel über diagnoseorientierte Fallpauschalen (sog. Diagnosis Related Groups - DRG) abgerechnet. Bei den von der Klägerin berechneten Unkostenbeiträgen (170 € pro Tag) handle es sich um ein Entgelt für ein zusätzliches Angebot für Mütter, die nach der Geburt noch für einige Tage im Geburtshaus verbleiben. Selbst wenn man dieses zusätzliche Entgelt bei der Prüfung der Kostengrenze des § 7 KHEntG mitberücksichtigen würde, wäre die Kostengrenze nach § 67 AO nicht annähernd erreicht. Der im Streitjahr 2015 insoweit vereinnahmte Gesamtbetrag von 2.510 € sei als sonstiger betrieblicher Ertrag verbucht und im Übrigen bei der Aufteilung des GmbH-Gewinns 2015 in gewerbesteuerpflichtige und gewerbesteuerbegünstigte Teilbeträge berücksichtigt worden.
20
Die so genannte Rufbereitschaftspauschale stelle kein „Zusatzentgelt“ dar, sondern werde als Hebammenleistung von der Hebamme gesondert nach der HebammengebührenVO in Rechnung gestellt. Zwischen der Abrechnung im Geburtshaus und eines allgemeinen Krankenhauses bestehe kein Unterschied, so dass die Hebammen-Pauschale den Krankenhausleistungen i. S. § 7 KHEntG nicht zugeordnet werden dürfe.
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Da die Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG nur die Einnahmen und Ausgaben erfasse, die mit den Leistungen an die Patientinnen als Benutzer des Geburtshauses zusammenhängen, seien nur die aus dem Betrieb des Geburtshauses resultierenden Erträge steuerfrei. Bereits mit Schreiben vom 28. September 2017 habe die Klägerin dem Finanzamt einen Vorschlag für den Erhebungszeitraum 2015 in Höhe eines gewerbesteuerpflichtigen Teilgewinns von 32.564,46 € unterbreitet. Dieser Betrag sei jedoch wegen der gewinnerhöhenden, unstreitigen Prüfungsfeststellungen um 9.216 € (2.510 € und 6.706 €) zu erhöhen. Daraus ergebe sich für die Ermittlung des Gewerbeertrags ein gewerbesteuerpflichtiger (Teil) Gewinn in Höhe von 41.780,46 €, der auf volle 100 € abgerundet werde, so dass sich ein Steuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag in Höhe von 1.459 € errechne.
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Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG vor, da das Geburtshaus auch als Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen betrachtet werden könne. Der Ansicht des Finanzamts, nach der eine schwangere oder entbindende Frau nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen weder eine kranke noch eine pflegebedürftige Person sei, werde nicht gefolgt.
23
Die Klägerin beantragt,
den Gewerbesteuermessbescheid 2015 vom 24. April 2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. April 2019 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 2021 dahingehend zu ändern, dass der festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag i.H. von 8.788 € auf 1.459 € herabgesetzt wird. Hilfsweise wird beantragt, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
24
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
25
Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, dass die von der Klägerin erhobenen Zusatzentgelte für Rufbereitschaft und die seit November 2015 erhobenen „Unkostenbeiträge“ in Bezug auf die Anwendung des § 67 AO schädlich seien. Es würden in jedem Fall zusätzliche Entgelte über die der Klägerin zustehenden Fallpauschalen nach der Hebammengebührenverordnung hinaus erhoben. Diese Zusatzentgelte stellten keine Kassenleistung dar und seien von den Entbindenden in der Regel selbst zu entrichten. Sie seien vergleichbar mit steuerschädlichen Entgelten für Wahlleistungen zur Zimmerbelegung, besonderer Verpflegung, Chefarztbehandlung.
26
Die von der Klägerin vorgelegten Tabellen verglichen die tatsächlich abgerechneten Beträge mit fiktiven Abrechnungsbeträgen, die bei einer Geburt im Krankenhaus angefallen wären. Ein direkter Vergleich sei aber nicht möglich, da den Berechnungen unterschiedliche Abrechnungssysteme zugrunde lägen. Mit den Krankenhausfallpauschalen sei auch die ärztliche Leistung und der Betrieb des Krankenhauses an sich abgedeckt. Demgegenüber rechne die Klägerin nach der Hebammengebührenverordnung ab. Die zusätzlich anfallenden ärztlichen Leistungen würden vom hinzugezogenen Arzt separat abgerechnet.
