OLG München, Beschluss v. 27.05.2022 – 11 W 239/22
Titel:
Kürzung der Sachverständigenvergütung – fehlender Hinweis auf Mehrkosten
Normenketten:
ZPO § 407a Abs. 4 S. 2
JVEG § 8a Abs. 4
Leitsatz:
Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger ist verpflichtet, dem Gericht einen Hinweis zu geben, wenn voraussichtlich Kosten erwachsen, die einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen. Unterlässt er dies, so ist seine Vergütung grundsätzlich auf die Höhe des Auslagenvorschusses zu kürzen – unabhängig davon, ob auch bei rechtzeitigem Hinweis des Sachverständigen mit einer Fortführung des Gutachtensauftrages zu rechnen gewesen wäre. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sachverständiger, Vergütung, Kürzung, fehlender Hinweis, Mehrkosten
Vorinstanz:
LG Landshut, Beschluss vom 07.02.2022 – 75 O 3581/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38408
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Das Landgericht Landshut zog im Zivilverfahren 75 O 3581/20 mit Beweisbeschluss vom 15.04.2021 den Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) R. K. zur Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens heran. Entsprechend dem Beweisbeschluss zahlten hierfür die Parteien als Auslagenvorschuss jeweils ein Betrag von 2.500,00 €, zusammen also ein Betrag von 5.000,00 €, bei Gericht ein. Im Zuge der Auftragserteilung wurde der gerichtlich bestellte Sachverständige über die Hinweispflichten nach § 8a Abs. 4 JVEG und den Folgen einer Verletzung selbiger belehrt. Darüber hinaus wurde dem Sachverständigen auch die Höhe des einbezahlten Auslagenvorschusses mitgeteilt.
2
Nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist wurde dem Sachverständigen mit Beschlüssen vom 30.08.2021, 28.09.2021 und 10.11.2021 jeweils eine Nachfrist gemäß § 411 Abs. 1 ZPO bis 20.09.2021, dann bis 29.10.2021 und zuletzt bis 31.12.2021 gesetzt.
3
Am 23.12.2021 ging das Gutachten des Sachverständigen vom 21.12.2021 nebst einer Kostenrechnung vom selben Tag (Rechnung Nr. …110) über einen Betrag von 8.328,26 € (brutto) bei Gericht ein.
4
Mit Verfügung vom 27.12.2021 wies das Landgericht den Sachverständigen darauf hin, dass aufgrund des Umstandes, dass der Sachverständige nicht rechtzeitig auf die erhebliche Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses hingewiesen habe, die Sachverständigenvergütung auf die Höhe des Auslagenvorschusses, also auf 5.000,00 €, zu begrenzen sei.
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Zu dem Hinweis nahm der Sachverständige mit Schreiben vom 12.01.2022 Stellung und führte darin im Einzelnen aus, warum sich die Ausarbeitung des Gutachtens deutlich aufwändiger als zunächst angenommen gestaltet habe. Die Kostenüberschreitung sei erst im Rahmen der Ausarbeitung erkennbar gewesen. Das Gericht habe ihm unter Androhung von Ordnungsgeld und Auftragsentzug eine extrem knappe Nachfrist zur Erstellung des Gutachtens gesetzt. Um den Abgabetermin nicht zu gefährden, habe er die Arbeiten an dem Gutachten bei Erreichen des Vorschussvolumens zur Ankündigung der Mehrkosten nicht unterbrechen wollen. Ein rechtzeitiger Hinweis auf die Mehrkosten sei deshalb aufgrund der extrem knapp gesetzten Termine nicht möglich gewesen. Die Kostenforderung in Höhe von 8.328,26 € sei berechtigt.
6
Das Landgericht Landshut setzte mit Beschluss des Einzelrichters vom 07.02.2022 die Vergütung des Dipl.-Ing. (FH) R. K. für das Gutachten vom 21.12.2021 gemäß § 4 Abs. 1 JVEG auf 5.000,00 € fest. Die Sachverständigenvergütung wurde wegen schuldhaften Verstoßes gegen die Hinweispflichten im Hinblick auf die erhebliche Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses gemäß §§ 8a Abs. 4 JVEG, 407a Abs. 4 S.2 ZPO auf die Höhe des Auslagenvorschusses von 5.000,00 € festgesetzt. Von extrem knappen Fristen könne hier nicht die Rede sein, nachdem der Sachverständige seinerseits die Fristen jeweils hat verstreichen lassen bevor überhaupt ein Ortstermin angesetzt worden sei. Es falle in den Verantwortungsbereich des Sachverständigen, dass er es verabsäumt habe selbst rechtzeitig um angemessene Fristverlängerungen nachzusuchen.
