VGH München, Urteil v. 03.02.2022 – 5 BV 21.964
Titel:
Wichtiger Grund für eine Änderung des Nachnamens – schwere Straftaten des Vaters
Normenketten:
NamÄndG § 3 Abs. 1
BGB § 1618 S. 4
Leitsatz:
Zu der Frage, wann schwere Straftaten des Vaters eine Änderung des Nachnamens der Tochter rechtfertigen, die bisher den Nachnamen des Vaters getragen hat. (Rn. 30 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Namensänderung, Änderung des Nachnamens, wichtiger Grund, schwere Straftaten des Vaters, Straftaten zum Nachteil der Mutter, Kindeswohl, Traumatisierung, Makel durch Nachnamen, Stigmatisierung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 03.02.2021 – AN 14 K 19.1598
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 26.09.2022 – 6 B 17.22
Fundstellen:
StAZ 2023, 114
BeckRS 2022, 30419
LSK 2022, 30419
Tenor
I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Februar 2021 wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Änderung des Nachnamens der Beigeladenen.
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Er ist der leibliche Vater der am ... geborenen Beigeladenen, die bisher seinen Nachnamen getragen hat. Die Mutter der Beigeladenen, die seit Oktober 2010 unverheiratet in einer Beziehung mit dem Kläger lebte, und dieser hatten vor der Geburt der Beigeladenen eine gemeinsame Sorgeerklärung (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) abgegeben.
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Am 2. September 2016 wurde die vom Kläger, der Beigeladenen und ihrer Mutter bewohnte Wohnung polizeilich durchsucht und der Kläger für eine Nacht in Untersuchungshaft genommen. Die Mutter der Beigeladenen erfuhr erstmals im Zuge der Wohnungsdurchsuchung von den dem Kläger zur Last gelegten Straftaten. Ab 21. Dezember 2016 befand sich der Kläger erneut in Untersuchungshaft. Im September 2017 stellte die Mutter der Beigeladenen die davor zunächst wöchentlich, später 14-tägig mit der Beigeladenen durchgeführten Haftbesuche ein (vgl. zur familiären Vorgeschichte im psychologischen Gutachten vom 20.3.2019, S. 15 f., Bl. 129 f. der Behördenakte).
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Mit Urteil des Landgerichts N. vom 22. Januar 2018 wurde der Kläger der schweren Vergewaltigung in sieben Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, in Tatmehrheit mit
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schwerem sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in zehn Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung,
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schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung,
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Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung,
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gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen
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und vorsätzlicher Körperverletzung in fünf Fällen
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für schuldig befunden. Er wurde deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Zwei der abgeurteilten Taten hat der Kläger nach den strafgerichtlichen Feststellungen zulasten der Mutter der Beigeladenen begangen; hinsichtlich dieser Taten (Nrn. 12 und 14 im Strafurteil) wurden Einzelstrafen von jeweils drei Jahren und sechs Monaten ausgesprochen. Betreffend einen weiteren Tatvorwurf zulasten der Mutter der Beigeladenen (Nr. 13) wurde das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Kläger beging die abgeurteilten 31 Einzeltaten im Zeitraum von Dezember 2009 bis Juni 2016 zum Nachteil von insgesamt 23 Frauen. In 26 Fällen verabreichte der Kläger im Rahmen vorgetäuschter wissenschaftlicher Forschungsstudien intravenös ein angeblich zur Untersuchung notwendiges Medikament und versetzte die betroffenen Frauen in einen teils bewusstlosen, jedenfalls willenlosen Zustand, um an ihnen sexuelle Handlungen durchzuführen, ohne dass sie sich daran erinnern konnten. In der Zeit von 2009 bis 2015 verabreichte der Kläger der Mutter der Beigeladenen im Rahmen der vermeintlichen Studien in mindestens 20 Fällen ein sedierendes Medikament, sodass sie das Bewusstsein verlor; nur zwei dieser Fälle waren zuletzt (noch) Gegenstand des strafgerichtlichen Verfahrens (vgl. insbesondere S. 6 f., 10 f. und 25 des Strafurteils, Bl. 27 f., 29 f. und 37 der Behördenakte).
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Der Allgemeine Sozialdienst des Landratsamtes F. (im Folgenden: ASD) nahm mit Schreiben vom 15. März 2018 zur Regelung der elterlichen Sorge und zu einer etwaigen Namensänderung für die Beigeladene Stellung.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 4. Juli 2018 wurde die alleinige elterliche Sorge für die Beigeladene ihrer Mutter übertragen.
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Am 20. September 2018 beantragte die damalige Bevollmächtigte der Mutter der Beigeladenen beim Landratsamt F., den Nachnamen der Beigeladenen in denjenigen der Mutter zu ändern.
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Der Kläger teilte dem Landratsamt mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 mit, dass er mit der beantragten Namensänderung nicht einverstanden sei, und legte seine Einwände dar.
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Die Bevollmächtigte der Mutter der Beigeladenen legte dem Landratsamt am 5. April 2019 auf dessen Anforderung hin ein psychologisches Gutachten vom 20. März 2019 vor, das im Auftrag des Amtsgerichts F. in einem Verfahren zur Regelung des Umgangs der Beigeladenen mit dem Kläger erstellt wurde. Anschließend äußerte sich der ASD mit Schreiben vom 11. April 2019 nochmals zum Antrag auf Namensänderung.
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Mit Bescheid des Landratsamts F. vom 16. Juli 2019 wurde der Familienname der Beigeladenen in den Nachnamen der Mutter geändert. Es sei ein wichtiger Grund für die Namensänderung im Sinne von § 3 Abs. 1 des Namensänderungsgesetzes (NamÄndG) gegeben. Die Namensänderung sei für das Wohl der Beigeladenen erforderlich, da ihre Mutter durch den bisherigen Familiennamen erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt sei, was sich auf das Kindeswohl negativ auswirke. Die gedeihliche Entwicklung eines Kleinkindes hänge maßgeblich davon ab, ob sein Alltag mit seiner Mutter von Anfang an gut bewältigt werde. Das öffentliche Interesse und das Interesse des leiblichen Vaters an der Beibehaltung des Familiennamens müssten gegenüber dem Kindeswohl zurücktreten.