27
Hinzu komme, dass das Geburtshaus unabhängig von der Frage, ob die Bedingungen für die Anerkennung eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs nach § 67 AO gegeben sind, bereits die notwendigen Voraussetzungen für die Anerkennung als Krankenhaus i.S.d. § 107 SGB V nicht erfülle, da die Klägerin in fachlich-medizinischer Hinsicht nicht unter ständiger ärztlicher Leitung stehe. Die Voraussetzungen für die partielle Befreiung von der Gewerbesteuer nach § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG seien damit nicht erfüllt. Als GmbH unterliege die Klägerin mit ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb in vollem Umfang der Gewerbesteuerpflicht nach § 2 Abs. 2 GewStG.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
29
Die Klage ist nicht begründet. Gegen die Rechtmäßigkeit des festgesetzten Gewerbesteuermessbetrags 2015 mit Änderungsbescheid vom 1. April 2019 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 2021 bestehen keine Bedenken. Das von der Klägerin in Form einer GmbH geführte Geburtshaus unterliegt als Gewerbetrieb i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Gewerbesteuer nach § 3 Nr. 20 GewStG, insbesondere nach § 3 Nr. 20 Buchst. b, Buchst. d und Buchst. e GewStG liegen im Streitfall nicht vor.
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1. Nach § 3 Nr. 20 GewStG sind unter anderem Krankenhäuser, Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur kurzzeitigen oder ambulanten Pflege sowie Rehabilitationseinrichtungen von der Gewerbesteuer befreit, wenn die Einrichtungen bestimmte in Buchst. a - e genannte Voraussetzungen erfüllen. Die Vorschrift bezweckt, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 22.10.2003 I R 65/02, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2004, 300). § 3 Nr. 20 GewStG, eingeführt durch Art. 12 Nr. 1 Buchst. c des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) v. 14.12.1976 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I 1976, 3341), galt zunächst nur für Krankenhäuser, Altenheime, Altenwohnheime und Altenpflegeheime. Art. 3 des 2. Kapitels des Gesetzes zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26.11.1979 (BGBl. I 1979, 1953) hat die Begünstigung auf Pflegeheime erweitert. Art. 13 Nr. 2 Buchst. c Doppelbuchst. cc des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 (BGBl. I 1993, 2310) dehnte die Befreiung auf Kurzzeitpflegeeinrichtungen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen aus. Art. 5 Nr. 2 Buchst. b des Kroatien-Anpassungsgesetzes vom 25.07.2014 (BGBl. I 2014, 1266 = BStBl. I 2014, 1126) hat ab 2015 zusätzlich Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 GewStG aufgenommen und ihre Voraussetzungen zusammen mit den Einrichtungen zur stationären Rehabilitation in einem neuen Buchst. e geregelt. § 3 Nr. 20 GewStG befreit damit Einrichtungen für die medizinische und die pflegende Versorgung von Menschen. Die ambulante ist der stationären Versorgung im Laufe der Zeit weitgehend gleichgestellt worden (BFH-Urteil vom 25.01.2017 I R 74/14, BStBl. II 2017, 650; vgl. zusammenfassend Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, 141. Lieferung 02.2021, § 3 GewStG Rz. 492 f sowie Finanzgericht - FG - München, Urteil vom 13.03.2019 7 K 3219/18, Rn. 9 - 10, juris).
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2. Im Streitfall kann sich die Klägerin nicht auf eine Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG für Krankenhäuser berufen. Krankenhäuser sind von der Gewerbesteuer befreit, wenn im Erhebungszeitraum die in § 67 Abs. 1 oder 2 AO bezeichneten Voraussetzungen erfüllt worden sind. Die persönliche Steuerbefreiung ist insoweit beschränkt, als der Träger des in § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG bezeichneten Krankenhauses nicht mit seinem gesamten Gewerbeertrag von der GewSt, sondern nur mit den aus dem Betrieb des Krankenhauses stammenden Erträgen befreit wird. Erzielt der Träger außerhalb des eigentlichen Betriebs des Krankenhauses Erträge, unterliegen diese der Gewerbesteuer (Sarrazin in: Lenski/Steinberg, GewStG, 141. Lieferung 02.2021, § 3 Nr. 20 Befreiungen, Rn. 5 m.w.N.).
