VGH München, Beschluss v. 12.09.2022 – 22 B 22.1526
Titel:

Keine Umdeutung in Antrag auf Zulassung der Berufung

Normenketten:
VwGO § 124, § 124a, § 125 Abs. 2
GewO § 35
Leitsatz:
Die von einem Rechtsanwalt gegen die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegte Berufung kann nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 VwGO nicht in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden, weil die beiden Rechtsbehelfe nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erweiterte Gewerbeuntersagung, unstatthafte Berufung, keine Auslegung als oder Umdeutung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.05.2022 – M 16 K 19.423
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31588

Tenor

I. Die Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt.
VI. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wandte sich mit seiner Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen eine von der Beklagten mit Bescheid vom 10. Januar 2019 verfügte erweiterte Gewerbeuntersagung.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Mai 2022, den Klägerbevollmächtigten am 10. Juni 2022 zugestellt, abgewiesen. Eine Zulassung der Berufung erfolgte nicht.
3
Am 22. Juni 2022 ging beim Verwaltungsgericht ein Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom selben Tag ein, mit dem gegen das Urteil Berufung eingelegt wurde. Es wurde beantragt, das Endurteil aufzuheben und der Klage des Klägers stattzugeben. Die Berufungsbegründung werde zeitnah nachgereicht. Ferner wurde beantragt, dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu bewilligen.
4
Mit Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2022, versendet per EGVP am gleichen Tag, wurde der Klagepartei u.a. mitgeteilt, dass die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht statthaft sei. Statthaftes Rechtsmittel sei allein ein Antrag auf Zulassung der Berufung, der innerhalb der laufenden Frist noch gestellt werden könne.
5
Mit gerichtlichem Schreiben vom 8. August 2022 erfolgte eine Anhörung der Beteiligten zu einer Verwerfung der Berufung als unzulässig gem. § 125 Abs. 2 VwGO, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei.
6
Mit Schriftsatz vom 10. August 2022, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, beantragte die Klagepartei, die Berufung zuzulassen und „die Frist zur Zulassung der Berufung“ bis 24. August 2022 zu verlängern.
7
Hierauf wurde der Klagepartei mit Schreiben der Senatsvorsitzenden vom 11. August 2022 mitgeteilt, dass eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Betracht komme, da die Berufung kein statthaftes Rechtsmittel sei; auf das gerichtliche Schreiben vom 30. Juni 2022 wurde verwiesen.
8
Mit gerichtlichem Schreiben vom 11. August 2022 erfolgte wiederum eine Anhörung der Beteiligten zu einer Verwerfung der Berufung als unzulässig gem. § 125 Abs. 2 VwGO, weil sie nach Maßgabe von § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 2 VwGO nicht statthaft sei.
9
Auf letztgenanntes Schreiben stellte die Klagepartei mit Schriftsatz vom 24. August 2022 den Antrag, „die Frist zur Zulassung der Berufung“ bis einschließlich 26. August 2022 zu verlängern; innerhalb dieser Frist werde auch zum Hinweis des Gerichts vom 11. August 2022 Stellung genommen.
10
Darauf wurde die Klagepartei mit Schreiben der Senatsvorsitzenden vom 26. August 2022 darauf hingewiesen, dass die Frist zur Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung, unabhängig davon, dass ein solcher Antrag nicht fristgerecht gestellt worden sei, als gesetzliche Frist nicht verlängerbar sei. Die Frist zur Anhörung nach § 125 Abs. 2 VwGO wurde antragsgemäß verlängert.
11
Mit Schriftsatz vom 26. August 2022, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, stellte die Klagepartei den Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen sowie hinsichtlich „der Frist zur Zulassung der Berufung“ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ferner wurde beantragt, die Berufungseinlegung in einen Zulassungsantrag umzudeuten. Weiter wurde der Antrag gestellt, die Frist zur Begründung der Zulassung der Berufung nach Zulassung derselben erneut zu setzen. Die Klägerseite führte aus, dass nach Zustellung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Berufungseinlegungsfrist auf den 10. Juli 2022 notiert worden sei. Im Weiteren wurde die „Zulassung der Berufung“ begründet. Auf den Schriftsatz vom 26. August 2022 wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.
II.
12
Das Gericht kann gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung entscheiden. Die Beteiligten wurden hierzu mit Schreiben vom 11. August 2022 angehört, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO.
13
Die Berufung gegen das Urteil vom 17. Mai 2022 ist unzulässig, weil sie nicht statthaft ist. Sie war daher zu verwerfen (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
14
Gemäß § 124 Abs. 1 VwGO ist gegen Endurteile die Berufung nur dann statthaft, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof (§ 184 VwGO) zugelassen wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Statthaftes Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts war vielmehr ein Antrag auf Zulassung der Berufung gem. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO. Dies wies die Rechtsmittelbelehrungdes Urteils zutreffend aus; hierauf wurde die Klagepartei zudem mit Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2022 hingewiesen.