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Der Kläger erhob am 19. August 2019 Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Juli 2019. Hinsichtlich der Klagebegründung wird insbesondere auf die Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 6. November 2019 und vom 23. November 2020 Bezug genommen.
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Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Februar 2021 wurde der Bescheid vom 16. Juli 2019 aufgehoben. Die Beigeladene habe keinen Anspruch auf die Änderung ihres Familiennamens gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 NamÄndG. Eine Namensänderung würde für ihr Wohl zweifelsohne förderlich sein; die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgebliche Schwelle der Erforderlichkeit für das Kindeswohl werde jedoch nicht erreicht. Die bereits zu den Zeitpunkten des Bescheidserlasses und der mündlichen Verhandlung bestehende erhebliche Belastung ihrer Mutter stelle für die Beigeladene selbst keinen schwerwiegenden Nachteil oder derartigen Vorteil dar, der eine Namensänderung erforderlich machen würde. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Namensdifferenz und die dadurch bedingte Konfrontation der Mutter mit dem Familiennamen der Beigeladenen und damit des Klägers erheblich und nachteilig auf die Beziehung zwischen der Beigeladenen und ihrer Mutter auswirke oder ausgewirkt habe, seien nicht ersichtlich geworden. Weiterhin bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese erhebliche Belastung der Mutter in gleichem Maße auf ihre Tochter übertrage. Es lasse sich nicht beurteilen, wie die Beigeladene zukünftig mit der Namensdifferenz umgehe und ob die Belastung erheblich über diejenigen Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten hinausgehen werde, die für Kinder mit einer Namensverschiedenheit zum sorgeberechtigten Elternteil verbunden seien. Es sei auch nicht ersichtlich, dass aufgrund des Familiennamens der Beigeladenen nach deren Umzug mit ihrer Mutter unmittelbar ein Zusammenhang mit den Taten des Klägers hergestellt werden könne und dadurch die Gefahr von Belästigungen bestehe. Die Berufung wurde zugelassen; die Frage, ob eine erhebliche seelische Belastung des sorgeberechtigten Elternteils durch den Familiennamen des Kindes eine Namensänderung rechtfertigen könne, sei von grundsätzlicher Bedeutung.
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Der Beklagte und die Beigeladene beantragen mit ihrer Berufung jeweils,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Februar 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt der Beklagte vor, die Änderung des Familiennamens der Beigeladenen sei zu deren Wohl erforderlich, um sie vor der objektiven Bemakelung, die dieser Name jedenfalls im örtlichen Bereich des früheren Wohnorts des Klägers, der Beigeladenen und deren Mutter habe, zu schützen. Nach dem psychologischen Gutachten vom 20. März 2019 solle langfristig ein Umgang der Beigeladenen mit ihrem Vater angestrebt werden. Dabei sei erkennbar, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung zu seinen Eltern am früheren Wohnort ziehen werde, wo eine Wohnung für ihn freigehalten werde. Damit würden zukünftige Kontakte mit Großeltern und Vater jedoch eine räumliche Beziehung der Beigeladenen zu diesem Ort bedingen. Angesichts von Art und Ausmaß sowie der Begehungsumstände der Straftaten des Klägers werde sein Nachname an diesem ländlich geprägten Ort auf längere Dauer mit dessen Straftaten in Verbindung gebracht. An diesem Ort als Tochter eines Kapitalstraftäters erkannt zu werden, sei der Beigeladenen auch zukünftig nicht zumutbar.
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Die Beigeladene macht geltend, der Kläger sei nicht nur am früheren Wohnort bekannt, sondern im gesamten Landkreis, wo er als Rettungsassistent ehrenamtlich aktiv gewesen sei. Auch seien er und sein Name vielen Opfern unter anderem am aktuellen Wohnort der Beigeladenen bekannt und werde diesen voraussichtlich ein Leben lang in Erinnerung bleiben, genauso wie deren Familien und Bekannten, die von den Straftaten des Klägers Kenntnis erlangt hätten. Somit träfen die Ausführungen des Beklagten nicht nur auf den früheren Wohnort der Beigeladenen, sondern mindestens auf die gesamte Region zu. Die Beigeladene selbst habe schwerwiegende Nachteile durch die Beibehaltung des bisherigen Familiennamens erlitten und werde solche auch zukünftig erleiden. Auch seien Vorteile einer Namensänderung zum Wohle der Beigeladenen zu bejahen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufungen zurückzuweisen.
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Er macht im Wesentlichen geltend, die Beigeladene habe kein eigenes Erleben von den Taten des Klägers und sei nicht Opfer strafbarer Handlungen ihres Vaters geworden. Sie habe somit keine fortwährende Erinnerung an dramatische Geschehnisse, welche geeignet seien, Auslöser einer stetigen seelischen Belastung zu sein oder diese besorgen zu lassen. Die Aussagen der Mutter der Beigeladenen im Zusammenhang mit Anzeichen für deren Leiden unter der Namensverschiedenheit seien bereits im Hinblick auf eine fehlende Sachkunde nicht aussagekräftig. Es sei dem Kindeswohl abträglich, wenn durch eine Namensänderung eine Berechtigung der Mutter signalisiert würde, das Band zwischen dem Kläger und seiner Tochter zu trennen. Es erwecke Zweifel an der Behauptung einer Traumatisierung infolge der Namensnennung, wenn die Mutter der Beigeladenen zunächst den Umgang zwischen dem Kläger und dessen Tochter selbst angemahnt habe und ihn erst später habe unterbinden wollen. Eine tatsächlich um das Wohl ihres Kindes besorgte Mutter, deren Verhalten von belastenden Erinnerungen geprägt sei, würde psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Es sei im Übrigen nicht davon auszugehen, dass eine bloße Namensänderung insoweit Entlastung bewirken würde. Beim früheren Wohnort des Klägers handle es sich um ein ländliches Dorf, welches von einem hohen Bekanntheitsgrad der Einwohner untereinander geprägt sei. Eine Namensänderung der Beigeladenen sei nicht geeignet, etwaige Belästigungen im Zusammenhang mit dem Kläger zu vermeiden, da die Abstammung der Beigeladenen den Einwohnern unabhängig von der Namensführung bereits bekannt sei. Der Kläger sei dazu bereit, Wohnsitz außerhalb dieses Ortes zu nehmen, wenn sich dies nach der Haftentlassung als erforderlich erweisen würde, um unter anderem den Umgang mit der Beigeladenen in einer Umgebung zu gestalten, welche Beeinträchtigungen des Kindeswohls nicht besorgen lassen würden. Gänzlich fernliegend sei die Erwägung, dass von einer objektiven Bemakelung des Namens in der ganzen Region und darüber hinaus auszugehen sei. Ergänzend wird insbesondere auf den Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 27. Mai 2020 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen sind zulässig und begründet. Die Anfechtungsklage des Klägers war daher unter Abänderung des angefochtenen Urteils vom 3. Februar 2021 abzuweisen.
