VG Bayreuth, Beschluss v. 31.01.2022 – B 10 E 21.1315
Titel:

Zum Einrichtungskontext familienähnlicher Betreuungsformen, die ausschließlich in einem Träger eingebunden sind, Zum Anordnungsgrund bei Bußgeld- bzw. Strafbewährung des erlaubnispflichtigen Betriebs und versagter Erlaubnis

Normenketten:
SGB VIII § 44
SGB VIII § 45 Abs. 1, 2
SGB VIII § 45a
SGB VIII § 48a
VwGO § 123
Schlagworte:
Zum Einrichtungskontext familienähnlicher Betreuungsformen, die ausschließlich in einem Träger eingebunden sind, Zum Anordnungsgrund bei Bußgeld- bzw. Strafbewährung des erlaubnispflichtigen Betriebs und versagter Erlaubnis
Fundstelle:
BeckRS 2022, 3931

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb einer Erziehungsstelle am Standort … Die Antragstellerin ist ein als Träger von Erziehungsstellen bundesweit tätiges, privatwirtschaftliches Unternehmen. Es bietet Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in familienähnlichen Betreuungsformen in Gestalt von Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen an.
2
Die Antragstellerin betrieb seit März 2018 eine Erziehungsstelle am Standort …, zunächst mit einem sozialpädagogischen Betreuungsplatz. Die Betriebserlaubnis hierzu erteilte die Regierung von Oberfranken der Antragstellerin mit Bescheid vom 20.03.2018. Mit Änderungsbescheid vom 17.09.2019 erweiterte die Regierung von Oberfranken die Betriebserlaubnis auf insgesamt zwei sozialpädagogische Betreuungsplätze.
3
Aufgrund eines Standortwechsels der Erziehungsstelle an den Standort …, beantragte die Antragstellerin bei der Regierung von Oberfranken mit E-Mail vom 02.09.2021, der u.a. das ausgefüllte und unterschriebene Antragsformular sowie Lagepläne und Fotos der neuen Räumlichkeiten beigefügt waren, die Änderung ihrer bisherigen Betriebserlaubnis. Mit Schreiben vom 08.10.2021 hörte die Regierung von Oberfranken die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung des Änderungsantrags und zur Zurücknahme der bestehenden Betriebserlaubnis für den Standort … an. Daraufhin beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 16.11.2021 hilfsweise die Neuerteilung einer Betriebserlaubnis für den Standort … und fügte ihrem Schreiben eine „Konzeption des familienanalogen Betreuungsangebots Erziehungsstelle …“ mit Stand 01.10.2021 sowie eine Stellungnahme ihres hiesigen Bevollmächtigten, …, zum „Einrichtungsbegriff des § 45a S. 2 und 3 SGB VIII für familienähnliche Betreuungsformen“ vom Oktober 2021 bei. Nach dieser neunseitigen Stellungnahme habe der Gesetzgeber den Einrichtungsbegriff nicht einschränken, sondern nur präzisieren wollen. Es sei ihm nicht um eine Verkürzung, sondern eine Stärkung des strukturellen Kinderschutzes gegangen. Daraus sei zu folgern, dass es Wille des Gesetzgebers gewesen sei, die Betriebserlaubnispflicht mit der Steuerung der familienähnlichen Betreuungsform nach § 45a S. 3 SGB VIII durch einen übergeordneten Träger auszulösen, mithin auch ein Träger unter den Begriff der „erlaubnispflichtigen Einrichtung“ i.S.d. § 45a S. 2 SGB VIII fallen könne.
4
Mit Bescheid der Regierung von Oberfranken vom 09.12.2021 lehnte diese sowohl den Antrag auf Änderung der bestehenden Betriebserlaubnis wegen Standortwechsels (Ziffer 1) als auch den Antrag auf Neuerteilung einer Betriebserlaubnis am neuen Standort … (Ziffer 2) ab. Die Betriebserlaubnis für den alten Standort … vom 20.03.2018 und der diesbezüglich ergangene Änderungsbescheid vom 17.09.2019 wurden mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen (Ziffer 3). Begründet wurde der Bescheid vom 09.12.2021 u.a. damit, dass der Änderungsantrag bereits deshalb abzulehnen sei, weil der Umzug der Einrichtung eine so grundsätzliche Änderung darstelle, dass er nicht in einem Änderungsverfahren erfolgen könne, sondern vielmehr ein komplett neues Betriebserlaubnisverfahren durchlaufen werden müsse. Der Antrag auf Neuerteilung der Betriebserlaubnis sei schon deswegen abzulehnen, weil die vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend seien. Es fehlten u.a. die Anlagen zur Konzeption, ein Antrag mit Anlagen zu Personal- und Raumprogramm, ein individuelles Schutzkonzept sowie die Stellungnahmen von Baubehörde, Gesundheitsamt und örtlichem Jugendamt. Zudem seien beide Anträge auch deshalb abzulehnen, weil die Erziehungsstelle nicht betriebserlaubnispflichtig sei. Durch die Änderung des SGB VIII zum 10.06.2021, insbesondere des § 45a SGB VIII, seien familienähnliche Betreuungsformen der Unterbringung nur noch dann betriebserlaubnispflichtig, wenn sie fachlich und organisatorisch in eine übergeordnete betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden seien. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn der Träger betreibe keine weitere betriebserlaubnispflichtige Einrichtung und es bestehe auch keine Einbindung in eine anderweitige betriebserlaubnispflichtige Einrichtung. Entgegen der Stellungnahme von … habe der Gesetzgeber bei der Neufassung des SGB VIII auch nicht etwas Anderes beabsichtigt, als sich dem Wortlaut des Gesetzes entnehmen lasse. Im Gesetzgebungsverfahren sei vielfach die Forderung erhoben worden, dass die Betriebserlaubnispflicht mit der Steuerung der familienähnlichen Betreuungsform durch einen übergeordneten Träger ausgelöst werde. Diese Forderung habe im Gesetz aber explizit keine Berücksichtigung gefunden. Würde man dies anders sehen wollen, wäre zudem der formulierte Landesrechtsvorbehalt in § 45a S. 4 SGB VIII hinfällig. Die Argumentation hinsichtlich einer grundsätzlich mangelnden Gewährleistung des Kinderschutzes in Hilfen zur Erziehung gemäß § 33 SGB VIII sei insbesondere vor dem Hintergrund der neu eingeführten Anforderungen gemäß § 33 i.V.m. §§ 37, 37a-c SGB VIII nicht nachvollziehbar. Im Übrigen sei durchaus möglich, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 45a SGB VIII etwas Anderes gemeint oder beabsichtigt habe, die Grenze aller Auslegung sei aber der Gesetzeswortlaut. Der Bescheid wurde der damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 14.12.2021 zugestellt (Bl. 579 BA).
5
Mit Schriftsätzen vom 20.12.2021, die am 24.12.2021 bei Gericht eingingen, hat die Antragstellerin einerseits Klage erhoben (Az. B 10 K 21.1316) und andererseits einstweiligen Rechtsschutz begehrt sowie diesbezüglich beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Satz 1 VwGO zu verpflichten, die Erlaubnis für den Betrieb der Erziehungsstelle … des Trägers …, entsprechend des Antrags und der Konzeption, Stand 01.10.2021, vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu erteilen.
