Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.02.2022 – 15 ZB 22.30186
Titel:

Prozessual unwirksamer Berufungszulassungsantrag

Normenketten:
VwGO § 55d
AsylG § 78 Abs. 4 S. 1, S. 4
Leitsatz:
Die Einhaltung der Vorschrift des § 55d VwGO ist als Frage der Zulässigkeit vAw zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten, weshalb eine herkömmliche Einreichung eines Schriftsatzes – etwa auf dem Postweg oder per Fax – prozessual unwirksam ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unterbliebene elektronische Antragstellung, kein substantiierter Vortrag, elektronischer Rechtsverkehr, elektronische Form, Telefax
Vorinstanz:
VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 15.12.2021 – RN 1 K 19.31637
Fundstelle:
BeckRS 2022, 3136

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Es spricht Vieles dafür, dass der Antrag wegen Verstoßes gegen § 55d VwGO nach mittlerweile abgelaufener Antragsfrist (§ 78 Abs. 4 AsylG) unzulässig ist.
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Gem. § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist beim Verwaltungsgericht, das die erstinstanzliche Entscheidung getroffen hat, zu stellen (§ 78 Abs. 4 Satz 2 AsylG). In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO (eingefügt durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, BGBl. I S. 3786 ff.) sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt für sämtliche Verfahren und auch für Schriftsätze, die in Verfahren eingereicht werden, die bereits vor dem 1. Januar 2022 anhängig gemacht wurden. Sie bezieht sich auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Eine herkömmliche Einreichung - etwa auf dem Postweg oder per Fax - ist prozessual unwirksam (zum Ganzen: OVG LSA, B.v. 18.1.2022 - 1 L 98/21.Z - juris Rn. 4; SchlHOVG, B.v. 25.1.2022 - 4 MB 78/21 - juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, B.v. 7.2.2022 - 6 N 19/22 - juris Rn. 2; VG Frankfurt/Oder, B.v. 19.1.2022 - 10 L 10/22.A - juris Rn. 6 ff.; Braun Binder in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55d Rn. 7; Schmitz in Posse/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: Januar 2022, § 55d Rn. 2; zu § 130d ZPO vgl. auch BT-Drs. 17/12634 S. 27).
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Nachdem das im vorliegenden Verfahren angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Dezember 2021 dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis am 3. Januar 2022 zugestellt wurde, hätte der Antrag auf Zulassung der Berufung gem. § 55d VwGO, § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe - mithin bis Donnerstag, 3. Februar 2022 (24:00 Uhr) - beim Verwaltungsgericht in elektronischer Form eingehen müssen. Dies ist nach Aktenlage nicht geschehen. Nach den Akten, die dem Verwaltungsgerichtshof vom Verwaltungsgericht übermittelt worden sind, hat der Bevollmächtigte des Klägers beim Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag auf Zulassung der Berufung am 3. Februar 2022 ausschließlich per Telefax gestellt. Die ausschließlich per Telefax und damit nicht formgemäß (§ 55d VwGO) erfolgte Stellung und Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung wahrte die Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1, 4 AsylG nicht. Eine vorübergehende technische Unmöglichkeit i.S. von § 55d Satz 3, 4 VwGO ist nicht ersichtlich. Hierzu wurde von Klägerseite auch nichts vorgebracht bzw. glaubhaft gemacht.
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Auf Verfügung des Vorsitzenden des Senats ist der Bevollmächtigte mit Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs (Geschäftsstelle) vom 14. Februar 2022 auf die neue Rechtslage hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Das dem Schreiben beigefügte Empfangsbekenntnis hat der Bevollmächtigte des Antragstellers auch auf die Erinnerung (Telefax) der Geschäftsstelle des Senats vom 21. Februar 2022 nicht zurückgesandt.
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2. Der Senat lässt es mit Blick auf die nicht erfolgte Rücksendung des Empfangsbekenntnisses und einer nicht erfolgten Äußerung des Bevollmächtigten des Antragstellers dahinstehen, ob der Kläger dem laut Aktenlage nicht eingehaltenen Formerfordernis des § 55d VwGO bzw. der zwischenzeitlich abgelaufenen Frist des § 78 Abs. 4 VwGO etwas Plausibles entgegensetzen könnte bzw. ob er (aus welchen Gründen auch immer) ggf. erfolgreich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) stellen könnte. Denn unabhängig hiervon liegt der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht vor bzw. ist dieser nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden, sodass der Antrag auf Zulassung der Berufung jedenfalls deshalb abzulehnen ist.
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Der Kläger lässt die aus seiner Sicht vorliegende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ausschließlich mit einer behaupteten nicht hinreichenden Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Situation begründen. Das Verwaltungsgericht habe den Inhalt eines ärztlichen Attests nicht bzw. nicht hinreichend gewürdigt. Die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits ergebe sich daraus, dass er seit Jahren unter einer attestierten Krankheit leide und deswegen nicht reisefähig sei. In der mündlichen Verhandlung sei ein medizinisches Sachverständigengutachten beantragt worden, was aber vom Gericht abgelehnt worden sei. Eine entsprechende Behandlung sei in seinem Heimatland nicht gegeben.
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Mit diesem Vortrag legt der Kläger das Vorliegen des Zulassungsgrunds des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht substantiiert dar. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 - 15 ZB 21.31689 - juris Rn. 4 m.w.N.).
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In der Antragsbegründung wird diesbezüglich nichts ausgeführt. Soweit in der Antragsbegründung speziell auf die Krankheitssituation des Klägers abgestellt wird und die Richtigkeit der Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG infrage gestellt wird, hat dies mit grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im o.g. Sinn nichts zu tun. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stellen im Asylrecht nach Maßgabe von § 78 Abs. 3 AsylG keinen Berufungszulassungsgrund dar. Soweit in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 15. Dezember 2021 ein Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt wurde, wird auch hierzu nicht vorgetragen, warum hieraus die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache folge. Weder beruft sich der Kläger in der Antragsbegründung auf § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 VwGO als alternativen Berufungszulassungsgrund noch setzt er sich in der Sache substantiiert damit auseinander, weshalb dieser (etwa wegen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs) vorliegen könnte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).