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1. Die Rechtsmittel sind zulässig. Der Zulässigkeit der Berufung der Beigeladenen steht nicht entgegen, dass im Berufungsschriftsatz vom 3. März 2021 und in der Berufungsbegründung vom 29. April 2021 noch kein ausdrücklicher Antrag gestellt wurde. Aus der Berufungsbegründung geht hervor, dass die vollständige Aufhebung des angefochtenen Urteils begehrt wird, weil die Voraussetzungen einer Namensänderung gegeben seien; damit ist das Antragserfordernis nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt. Die Berufungsgründe der Beigeladenen ergeben sich hinreichend aus der Berufungsbegründung vom 29. April 2021. Der Bevollmächtigte der Beigeladenen hat darin zulässigerweise auf die Berufungsbegründung des Beklagten vom 21. April 2021 Bezug genommen und lässt u.a. durch die Ergänzung des dortigen Vortrags in sachlicher wie rechtlicher Hinsicht erkennen, dass er sich die Argumentation des Beklagten nach eigener Prüfung, Sichtung und rechtlicher Durchdringung des Streitstoffes zu eigen gemacht hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 29).
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2. Die Berufungen sind auch begründet. Der Bescheid des Landratsamtes F. vom 16. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 NamÄndG für die verfügte Namensänderung liegen vor. Dem Kläger steht folglich kein Aufhebungsanspruch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu.
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a) Für die Frage, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG die Namensänderung rechtfertigt, kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U.v. 6.6.2008 - 5 B 06.832 - juris Rn. 31; offengelassen in BVerwG, U.v. 20.2.2002 - 6 C 18/01 - juris Rn. 41) maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an, soweit es wie vorliegend einen Kollisionsfall der namensrechtlichen Zuordnung eines Kindes zu dem einen oder dem anderen Elternteil betrifft. Damit wird ein Gleichlauf mit dem familiengerichtlichen Verfahren über die Einbenennung von „Stiefkindern“ nach § 1618 Satz 4 BGB erreicht und der Rechtsbetroffenheit aller Beteiligten auch insoweit Rechnung getragen, als es nachträgliche Sachverhaltsänderungen angeht. Unabhängig davon lagen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 NamÄndG vorliegend sowohl zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung vom 16. Juli 2019 wie auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2022 vor, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
31
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 20.2.2002 - 6 C 18/01 - BVerwGE 116, 28 Rn. 31) ist ein wichtiger Grund für die Namensänderung einer sogenannten „Scheidungshalbwaisen“ nur anzunehmen, wenn die Namensänderung für das Kind erforderlich ist und andere zu berücksichtigende Interessen nicht überwiegen. Die Erforderlichkeit der Namensänderung liegt nach dieser Rechtsprechung (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 42 bis 44) vor, wenn das Wohl des Kindes die Änderung des Familiennamens auch bei angemessener Berücksichtigung der für die Beibehaltung des bisherigen Namens sprechenden Gründe gebietet. Eine Namensänderung ist nicht schon dann gerechtfertigt, wenn sie nur dazu dienen soll, dem Kind mit der Namensverschiedenheit zum sorgeberechtigten Elternteil verbundene Unannehmlichkeiten zu ersparen, die ohnehin nur altersbedingt und damit vorübergehender Natur sind, die gedeihliche Entwicklung des Kindes aber nicht ernstlich beeinflussen. Vielmehr müssen mit dem bisherigen Namen so schwerwiegende Nachteile verbunden sein oder die Namensänderung für das Kind solche erheblichen Vorteile mit sich bringen, dass verständigerweise die Aufrechterhaltung des Namensbandes zu dem nicht sorgeberechtigten Elternteil nicht zumutbar erscheint. Wirkt sich die Führung des bisherigen Namens als eine seelische Belastung aus, die über eine übertriebene Empfindlichkeit hinausgeht und nach allgemeiner Verkehrsauffassung verständlich und begründet ist, muss mit der Anerkennung eines wichtigen Grundes für eine Namensänderung nicht zugewartet werden, bis die seelische Belastung den Grad einer behandlungsbedürftigen Krankheit oder Krise erreicht hat (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.2011 - 6 B 65/10, 6 B 65/10, 6 PKH 21/10 - Buchholz 402.10 § 3 NÄG Nr. 80 Rn. 6).
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Damit wird bei Anwendung des § 3 Abs. 1 NamÄndG derjenige Maßstab herangezogen, der für die Einbenennung von „Stiefkindern“ ohne die Einwilligung des anderen Elternteils nach § 1618 Satz 4 BGB gilt. Der dort normierten Voraussetzung der Erforderlichkeit der Namensänderung für das Kindeswohl liegt die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass Gesichtspunkte, die für eine bloße „Förderlichkeit“ für das Kindeswohl sprechen, nicht ausreichen; das Namensband zwischen dem Kind und dem nicht sorgeberechtigten Elternteil soll nur unter erschwerten Voraussetzungen gegen dessen Willen durchtrennt werden (vgl. BGH, B.v. 9.11.2016 - XII ZB 298/15 - NJW 2017, 1242 Rn. 15 und 18; B.v. 24.10.2001 - XII ZB 88/99 - NJW 2002, 300 Rn. 10 ff.). Aus diesen Grundsätzen ergibt sich zugleich, dass eine Namensänderung nicht allein mit dem Wohl des sorgeberechtigten Elternteils begründet werden kann. Im Hinblick auf die jeweils gleiche Interessenlage und dieselbe gesetzliche Wertungsentscheidung sind die Grundsätze auch unabhängig davon anzuwenden, ob die Eltern verheiratet waren oder, wie vorliegend, nicht (vgl. OVG RhPf, U.v. 6.5.2019 - 7 A 10074/19 - juris Rn. 36 m.w.N.).