6
Zur Begründung wird im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Entgegen der Ansicht des Antragsgegners bestehe für eine vorläufige Betriebserlaubnis sowohl ein Rechtsschutzbedürfnis als auch ein Anordnungsgrund, wie insbesondere die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25.07.2017 (Az.12 CE 17.704) zeige. Die Antragstellerin betreibe die Erziehungsstelle beanstandungsfrei seit dreieinhalb Jahren auf Basis der bisherigen Betriebserlaubnis. Mit dem Betrieb der Erziehungsstelle seien laufende Personal- und Sachkosten des Trägers verbunden, die er nicht bis zum Ausgang des Klageverfahrens schultern könne. Zudem müsste er die bisherige Leistungserbringung in der Erziehungsstelle beenden, was zu weiteren Verlusten führen würde. Ferner setze sich die Antragstellerin der Gefahr der Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit bzw. einer Straftat nach §§ 104 f. SGB VIII sowie der Untersagung des Betriebs nach Art. 46 AGSG aus.
7
Der vorläufigen Zulassung des Betriebs stehe auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen, da mit dem einstweiligen Rechtsschutzantrag nur begehrt werde, den Betrieb der Erziehungsstelle vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu erlauben. Dies habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ebenfalls in der genannten Entscheidung vom 25.07.2017 als unproblematisch erachtet. Eine Kongruenz mit dem Entscheidungsinhalt der Hauptsache bestehe nämlich nicht.
8
Die Antragstellerin habe gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Erteilung der vorläufigen Betriebserlaubnis. Der Antragsgegner halte selbst einen Vordruck vor, wonach ein „Antrag auf Änderung der Betriebserlaubnis wegen“ „Standortwechsel (Umzug)“ zu stellen sei. Die für eine Neuerteilung erforderlichen Unterlagen seien zudem vorgelegt worden. Im Anhörungsschreiben vom 08.10.2021 habe sich der Antragsgegner nicht auf etwaige Mängel bei der Antragstellung gestützt. Sofern der Antrag aufgrund fehlender Unterlagen nicht entscheidungsreif gewesen wäre, hätte der Antragsgegner im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 20 SGB X eine Nachfrage bzw. einen Hinweis geben müssen.
9
Die dem Verwaltungsgericht vorgelegte Behördenakte sei unvollständig. Es würden mehrere Anlagen der E-Mail vom 02.09.2021, namentlich der „Antrag auf Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII“ und das „Raumprogramm“, fehlen, die nun von der Antragstellerin zur Verfügung gestellt würden. Es fehlten vermutlich auch weitere Aktenbestandteile. Mit den Blättern 385 ff. seien in der Behördenakte nicht nachvollziehbare Leerstellen enthalten. Es mangele an einem rechtsstaatlichen Verfahren, weil die unvollständige Behördenakte dafürspreche, dass keine Sachverhaltsermittlung und/oder Entscheidungsfindung stattgefunden habe. Beides sei nämlich anhand der vorgelegten Akte nicht nachvollziehbar und damit nicht vollumfänglich nachprüfbar.
10
Der Antragsgegner habe jahrelang die Auffassung vertreten, dass die streitgegenständliche Einrichtung erlaubnispflichtig sei. Ohne Benennung sachlicher Gründe habe er nun seine Auffassung geändert und berufe sich hierfür ausschließlich auf den KJSG-Gesetzgeber und die mit § 45a SGB VIII erfolgte Neuregelung. Die Argumentation gehe jedoch fehl: Primäres Ziel des KJSG-Gesetzgebers sei neben der inklusiven Fortentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe gewesen, den Kinderschutz zu stärken und eben gerade nicht, ihn zu schwächen. Mit der Neuregelung in § 45a SGB VIII habe der Gesetzgeber den Einrichtungsbegriff daher auch nicht einschränken, sondern nur präzisieren und die Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden erweitern wollen.
11
Der Antragsgegner behaupte fälschlicherweise, dass der Kinderschutz in einer mit der Prüfung nach § 45 SGB VIII vergleichbaren Weise mittels einer Eignungsprüfung nach § 33 SGB VIII gewährleistet werden könne. Bei einer nicht betriebserlaubnispflichtigen Leistungserbringung nach § 27 i.V.m. § 33 oder § 35a SGB VIII würde nämlich ausschließlich ein Verwaltungsakt gegenüber dem anspruchsberechtigten Bürger erlassen. Einzig im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit der Sozialleistung würde mit einem im Vergleich zur ordnungsrechtlichen Prüfung nach § 45 SGB VIII deutlich reduzierten Prüfungsmaßstab die Pflegeperson auf ihre Geeignetheit überprüft. Diese Eignungsprüfung erfolge aber deutlich unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgewährleistung gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 SGB VIII. Ferner sei eine nachträgliche Kontrolle der Pflegeperson so kaum möglich. Etwas Anderes gelte nur ausnahmsweise, wenn die Leistungserbringung nicht im Rahmen einer Hilfe nach § 27 i.V.m. § 35 SGB VIII erfolge. Da hier die Erbringung einer Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII und Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII intendiert seien, wäre auch der Ausnahmefall einer ordnungsrechtlichen Prüfung nach § 44 SGB VIII nicht einschlägig. Bei einem längeren, gefestigten Ausfall der Hauptbetreuungsperson in der Erziehungsstelle sei beabsichtigt, eine Fachkraft einzusetzen. Diese würde aber im Rahmen einer Prüfung nach § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII überhaupt nicht geprüft. Zudem würden in der streitgegenständlichen Erziehungsstelle solche Leistungen gar nicht erbracht, sondern solche nach § 27 i.V.m. §§ 34 und 35a SGB VIII. Es sei sehr offensichtlich, dass zur Gewährleistung des Kindeswohls eine ordnungsrechtliche Prüfung des Handelns des Einrichtungsträgers, hier also des Antragstellers, unerlässlich sei. Diese Auffassung habe der Antragsgegner im Betriebserteilungsverfahren 2018 selbst vertreten; ihr sei weiterhin zuzustimmen. Andernfalls würde der die Leistungserbringung steuernde und verantwortende Träger überhaupt nicht mehr - also weder ordnungsrechtlich noch sozialleistungsrechtlich - geprüft und könnte eine Leistungserbringung unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgewährleistung vorgeben. Jedoch könne nur durch die Vorgaben und die Tätigkeit des Trägers das Kindeswohl in der Erziehungsstelle gewährleistet werden. Die Verneinung der Betriebserlaubnispflicht habe für den Antragsgegner daher deutliche, fiskalische Vorteile zulasten des Kindeswohls. Dies sei aber ein im Betriebserlaubnisverfahren sachwidriger Gesichtspunkt.
