LArbG Nürnberg, Beschluss v. 19.07.2022 – 2 Ta 49/22
Titel:
Streitwert - Vergleichsmehrwert - Arbeitsbescheinigung
Normenkette:
GKG § 42, § 45 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, § 63
Leitsätze:
1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 9.2.2018, NZA 2018, 498). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm Abs. 1 S. 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist. Eine mit einer Entscheidung vergleichbare Regelung über die Weiterbeschäftigung (§ 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 S. 2 GKG) liegt vor, wenn ein über den vorläufige Weiterbeschäftigung der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Streitwertkommission, Streitwertkatalog, Vergleich, vorläufige Weiterbeschäftigung, Abfindung, Kündigung, Vergleichsmehrwert
Vorinstanzen:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 20.06.2022 – 9 Ca 1812/22
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 07.06.2022 – 9 Ca 1812/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35639
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Klägervertreterin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 07.06.2022 teilweise abgeändert und der überschießende Vergleichswert auf 7.305,- € festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
A.
1
Die Parteien stritten sich um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vom 28.04.2022, zugegangen am 03.05.2022, zum 31.07.2020 hilfsweise zum nächstzulässigen Termin sowie um Weiterbeschäftigung. Das Bruttoeinkommen des Klägers betrug zuletzt 4.450,- €.
2
Das Verfahren endete am 27.05.2022 durch gerichtliche Feststellung eines Vergleichs. Darin einigten sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2022 mit unwiderruflicher Freistellung, eine Abfindung, eine sog. Sprinterklausel, ein Zeugnis und die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung. Wegen der Einzelheiten des Vergleichs wird auf Blatt 37 ff der Akten verwiesen.
3
Das Arbeitsgericht setzte mit Beschluss vom 07.06.2022 den Streitwert auf 17.800,- € fest und den überschießenden Vergleichswert auf 4.495,- € (ein Monatsgehalt für die Einigung über das Zeugnis und 0,1 Monatsgehälter für die Erteilung der Arbeitsbescheinigung).
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Die Klägervertreterin machte mit ihrer Beschwerde vom 14.06.2022 zunächst geltend, dass für einen außergerichtlichen Streit über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses ein (weiteres) Monatsgehalt festzusetzen sei.
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Mit Beschluss vom 20.06.2022 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, da die Einigung über die Erteilung eines Zeugnisses mit einem Monatsgehalt bewertet worden sei und ein Streit über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses nicht noch zusätzlich bewertet werde, und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor.
6
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägervertreterin zeigte sich mit Schriftsatz vom 01.07.2022 mit der Festsetzung des Mehrwerts für die Einigung über das Zeugnis nach Erläuterung einverstanden. Dennoch sei der Vergleichswert um 3.300,- € zu erhöhen, da sich die Parteien außergerichtlich auch über die Höhe der dem Kläger als außertariflichem Angestellten zustehende Vergütung gestritten und sich im Vergleich ab März auf ein Entgelt in Höhe von 5.000,- € brutto monatlich geeinigt hätten. Die anderen Beteiligten haben eine Stellungnahme nicht abgegeben.
B.
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I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
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II. Die Beschwerde ist insoweit begründet, als für die Einigung über die Gehaltshöhe ein Vergleichsmehrwert von 3.300,- € anzusetzen war. Allerdings hat das Arbeitsgericht für die Einigung über die Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu Unrecht einen Vergleichsmehrwert von 445,- € angesetzt.
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Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
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Im Einzelnen gilt folgendes:
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1. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für das Verfahren im Ergebnis zu Recht auf 17.800,- € (= 4 Monatsgehälter) festgesetzt.
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a. Für den Streit um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses waren gem. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG 3 Monatsgehälter anzusetzen. Der Streit ging um die Wirksamkeit nur einer Kündigung, nämlich der vom 28.05.2022, die hilfsweise auch zum nächst zulässigen Termin erklärt wurde (vgl. I. Ziffer 20 Streitwertkatalog).
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b. Im vorliegenden Fall war auch der hilfsweise gestellte Weiterbeschäftigungsantrag mit einem Monatsgehalt zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg (z.B. 19.03.2020 - 2 Ta 15/20 - juris; 04.08.2020 - 2 Ta 84/20 juris; 08.07.2016 - 4 Ta 78/16) und anderer Landesarbeitsgerichte ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 Rn 4, juris; 30.08.2011 - 2 AZR 668/11, juris; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20 Rn 7 mit zahlreichen Nachweisen, juris). Dies deckt sich auch mit Ziff. I Nr. 18 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Zweifel ist der Weiterbeschäftigungsantrag im wohlverstandenen Kosteninteresse der Partei, dem der Rechtsanwalt verpflichtet ist, als Hilfsantrag auszulegen (LAG Nürnberg 04.08.2020 - 2 Ta 84/20; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20). Eine mit einer Entscheidung vergleichbare Regelung über die Weiterbeschäftigung (§ 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG) liegt vor, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist (LAG Nürnberg 04.08.2020 a.a.O. mwN; 11.05.2022 - 2 Ta 12/22). Hier haben die Parteien Ende Mai 2022 vereinbart, den Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.09.2022 zu verlängern, also über den Beendigungstermin hinaus.
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2. Der überschießende Vergleichswert war auf 7.305,- festzusetzen.
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Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.
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a. Für die Einigung bezüglich des Zeugnisses und des Zwischenzeugnisses hat das Arbeitsgericht zu Recht ein Monatsgehalt als Wert festgesetzt. Zwar lag eine betriebsbedingte Kündigung vor, bei der nicht von vorneherein von einem Streit oder einer Ungewissheit über Erteilung und/oder Inhalt des Zeugnisses ausgegangen werden kann (vgl. I. Ziff. 25.1.3 Streitwertkatalog). Allerdings hat die Klägervertreterin sich darauf berufen, dass außergerichtlich die Erteilung eines Zwischenzeugnisses streitig gewesen sei.
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b. Die Klägervertreterin war nicht gehindert, erstmals im Beschwerdeverfahren innerhalb der Stellungnahmefrist vorzutragen, dass sich die Parteien außergerichtlich über die Gehaltshöhe gestritten hätten. Präklusionsvorschriften existieren insoweit nicht. Den Wert des Streits hat die Klägervertreterin mit 3.300,- € angegeben. Die übrigen Beteiligten sind dem nicht entgegengetreten. Insofern war von einem Vergleichsmehrwert in dieser Höhe auszugehen, da die Parteien tatsächlich eine neue Regelung über die Gehaltshöhe getroffen haben.
18
c. Die Freistellungsvereinbarung war nicht zusätzlich neben dem Weiterbeschäftigungsantrag zu bewerten (vgl. I. Ziff. 25.1.4 Streitwertkatalog). Dasselbe gilt für die Sprinterklausel (vgl. I. Ziff. 25.1.1 Streitwertkatalog). Dies hat das Arbeitsgericht ebenso gesehen und wurde von der Klägervertreterin auch nicht in Zweifel gezogen.
19
d. Die Einigung auf die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung war nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Es ist nicht ersichtlich, dass hierüber ein Streit oder eine Ungewissheit bestand.
20
e. Insgesamt war daher der überschießende Vergleichswert auf 7.305,- € (4.450,- € + 3.300,- € - 445,- €) festzusetzen.
C.
21
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
22
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.