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c) Die Änderung des Nachnamens der Beigeladenen in denjenigen ihrer Mutter ist im Sinne der vorgenannten Rechtsgrundsätze erforderlich.
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aa) Das dadurch geknüpfte Namensband zu ihrer Mutter ist ein erheblicher Vorteil für die Beigeladene, weil es zur Stabilisierung der Beziehung zur existentiell wichtigsten Bezugsperson beiträgt. Die Änderung des bisherigen Namens der Beigeladenen ist weiter gerechtfertigt, weil damit eine Ursache für wiederholte Belastungen ihrer Mutter, deren eingeschränkte Alltagsbewältigung und damit auch für Beeinträchtigungen der Beigeladenen entfällt. Dem steht nicht entgegen, dass diese Beeinträchtigungen der Beigeladenen unmittelbar durch Belastungen ihrer Mutter und nur mittelbar durch den bisherigen Nachnamen verursacht werden; nach den vorgenannten Rechtsgrundsätzen kommt es bei Anwendung des § 3 Abs. 1 NamÄndG allein auf die nachteilige Wirkung bei der Beigeladenen an, die dem bisherigen Nachnamen zuzurechnen ist. Schließlich ist die Namensänderung auch deshalb von erheblichem Vorteil, weil dadurch die Gefahr einer transgenerationalen Traumatisierung der Beigeladenen gemindert wird, d.h. eine Traumatisierung durch die Weitergabe seelischer Erschütterungen, welche ihre Mutter erlitten hat. Im Hinblick auf jeden der vorgenannten Vorteile und erst recht im Wege einer Gesamtschau ist es der Beigeladenen nicht zumutbar, das Namensband zum Kläger aufrecht zu erhalten.
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bb) Diese Überzeugung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere aufgrund der Stellungnahmen des ASD vom 15. März 2018 sowie vom 11. April 2019, des psychologischen Gutachtens vom 20. März 2019 und der Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2022 gewonnen.
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Die Stellungnahme vom 15. März 2018 wurde von einer Sozialpädagogin des ASD nach Gesprächen mit der Mutter und dem Kläger abgegeben. Demzufolge hat die Mutter damals u.a. angegeben, sie fühle sich durch die erlittenen Übergriffe des Klägers und den damit verbundenen Vertrauensverlust traumatisiert. Es sei ihr extrem schwergefallen, das Erlittene zu verarbeiten. Trotz anderslautender Informationen werde sie beispielsweise regelmäßig beim Kinderarzt mit dem Nachnamen des Klägers und damit der Beigeladenen angesprochen; sie werde dann jedes Mal wieder an die traumatischen Erlebnisse erinnert, und alte Wunden würden wieder aufgerissen. Außerdem fürchte sie, dass die Beigeladene durch das Tragen ihres bisherigen Namens über kurz oder lang mit den Taten ihres Vaters in Verbindung gebracht würde und Nachteile erleiden könnte. Die Sozialpädagogin gewann den Eindruck, dass die Mutter gefasst, aber durchaus auch sehr belastet war. Wie tiefgreifend diese durch die erlebten Übergriffe traumatisiert worden sei, könne von dort nicht beurteilt werden; es sei aber nachvollziehbar, dass für die Mutter ein regelmäßiger Kontakt und Austausch, wie ihn das Ausüben der gemeinsamen elterlichen Sorge erfordern würde, eine unzumutbare Belastung darstellen würde, stets verbunden mit der Gefahr einer dauernden Retraumatisierung, was mittelfristig auch das Wohl der Beigeladenen gefährden würde. Gleiches gelte für das Tragen des bisherigen Nachnamens durch die Beigeladene. Zwar sei sich diese über die bestehende Problematik altersbedingt noch nicht bewusst. Dennoch würde sie spüren, wenn es ihrer Mutter schlecht gehe, wenn sie beispielsweise mit dem Nachnamen des Klägers angesprochen werde. Es handle sich hier nicht wie in anderen Fällen einfach um eine kleine Unannehmlichkeit, sondern um einen auslösenden Faktor für die immer wiederkehrenden Erinnerungen an die erlebten Übergriffe.
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Diese nachvollziehbare fachliche Einschätzung wird durch die Befunde und Bewertungen im psychologischen Gutachten vom 20. März 2019 gestützt. Bei der Mutter der Klägerin nimmt die Gutachterin wegen der wiederholt erlittenen Taten und dem Umstand, dass sie über einen sehr langen Zeitraum hinsichtlich der Angabe des Klägers, sie zu lieben und nur das Beste für Frau und Kind zu wollen, getäuscht worden sei, eine herausragende Opfereigenschaft an (vgl. insbesondere S. 56 des Gutachtens, Bl. 170 der Behördenakte). All dies beinhalte eine schwere seelische Erschütterung seitens der Mutter, auch wenn hier die Diagnose Anpassungsstörung oder posttraumatische Belastungsstörung aufgrund der Besonderheiten der Tatbegehung letztlich nicht eindeutig zu stellen sei. Die Mutter sei gerade dabei, ihr Leben wieder neu zu ordnen; sie sei auch insoweit handlungsfähig. Allerdings sei die Fähigkeit zur Alltagsbewältigung bei ihr derzeit noch sehr leicht störbar. Jeglicher Zwang, sich erneut mit dem Kläger und dessen Taten auseinanderzusetzen, wie es speziell auch mit einer Zuführung der Beigeladenen zum Vater verbunden wäre, würde für die Mutter mit einer erneuten erheblichen Belastung einhergehen. Es sei davon auszugehen, dass sie dies retraumatisieren bzw. ihre Belastungssymptomatik erneut befeuern und in Gang setzen würde, was dann wiederum auf die Beigeladene und die derzeit wiedergewonnene Stabilität ihres aktuellen Lebensumfelds negative Auswirkungen haben würde, die dem Kindeswohl nicht zuträglich seien. Hinsichtlich der Beziehungen der Beigeladenen zu ihren leiblichen Eltern kommt die Gutachterin (S. 53 des Gutachtens, Bl. 167 der Behördenakte) zur Einschätzung, dass die Mutter immer die konstante Bezugsperson und für die Beigeladene stets ausreichend emotional verfügbar gewesen sei, auch unter der bestehenden Belastung. Die Beigeladene habe eine sichere emotionale Bindung an die Mutter entwickeln können; die Mutter sei ihre bedeutsamste und existentiell wichtigste Bezugsperson. Im Rahmen der Begutachtung sei offensichtlich geworden, dass der Kläger für die Beigeladene in keiner Weise mehr emotional präsent sei, sondern diese den jetzigen Partner der Mutter als ihren Vater begreife.