12
Der Antragsgegner verneine die Betriebserlaubnispflicht, weil die die Leistungserbringung nach den Kriterien des § 45 Abs. 2 und 3 SGB VIII steuernde Antragstellerin keine weitere betriebserlaubnispflichtige Einrichtung zwischengeschalten habe. Nach dem Begriffsverständnis des Antragsgegners wäre mithin erforderlich, dass es neben einem verantwortlichen Einrichtungsträger auch eine von ihm verantwortete betriebserlaubnispflichtige Einrichtung gebe, die wiederum eine familienähnliche Betreuungsform verantworte, gewissermaßen also eine steuernde betriebserlaubnispflichtige Einrichtung „Superplus“. Solche Einrichtungen gebe es in der Verwaltungspraxis bisher nicht und habe der Gesetzgeber auch nicht im Sinn gehabt. Nach dem Telos der Regelung, welche einzig in der Gewährleistung des Kindeswohls begründet sei, könne es für das Auslösen des präventiven Erlaubnisvorbehalts nur entscheidungserheblich sein, dass sich Kinder im Rahmen einer stationären Leistungserbringung in die Obhut eines steuernden und Vorgaben machenden Einrichtungsträgers begeben würden. Die förmliche Verbindung von familienähnlicher Betreuungsform und steuernder Einrichtung stelle letztlich die erlaubnispflichtige Einrichtung dar; die steuernde Einrichtung als solche (zum Beispiel der Träger) müsse nicht automatisch betriebserlaubnispflichtig sein. Dieses Verständnis ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung, konkret aus dem Verweis auf den Abschlussbericht „Mitreden - Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder und Jugendhilfe“. Die Zwischenschaltung einer Einrichtung, wie sie dem Antragsgegner vorschwebe, sei dem Kindeswohl nicht dienlich.
13
Aktuell sei bereits die vom Gesetzgeber nicht gewollte Rechtszersplitterung im Bundesgebiet im Gange, welches mit mehreren Anlagen (u.a. Schreiben verschiedener Landesjugendämter) belegt werde. Aufgrund der nicht gelungenen Neuregelung in §§ 45 ff. SGB VIII und einer hiermit verbundenen unterschiedlichen Auslegung in den Bundesländern sowie einer rechtlichen Unsicherheit in der Praxis sei eine Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung dringend erforderlich.
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Im Übrigen sei § 45a S. 2 SGB VIII auch deshalb nicht einschlägig, weil die in dieser Norm geforderte Abhängigkeit von bestimmten Kindern und Jugendlichen, den dort tätigen Personen und der Zuordnung bestimmter Kinder und Jugendlicher zu bestimmten dort tätigen Personen im streitgegenständlichen Fall nicht bestehe. In der Erziehungsstelle übernehme zwar … die Hauptbetreuungsaufgabe. Die fachliche Steuerung der Hilfe, die Qualitätssicherung und Hilfeplangestaltung erfolge aber durch Personal des Trägers. Es stehe im regelmäßigen Austausch mit … und reflektiere sowie überwache die Leistungserbringung. Für Krisenzeiten, bei Ausfall von …, sei der Einsatz einer zusätzlichen Fachkraft vorgesehen. Die Erziehungsverantwortung werde damit mehreren Personen übertragen, die auch wechseln könnten. Die Leistungserbringung sei ferner nicht dauerhaft an bestimmte feststehende Kinder gekoppelt. Unter Punkt 4 der Konzeption werde ausdrücklich auch auf die Möglichkeit der Kurzzeitunterbringung hingewiesen, die auch in der streitgegenständlichen Erziehungsstelle im Ausnahmefall möglich sei, obgleich hier im Regelfall die Kontinuität und Verbindlichkeit wesentliches Merkmal der Leistungserbringung sein solle. In der Erziehungsstelle würden primär Kinder und Jugendliche aufgenommen, die auf absehbare Zeit nicht mehr in ihre Herkunftsfamilien zurückkehren könnten. Es sei aber auch eine Aufnahme von Kindern für wenige Monate mit dem Ziel einer Rückführung in die Herkunftsfamilie oder der Vorbereitung der Erziehung in einer anderen Familie möglich (vgl. Nrn. 6, 9.4, 20 der Konzeption). Schließlich sei auch ein Wechsel zwischen den Betreuungsangeboten der Antragstellerin möglich, sofern es durch den Bedarf des jungen Menschen notwendig werde. Der Gesetzgeber wolle mit dem Kriterium der Abhängigkeit eine Abgrenzung zur Kindertagespflege nach § 43 SGB VIII und zur Vollzeitpflege nach § 44 SGB VIII vornehmen. Aufgrund des bisherigen Betriebs und der Konzeption sei offensichtlich, dass eine derartige Leistungserbringung hier jedoch nicht erfolgen solle.
15
Selbst wenn die Anwendbarkeit des § 45 SGB VIII verneint würde, wäre die Erziehungsstelle nach § 48a SGB VIII als betriebserlaubnispflichtig einzustufen. Eine solche Prüfung und Einstufung sei gemäß § 86 VwGO auch im hiesigen vorläufigen Rechtsschutzverfahren möglich. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners stehe eine fehlende Antragstellung nicht entgegen. Die Antragstellerin habe einen Antrag auf Erteilung einer Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII gestellt und nicht beantragt, dass der Antragsgegner ausschließlich prüfen möge, ob § 45a SGB VIII für einschlägig gehalten werde. Zudem habe die Behörde die Pflicht, nach § 16 Abs. 3 SGB I auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken. Der Antragsgegner sei in der Betriebserlaubnis aus dem Jahr 2018 davon ausgegangen, dass es sich um eine Erziehungsstelle nach § 34 SGB VIII handele, welche nach § 48a SGB VIII in die Betriebserlaubnispflicht einbezogen sei. Nun behaupte er hingegen, dass es sich um eine Leistungserbringung nach § 33 SGB VIII handle und daher die §§ 45 ff. SBG VIII nicht einschlägig seien. Maßgeblich für die mit § 48a SGB VIII angeordnete Erlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII sei die faktisch eingeschränkte Wahrnehmungsmöglichkeit der Erziehungsverantwortung durch die Eltern infolge der Tätigkeit eines Einrichtungsträgers. Nicht gefolgt werden könne daher auch der weiteren Argumentationslinie des Antragsgegners, wonach eine Betriebserlaubnispflicht auch hier die Voraussetzungen des § 45a S. 2 und 3 SGB VIII in dem von ihm verstandenen Sinn erfordere. Die Leistungserbringung erfolge nämlich auch hier in einem Einrichtungskontext, der ein erhöhtes Schutzbedürfnis bedenke und daher Betriebserlaubnispflicht auslöse. Hätte der Gesetzgeber dies anders gesehen, hätte er § 48a SGB VIII mit Art. 1 des KJSG ebenfalls neu gefasst. § 48a SGB VIII dehne auch weiterhin die Erlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII auf all jene Wohnungsangebote für Minderjährige aus, die selbst zwar keine betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen i.S.d. § 45a SGB VIII seien, in deren Zusammenhang gleichwohl ein Träger die Verantwortung für die Leistungserbringung übernehme.