7
Gegen den Festsetzungsbeschluss vom 07.02.2022 legte der Sachverständige mit Schreiben vom 25.02.2022 Beschwerde ein. Nachdem nur ein Teil des Gutachtens bezahlt worden sei, beanspruche er die Nutzungs- und Verwertungsrechte in Bezug auf den nicht bezahlten Anteil. Durch die Nutzung des Gutachtens liege eine ungerechtfertigte Bereicherung vor.
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Der Beschwerde des Sachverständigen half das Landgericht Landshut mit Einzelrichterbeschluss vom 28.02.2022 nicht ab und legte die Akten zur Beschwerdeentscheidung dem Oberlandesgericht München vor.
II.
9
Die nicht fristgebundene Beschwerde des beschwerdeberechtigten Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) R. K. ist nach § 4 Abs. 3 JVEG zulässig.
10
Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die durch den Beschluss des Landgerichts München I vom 07.02.2022 vorgenommen Festsetzung der Sachverständigenvergütung für das Gutachten vom 21.12.2021 gemäß § 4 Abs. 1 JVEG auf 5.000,00 € ist nicht zu beanstanden.
11
1. Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger ist nach § 407a Abs. 3 S.2 ZPO a.F. sowie nach der wortgleichen, seit 15.10.2016 gültigen Fassung, des § 407a Abs. 4 S.2 ZPO verpflichtet, dem Gericht einen Hinweis zu geben, wenn voraussichtlich Kosten erwachsen, die einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen. Unterlässt der Sachverständige den ihm danach obliegenden rechtzeitigen Hinweis, ist seine Vergütung grundsätzlich gemäß § 8a Abs. 4 JVEG auf die Höhe des Auslagenvorschusses zu kürzen - unabhängig davon, ob auch bei rechtzeitigem Hinweis des Sachverständigen mit einer Fortführung des Gutachtensauftrages zu rechnen gewesen wäre.
12
Dies entspricht der seit der Neufassung des § 8a Abs. 4 JVEG zum 01.08.2013 ständigen Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 25.01.2016 - 11 W 79/16, vom 16.02.2016 - 11 W 2446/15, vom 09.11.2017 - 11 W 1650/17 und vom 08.08.2018 - 11 W 787/18).
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a) Voraussetzung für die Anwendung des § 8a Abs. 4 JVEG ist damit grundsätzlich eine erhebliche Überschreitung des einverlangten Auslagenvorschusses, wobei der Gesetzeswortlaut keinen festen Prozentsatz für die Erheblichkeitsschwelle vorgibt. Die Mehrforderung des Sachverständigen ist vorliegend erheblich: Der Abrechnungsbetrag von 8.328,26 € (brutto) übersteigt den Vorschussbetrag von 5.000,00 € um etwa 67%. Dies liegt deutlich über der Erheblichkeitsschwelle, die von der Rechtsprechung bei 20% bis 25% angenommen wird (s. Senatsbeschluss vom 25.01.2016 - 11 W 79/16; Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl., § 8 a JVEG Rn. 22 m.w.N.).
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b) Eine rechtzeitige Mitteilung der Überschreitung des Kostenrahmens des Auslagenvorschusses durch den Sachverständigen ist hier unterblieben. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist dahin auszulegen, dass der Sachverständige das Gericht auf für ihn erkennbare Kostenüberschreitungen so frühzeitig hinweisen muss, dass dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine Entscheidungsfreiheit dahin verbleibt, das Entstehen der höheren Kosten unter Umständen durch Anweisungen gegenüber dem Sachverständigen beeinflussen zu können. Mithin sollte ein herangezogener Sachverständiger von ihm erkannte drohende Kostenüberschreitungen dem Gericht mitteilen, bevor er diese Kosten durch die Aufnahme oder Weiterführung der Durchführung seines Auftrags konkret herbeiführt (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 15.11.2010 - 4 W 98/10). Eine rechtzeitige Mitteilung im Sinne des § 407a Abs. 4 S.2 ZPO wird weder vom Sachverständigen selbst noch vom Landgericht angenommen.