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Die Befundtatsachen und deren Ermittlung werden im Gutachten nachvollziehbar dargestellt; die fachlichen Bewertungen werden ausführlich und schlüssig hergeleitet und begründet. Den im Gutachten beschriebenen Befunden liegen u.a. Anamnesen beim Kläger und bei der Mutter, Verhaltensbeobachtungen bei der Mutter und der Beigeladenen sowie Gespräche mit behandelnden Therapeuten des Klägers und der Mutter sowie mit weiteren Dritten zugrunde (vgl. Erhebungsbericht unter Nr. 2 des Gutachtens, dort S. 12 ff., Bl. 126 ff. der Behördenakte). Der Kläger hat auch lediglich pauschal und ohne konkrete Auseinandersetzung mit den Ausführungen im Gutachten Zweifel an der Traumatisierung der Mutter der Beigeladenen geäußert. Soweit er darauf hinweist, dass die Mutter der Beigeladenen während seiner Untersuchungshaft durch Besuche und Briefe noch Kontakt mit ihm gehalten habe, wird dadurch die Einschätzung der Gutachterin zur schweren seelischen Erschütterung der Mutter und den damit verbundenen Auswirkungen einer Konfrontation mit dem Kläger nicht in Frage gestellt. Die Mutter der Beigeladenen hat der Gutachterin u.a. berichtet (vgl. S. 27 des Gutachtens, Bl. 141 der Behördenakte), seit sie die Besuche beim Kläger eingestellt und auch den Kontakt zu dessen Eltern abgebrochen habe, gehe es ihr deutlich besser. Sie habe lange versucht, den Kontakt zum Kläger aufrecht zu erhalten, und habe die Beigeladene zum Kläger hingebracht, aber zum Schluss sei für sie der Eigenschutz vorgegangen. Diese Aussagen sind vor dem Hintergrund der Belastung für die Mutter, die nach dem Gutachten jegliche Konfrontation mit dem Kläger mit sich bringt, sehr plausibel. Auch die existentielle Bedeutung der Mutter als konstante Bezugsperson ist ohne weiteres nachvollziehbar. Die Gutachterin hat schlüssig erklärt (S. 53 des Gutachtens, Bl. 167 der Behördenakte), es sei zwar theoretisch davon auszugehen, dass die Beigeladene während der Zeit des Zusammenlebens - die innerhalb der bindungsrelevanten Phase (etwa vom 7. Lebensmonat bis zum Ende des 3. Lebensjahres) lag - begonnen haben dürfte, eine emotionale Bindung an den Kläger zu entwickeln; diese habe sich jedoch nicht ungestört ausbilden können, da der Vater praktisch ab dem 15. Lebensmonat nicht mehr für die Beigeladene verfügbar gewesen sei und von daher eine kindliche Amnesie bestehe.
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Durch dieses Gutachten wird insbesondere bestätigt, dass jeglicher Zwang, sich mit dem Kläger und seinen Taten auseinanderzusetzen, die Mutter der Beigeladenen erheblich belastet und dadurch auch das Lebensumfeld im allgemeinen und das Wohlergehen der Beigeladenen im Besonderen beeinträchtigt. Diese Einschätzung deckt sich im Kern auch mit den oben zitierten fachlichen Annahmen in der Stellungnahme vom 15. März 2018. Zwar war das Gutachten vom 20. März 2019 als Entscheidungsgrundlage zur Regelung des Umgangsrechts eingeholt worden. In der Stellungnahme des ASD vom 11. April 2019 speziell zum Namensänderungsverfahren wird jedoch unter Bezugnahme auf die vorgenannte gutachterliche Einschätzung nachvollziehbar erklärt, es sei davon auszugehen, dass auch die regelmäßig zu erwartende Konfrontation mit dem Namen des Klägers eine erhebliche Belastung für die Mutter der Beigeladenen darstelle, was sich auch negativ auf die Beigeladene auswirken dürfte, insbesondere, wenn die Mutter tatsächlich dadurch in ihrer Alltagsbewältigung eingeschränkt werde, wie von der Gutachterin angenommen. Die Mutter hat im Übrigen auch im Gespräch mit der Gutachterin angegeben (vgl. S. 26 unten und 27 oben des Gutachtens, Bl. 140 f. der Behördenakte), sie „funktioniere“, solange sie müsse und solange die Beigeladene sie brauche. Wenn der Alltag allerdings sehr stressig sei, gerate sie an ihre Grenzen; dann komme das „Gedankenkino“, sie sei verkrampft und komme nicht zur Ruhe. In diesem Zusammenhang bezeichnete sie als weiteren belastenden Punkt, dass die Beigeladene ihren bisherigen Nachnamen trage. Es komme immer wieder vor, dass auch sie mit diesem Namen angesprochen werde; das fühle sich für sie immer schrecklich an, „wie ein Stich ins Herz“. Dies steht in Einklang mit der Stellungnahme vom 15. März 2018, in der eine vergleichbare Schilderung der Mutter wiedergegeben wird. Bereits aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung ist unmittelbar einsichtig, dass die von der Mutter glaubhaft berichteten starken Reaktionen auf die Konfrontation mit dem Nachnamen des Beigeladenen dieser nicht verborgen bleiben und sie erheblich belasten.