16
Mit Schriftsatz vom 03.01.2022 beantragt der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
17
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel am Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses. Der Erlaubnisantrag sei nicht aus sachlich-fachlichen Gründen abgelehnt worden, sondern ausschließlich deshalb, weil die Erziehungsstelle als solche nicht erlaubnispflichtig sei. Die Antragstellerin könne mithin die Erziehungsstelle weiterhin und zwar nun erlaubnisfrei betreiben. Es fehle zudem an der erforderlichen Substantiierung der von ihr behaupteten wesentlichen, unzumutbaren Nachteile. Es bestehe auch nicht die Gefahr einer Untersagung sowie einer Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat, da die von der Antragstellerin genannten Vorschriften an eine Betriebserlaubnispflicht anknüpfen würden. Zur Ausräumung von Unsicherheiten bliebe es der Antragstellerin unbenommen, einen feststellenden Bescheid des Inhalts zu beantragen, dass der Betrieb der Erziehungsstelle keiner Erlaubnis bedürfe. Aus denselben Erwägungen ermangele es dem Antrag auch an einem Anordnungsgrund. Zudem mache die Antragstellerin selbst geltend, dass sie „problemlos“ eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung zwischenschalten, mithin die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnispflicht schaffen könne. Mit dem Antrag ziele die Antragstellerin letztlich nicht auf eine Erweiterung, sondern auf eine Einschränkung ihres Rechtskreises ab, indem sie sinngemäß geltend mache, sie dürfe ihr unternehmerisches Handeln nicht frei von einer hoheitlichen Gestattung ausüben. Es liege die Vermutung nahe, dass die Antragstellerin die Betriebserlaubnis allein deswegen begehre, weil sie dadurch im Rahmen ihres kommerziellen Geschäftsmodells in der Lage sei, mit der Entgeltkommission und den Jugendämtern Tagessätze für die in der Einrichtung erbrachten Leistungen auszuhandeln, während im Fall der Erlaubnisfreiheit lediglich die tatsächlichen und bewilligten Kosten vom Staat übernommen würden.
18
Die elektronische Behördenakte sei aufgrund einer fehlerhaften Exportfunktion nicht vollständig in das dem Gericht übermittelte Behördenakten-Exemplar exportiert worden. Der Softwarehersteller sei bereits informiert und arbeite an einer kurzfristigen Lösung. Da die nicht exportierten Unterlagen bereits von der Gegenseite vorgelegt worden seien, werde hier von einer nochmaligen Vorlage abgesehen.
19
Dem einstweiligen Rechtsschutzantrag bliebe auch deswegen der Erfolg verwehrt, weil ihm das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegenstehe. Denn bei einem Erfolg würde der Antragstellerin zwar nur zeitweilig, aber dennoch insoweit endgültig die Betriebserlaubnis erteilt. Die an einem solchen Fall zu stellenden besonders hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes lägen nicht vor.
20
Da die Erziehungsstelle keiner Erlaubnis durch die Heimaufsichtsbehörde bedürfe, sei insoweit lediglich die Schaffung einer Anschlussregelung für die Betreuung der Kinder in der Erziehungsstelle, etwa auf Grundlage der §§ 33, 44 SGB VIII erforderlich. Das örtlich zuständige Jugendamt müsste dann nur eine entsprechende Vereinbarung über die Zulassung der Pflegestelle abschließen. … sei früher im Besitz einer solchen Erlaubnis gewesen und eine entsprechende erneute Erlaubnis sei ihr bereits vom Jugendamt … angeboten bzw. in Aussicht gestellt worden. Die Zulassungsvoraussetzungen hierfür seien offensichtlich erfüllt. Das Jugendamt … habe bereits für das andere Kind eine entsprechende Vereinbarung mit der Antragstellerin bzw. … abgeschlossen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass auch in Fällen von Pflegefamilien eine umfassende Eignungsprüfung durch die Jugendämter unabhängig und losgelöst von der Einleitung einer konkreten kinder- und jugendhilferechtlichen Maßnahme erfolge, die im Falle der beabsichtigten Zuteilung eines Kindes dann „nur noch“ durch eine spezifische Einzelfallprüfung ergänzt werde.
21
Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass es sich um eine familienähnliche Betreuungsform i.S.d. § 45a S. 2 SGB VIII handle. Eine solche sei aber nur dann erlaubnispflichtig, wenn sie in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sei. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall und werde auch von der Antragstellerseite nicht behauptet. Die Antragstellerin betreibe in Oberfranken derzeit keine andere und im Übrigen auch keine erlaubnispflichtige Einrichtung, in der die Erziehungsstelle … eingebunden wäre. Dieses Subsumtionsergebnis sei aufgrund des eindeutigen Wortlaut des § 45a S. 2 SGB VIII an sich offenkundig. Die Antragstellerin versuche dies unter Heranziehung theologischer Erwägungen zum Kindeswohl wegzudiskutieren. Sie überschreitet damit aber die Grenze der Gesetzesauslegung, die im Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift bestehe und der richterlichen Rechtsfortbildung äußerst enge, verfassungsrechtlich determinierte Grenzen setze. Nicht gefolgt werden könne der Argumentation der Antragstellerin, dass ohne Betriebserlaubnispflicht das Kindeswohl gefährdet wäre, denn faktisch gehe bei Erlaubnisfreiheit lediglich die Zuständigkeit für die Gewährleistung des Kindeswohls von der Heimaufsicht, der Regierung von Oberfranken, auf das örtlich zuständige Jugendamt über. Die Gesetzesmaterialien gebe die Antragstellerin nur unvollständig wieder. Bei vollständiger Berücksichtigung ergebe sich aus ihnen unzweideutig, dass der Bundesgesetzgeber eine bewusste Entscheidung dahingehend getroffen habe, familienähnliche Betreuungsformen nicht mehr dem Genehmigungsvorbehalt nach § 45 ff. SGB VIII unterfallen zu lassen, wenn sie nicht in eine übergeordnete ihrerseits betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden seien. Es gebe sehr wohl in Oberfranken Erziehungsstellen, die in eine andere erlaubnispflichtige Einrichtung (zum Beispiel eine Wohngruppe) eingebunden seien und die auch nach neuer Rechtslage als Einrichtungen selbst betriebserlaubnispflichtig seien. Zudem entspreche das Auslegungsergebnis des Antragsgegners mittlerweile allgemeiner Ansicht, wie durch Vorlage verschiedener Stellungnahmen und Schreiben nachgewiesen werde.
22
Der Antragstellerin sei auch darin zu widersprechen, dass der Bestand der Verbindung unabhängig von bestimmten Kindern und Jugendlichen, den dort tätigen Personen und der Zuordnung bestimmter Kinder und Jugendlicher zu bestimmten dort tätigen Personen sei. … betreue die Kinder allein in ihrer privaten Wohnung und ohne jegliche Trennung von Beruf und Privatleben rund um die Uhr. Warum dies keine familienähnliche Betreuungsform seien solle, erhelle sich nicht. Es gebe mit … in der Erziehungsstelle nur eine Person, die umfassende Erziehungs- und Betreuungsaufgaben wahrnehme. Hieran ändere auch ein Aufsuchen des Fachdienstes o.ä. nichts. Solche Leistungen würden nämlich völlig unabhängig von der Betreuung in der Erziehungsstelle auch in Pflege- oder Herkunftsfamilien erbracht, ohne dass dadurch Erziehungsverantwortung in erheblichem Umfang abgegeben werde. Selbst wenn Teile der Erziehungsverantwortung durch dritte Personen geleistet würden, wäre dies für die hier in Rede stehende Frage unerheblich, weil dies auch in Pflegefamilien mit abhängiger Verbindung der Fall sei bzw. sein könne. So könnten auch Pflegefamilien ambulante (Erziehungsbeistandschaft gemäß § 30 SGB VIII) oder gar teilstationäre Hilfen (Erziehungshilfe in Tagesgruppen gemäß § 32 SGB VIII) zur Erziehung bzw. Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen, wodurch teilweise Erziehungsverantwortung in Kernbetreuungszeiten ausgelagert werde.