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2.1. Der Begriff des Krankenhauses in § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG, der wiederum auf § 67 AO verweist, lässt sich nicht den Steuergesetzen, sondern dem Sozialrecht entnehmen. Einschlägig sind § 2 Nr. 1 KHG und § 107 SGB V (vgl. Sarrazin in: Lenski/Steinberg, 141. Lieferung 02.2021, GewStG, § 3 Nr. 20 Befreiungen, Rn. 5 m.w.N., insbesondere unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 02.10.2003 IV R 48/01, BStBl. II 2004, 363, Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 249. Lieferung, 8/2018, § 67 Krankenhäuser, Rn. 8 m.w.N.).
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§ 2 Nr. 1 KHG beschreibt Krankenhäuser als Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistungen Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können.
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Nach der in § 107 Abs. 1 SGB V enthaltenen Definition stellen Krankenhäuser Einrichtungen dar, die der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten, und in denen die Patienten untergebracht und verpflegt werden können.
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Unter Geburtshilfe ist die Entbindung zu verstehen (vgl. § 24f SGB V). Diese kann in einem Krankenhaus ambulant (§ 24f Satz 2 SGB V) oder stationär (§ 24f Satz 3 SGB V) erfolgen. Ein Krankenhaus darf allerdings nicht ausschließlich ambulante Entbindungen anbieten. Eine Einrichtung, die bestimmungsgemäß ausschließlich ambulante, aber keine stationären Leistungen erbringt, ist kein Krankenhaus, da in § 107 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ausgeführt wird, dass in einem Krankenhaus die Möglichkeit bestehen muss, Patienten unterzubringen und zu verpflegen (Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 107 SGB V, Stand: 21.12.2020, Rn. 17). Die stationäre Entbindung umfasst neben den in § 24f Satz 3 SGB V erwähnten Nebenleistungen Unterkunft, Pflege und Verpflegung auch die schon von § 24d Nr. 1 SGB V erfassten Hauptleistungen ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe (Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 107 SGB V, Stand: 21.12.2020, Rn. 23).
36
Stationäre Entbindungen können nach § 24f Satz 3 SGB V nicht nur in „Krankenhäusern“, sondern auch in „anderen stationären Einrichtungen“ erbracht werden. Zu der Vorgängervorschrift des § 197 Abs. 1 RVO hatte das Bundessozialgericht (BSG) jedoch entschieden, dass zu den „anderen Einrichtungen“ nicht eine von einer Hebamme oder einem Entbindungspfleger geleitete Einrichtung (Geburtshaus) gehört (Urteil des BSG vom 21.02.2006 B 1 KR 34/04 R, NZS 2006, 648, 649). Denn auch die „anderen Einrichtungen“ müssten Krankenhäuser im weiteren Sinne des § 107 Abs. 1 SGB V sein. Demnach genüge es zwar, wenn sie allein der Geburtshilfe dienten. Sie fielen aber nur dann unter den Krankenhausbegriff des § 107 Abs. 1 SGB V, wenn sie auch dessen übrige Anforderungen erfüllten, insbesondere unter ständiger ärztlicher Leitung stünden.