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c) Als Korrektiv wurde mit § 8a Abs. 5 JVEG eine Regelung eingeführt, nach der eine Kappung der Sachverständigenvergütung nur dann greift, wenn der Sachverständige den Verstoß gegen die Mitteilungspflicht zu vertreten hat. Dies ist vorliegend der Fall. Als Verschuldensmaßstab genügen Vorsatz und einfache Fahrlässigkeit, wobei ein Verschulden generell vermutet wird. Der Sachverständige muss also bei einem objektiven Verstoß gegen seine Hinweispflicht ein fehlendes Verschulden darlegen (s. die Begründung zum Gesetzesentwurf in BT-Drucksache 17/11471 [neu], S. 260; OLG Hamm, Beschluss vom 06.06.2014 - I-11 U 153/12 = BauR 2014, 1819; OLG Düsseldorf, DS 2018, 132). Hinreichende Gründe dafür, dass er die Verletzung der ihm obliegenden Hinweispflicht nicht zu vertreten habe, hat der Sachverständige weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Auf die Anzeigepflicht wurde der Sachverständige bei Übersendung des Gutachtensauftrags ausdrücklich hingewiesen. Er hatte die entstehenden Kosten im Auge zu behalten und die Überschreitung trotz ihrer besonderen Erheblichkeit außer Acht gelassen. Relevante Umstände, die ihn daran gehindert hätten der Anzeigepflicht nachzukommen, werden nicht vorgebracht. Allein der Umstand, dass der Sachverständige, nachdem er mehrmals die Aufforderungsfristen hat verstreichen lassen und sich zur Abwendung etwaiger Ordnungsmittel zeitlich unter Druck gesehen hat, das schriftliche Gutachten nunmehr ohne weiteren Aufschub fertigzustellen, entbindet ihn nicht von der Verpflichtung erhebliche Kostenüberschreitungen dem Gericht mitzuteilen. Eine entsprechende Mitteilung wäre auch unter zeitlichen Gesichtspunkten dem Sachverständigen zumutbar gewesen, zumal er selbst aufgrund unzureichender Kommunikation mit dem Gericht den Termindruck zumindest mitverursacht hatte. Im Schreiben vom 12.01.2022 führt der Sachverständige zwar nachvollziehbar aus, warum es vorliegend zu der im Vergleich zum erhobenen Auslagenvorschuss erheblichen Kostenüberschreitung gekommen ist. Wer jedoch die Umstände, die zur Kostenüberschreitung geführt haben, zu vertreten hat, ist vorliegend für die Entscheidung unerheblich. Für die Frage der Kürzung der Sachverständigenvergütung ist allein maßgeblich, ob der Sachverständige die Verletzung der Hinweispflicht zu vertreten hat. Dies ist hier der Fall.
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d) Entgegen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10.04.2017 (JurBüro 2017, 368; so auch OLG Jena, Beschluss vom 01.08.2014 - 7 U 405/12), sieht der Senat keine Grundlage für die Einschränkung, dass eine Kürzung der Vergütung nach § 8a Abs. 4 JVEG nicht vorzunehmen sei, wenn der Gutachtensauftrag bei einer rechtzeitigen Anzeige weder abgebrochen noch eingeschränkt worden wäre. Denn nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut und nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/11471 (neu), Seite 260, linke Spalte) ist die Kappung auf den Betrag des Vorschusses bei einer erheblichen Überschreitung zwingend vorzunehmen. Sowohl eine einschränkende Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und unterbliebenem Abbruch des Gutachtensauftrags als auch eine Erhöhung des Vorschussbetrages um einen Toleranzwert von 20% - 25%, welche der früheren Rechtsprechung entsprachen, können aber nach der Einführung des § 8a Abs. 4 JVEG nicht mehr in Betracht kommen (Senatsbeschluss vom 25.01.2016 - 11 W 79/16; OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2014, IBR 2015, 169; Leitsatz und Kurzzusammenfassung mit zustimmender Anmerkung von Hansens, RVGReport 2015, 237; OLG Düsseldorf JurBüro 2016, 485; Schneider JVEG, 4. Auflage 2021, § 8a Rn. 39; Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage, § 413 Rn. 8). Die Erheblichkeit der Überschreitung ist rein quantitativ zu sehen und knüpft gerade nicht daran an, inwieweit die Parteien auch bei rechtzeitiger Anzeige der Kostenüberschreitung ein Interesse an der Fortsetzung des Gutachtensauftrages gehabt hätten. Zumal hypothetische ex-post Erwägungen zum Fortsetzungsinteresse der Parteien bei rechtzeitiger Anzeige gerade die Rechtsunsicherheiten, die durch die Einführung des § 8a JVEG beseitigt werden sollten, bestehen lassen würde. Die Anzeigepflicht dient nämlich den schutzwürdigen Interessen der Parteien vor Beendigung der Sachverständigentätigkeit eine Abwägung zwischen dem Prozessrisiko und dem Kostenrisiko vornehmen zu können (VG Berlin, Beschluss vom 20. März 2019 - 14 I 1.16 - m.w.N.).
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2. Entgegen der noch vor der Einführung des § 8a JVEG teilweise vertretenen Auffassung - ist nunmehr nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/11471 [neu], S. 260, linke Spalte) die Kappung auf den Betrag des Vorschusses - ohne zusätzlichen Sicherheitsaufschlag - vorzunehmen. Für eine einschränkende Auslegung dieser Regelung fehlt es sowohl an einer Notwendigkeit als auch an den rechtlichen Voraussetzungen.
18
Vor diesem Hintergrund war hier die Vergütung des Sachverständigen zwingend auf die Höhe des Vorschussbetrages von 5.000,00 € zu kürzen.
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).