23
Auch der Hinweis auf eine Betriebserlaubnispflicht i.S.d. § 48a SGB VIII verfange nicht. Ein entsprechender Antrag sei bisher nicht gestellt worden. Zudem bestehe auch nach dieser Norm aller Wahrscheinlichkeit nach keine Erlaubnispflicht der hier in Rede stehenden Erziehungsstelle. Die mit § 45a S. 2 und 3 SGB VIII eingetretene Rechtsänderung sei nämlich auch im Kontext des § 48a SGB VIII zu berücksichtigen. Denn diese Norm verweise auch auf die §§ 45, 45a SGB VIII, welche die streitgegenständliche Erziehungsstelle gerade von der Erlaubnispflicht ausnehmen würden. Würde man den neuen Einrichtungsbegriff des § 45a SGB VIII i.R.d. § 48a SGB VIII ausblenden, wie die Antragstellerin meine, würde die von § 45a SGB VIII bezweckte Rechtsänderung ausgehebelt und ad absurdum geführt. Dann hätte der Gesetzgeber die Einrichtung zwar aus der Erlaubnispflicht nach §§ 45 ff. SGB VIII befreit, aber sie würde dann über § 48a SGB VIII als Auffangvorschrift unabhängig von der Erfüllung des Einrichtungsbegriffs erlaubnispflichtig werden. § 48a SGB VIII diene vor allem der Erfassung von Maßnahmen, die außerhalb der klassischen Heimerziehung lägen, wie beispielsweise das betreute Wohnen. Nachdem aber spezifisch für familienähnliche Betreuungsformen in § 45a Satz 2 und 3 SGB VIII eine Sonderregelung getroffen worden sei, gehe diese der Auffangvorschrift des § 48a SGB VIII vor.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
25
Der zulässige einstweilige Rechtsschutzantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
26
1. Der Antrag ist zulässig. Statthafter Rechtsbehelf ist eine Regelungsanordnung i.S.d. § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO, mit der ein möglicherweise bestehender Anspruch auf Betriebserlaubnis gem. § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SBG VIII, eventuell i.V.m. § 48a SGB VIII, verfolgt wird (Anordnungsanspruch). Ausgehend vom Vortrag der Antragstellerin erscheint es insbesondere nicht völlig unmöglich, dass ihr relevante Nachteile bis zur Entscheidung in der Hauptsache entstehen (Anordnungsgrund).
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2. Der vorliegende Antrag ist jedoch nicht begründet, da die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch (a.) noch einen Anordnungsgrund (b.) glaubhaft gemacht hat.
28
Gem. § 123 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern die Maßnahme unerlässlich erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Beide Arten einer vorläufigen Anordnung setzen ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten streitbefangenen Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist von der Antragspartei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), wobei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend sind. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und von der Antragspartei glaubhaft gemachten Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Antragspartei unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 123 Rn. 26 m.w.N.).
29
a. Ausgehend von diesen Grundsätzen fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, weil nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass die mit der Hauptsache erstrebte (geänderte) Betriebserlaubnis für die Erziehungsstelle … zu erteilen ist. Die Erziehungsstelle ist auf Grundlage der aktuellen Gesetzeslage, insbesondere dem neuen § 45a S. 2 und 3 SGB VIII, allem Anschein nach nicht erlaubnispflichtig.
30
aa. Die Antragstellerin hat hinsichtlich der Erziehungsstelle …, wie sie gemäß der Antragstellung einschließlich des Konzepts mit Stand 01.10.2021 ausgestaltet ist, höchstwahrscheinlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Betriebserlaubnis i.S.d. § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SBG VIII.
31
Es fehlt allem Anschein nach an einer erlaubnispflichtigen Einrichtung i.S.d. § 45a SGB VIII, der mit Gesetz vom 03.06.2021 mit Wirkung zum 10.06.2021 ins Achte Buch Sozialgesetzbuch eingefügt wurde. Nach Satz 1 dieser Norm ist eine Einrichtung „eine auf gewisse Dauer und unter der Verantwortung eines Trägers angelegte förmliche Verbindung ortsgebundener räumlicher, personeller und sachlicher Mittel mit dem Zweck der ganztägigen oder über einen Teil des Tages erfolgenden Betreuung oder Unterkunftsgewährung sowie Beaufsichtigung, Erziehung, Bildung, Ausbildung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer Familie“. Diese Voraussetzungen sind hier zwar unstreitig erfüllt, aber es greift vermutlich die Ausnahme des § 45a S. 2 SGB VIII. Dieser bestimmt für „familienähnliche Betreuungsformen der Unterbringung, bei denen der Bestand der Verbindung nicht unabhängig von bestimmten Kindern und Jugendlichen, den dort tätigen Personen und der Zuordnung bestimmter Kinder und Jugendlicher zu bestimmten dort tätigen Personen ist“, dass sie nur dann Einrichtungen sind, „wenn sie fachlich und organisatorisch in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung eingebunden sind.“
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(1.) Eine familienähnliche Betreuungsform einschließlich der in § 45a S. 2 SGB VIII beschriebenen Abhängigkeit liegt allem Anschein nach vor.