15
Anhaltspunkte dafür, den Schriftsatz vom 22. Juni 2022 als Antrag auf Zulassung der Berufung auszulegen, bestehen nicht. Vielmehr wurde eindeutig Berufung eingelegt. Der Schriftsatz war mit „Berufung“ überschrieben, und es war (S. 2) angegeben, dass gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts „Berufung“ eingelegt werde. Der Kläger, als „Berufungskläger“ bezeichnet, werde im „Berufungsverfahren“ durch die Klägerbevollmächtigte vertreten. Die „Berufungsbegründung“ werde zeitnah nachgereicht. Es wurde Prozesskostenhilfe für das „Berufungsverfahren“ beantragt. Dafür, dass Berufung eingelegt werden sollte, spricht schließlich, dass nach den Angaben der Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 26. August 2022 (S. 3) eine „Berufungseinlegungsfrist“ notiert worden war.
16
Die eingelegte Berufung umfasst keinen Antrag auf Zulassung der Berufung, weil die beiden Rechtsbehelfe unterschiedliche Gegenstände betreffen (BVerwG, B.v. 2.5.2016 - 9 B 12.16 - juris Rn. 7; B.v. 12.3.1998 - 2 B 20.98 - juris Rn. 3).
17
Die Umdeutung der Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung muss vorliegend ebenfalls ausscheiden. Die von einem Rechtsanwalt gegen die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts ohne Zulassung eingelegte Berufung kann nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 VwGO nicht in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden, weil die beiden Rechtsbehelfe nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind (st.Rspr., vgl. zuletzt etwa BVerwG, B.v. 12.5.2022 - 8 B 44.21 - juris Rn. 6 m.w.N.). Vorliegend endete die einmonatige Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gem. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2, § 193 BGB mit Ablauf des 11. Juli 2022. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger weder (nachträglich) einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt (vgl. hierzu etwa BVerwG, B.v. 22.9.2010 - 8 B 34.10 - juris Rn. 3) noch hatte er beantragt, die Berufung als Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 27.8.2008 - 6 C 32.07 - juris Rn. 25); eine Zulassung der Berufung hat die Klagepartei erstmals im Schriftsatz vom 10. August 2022 beantragt. Auch im Übrigen fehlt es angesichts der oben genannten eindeutigen Formulierungen in dem Schriftsatz vom 22. Juni 2022 an Anhaltspunkten dafür, die Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umzudeuten.
18
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gem. § 60 VwGO gewährt werden. Der entsprechende Antrag vom 26. August 2022 wurde schon nicht fristgerecht gestellt. Der Klägerseite wurde bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 30. Juni 2022 mitgeteilt, dass die Berufung nicht statthaft sei, sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung. Dieses Schreiben wurde per EGVP am gleichen Tag versandt. Spätestens damit war für die Klägerseite das Hindernis i.S.d. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO weggefallen. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde jedoch erst mit Schriftsatz vom 26. August 2022 und damit nach Ablauf der Monatsfrist gem. § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO gestellt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass innerhalb dieser Frist die versäumte Rechtshandlung (Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung oder zumindest eines Antrags, die eingelegte Berufung als Berufungszulassungsantrag zu behandeln) nachgeholt wurde, so dass Wiedereinsetzung auch ohne (fristgerechten) Antrag gewährt werden könnte (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO). Wie erwähnt, hat die Klägerseite erstmals im Schriftsatz vom 10. August 2022 beantragt, die Berufung zuzulassen. Insbesondere aber hat die Klagepartei keine Tatsachen gem. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht, aus denen sich ergeben könnte, dass die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ohne Verschulden versäumt worden wäre. Die Klägerbevollmächtigte hat lediglich angegeben, es sei eine „Berufungseinlegungsfrist“ notiert worden. Dies war bereits ausweislich der zutreffenden Rechtsmittelbelehrungdes angefochtenen Urteils fehlerhaft; jegliche Angaben zur Entschuldbarkeit dieses Fehlers fehlen. Zudem ist die Klägerseite, wie erwähnt, mit gerichtlichem Schreiben vom 30. Juni 2022 auf die fehlende Statthaftigkeit der Berufung sowie auf die Möglichkeit hingewiesen worden, fristgerecht einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Weshalb eine solche Korrektur des Fehlers unterblieben ist, hat die Klägerseite nicht erläutert.
19
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zu verwerfen.
20
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
21
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
22
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
23
Schließlich war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung angesichts der Unzulässigkeit der Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).