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Die vorgenannten fachlichen Bewertungen wurden im Frühjahr 2019, somit bereits vor knapp drei Jahren, vorgenommen. In der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2022 wurde jedoch die Sozialpädagogin, die die Stellungnahmen des ASD verfasst hat, ebenso wie die Mutter der Beigeladenen als Sorgeberechtigte angehört. Die Aussagen der Sozialpädagogin und die Bekundungen der Mutter der Beigeladenen haben durchwegs die Stellungnahmen des ASD vom 15. März 2018 und vom 11. April 2019 bestätigt. Der Senat ist davon überzeugt, dass sich die Sachlage insoweit nicht grundlegend verändert hat. Die Sozialpädagogin hat nachvollziehbar erläutert (vgl. Sitzungsprotokoll S. 2), dass aus ihrer Sicht die Mutter der Beigeladenen auch heute noch durch die andauernde Konfrontation mit dem Namen des Klägers belastet sei; der Name sei insoweit ein Trigger. Diese Einschätzung ist insbesondere im Hinblick auf die erhebliche Schwere der Straftaten des Klägers, deren unmittelbares Opfer die Mutter wurde, den massiven Vertrauensverlust infolge der fortgesetzten Tatbegehung über den gesamten Zeitraum der Paarbeziehung (Oktober 2010 bis Juni 2016) hinweg und die von der Gutachterin festgestellte schwere seelische Erschütterung der Mutter sehr plausibel. Ebenso hat die Sozialpädagogin überzeugend aufgezeigt, dass die Beigeladene dies - d.h. die beschriebene Wirkung ihres Namens auf die Mutter - mitbekomme. Kinder in diesem Alter seien noch nicht in der Lage, zwischen eigenen Emotionen und solchen der Mutter zu unterscheiden; es sei davon auszugehen, dass die Beigeladene die Emotionen der Mutter auch auf sich beziehe. Die Sozialpädagogin ordnete dieses Phänomen der Weitergabe der traumatischen Erfahrungen von der Mutter an die Beigeladene dem Phänomen der transgenerationalen Traumatisierung zu.
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Hinzu kommt der erhebliche Druck für die Beigeladene durch die Wahrnehmung, dass gerade ihr Nachname eine erhebliche und dauerhafte Belastung der Mutter verursacht; diese belastende Wirkung wird auch durch die Erkenntnisse in anderen Gerichtsverfahren mit vergleichbaren Sachverhalten bestätigt (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1990 - 7 B 189/89 - juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 6.6.2008 - 5 B 06.832 - juris Rn. 35).
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Die bereits durch die vorgenannten Dokumente und Äußerungen in der mündlichen Verhandlung gewonnene Überzeugung des Senats, dass die Konfrontation mit dem bisherigen Nachnamen der Beigeladenen bis heute eine schwere Belastung der Mutter und eine erhebliche Belastung der Beigeladenen auslöst, hat sich aufgrund der Anhörung der Mutter in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Bei der Bewertung der Aussagen der Mutter der Beigeladen war im Hinblick auf ihr Interesse am Prozessausgang besondere Zurückhaltung geboten.
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Die Mutter der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung (vgl. S. 4 des Protokolls) anschaulich geschildert, dass es ihr selbst nicht gut gehe, wenn der Nachname des Klägers und der Beigeladenen falle, etwa beim Kinderarzt. Sie bekomme dann einen hohen Puls, fange an zu schwitzen und werde angespannt. Dies übertrage sich auf die Beigeladene, die dann ebenfalls nicht mehr entspannt sei; sie lasse dann Untersuchungen nicht mehr über sich ergehen, beginne unruhig zu werden und sei unkonzentriert. Diese Schilderung ist gerade auch vor dem Hintergrund glaubhaft, dass sie mit dem in Einklang steht, was die Mutter der Beigeladenen der Sozialpädagogin des ASD und der psychologischen Gutachterin geschildert hat. Dazu kommt die fachkundige Einschätzung der psychologischen Gutachterin, wonach die geschilderten Reaktionen auf die Konfrontation mit dem Kläger und seinen Taten erwartbar und authentisch sind. Für die Glaubwürdigkeit der Mutter spricht insbesondere auch, dass sie in der mündlichen Verhandlung nüchtern, ohne drastische Formulierungen und ohne Belastungseifer berichtet hat. Erst auf Vorhalt ihres eigenen Bevollmächtigten hat sie weitergehend über die Ängste vor einer eventuellen Begegnung mit dem Kläger und Konfrontationen mit dessen Eltern berichtet (S. 5 des Protokolls). Ihre sachliche Darstellungsweise ist vor dem Hintergrund plausibel, dass die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung (S. 5 oben des Protokolls) und sinngemäß auch bereits gegenüber der Gutachterin (vgl. Gutachten vom 20.3.2019, S. 26 unten) ausgeführt hat, bei derartigen Konfrontationen in einen „Notmodus“ gehe, um zu funktionieren und nicht zusammenzubrechen. Auch die Gutachterin hat im Übrigen hervorgehoben (S. 26 Mitte des Gutachtens), dass die Mutter ihr gegenüber sehr gefasst, weitestgehend emotionslos und sachlich berichtet habe.
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Hinzu kommt, dass die Sozialpädagogin in der mündlichen Verhandlung (vgl. S. 6 des Protokolls) zum Bericht der Mutter der Beigeladenen über den weiteren Fortgang seit 2019 schlüssig erläutert hat, dass sich dies mit ihrer Einschätzung und Prognose decke; die geschilderten Reaktionen von Mutter und Kind bei Konfrontation mit dem Nachnamen des Klägers seien plausibel und nach ihrer Einschätzung nachvollziehbar und erwartbar. Sie wies zudem darauf hin, dass sich Traumata bei Kindern häufig nicht in massiven, wahrnehmbaren Auffälligkeiten äußerten, sondern eher verdeckt abliefen.