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Dass es sich bei der Erziehungsstelle … um eine familienähnlichen Betreuungsform handelt, ist augenscheinlich und auch nicht strittig. Von der Antragstellerin bestritten wird jedoch erstmals in der Replik vom 12.01.2022 die in § 45a S. 2 SGB VIII geforderte Abhängigkeit, die sich vor allem darin ausdrückt, „dass die dort tätigen Personen (dauerhaft) bestimmten Kindern und Jugendlichen zugeordnet sind“ (BT-Drs. 19/26107, S. 102). Eine solche Abhängigkeit liegt hier höchstwahrscheinlich vor. Gemäß dem vorgelegten Konzept betreut … die Kinder rund um die Uhr und grundsätzlich allein sowie direkt in ihrem eigenen, privaten Wohn- und Lebensumfeld. Sie lebt „den Alltag mit den jungen Menschen, die so eine konstante Bezugsperson rund um die Uhr zur Verfügung haben und in einem persönlich geprägten Umfeld ihren Lebensmittelpunkt in enger Auseinandersetzung“ mit ihr einrichten (Konzept Nr. 4, S. 432 BA). In die Erziehungsstelle aufgenommen werden können Kinder, die nicht mehr oder für einen Zeitraum nicht mehr in ihre Herkunftsfamilien leben können, bis zur Volljährigkeit oder nach dem erzieherischen Bedarf im Rahmen einer Schul- oder Berufsausbildung auch länger (Konzept Nr. 20, S. 456 f. BA). Dass bei einem temporären Ausfall von … eine zusätzliche Fachkraft die Betreuung übernimmt, steht der „Abhängigkeit“ nicht entgegen, da dies nach der Konzeption der Ausnahmefall ist, was sich schon daran zeigt, dass die zusätzliche Fachkraft die Betreuung in der privaten Wohnung von … übernimmt und ihr zum Übernachten zwar ein Bett zur Verfügung steht, aber für sie kein eigener Schlafraum vorgehalten wird (vgl. S. 376 f. BA). Ebenfalls ist für die Abhängigkeit unschädlich, dass die Antragstellerin begleitende Leistungen, insbesondere die Steuerung und Überwachung der Hilfe, die Qualitätssicherung und die Hilfeplangestaltung, erbringt. Derartige Tätigkeiten sind gerade typische Leistungen eines Trägers oder einer anderen übergeordneten Einheit. Die Erziehungsverantwortung bleibt im Wesentlichen bei … Im Übrigen zeigt sich u.a. an §§ 30, 32 SGB VIII, dass die Abgabe der Erziehungsverantwortung bis zu einem gewissen Grad unbeachtlich ist.
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(2.) Eine fachliche und organisatorische Einbindung der Erziehungsstelle … in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung (sog. „Einrichtungskontext“) besteht hingegen höchstwahrscheinlich nicht.
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Die Antragstellerin als Träger der Erziehungsstelle …, in die letztere unmittelbar eingebunden ist, ist keine „betriebserlaubnispflichtige Einrichtung“ i.S.d. § 45a S. 2 und 3 SGB VIII. Es gibt zwar durchaus einzelne telelogische Erwägungen für die gegenteilige Ansicht der Antragstellerin, wonach ein Träger ohne weiteren übergeordneten Träger „betriebserlaubnispflichtige Einrichtung“ sein kann. Insbesondere der Gesetzeswortlaut, die Historie und die Systematik des § 45a SGB VIII sprechen aber insgesamt eindeutig dafür, dass die familienähnliche Betreuungsform in eine Einrichtung eingebunden sein muss, die ihrerseits erlaubnispflichtig ist und einen Träger hat. Für dieses vom Antragsgegner vertretene Normverständnis bestehen auch nachvollziehbare teleologische Gründe.
Im Einzelnen:
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§ 45a S. 1 SGB VIII definiert eine Einrichtung als eine auf gewisse Dauer und unter der Verantwortung eines Trägers angelegte förmliche Verbindung. Der Einrichtungsbegriff setzt also einen übergeordneten Träger voraus. Dass die Begriffe „Einrichtung“ und „Träger“ nicht gleichgesetzt werden können, ergibt sich auch daraus, dass § 45a SGB VIII beide Begriffe verwendet und sie nicht synonym versteht, sowie aus den in den Gesetzesmaterialien in Bezug genommenen Unterlagen, die klar zwischen diesen Begriffen unterscheiden (vgl. BT-Drs. 19/26107, S. 102 mit Verweis auf BAGLJÄ, Fachliche Empfehlungen nach §§ 45 ff. SGB VIII für individualpädagogische Betreuungsstellen, Erziehungsstellen, Projektstellen, sozialpädagogische Lebensgemeinschaften u.ä., 109. Arbeitstagung, 2010, S. 2 Nr. 2; BAGLJÄ, Hilfe zur Erziehung in Pflegefamilien und in familienähnlichen Formen, 93. Arbeitstagung, 2002, S. 14, Nr. 5.1). Zudem käme andernfalls dem § 45a S. 4 SGB VIII, der es ermöglicht, durch Landesrecht nicht in eine erlaubnispflichtige Einrichtung eingebundene familienähnliche Betreuungsformen einer Erlaubnispflicht zu unterwerfen, kein relevanter Anwendungsbereich zu. Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass gerade den Ländern überlassen werden sollte, die vorliegende Konstellation erlaubnispflichtig zu machen (BT-Drs. 19/26107, S. 103 und S. 102 letzter Absatz), wenngleich dort nicht ausdrücklich die vorliegende, konkrete Frage erörtert wurde. Der „Einrichtungskontext“ im hier verstandenen Sinn wird außerdem durch den Sinn und Zweck der Norm gestützt: Die „durch Inhomogenität und regionale Disparitäten“ geprägte Praxis (BT-Drs. 19/27481, S. 51) sollte mit der erstmaligen Normierung des Einrichtungsbegriffs auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und vereinheitlicht werden. Dabei hat der Bundesgesetzgeber familienähnliche Betreuungsformen nur in engen Grenzen der Erlaubnispflicht unterwerfen (so wohl auch Busse in Luthe/Nellissen, juris-PK-SGB VIII, Stand 07.01.2022, § 45a Rn. 31), den bestehenden Gegebenheiten aber durch eine landesrechtliche Öffnungsklausel Rechnung tragen wollen. Die Einführung derartiger Landesrechtsvorbehalte in den Sozialgesetzbüchern ist gerade in jüngerer Zeit eine übliche Regelungssystematik (z.B. § 128 Abs. 1 Satz 7 SGB IX, § 46 Abs. 5 Satz 4 SGB IX, § 118 Abs. 2 SGB IX, § 131 Abs. 2 SGB IX, 27b Abs. 4 Satz 1 SGB XII, § 78 Abs. 1 Satz 7 SGB XII, § 80 Abs. 2 SGB XII, § 81 Abs. 5 SGB XII). Einen dadurch in Einzelfragen ermöglichten föderalen „Flickenteppich“ (BT-Drs. 19/27481, S. 18) hat der Gesetzgeber zugunsten einer bundeseinheitlichen Grundausrichtung bewusst in Kauf genommen. Überdies würde eine Auslegung, wie sie die Antragstellerin vertritt, erhebliche fiskalische Auswirkungen haben und eine Abgrenzung von Hilfen gem. § 33 SGB VIII und § 34 SGB VIII erschweren (vgl. ZBFS, E-Mail vom 10.12.2021, Bl. 61 GA), obwohl der KJSG-Gesetzgeber gerade hier eine bessere Unterscheidung bezweckte (vgl. BT-Drs. 19/27481, S. 51). Nicht unberücksichtigt bleiben darf überdies, dass gemäß § 45a SGB VIII familienähnliche Betreuungsformen grundsätzlich nicht erlaubnispflichtig sein sollen (so auch BT-Drs. 19/26107, S. 102 vorletzter Absatz) und Ausnahmen hiervon nach den allgemein anerkannten juristischen Auslegungsprinzipien eng auszulegen sind.