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Nach der überwiegend in der Literatur vertretenen Auffassung gelten diese Grundsätze weiterhin für § 24f SGB V. Zum einen werden in § 24f SGB V von Hebammen bzw. Entbindungspflegern geleitete Einrichtungen ausdrücklich nur in Satz 2 bei den ambulanten Entbindungen erwähnt, zum anderen verlangt § 134a Abs. 1 Satz SGB V die Berücksichtigung der Betriebskosten bei der Vergütung nur für ambulante Entbindungen in von Hebammen geleiteten Einrichtungen. Darüber hinaus sollte nach den Gesetzesmaterialien die bisherige Regelung in § 197 RVO allein in den § 24f SGB V übernommen, nicht aber abgeändert werden (Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 107 SGB V, Stand: 21.12.2020, Rn. 24; vgl. auch Hidien in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 129. Lieferung 01.2022, § 3 GewStG, Rn. 59, Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12.10.2011 AN 15 K 11.00941, Rn. 21, juris; Prof. Dr. Wolfgang Noftz in: Hauck/Noftz SGB V, § 39 Krankenhausbehandlung, Rn. 93 unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 21.02.2006 B 1 KR 34/04 R, NZS 2006, 648, 649 sowie Dr. Frank Bockholdt in: Hauck/Noftz SGB V, § 107 Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen Rn. 27; a.A. Sarrazin in Lenksi-Steinberg, GewStG, 141. Lieferung 02.2021, Rz. 497 zu § 3 GewStG).
38
Unstreitig betreibt die Klägerin keine Einrichtung, die nach § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V in fachlich-medizinischer Hinsicht unter ständiger ärztlicher Leitung steht. Die Geburtshilfe wird nicht durch ärztliche Hilfeleistungen erbracht (§ 2 Nr. 1 KHG). Die fachliche Leitung der Klägerin wird allein durch die Geschäftsführerin der Klägerin, eine Hebamme, ausgeübt. Die bloße Hinzuziehung eines selbständigen Arztes, wie es im Streitfall bei Komplikationen erfolgt, ist insoweit nicht ausreichend.
39
2.3. Hinzu kommt, dass auch die übrigen in § 3 Nr. 20 Buchst. b GewStG i.V.m. § 67 Abs. 1 oder 2 AO genannten Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt sind.
40
Die Klägerin fällt weder in den Anwendungsbereich des KHEntG noch der Bundespflegesatzverordnung (vgl. § 67 Abs. 1 AO). Bei dem von ihr betriebenen Geburtshaus handelt es sich nicht um ein so genanntes DRG-Krankenhaus (§ 1 Abs. 1 KHEntG), das nach diagnosebezogenen Fallgruppen abrechnet, ebenso wenig liegt eine in § 1 Abs. 2 Satz 1 KHEntG genannte Einrichtung vor. Auch kann sie ihre Leistungen nicht nach der BPflV abrechnen, da sie keine der in § 1 Abs. 1 BPflV genannte Einrichtung darstellt.
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Auch die Voraussetzungen nach § 67 Abs. 2 AO liegen nicht vor. Die von § 67 Abs. 2 AO erfassten Krankenhäuser sind nur dann begünstigt, wenn mindestens 40% der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als nach § 67 Abs. 1 AO berechnet wird. Diese Einrichtungen rechnen nicht nach einem pauschalierenden Entgeltsystem gem. § 7 KHEntG (Fallpauschalen) ab und sind nur dann begünstigt, wenn mindestens 40% der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als nach § 7 KHEntG oder nach § 10 BPflV berechnet wird. Die Entgelte müssen sich bei Krankenhäusern nach § 67 Abs. 2 AO mit den Entgelten von Krankenhäusern i.S.d. § 67 Abs. 1 AO vergleichen lassen. Hierfür reicht die Vorlage einer Vorauskalkulation der Pflegesätze auf Selbstkostenbasis allein nicht aus. Der Wortlaut des § 67 AO („kein höheres Entgelt“) und seine in der Entlastung der Kostenträger des Gesundheitswesens sowie der selbstzahlenden Patienten liegende Zielsetzung fordern vielmehr den zusätzlichen Nachweis, dass sich die im Rahmen einer solchen Kalkulation angesetzten „Selbstkosten“ dem Grunde und der Höhe nach an den Vorgaben der BPflV orientieren (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 12.04.2011 3 K 516/08, EFG 2011, 1824, Sarrazin in: Lenski/Steinberg, GewStG, 141. Lieferung 02.2021, § 3 Nr. 20 Befreiungen, Rn. 13).