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cc) Eine Änderung des Nachnamens der Beigeladenen in den ihrer Mutter bringt nach alldem erhebliche Vorteile für die Beigeladene mit sich, die verständiger Weise die Aufrechterhaltung des Namensbandes zum Kläger nicht zumutbar erscheinen lassen. Das künftige Namensband stärkt die Beziehung der Beigeladenen zur Mutter, der konstanten und existentiell wichtigsten Bezugsperson, deren Bedeutung für eine gedeihliche Entwicklung der Beigeladenen im Gutachten vom 20. März 2019 (insbesondere 5. 53 des Gutachtens, Bl. 167 der Behördenakte) anschaulich erläutert wird. Durch die Namensänderung wird weiter die schwere Belastung der Mutter infolge der Konfrontation mit dem bisherigen Namen der Beigeladenen und die damit verbundene erhebliche Beeinträchtigung der Beigeladenen entfallen. Auch wird die Gefahr einer transgenerationalen Traumatisierung der Beigeladenen, wie sie die Sozialpädagogin des ASD in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2021 anschaulich beschrieben hat, dadurch zumindest gemindert. Zwar trifft der Hinweis des Klägerbevollmächtigten zu, dass sich mit der Namensänderung nichts an der schweren seelischen Erschütterung der Mutter der Beigeladenen ändert, verbunden u.a. mit der gefährdeten Fähigkeit zur Alltagsbewältigung und ggf. mit Beeinträchtigungen ihres Lebensumfelds, insbesondere der Beigeladenen. Gerade auch diese fortdauernde, durch die Mutter vermittelte Belastung der Beigeladenen spricht jedoch dafür, die zu erwartende spürbare Erleichterung durch eine Namensänderung als einen erheblichen Vorteil anzusehen. Damit werden der Beigeladenen nicht lediglich altersbedingte oder vorübergehende Unannehmlichkeiten erspart. Vielmehr wird in der Lebenssituation der Beigeladenen und ihrer Mutter, in der langfristig Erschütterungen aufgrund der schweren Straftaten des Klägers und des tiefgreifenden Vertrauensverlusts nachwirken, zumindest eine Ursache für (zusätzliche) Belastungen beseitigt.
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d) Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen (unter 2. c) stellt auch der mit dem Nachnamen des Klägers verbundene Makel, dem die Beigeladene als nahe Angehörige aller Voraussicht nach (auch) künftig ausgesetzt wäre, einen wichtigen Grund für die Namensänderung nach § 3 Abs. 1 NamÄndG dar (vgl. auch Nr. 39 Abs. 1 NamÄndVwV).
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In der Stellungnahme des Klägers gegenüber dem Landratsamt F. vom 6. Dezember 2018 heißt es, nach der Haftentlassung werde er wieder in seine Wohnung im Haus seiner Eltern am früheren Wohnort einziehen (Bl. 103 der Behördenakte). Im Berufungsverfahren hat er zwar erklärt, dass er bei Bedarf die Beigeladene auch an einem sonstigen Ort treffen oder auch dort hinziehen würde. Da dem Kläger die Wohnung im Haus seiner Eltern zur Verfügung steht und er jedenfalls derzeit unstreitig bedürftig ist, wird er allerdings aller Voraussicht nach auch nach seiner Haftentlassung wieder in das elterliche Anwesen einziehen. Auch strebt er die Kontaktaufnahme und einen Umgang mit der Beigeladenen an, wie sich z.B. aus seiner Stellungnahme vom 6. Dezember 2018 ergibt. Solche Kontakte werden allerdings erst in Betracht kommen, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind und falls dies dem Willen sowie dem Wohl der Beigeladenen entsprechen sollte (vgl. im Einzelnen das Gutachten vom 20.3.2019, S. 59 f., Bl. 173 f. der Behördenakte). Sollte die Beigeladene den Kläger und dessen Eltern eines Tages an deren früherem und voraussichtlich auch künftigen Wohnort besuchen, so wird sie mit ihm und seinen Taten in Verbindung gebracht werden; es kann sich dabei auch um mehrtägige Aufenthalte (z.B. während der Schulferien) handeln, weshalb es mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zur Namensnennung gegenüber Bewohnern des Ortes kommen wird.
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Der Nachname des Klägers wird am früheren gemeinsamen Wohnort des Klägers, der Beigeladenen und deren Mutter bis heute und auch künftig mit dem Kläger und seinen Straftaten in Verbindung gebracht. Dies stellt der Kläger selbst nicht in Frage. Er hebt hervor, dass es sich um einen kleinen ländlichen Ort handelt, in dem die Bewohner in der Regel untereinander gut bekannt seien. Der Kläger meint sinngemäß, die Beigeladene sei am früheren Wohnort keiner Belastung wegen einer Bemakelung seines Nachnamens ausgesetzt, weil die verwandtschaftliche Beziehung zwischen ihm und der Beigeladenen dort ohnehin bekannt sei, ohne dass es auf den Nachnamen ankomme. Dem ist nicht zu folgen. Die Beigeladene hat den früheren Wohnort mit ihrer Mutter bereits im März 2017, im Alter von gut 1 ½ Jahren, verlassen. Folglich ist praktisch auszuschließen, dass Bewohner des Ortes in der jetzt bereits ca. 6 ½ Jahre alten Beigeladene ohne weiteres die Tochter des Klägers erkennen würden. Die Beigeladene hat u.a. das Grundrecht (Art. 11 Abs. 1 GG, Art. 109 Abs. 1 BV), sich an ihrem früheren Wohnort aufzuhalten. Angesichts der massiven Schwere der Straftaten des Klägers ist ihr nicht zumutbar, an diesem Ort das Risiko einer Stigmatisierung wegen ihres Nachnamens tragen zu müssen. Das gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass nach der schlüssigen Bewertung der psychologischen Gutachterin (vgl. S. 55 f. des Gutachtens vom 20.3.2019, Bl. 169 f. der Behördenakte) die Mutter der Beigeladenen als herausragendes Opfer dieser Straftaten und die Beigeladene selbst als sekundäres Opfer zu betrachten ist.