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Einzelne Gegenargumente der Antragstellerin mögen durchaus für eine Erlaubnispflicht der hier in Rede stehenden Konstellation sprechen. Vor allem angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts und der klaren gesetzgeberischen Intention kann ihnen jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden und damit auch nicht von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgegangen werden. Soweit die Antragstellerin in erster Linie darauf abstellt, dass es primäres Ziel des KJSG-Gesetzgebers gewesen sei, den Kinderschutz zu stärken und nicht zu schwächen, mithin die Kontrollmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden sollten, was aber passieren würde, wenn Erziehungsstellen keiner Erlaubnis nach § 45a SGB VIII bedürften, ist entgegenzuhalten, dass die jeweilige Erziehungsstelle dann durch das örtliche Jugendamt eine ausreichende Kontrolle erfährt, wie der Antragsgegner zu Recht dargelegt hat. Solche Erziehungsstellen dürften höchstwahrscheinlich Pflegestellen sein, die nach §§ 33, 44 SGB VIII erlaubnispflichtig sind (vgl. BT-Drs. 19/26107, S. 103; Busse in Luthe/Nellissen, jurisPK-SGB VIII, Stand 07.01.2022, § 45a Rn. 28; KVJS BW, Schreiben vom 07.12.2021, S. 2, Bl. 67 GA). Aber selbst wenn in Einzelfällen keine solche Erlaubnispflicht bestehen sollte, haben die örtlichen Jugendämter ein ausreichendes Kontrollinstrumentarium, um auch in diesen Fallgestaltungen die Gewährleistung des Kindeswohls hinreichend zu überwachen. Hier ist u.a. an die mit dem Gesetz vom 03.06.2021 neu gefassten bzw. eingefügten §§ 37, 37a-c SGB VIII zu denken. Gewisse Unterschiede im jeweiligen Prüfungs- bzw. Kontrollumfang sind den unterschiedlichen Betreuungsformen geschuldet. Es ist nicht ersichtlich, wie der Kinderschutz dadurch ernsthaft gefährdet würde (so auch ZBFS, E-Mail vom 10.12.2021, Bl. 61 f. GA). Dass die Überwachung in den letztgenannten Fällen nicht durch die Bezirksregierung, sondern das örtlich zuständige Jugendamt erfolgt, ist aufgrund des Umstands, dass es sich um einzelne lokale Pflegestellen oder ähnliche Institutionen, nicht jedoch um ein Netz von Erziehungsstellen wie bei §§ 45, 45a S. 2 SGB VIII handelt, nachvollziehbar und begründet ebenfalls keine Gefahr für das Kindeswohl. Auch aus dem Abschlussbericht „Mitreden - Mitgestalten. Die Zukunft der Kinder und Jugendhilfe“ lässt sich, entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht schließen, dass der Gesetzgeber keine Einrichtung „Superplus“ wollte.
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Aufgrund der obigen Ausführungen verwundert es auch nicht, dass Literatur und Praxis das hier vertretene Auslegungsergebnis weithin teilen (vgl. Meysen/Smessaert in Meysen/Lohse u.a., Das neue KJSG, 2022, Kap. 9 Rn. 9, 12, 14, Bl. 116 ff. GA; ZBFS, E-Mail vom 10.12.2021, Bl. 59 ff. GA; LWL-Landesjugendamt Westfalen, Informationsschreiben vom 21.12.2021, Bl. 106 f. GA; entsprechende landesrechtliche Regelung plant: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, Schreiben vom 9.11.2021, Bl. 64 f. GA).
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bb. Ein Anspruch auf eine (geänderte) Betriebserlaubnis für die Erziehungsstelle … ergibt sich höchstwahrscheinlich auch nicht aus § 48a SGB VIII.
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Die Erziehungsstelle ist nämlich allem Anschein nach auch nicht gem. § 48a SGB VIII erlaubnispflichtig. Die Norm ist eine Auffangvorschrift für „sonstige Wohnformen, in denen Kinder oder Jugendliche betreut werden oder Unterkunft erhalten“ und ordnet mit ihrem Absatz 1 an, dass für diese die §§ 45 bis 48 SGB VIII entsprechend gelten. Absatz 2 bestimmt, dass sonstige Wohnformen, die organisatorisch mit einer Einrichtung verbunden sind, als Teil der Einrichtung gelten. Zwar blieb § 48a SGB VIII durch das Gesetz vom 03.06.2021 unverändert, dennoch ist nicht ernsthaft in Abrede zu stellen, dass die Verweisung auch den neu ins Gesetz aufgenommenen § 45a SGB VIII umfasst. Neben Wortlaut, Systematik und Telos des § 48a SGB VIII spricht insbesondere auch der Umstand, dass andernfalls die von § 45a bezweckte Schärfung des Einrichtungsbegriffs für sonstige Wohnformen ohne ersichtlichen Grund leerlaufen würde, für eine Anwendbarkeit des § 45a SGB VIII. Hierfür votiert im Ergebnis auch die Kommentarliteratur. So meinen Kepert/Dexheimer/Nonninger (in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 8. Aufl. 2022, § 48a Rn. 6): „Infolge Rechtsänderung durch Art. 1 des KJSG und Neunormierung des § 45a sind insbesondere auch die in § 45a S. 2 und 3 enthaltenen Regelungen für familienähnliche Betreuungsformen zu beachten“. Fehlt der Erziehungsstelle … nach dem oben Gesagten für eine Erlaubnispflicht der Einrichtungskontext i.S.d. § 45a S. 2 und 3 SGB VIII, hat dies demnach auch zu gelten, sofern man sie als „sonstige Wohnform“ i.S.d. § 48a SGB VIII qualifiziert. Auch etwaige Besonderheiten der hier in Rede stehenden „sonstigen Wohnform“ rechtfertigen keine Abweichung von der Anwendung des § 45a SGB VIII.
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cc. Soweit die Antragsgegnerin die Ablehnung im Bescheid vom 09.12.2021 zusätzlich auf formale Mängel stützt, konkret darauf, dass bei einem Umzug die Änderung der bestehenden Betriebserlaubnis ausscheide, für die Erteilung einer neuen Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII am Standort … die vorgelegten Unterlagen nicht ausgereicht hätten und eine Betriebserlaubnis nach §§ 48a, 45 SGB VIII nicht beantragt worden sei, braucht das Gericht dem nicht näher nachzugehen, weil nach oben Gesagtem mit hoher Wahrscheinlichkeit die materiellen Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen, es somit auf etwaige zusätzliche formale Unzulänglichkeiten der Antragstellung nicht ankommt.
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dd. Soweit die Antragstellerin die Vollständigkeit der vorgelegten Behördenakte bemängelt und deshalb anzweifelt, dass eine (ausreichende) Sachverhaltsermittlung und/oder Entscheidungsfindung stattgefunden hat, sowie daraus ableiten will, dass es an einem rechtsstaatlichen Verfahren ermangelt hat, ist dieser Vortrag im hiesigen Verfahren bereits deshalb unbeachtlich, weil es sich in der Hauptsache nicht um eine Anfechtungssondern Verpflichtungsklage handelt. Die Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung liegen höchstwahrscheinlich nicht vor (s.o.); dieses Defizit kann nicht durch etwaige Fehler in der Sachverhaltsermittlung und/oder Entscheidungsfindung „wettgemacht“ werden. Im Übrigen handelt es sich beim streitgegenständlichen Anspruch aus § 45 bzw. §§ 48a, 45 SGB VIII um eine gebundene Entscheidung. Es gibt mithin nur ein materiell richtiges Ergebnis, sodass etwaige Ermessensfehler nicht von Relevanz sind und ein Anspruch auf Neubescheidung als „Minus“ zum begehrten Erteilungsanspruch in der Hauptsache ausscheidet.