42
Die Klägerin rechnet die von ihr erbrachten Leistungen jedoch nicht nach § 7 KHEntgG bzw. § 10 BPflV, sondern nach der Verordnung über Gebühren der Hebammenhilfe außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (HebGebV) sowie auf Grundlage des mit den Entbindenden geschlossenen Geburtshausvertrages ab. Sie kann daher auch nicht zu ihren Gunsten einwenden, dass eine Geburt im Geburtshaus günstiger im Krankenhaus abgerechnet wird. Denn wie oben ausgeführt, fordert die Vorschrift § 67 AO nach seinem Wortlaut und der gesetzlichen Zielsetzung, dass sich die insoweit berechneten „Selbstkosten“ dem Grunde und der Höhe nach an den Vorgaben der BPflV bzw. an den in § 7 KHEntgG genannten Entgelten für allgemeinen Krankenhausleistungen orientieren. Diese Vorgaben sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt, da sich die Klägerin insbesondere keine allgemeinen Krankhausleistungen i.S.d. § 7 KHEntgG vergüten lassen kann. Die von der Klägerin abgerechneten Leistungen können daher weder dem Grunde noch der Höhe nach mit den in § 7 KHEntG oder nach § 10 BPflV genannten Entgelten verglichen werden, so dass eine Berufung auf § 67 Abs. 2 AO nicht in Betracht kommt.
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3. Auch die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Gewerbesteuerpflicht nach § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG liegen nicht vor, da es sich bei der Klägerin um keine Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und keine Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen handelt, und im Erhebungszeitraum die Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
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Auch hinsichtlich der in § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG genannten Einrichtungen muss auf die Begriffsbestimmungen des Sozialrechts zurückgegriffen werden (BFH-Urteil vom 18.09.2007 I R 30/06, BStBl. II 2009, 126, Sarrazin in: Lenski/Steinberg, GewStG, 141. Lieferung 02.2021, § 3 Nr. 20 Befreiungen, Rn. 25).
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3.1. Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen (§ 3 Nr. 20 Buchst. d 1. Alt. GewStG) sind Pflegeheime, in denen pflegebedürftige Personen zeitweise ganztägig (vollstationär) oder nur tagsüber oder nur nachts (teilstationär) untergebracht und verpflegt werden können (Kurzzeitpflegeeinrichtungen, Tages- und Nachteinrichtungen; vgl. § 71 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) Elftes Buch (XI), § 1 Abs. 3 und 4 des Heimgesetzes, Sarrazin in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 3 Nr. 20 Befreiungen, Rn. 26). Nach Ansicht der Verwaltung gehören auch teilstationäre Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen zu den vorgenannten Einrichtungen, soweit sie die Voraussetzungen der §§ 107, 111 SGB V erfüllen (R 3.20 Abs. 4 Satz 1 GewStR).
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Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist in § 14 des Sozialgesetzbuches (SGB) Elftes Buch (XI) definiert. Pflegebedürftig im Sinne dieser Vorschrift sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen haben oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere bestehen.
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3.2. Zu den Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen (§ 3 Nr. 20 Buchst. d 2. Alt. GewStG) zählen nach § 71 Abs. 1 SGB XI Einrichtungen, die pflegebedürftige Personen in deren Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich versorgen (§ 71 Abs. 1 und 2 SGB XI). Hierzu gehören nicht die ambulanten Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen (Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 21.02.2001 II 279/00, EFG 2001, 645). Auch ein Dialysezentrum stellt keine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen dar, weil die Leistungen nicht im häuslichen Bereich der Patienten erbracht werden (BFH-Urteil vom 25.01.2017 I R 74/14, BStBl. II 2017, 650). Dazu rechnen auch nicht Einrichtungen, die gesunde Kinder und Säuglinge pflegen, etwa weil die Eltern ihrer Sorgepflicht wegen eigener Erkrankung nicht nachkommen können. Zweck der Befreiungsvorschrift ist es lediglich, die Pflege und Betreuung kranker und älterer Menschen zu fördern (Sarrazin in: Lenski/Steinberg, GewStG, 141. Lieferung 02.2021, § 3 Nr. 20 Befreiungen, Rn. 27)
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3.3. Nach den vorstehenden Ausführungen handelt es sich bei Schwangeren und Entbindenden nicht um pflegebedürftige Personen. Insbesondere kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg einwenden, dass sich auch eine Entbindende kurz vor und nach der Geburt in einem Zustand der Pflegebedürftigkeit befinde. Denn nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB XI muss die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere bestehen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
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Außerdem zählen Schwangerschaft und Entbindung nach den für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 GewStG maßgebenden Begriffsbestimmungen des Sozialrechts auch nicht als Krankheit im Sinne eines „regelwidrigen Körperzustands“ (vgl. Urteil des BSG vom 13.02.1975, 3 RK 68/73, BSGE 39, 167). Der Begriff der Krankheit setzt einen anormalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand voraus, der den Betroffenen „in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen“ derart beeinträchtigt, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf (BFH-Urteil vom 10.05.2007 III R 47/05, BStBI II 2007, 871). Krank ist eine Schwangere nur in solchen Fällen, in denen während der Schwangerschaft länger als drei Monate andauernde gesundheitliche Komplikationen auftreten (BFH-Urteil vom 05.07.2012 III R 80/09, BStBI II 2012, 816).