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Unabhängig davon stellt der makelbehaftete Nachname des Klägers auch im sonstigen Lebensumfeld mit Freunden und Bekannten eine unzumutbare Belastung für die Beigeladene dar. Sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach immer wieder mit der Frage nach dem Grund für die Namensabweichung gegenüber ihrer Mutter konfrontiert und anknüpfend daran nach dem Verbleib und ihrem Kontakt zum leiblichen Vater gefragt werden; in diesem Zusammenhang ist es für sie kaum vermeidbar, die schwerwiegenden - zulasten der eigenen Mutter und im vorgenannten sekundären Sinn auch zulasten der Beigeladenen begangenen - Straftaten zu thematisieren. Auch können Dritte, die den Nachnamen des Vaters kennen, bereits mithilfe weniger andeutungsweiser Informationen (z.B. betreffend Tat und Herkunftsort oder Tätigkeit als Rettungssanitäter) weitere Details über den Kläger und dessen Straftaten herausfinden, da entsprechende Presseberichte bis heute im Internet auffindbar sind (vgl. vom Beklagten mit Schriftsatz vom 21.4.2021 vorgelegte Internetausdrucke). Die längerfristige erhebliche Belastung durch diesen Makel und die stets präsente Befürchtung im Austausch mit Freunden und Bekannten, die höchst unangenehmen Hintergründe könnten aufgedeckt und zur Sprache gebracht werden, ist mit Unannehmlichkeiten bei „Scheidungshalbwaisen“, die nach den Umständen der Scheidung ihrer Eltern befragt werden, nicht im Geringsten vergleichbar und der Beigeladenen nicht zumutbar.
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e) Nach Angaben der Mutter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung (S. 4 des Protokolls) weiß diese mittlerweile Bescheid über ihren biologischen Vater sowie darüber, dass dieser im Gefängnis sitzt und die Mutter eines seiner Opfer gewesen ist. Auch hat die Mutter berichtet, dass die Beigeladene ausdrücklich wünsche, den Namen der Mutter zu tragen. Der Wunsch nach einer Namensänderung als solcher stellt in der Regel keinen wichtigen Grund im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG dar (vgl. BayVGH, B.v. 21.8.2020 - 5 ZB 191233 - BayVBl 2021, 171 Rn. 12; NdsOVG, U.v. 16.11.2021 - 11 LB 252/20 - juris Rn. 37; OVG Bremen, B.v. 4.2.2021 - 1 PA 306/20 - FamRZ 2021, 1706 Rn. 9; § 1628 Satz 4 BGB betreffend BGH, B.v. 9.11.2016 - XII ZB 298/15 - NJW 2017, 1242 Rn. 18 m.w.N.). Würde es an objektiven belegbaren Belastungen fehlen und würde der betreffende Namensinhaber nur den Wunsch haben, sich von dem namensgleichen Täter loszusagen oder zu distanzieren, würde auch dies eine Namensänderung zumindest im Allgemeinen nicht rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2014 - 5 ZB 14.811 - juris Rn. 18; VGH BW, U.v. 28.11.1996 - 13 S 3124/95 - juris Rn. 17). So liegt es hier aber nicht.
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Es ist nicht entscheidungserheblich, ob ein von der Beigeladenen geäußerter Wunsch als solcher - d.h. unabhängig von den vorstehend (unter 2. c und d) bereits bejahten wichtigen Gründen - ggf. aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls ein weiterer wichtiger Grund im Sinne von § 3 Abs. 1 NamÄndG wäre. Einem etwaigen Wunsch wurde auch im Rahmen der Abwägung mit gegenläufigen Interessen (vgl. nachfolgend unter 2. f) kein zusätzliches Gewicht zugunsten der beantragten Namensänderung beigemessen.
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f) Eine Abwägung mit den gegenläufigen Interessen des Klägers ergibt, dass das Interesse der Beigeladenen an der Übernahme des Nachnamens ihrer Mutter überwiegt.
53
Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger erhebliches Interesse an einer Kontaktaufnahme und an der Aufrechterhaltung des Namensbandes zur Beigeladenen hat. Auch würde allein der Umstand, dass derzeit kein Kontakt zwischen dem Kläger und der Beigeladenen besteht, keine Namensänderung rechtfertigen (vgl. BGH, B.v. 10.3.2005 - XII ZB 153/03 - NJW 2005, 1779 Rn. 12 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 4.2.2021 - 1 PA 306/20 - FamRZ 2021, 1706 Rn. 12 m.w.N.). Vorliegend stellen allerdings die oben dargelegten erheblichen Vor- und Nachteile für die Beigeladene und die Belastung wegen der Bemakelung ihres bisherigen Nachnamens wichtige Gründe für die Namensänderung dar (vgl. unter 2. c und d). Der Umstand, dass die fehlende Bindung der Beigeladenen zum Kläger (infolge der Trennung im Alter von 1 ¼ Jahren) in Verbindung mit der umso schutzbedürftigeren existentiellen Beziehung zur Mutter Folgen der vom Kläger begangenen Straftaten sind, spricht für ein Überwiegen des Kindeswohlinteresses an einer Namensänderung gegenüber dem gegenläufigen Interesse des Klägers (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2009 - 5 C 08.2435 - juris Rn. 6; HessVGH, U.v. 21.11.2008 - 7 A 1017/08 - juris Rn. 49). Das Interesse des Klägers am Erhalt der Nachnamensgleichheit mit der Tochter ist auch insoweit nur wenig schutzwürdig, als die Belastung für die Mutter und die Beigeladene durch seine Straftaten hervorgerufen werden (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2009 - 5 C 08.2435 - juris Rn. 6). In diesem Zusammenhang ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass auch die Beigeladene z.B. zeitweise durch die Installation einer SpyCam im Bad (eingeräumt vom Kläger, vgl. S. 23 des Gutachtens vom 20.3.2019, Bl. 137 der Behördenakte) unmittelbar in ihrer eigenen Intimsphäre und in ihrem Vertrauensverhältnis zum Vater erheblich beeinträchtigt worden ist.
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Das öffentliche Interesse an einer Kontinuität der Namensführung ist vorliegend gegenüber dem gewichtigen Interesse an einer Namensänderung geringer zu bewerten. Unabhängig davon wird die Namenskontinuität nur relativ geringfügig beeinträchtigt, wenn die Namensänderung wie vorliegend bereits vor der Einschulung erfolgt. Im Übrigen wird auch durch die Einbenennung in den Familiennamen der Mutter eine künftige Kontinuität gewährleistet; insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall beispielsweise von einer Einbenennung in den Namen einer „Stieffamilie“.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für das erstinstanzliche Verfahren trägt, da diese dort einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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4. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).