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b. Auch einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.
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Die begehrte Regelung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht notwendig. Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (BayVGH, B.v. 26.11.1993 - 12 CE 93.3058 - juris Rn. 18). Wesentliche Nachteile sind neben der Gefahr der Vereitelung des Rechts sonstige wesentliche rechtliche, wirtschaftliche (z.B. Verlust einer öffentlichen Förderung) oder ideelle Nachteile, die die Antragstellerin in Kauf nehmen müsste, wenn sie ihr Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 23). Solche Nachteile für die Antragstellerin sind im hier vorliegenden Fall nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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aa. Soweit die Antragstellerin die Gefahr der Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat nach §§ 104 f. SGB VIII bei Weiterbetrieb der Erziehungsstelle ohne Erlaubnis i.S.d. §§ 45, 45a SGB VIII (i.V.m. § 48a SGB VIII) sieht, begründet dies keinen Anordnungsgrund. Sowohl nach Ansicht der Antragsgegnerin als auch nach Ansicht des hiesigen Gerichts bedarf die Erziehungsstelle … nämlich keiner solchen Erlaubnis (s.o.). Zur Erlaubnisfreiheit existiert zwar noch keine gefestigte Rechtsprechung, sodass insoweit eine gewisse Rechtsunsicherheit verbleibt. Diese könnte die Antragstellerin aber leichter als durch einen einstweiligen Rechtsschutzantrag dadurch beseitigen, dass sie die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Ablehnungsbescheids bestandskräftig werden lässt. Dann wäre für die Erziehungsstelle … verbindlich geklärt, dass sie erlaubnisfrei ist. Die Wirkung der Bestandskraft und deren daraus resultierende Bindungswirkung erstrecken sich nämlich nicht nur auf den Entscheidungstenor, sondern auch auf die hierfür tragenden Gründe (vgl. OLG Bamberg, B.v. 28.2.2014 - 2 Ss 99/13 - juris Rn. 17; FG München, U.v. 25.4.1991 - 15 K 15097/86 - juris Rn. 67).
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Dieser Würdigung steht auch nicht der von der Antragstellerin zitierte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24.07.2017 (Az. 12 CE 17.704, juris Rn. 53) entgegen. Er betrifft nämlich einen anderen, nicht vergleichbaren Fall. Zum einen war der Erlaubnisantrag dort von der Behörde bislang nicht verbeschieden worden. Zum anderen ging sie im dortigen Verfahren von einer Erlaubnispflicht der streitgegenständlichen Einrichtung aus.
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Obige Erwägungen gelten entsprechen für die Gefahr der Untersagung des Betriebs gemäß Art. 46 AGSG. Zudem besteht diesbezüglich schon gar keine Rechtsunsicherheit, weil die Regierung von Oberfranken für die Untersagung zuständig ist. Sie hat sich jedoch im Ablehnungsbescheid und dem hiesigen Prozess klar gegen eine Erlaubnispflicht ausgesprochen.
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bb. Soweit die Antragstellerin vorträgt, mit dem Betrieb der Einrichtung seien laufende Sach- und Personalkosten verbunden, die sie nicht bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens schultern könne und weitere Verluste würden dadurch entstehen, dass sie die Leistungserbringung in der Erziehungsstelle beenden müsste, verkennt sie, dass sie die Einrichtung aufgrund der Gesetzesänderung nun ohne Erlaubnis nach §§ 45, 45a SGB VIII (i.V.m. § 48a SGB VIII) betreiben kann, sie also an einem Weiterbetrieb rechtlich nicht gehindert ist. Die stattdessen vermutlich nach §§ 33, 44 SGB VIII erforderliche Erlaubnis kann, wie der Antragsgegner nachvollziehbar vorgetragen hat, … vermutlich erteilt werden. Dem hat die Antragstellerin weder dezidiert widersprochen noch vorgetragen, dass eine entsprechende Erlaubnis überhaupt beantragt worden sei.
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Sofern die Antragstellerin mit dem Verweis auf finanzielle Verluste meinen sollte, dass der Weiterbetrieb der Erziehungsstelle ohne Erlaubnis eine geringere Vergütung nach sich zöge, so hat sie hierzu nichts Substantielles vorgetragen. Das Gericht kann daher nicht beurteilen, ob und ggf. wie stark Verluste auflaufen werden und wie drängend die Sache damit wäre.
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cc. Im Übrigen sei angemerkt, dass eine Eilbedürftigkeit auch deshalb ausscheidet, weil die Antragstellerin selbst erklärt hat, dass sie „problemlos“ zwischen Träger und Erziehungsstelle eine erlaubnispflichtige Einrichtung schalten könnte, wenn so der Erlaubnispflicht genüge getan werden müsste (Antragsschrift vom 20.12.2021, S. 14, Bl. 14 GA). Mithin könnte sie zumindest auf diesem Wege etwaigen, erheblichen negative Auswirkungen vorbeugen und damit die Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache (weitgehend) schadlos überbrücken.
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Für das Gericht drängt sich daher der Verdacht auf, dass die Antragstellerin das hiesige einstweilige Rechtsschutzverfahren „missbraucht“, um die Frage der Erlaubnispflicht von familienähnlichen Betreuungsformen, die sie deutschlandweit betreibt, schnell und kostengünstig zu klären. Dies ist aber nicht der eigentliche Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
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Ob die Eilbedürftigkeit auch deshalb ausscheidet, weil die Antragstellerin einen feststellenden Bescheid zur Frage der Erlaubnispflicht bei der Regierung von Oberfranken hätte beantragen können, wie der Antragsgegner meint, ist demnach nicht mehr von Relevanz.
53
c. Ob der einstweilige Rechtsschutzantrag auch deshalb unbegründet ist, weil er die Hautsache zumindest teilweise vorwegnimmt, kann aufgrund der fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs sowie -grundes letztlich offenbleiben. Vieles spricht jedoch dafür, dass die hier begehrte Erteilung der Betriebserlaubnis bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Letztere temporär vorwegnimmt (vgl. OVG SL, B.v. 24.11.2021 - 2 B 218/21 - juris Rn. 11). Der von der Antragstellerin dagegen angeführte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24.07.2017 (Az. 12 CE 17.704 - juris Rn. 54) bezieht sich nämlich nur auf die vorläufige Erteilung einer Betriebserlaubnis bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Erlaubnisantrag. Dem folgend wäre die Vorwegnahme der Hauptsache hier unzulässig, weil sie aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nur zu rechtfertigen wäre, wenn die dann an Anordnungsanspruch und -grund zu stellenden qualifizierten Anforderungen eingehalten wären (OVG SL, a.a.O.), was vorliegend nicht gegeben ist (s.o.).
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3. Als Unterlegene hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 188 S. 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.