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Zutreffend hat das Finanzamt außerdem daraufhin gewiesen, dass nach den Bestimmungen über die Kostenerstattung bei der gesetzlichen Krankenversicherung im SGB V zwischen Leistungen für eine Krankenhausbehandlung (vgl. § 39 SGB V) und Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 24 ff SGB V) differenziert wird. Da das Geburtshaus somit bereits begrifflich nicht zu den in § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG genannten Einrichtungen zählt, ist es nicht entscheidungserheblich, ob und inwieweit gemäß § 3 Nr. 20 Buchstabe d GewStG die Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
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4. Auch soweit sich die Klägerin auf die Befreiungsvorschrift nach § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG beruft, hat sie keinen Erfolg. Diese Vorschrift befreit Einrichtungen zur ambulanten oder stationären Rehabilitation von der Gewerbesteuerpflicht, wenn die Behandlungskosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind, soweit sie Leistungen im Rahmen der verordneten ambulanten oder stationären Rehabilitation im Sinne des Sozialrechts einschließlich der Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder erbringen.
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Hinsichtlich der Definition der in § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG genannten Einrichtungen ist ebenfalls auf die Begriffsbestimmungen des Sozialrechts zurückzugreifen (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2007 I R 30/06, BStBl. II 2009, 126 zu Pflegeeinrichtungen). Einrichtungen der ambulanten oder stationären Rehabilitation werden beispielsweise in § 111c SGB V oder § 35 Abs. 1 Nr. 5 der Bundesbeihilfeverordnung (ambulante Rehabilitationseinrichtung) oder § 111 SGB V (stationäre Rehabilitationseinrichtung) genannt. Sie dienen stationären Behandlung der Patienten, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken (Vorsorge) oder eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen, auch mit dem Ziel, eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Rehabilitation), wobei Leistungen der aktivierenden Pflege nicht von den Krankenkassen übernommen werden dürfen (§ 107 Abs. 2 Nr. 1 SGB V). Außerdem sind sie fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen (§ 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Hinzu kommt, dass in den Einrichtungen Patienten untergebracht und verpflegt werden können (§ 107 Abs. 2 Nr. 3 SGB V).
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Zu den Rehabilitationseinrichtungen zählen insbesondere Einrichtungen, die Physiotherapiemaßnahmen vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln wie z.B. Krankengymnastik, Bewegungstherapie und andere geeignete Hilfen nach einem ärztlichen Behandlungsplan erbringen (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 22.10.2003, I R 65/02, BStBI II 2004, 300), nicht jedoch die von der Klägerin betriebene Einrichtung. Wie oben bereits ausgeführt, handelt es sich bei Schwangerschaft und Entbindung nicht um eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Zudem kann keine Rede davon sein, dass die stationäre Behandlung im Geburtshaus dazu dient, eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen (§ 107 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SGB V). Zweck der Aufnahme im Geburtshaus, das auch nicht fachlich medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung steht (vgl. § 107 Abs. 2 Nr. 3 SGB V), ist nicht die „medizinische Rehabilitation“ der aufgenommenen schwangeren Frauen, sondern deren Betreuung und medizinische Versorgung im Zusammenhang mit der Entbindung.
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5. Da die Klägerin die Voraussetzungen für eine Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 GewStG nicht erfüllt, erübrigt sich daher eine Aufteilung des Gewerbeertrags.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).